Profilbild von skiaddict7

skiaddict7

Lesejury Star
offline

skiaddict7 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit skiaddict7 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.10.2018

Ein Meisterwerk

Loyalitäten
0

"Übrigens seltsam, dieses Gefühl einer Besänftigung, wenn schließlich das hervorkommt, was man nie sehen wollte, obwohl man wusste, dass es ganz in der Nähe vergraben war, dieses Gefühl Von Erleichterung, ...

"Übrigens seltsam, dieses Gefühl einer Besänftigung, wenn schließlich das hervorkommt, was man nie sehen wollte, obwohl man wusste, dass es ganz in der Nähe vergraben war, dieses Gefühl Von Erleichterung, wenn sich das Schlimmste bestätigt."


Der zwölfjährige Theo ist sehr still, scheint aber mit den Mitschülern gut auszukommen. Er ist ein guter Schüler. Sein einziger Freund ist Mathis, ein Mitschüler. Dennoch hat Helene, seine Biologielehrerin, das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Sie selbst kennt die Anzeichen einer Misshandlung, und versucht, Theo näher zu kommen. Aus Angst kann sich dieser jedoch nicht anvertrauen. Er kann schließlich nicht verraten, dass seine Mutter häufig traurig und allein ist, und der Vater arbeitslos und depressiv. Theo muss dafür sorgen, dass alles funktioniert. Der Alkohol ist das einzige, was diese Probleme mindert. Am liebsten würde er sich in die Bewusstlosigkeit trinken, bis er nichts mehr spürt...


De Vigan zeichnet ein Bild von einem alltäglichen Leben. Allerlei Beziehungen, die alle nicht wie vorgesehen funktionieren, die jedoch trotzdem von Liebe gekennzeichnet sind. Sie wählt die Worte sehr gekonnt; vieles hätte ich mir gerne herausgeschrieben. Abwechselnd wird aus Sicht von Theo und Mathis erzählt, jeweils in der dritten Person; sowie aus der Sicht von Helene, der Lehrerin, und Cecile, Mathis Mutter, in der Ich-Form. Alle haben ihre eigenen Dämonen zu bekämpfen, und alle kämpfen mit der Frage, was Loyalität gegenüber den Liebsten bedeutet. Ein erschütterndes Porträt unserer Gesellschaft, das mich noch lange begleiten wird und das ich sicher noch ein zweites Mal lesen werde.

Veröffentlicht am 16.09.2018

Die Suche nach Anerkennung

Die Gesichter
0

„Den gefeierten Künstler – der nur sein Werkzeug benötigt und nichts weiter von der Welt will -, den gibt es nicht, hat es vielleicht nie gegeben.“

In diesem Meisterwerk erzählt Tom Rachmann das Leben ...

„Den gefeierten Künstler – der nur sein Werkzeug benötigt und nichts weiter von der Welt will -, den gibt es nicht, hat es vielleicht nie gegeben.“

In diesem Meisterwerk erzählt Tom Rachmann das Leben von Charles „Pinch“ Bavinsky, vom Kleinkind (1955) bis 2018. Pinch wird als Sohn eines amerikanischen Malers und einer kanadischen Töpferin in Italien geboren. Sein ganzes Leben strebt er nach der Gunst des Vaters Bear Bavinsky. Dieser bleibt meist unnahbar, beschäftigt entweder mit seiner Kunst oder mit Frauen. Eine Affäre nach der anderen, eine Ehe nach der anderen, fast 20 Kinder… Als der Vater die Familie verlässt stürzt dies die Mutter in eine Depression. Charles muss früh erwachsen werden. Er ist entschlossen, ebenfalls ein großer Künstler zu werden, dem Vater nachzueifern, um endlich dessen Stolz zu erlangen – doch dieser beachtet ihn nicht und erstickt seine Versuche, Bilder zu malen, praktisch im Keim. Die Jahre vergehen, Charles wird erwachsen. Alle paar Jahre kommt es zu lang antizipierten Treffen mit dem Vater. Jedes Mal schafft er es, Charles Leben auf eine andere Art und Weise zu ruinieren. Doch der liebende Sohn, der sich die Anerkennung des Vaters mehr als alles andere wünscht, ist hierfür blind. Und so verfolgen wir Charles sein ganzes Leben. Studium, gescheiterte Beziehungen, schließlich das Niederlassen als Sprachlehrer in London.

Anfangs war ich nicht sicher, was ich von der Geschichte halte, der Erzähler scheint teilnahmslos und distanziert. Dennoch schafft Rachmann, eine komplex versponnene Geschichte zu erzählen, ohne dem Leser zu viel an Meinung in den Mund zu legen, so dass sich jeder seine eigene Meinung über die verschiedenen Beziehungen zwischen den Charakteren bilden kann. Die Protagonisten sind sehr lebensnah und gut aufgebaut. Der Kunst-Aspekt bringt interessante Gedanken zu Tage. Es gefiel mir, Charles sein ganzes Leben lang zu verfolgen – viele Abschnitte regen zum Nachdenken an oder machen traurig. Im Gesamten ein großartiges Werk. Klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 10.09.2018

Eigenwillig, poetisch und skurril

Weit weg von Verona
0

„Ich weiß nicht, ob es Ihnen schon mal aufgefallen ist, aber wenn Sie ein Englischer Klassiker werden möchten, empfiehlt es sich, im vorderen Teil des Alphabets zu stehen. Es gibt jede Menge A und B und ...

„Ich weiß nicht, ob es Ihnen schon mal aufgefallen ist, aber wenn Sie ein Englischer Klassiker werden möchten, empfiehlt es sich, im vorderen Teil des Alphabets zu stehen. Es gibt jede Menge A und B und D, das geht weiter bis ungefähr H.“

Jessica Vye ist gerade mal neun Jahre alt, als ein Autor an ihre Schule kommt und den Schülern etwas vorliest. Inspiriert gibt sie ihm einige ihrer Texte zu lesen – zurück kommt ein Brief: „Jessica Vye, du bist ohne jeden Zweifel eine echte Schriftstellerin!“

Drei Jahre später begleiten wir die zwölf- bzw. dreizehnjährige Jessica in ihrem täglichen Leben, das seit dem Erlebnis begleitet ist von dem Wunsch, Schriftstellerin zu werden. Vor allem nach Beginn des zweiten Weltkrieges ist Jessicas Alltag alles andere als normal – Gasmasken, Bombenangriffe, Schutzkeller und Lebensmittelmarken. Trotzdem gibt es die ganz normalen Probleme: Jungs, die Schule, ihre einzige Freundin, Bücher lesen, dichten. Und so nimmt die Geschichte, durch die uns Jessica liebenswerterweise führt, ihren Lauf.

Jessica ist eine sehr besondere, eigenwillige Protagonistin, die dennoch auf ihre Art wunderbar liebenswürdig ist. Auch ihr trockener Humor macht sie sympathisch. Der Schreibstil ist auf eine eigene Weise poetisch. Jessica ist für ihr Alter schon recht erwachsen und wird mit dem Buch noch einmal ein Stück älter. Ihre Erlebnisse sind teils alltäglich, teils so skurril, dass man sich fragt, ob sie sich das nicht ausgedacht hat. Mit ihrem Vater und einer Lehrerin hat sie zwei wichtige Bezugspersonen, die sie unterstützen. Ich finde es sehr schwierig, die richtigen Worte für dieses Buch zu finden – für mich ein großartiges Werk, das ich ganz klar empfehlen kann.

Veröffentlicht am 04.08.2018

Ein Wirbelwind

Blanca
0

„Ich möchte, dass einmal im Leben ein Gedankengang nicht mit einer Frage, sondern mit einer Antwort endet.“

Blanca ist erst fünfzehn als sie beschließt, abzuhauen. Weg von ihrer Mutter, die es nie länger ...

„Ich möchte, dass einmal im Leben ein Gedankengang nicht mit einer Frage, sondern mit einer Antwort endet.“

Blanca ist erst fünfzehn als sie beschließt, abzuhauen. Weg von ihrer Mutter, die es nie länger als ein paar Wochen an einem Ort aushält. Weg von ihrem bisherigen Leben, das aus genau einer kleinen Tasche bestand. Aus wechselnden WG-Zimmern, Essenresten, neuen Schulen. Und sie möchte fort aus Deutschland. Zurück an den einzigen Ort, der für sie je eine heile Kindheit bedeutet hat – zu Karl und dessen Sohn Toni in Italien, mit denen sie und ihre Mutter sechs Jahre zuvor einen Sommer verbracht haben. Und so startet Blanca allein mit nur ihrer kleinen Tasche im Gepäck auf einen Roadtrip, auf der Suche nach einem Zuhause.

Ich konnte dieses Buch kaum aus der Hand legen. Aus Blancas Sicht geschrieben, liest es sich nicht immer wie von einer fünfzehnjährigen geschrieben, bleibt aber noch im realistischen Rahmen. Der Schreibstil ist vielfältig und bunt, teils auch etwas sarkastisch. Mir gefielen die verschiedenen Begegnungen, die Blanca auf ihrer Reise hatte. Sowohl negative als auch positive sind dabei, wobei ich keine davon unrealistisch fand. Sie wird über den Tisch gezogen und gezwungen, früh erwachsen zu werden. Man merkt, wie Blanca sich dadurch im Laufe ihrer Reise weiterentwickelt und einen Teil ihrer Naivität ablegt. Mit der Zeit scheint sie trotz allem auch eine Art Sympathie für ihre Mutter und deren innere Kämpfe zu entwickeln. Das Ende bleibt offen, mit der nötigen Portion an Zuversicht – und hat mir gerade deswegen sehr zugesagt.

Veröffentlicht am 19.06.2018

Zurück in die Achtziger

Billy Marvins Wunderjahre
0

Eine Kleinstadt in New Jersey, 1987. Billy Marvin ist vierzehn. Zusammen mit seinen zwei besten Freunden beschließt er, das Playboy Magazin mit Vanna White, der „schönsten Frau der Welt“, irgendwie in ...

Eine Kleinstadt in New Jersey, 1987. Billy Marvin ist vierzehn. Zusammen mit seinen zwei besten Freunden beschließt er, das Playboy Magazin mit Vanna White, der „schönsten Frau der Welt“, irgendwie in seinen Besitz zu bringen. Legal kaufen ist keine Option, dafür sind sie zu jung. Und so schmieden sie Plan um Plan, um daran heranzukommen. Mit jedem gescheiterten Plan wird es ein bisschen exzentrischer. Abgesehen davon verbringt Billy die meiste Zeit damit, ein Computerspiel zu schreiben, um damit an einem Wettbewerb teilzunehmen. Durch eine Aktion für das Playboyheft lernt er schließlich Mary kennen, und die beiden beginnen, zusammen an dem Spiel zu arbeiten…

Das Buch ist hochwertig verarbeitet mit einem schönen Einband und einem noch tollerem Lesebändchen – das allein macht Lust auf mehr. Rekulak schreibt sehr unterhaltsam, so dass ich das Buch am liebsten in einem Rutsch durchgelesen hatte! Sofort fühlte ich mich in die Achtzigerjahre versetzt. Viele kleine Details aus den Achtzigern werden liebevoll in der Geschichte platziert. Das Buch wird aus der Sicht von Billy erzählt. Typische Alltagsprobleme wie Schulnoten, Hausaufgaben und Eltern wechseln sich ab mit dem Lernen von Code, nächtlichen Ausflügen und der ersten Liebe, mit überraschenden Wendungen. Ein gelungener Coming of Age Roman, der einen in eine andere Zeit (zurück)versetzt.