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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.10.2018

Die Grausamkeit der Daten

NSA - Nationales Sicherheits-Amt
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„Ja, mir scheint, die Grausamkeit und Schärfe der Daten übertrifft die des Stahls noch bei weitem.“ Diese Worte legt Andreas Eschbach in seinem neuen Roman „NSA- Nationales Sicherheitsamt“ Heinrich Himmler ...

„Ja, mir scheint, die Grausamkeit und Schärfe der Daten übertrifft die des Stahls noch bei weitem.“ Diese Worte legt Andreas Eschbach in seinem neuen Roman „NSA- Nationales Sicherheitsamt“ Heinrich Himmler in den Mund und beweist schockierend, welche Macht scheinbar unwichtigen Daten innewohnt:

In einer anderen Vergangenheit gibt es Computertechnologie durchgehend seit dem 18. Jahrhundert und hat sich in den 1930iger Jahren auf ein Niveau entwickelt, das unserem heutigen Technikgebrauch entspricht. In dieser Zeit hängen Menschen mit ihren Komputern (ja, diese Schreibweise wird im Roman konsequent beibehalten) am Weltnetz bezahlen bargeldlos über Volkstelephone („Votel“), schreiben elektronische Briefe und noch mehr (den Spass, die Parallelen zu Heute zu entschlüsseln, möchte ich anderen Lesern nicht nehmen). Dabei hinterlassen sie einen riesigen Berg Daten, den das Nationale Sicherheitsamt nutzt, um sich für die Nazi-Regierung unentbehrlich zu machen.

Die Schilderung wechselt zwischen Helene Bodenkamp, einer jungen Programmstrickerin (in dieser Welt ist Programmieren ausschließlich Frauensache) aus gutbürgerlichem Hause, die zwar selbst eher unpolitisch ist, aber versucht eine schützende Hand über ihre Lieben zu halten, und dem Analysten Eugen Lettke, dem Sohn eines Kriegshelden (wie seine Mutter ihm unermüdlich eintrichtert), der seine Stellung beim NSA ebenfalls für persönliche (allerdings deutlich düstere) Motive nützt. Mehr möchte ich über die Handlung nicht verraten, da das Buch voller Überraschungen und Aha-Erlebnissen steckt.

Was ich aber noch erwähnen möchte, sind die kleine Beobachtungen, die das große Bild abrunden, die Herr Eschbach mit viel Liebe zum Detail einfügt: Der Lehrer, der den Schülern den Spass an einem Fach verdirbt, weil er zu ungeduldig ist und sich nicht mehr erinnern kann, wie es war, als man selbst noch Neuling war und nicht alles auf Anhieb verstanden hat. Oder der Wissenschaftler, der in schneller Folge Veröffentlichung raushauen muss, weil sonst die Forschungsgelder nicht fließen. Das waren meine persönlichen Lieblinge, aber es gibt noch viel mehr solcher Stellen.

Trotz kleiner Stolpersteine für das Auge, wie „Komputer“ und der alten Schreibweise von Telephon, liest es sich dank Herrn Eschbachs präzisem Schreibstil sehr flott und auch die Handlung treibt einen zum Weiterlesen an. Der Einstieg ist etwas verwirrend, weil der Leser mitten ins Geschehen mit vielen Personen geworfen wird, aber mit jedem folgenden Kapitel wird das Bild deutlicher. Wie oben gesagt, macht das Entschlüsseln der urig deutschen Begriffe für moderne Computer-Technologie sehr viel Spaß, man vergisst darüber aber nie, dass es sich um ein todernstes Thema handelt und Geheimnisse (vor allem vor dem Staat) in dieser Welt überlebensnotwendig sind. Darin liegt die Genialität von „NSA“: Zwar haben wir alle schon einmal gehört, dass wir mit den Spuren, die wir im Internet hinterlassen, vorsichtiger umgehen sollen und unsere Daten besser schützen sollen, aber wenn wir ehrlich sind, zucken wir meist mit den Schultern und gehen davon aus, nicht so interessant zu sein und eh nichts zu verbergen zu haben. Doch was wäre, wenn der Staat jeden auf Konformität überprüft? Wenn kalte Algorithmen emotionslos filtern, was interessant ist und scheinbar harmlose Einzelheiten zu einem Strick verknüpft, an dem ein feindseliger Staat jeden Abweichler und Kritiker hängen kann?

Fazit: Andreas Eschbachs „NSA- Nationales Sicherheitsamt“ ist ein großartig beunruhigender Roman, der zu keinem passenderen Zeitpunkt erscheinen konnte und das ersehnte Fach „Computerkompetenz“ (nicht zu verwechseln mit Informatik) in eine packende Geschichte einbettet. Ich empfehle ihn jedem, der auch nur einen E-Mail-Account hat (von Facebook, Twitter & Co. mal ganz zu schweigen).

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass ich das Buch im Rahmen der Lesejury kostenlos vorab zum Lesen zur Verfügung gestellt bekommen habe, dies aber keinen Einfluss auf meine Bewertung hatte.

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Veröffentlicht am 01.09.2018

Ein tiefer Sturz…

Die Hochhausspringerin
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…in einer erbarmungslosen Welt, die uns schrecklich vertraut vorkommt.
In der nicht näher angegebenen Zukunft soll die junge Wirtschaftspsychologin Hitomi Yoshida per Fern-Überwachung herausfinden, warum ...

…in einer erbarmungslosen Welt, die uns schrecklich vertraut vorkommt.
In der nicht näher angegebenen Zukunft soll die junge Wirtschaftspsychologin Hitomi Yoshida per Fern-Überwachung herausfinden, warum Riva Karnovsky, gefeierte Hochhausspringerin und Liebling der Massen, sich auf einmal ihrem perfekt durchgeplanten Leben verweigert. Da für die Sponsoren viel Geld auf dem Spiel steht, lastet ein immenser Druck auf Hitomi, die immer darum kämpft, den Vorgaben des Systems zu entsprechen.
Die Grundidee der Geschichte um eine perfekt organisierte Gesellschaft, die ihre Bürger vorgeblich zu deren Wohl maximal überwacht, ist schon mehrfach umgesetzt worden, was „Die Hochhausspringerin“ aber einzigartig macht, ist die Sprache, die uns die Kälte dieser auf Effizienz ausgelegten Welt spüren lässt. Die spröde Sprache kann beim Leseeinstieg etwas irritieren, gibt aber die Lieblosigkeit dieser schrecklichen, neuen Welt gut wieder. Es gibt einzelne Elemente, die satirisch lustig sein könnten, aber statt einer kleinen Posse, die man nach Lektüre wieder vergisst, zeigt Julia von Lucadou, wie schnell das Akzeptieren von Rankings, Benchmarks, Evaluationen zum lebensbedrohlichen Selbstzweck wird. Die Geschichte entwickelt sich langsam und entfaltet zum Ende hin ihre größte Kraft und wird - zumindest mich – noch lange nach dem Zuklappen des Buches beschäftigen.
Fazit: Es ist keine Feel-good-Geschichte, die man mit einem Seufzer weglegt, es ist nicht der Auftakt zu einer epischen Rebellion (wie bei vielen Teenie-Dystopien), ich empfand es als Einladung zum in sich Fühlen, Nachdenken und dabei auf jeden Fall nicht effizient oder produktiv zu sein…

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Veröffentlicht am 08.07.2018

Spannendes Ränkespiel…

Das Mätressenspiel
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Martha Sophie Marcus´ historischer Roman führt uns an den hannoveranischen Hof im Jahr 1682 , wo die unverschuldet in Not geratene Helena von Minnigerode um Hilfe bitten will: Nach dem Tod von Vater und ...

Martha Sophie Marcus´ historischer Roman führt uns an den hannoveranischen Hof im Jahr 1682 , wo die unverschuldet in Not geratene Helena von Minnigerode um Hilfe bitten will: Nach dem Tod von Vater und Bruder drohen das Gut und die Ländereien dem habgierigen Graf Roderick in die Hände zu fallen. Fern der Heimat und in ständiger Sorge um ihre Familie gerät Helena zwischen die Fronten von Herzogin Sophie und der offiziellen Mätresse Clara und wird zur Figur im Spiel der beiden mächtigen Frauen.
Martha Sophie Marcus ist mit Helena eine sympathische Heldin gelungen, die über eine bewundernswerte Resilienz-Gabe besitzt. Die historisch realen Figuren wie die Herzogin, Clara oder Leibniz sind gut gezeichnet und auch für LeserInnen, die sich nicht mit Geschichte oder Gepflogenheiten europäischer Adelshäuser auskennen, gut verständlich und die Figuren sind gut einzuordnen. Mir persönlich gefällt der Schreibstil, der genau das richtige Mass an Beschreibungen einhält: genug , um sich die Szenerie vorzustellen, aber auch nicht zu opulent ausschweifend, dass dadurch die Handlung ins Stocken gerät. Tatsächlich ist das Erzähltempo angenehm flott ohne dabei zu hetzen oder wichtige Dinge auszulassen. Die ideale Lektüre für ein Frühlings- oder Sommerwochenende im Garten…
Ich habe das Buch im Rahmen der Lesejury-Aktion vom Verlag Bastei-Lübbe vorab gestellt bekommen, was aber keinen Einfluss auf meine Bewertung hat. Tatsächlich habe ich mich gefreut, auf diese Weise mit Martha Sophie Marcus eine für mich neue Autorin zu entdecken, die sehr produktiv ist und für ausreichend Nachschub sorgt . Wer sich für die Vorgeschichte von Floriano (über dessen Rolle in Helenas Abenteuer will ich hier nicht zuviel verraten) interessiert und wie ich traurig war, als "Das Mätressenspiel" zu Ende war, kann gleich mit "Das blaue Medallion" weitermachen).

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  • Thema
Veröffentlicht am 01.06.2018

"Was wollen die mit meinen Daten schon anfangen...?"

Die Optimierer
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Das hat sich jeder sicher schon einmal gedacht und stellt großzügig Informationen zu Fähigkeiten, Interessen, Fitness und Konsumverhalten ins Netz (ja, die Ironie das auf einem Internat-Portal zu schreiben, ...

Das hat sich jeder sicher schon einmal gedacht und stellt großzügig Informationen zu Fähigkeiten, Interessen, Fitness und Konsumverhalten ins Netz (ja, die Ironie das auf einem Internat-Portal zu schreiben, ist mir bewußt). Was soll man mit den Daten schon groß anfangen? Die Antwort darauf liefert Theresa Hannigs großartiger Zukunftsroman "Die Optimierer", dem die Autorin dieses sehr zutreffende Snowden-Zitat vorangestellt hat: "Zu behaupten, das Recht auf Privatsphäre sein einem egal, weil man nichts zu verbergen hat, ist wie zu behaupten, das Recht auf freie Meinungsäußerung sei einem egal, weil man gerade nichst zu sagen hat." Hannig folgt dem Aufbau klassischer Utopien wie "Fahrenheit 451": Wir bekommen mit dem systemgläubigen Samson Freitag als Protagonisten zunächst die zukünftige Bundesrepublik Europa mit der Optimierungspartei an der Spitze durchaus positiv vorgestellt, jeder hat seinen Platz in der Gesellschaft. Wie sehr das optimale Leben auf Kosten der Freiheit geht, erleben wir, als Freitag auch nur ein kleines bisschen vom Optimum abweicht und in einer rasant erzählten Abwärtsspirale immer mehr zum Paria wird.

Fazit: Theresa Hannigs "Die Optimierer" habe ich aufgrund des des gut dosierten Erzähltempos an einem Nachmittag in einem Rutsch durchgelesen, die Botschaft der Geschichte hallt aber immer noch nach. Für Fans von Andreas Eschbach und Black Mirror.

Veröffentlicht am 15.01.2024

Bittersüßer Roadtrip mit Hund und Schnecke in eine ungewisse Zukunft…

Endling
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In dieser nicht in allzu ferner Zukunft angesiedelten Tragikomödie macht sich Biologin Zoe zusammen mit ihrer kleinen Schwester Hannah und ihrer an Angststörungen leidenden Tante Auguste auf, die verschollene ...

In dieser nicht in allzu ferner Zukunft angesiedelten Tragikomödie macht sich Biologin Zoe zusammen mit ihrer kleinen Schwester Hannah und ihrer an Angststörungen leidenden Tante Auguste auf, die verschollene Freundin der Tante aufzuspüren und macht dabei eine buchstäblich fantastische Entdeckung.

Dieser eine Satz, der die Handlung möglichst spoilerfrei zusammenfassen soll, gibt nicht annährend die Schwere der Themen wieder, mit denen Jasmin Schreiber ihre Lesenden konfrontiert: Noch nicht einmal 20 Jahre in der Zukunft sind Arten wie das Rotkehlchen ausgerottet und täglich folgen weitere (so hütet Auguste das letzte Exemplar der Spezies Weinbergschnecke Helix pomatia, der titelgebende Endling), Deutschland hat sich in einen faschistoiden Staat zurückentwickelt, der die Frauenrechte um mehr als 50 Jahre (von heute gesehen) zurückgedreht hat, Menschen mit Migrationshintergrund diskriminiert (leider kein Zukunftsthema) und eine Pandemie die nächste jagt. Zusätzlich zu diesen globalen Problemen hat jede der Protagonistinnen ihr eigenes Trauma zu verarbeiten, das durch den Verlust des Vaters bzw. des Bruders in einer der unzähligen Pandemien ausgelöst wurde: Auguste schließt die Welt aus und zieht sich wie ihr Schützling in ein Schneckenhaus zurück, das sie akribisch keimfrei hält, Zoe stürzt sich in ihre Arbeit als Dokumentarin des Artenschwundes und Hannah navigiert als alleingelassenes Nesthäkchen gefährlich am Rande des Alkoholismus, hat sie sich diesen doch als (fragwürdigen) Bewältigungsmechanismus bei ihrer Mutter abgeguckt.

Wie schon bei ihren Vorgängerromanen „Marianengraben“ und „Der Mauersegler“ oder dem sehr persönlichen Sachbuch „Abschied von Hermine“ gelingt es Jasmin Schreiber diese sehr traurigen Themen mit einer überraschenden Leichtigkeit zu erzählen. Sie findet in aller Trauer immer Situationen, die mit etwas Abstand (für uns als Lesende sofort, für die Protagonisten hoffentlich mit der Zeit) auch eine gewisse Komik beinhalten und arbeitet sie heraus. Wenn Angstpatientin und Keimphobikerin Auguste sich zum Beispiel endlich ins Auto wagt und dann auf der Reise mit dem Konzept „Raststättenklo“ konfrontiert wird.

Für eine reine „Roadtrip“- Erzählung werden dem Reiseantritt und den einzelnen Etappen sehr viel Platz eingeräumt, unterwegs wird ein Mysterium aufgebaut, das nach einer zufriedenstellenden Auflösung am Ende der Reise verlangt…und hier liegt für mich persönlich leider der Schwachpunkt der Geschichte: Die ganze Auflösung um Sophies Verschwinden ließ zumindest mich ratlos zurück, dafür dass die Geschichte viel Zeit in den Aufbau und die Reise gesteckt hat, fühlte sich für mich persönlich der Schluss leider etwas überhastet an. Ich bleibe aber neugierig, ob „Endling“ nicht vielleicht der Auftakt zu einer weiteren Geschichte sein könnte, zumal weitere Teilnehmende der Leserunde der Bastei Lesejury, an der ich teilnehmen durfte, bemerkt hatten, dass Figuren aus „Marianengraben“ und „Der Mauersegler“ auftauchen, alle drei Romane im „gleichen Universum“ spielen (ich muss zu meiner Schande gestehen, dass mir das beim ersten Lesen nicht aufgefallen war, vielen lieben Dank an meine Mitlesenden!). Kurze Anmerkung: Die Romane bauen nicht aufeinander auf und können vollkommen unabhängig voneinander gelesen werden, es ist nur ein kleiner Benefit für jene, die alle drei gelesen haben.

Fazit: „Endling“ ist eine literarische Aufarbeitung der akuten Probleme unserer Zeit, entsprechend sollte man keinen Feel good- Roman erwarten, auch wenn sich oft tragikomische Szenen ergeben, die dem Ganzen zwischendurch die Schwere nehmen. Wie man das Ende empfindet, ist sicher sehr Geschmacksache und von Erwartungen abhängig, aber da wie bei allem Roadtrip-Geschichten der Weg als eigentliches Ziel zählt, ist „Endling“ eine weitere bittersüße Perle in Jasmin Schreibers unbedingt lesenswerter Bibliographie.

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