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Veröffentlicht am 29.03.2021

Lesbare Story, aber kein Thriller

Geiger
13

Warum erschießt eine alte Frau, Mutter und Großmutter, nach Jahrzehnte langer Ehe ihren 85-jährigen Mann? Ganz einfach: Weil das Telefon geklingelt hat.

Ganz so simpel ist es offenbar nicht. Die Todesschützin, ...

Warum erschießt eine alte Frau, Mutter und Großmutter, nach Jahrzehnte langer Ehe ihren 85-jährigen Mann? Ganz einfach: Weil das Telefon geklingelt hat.

Ganz so simpel ist es offenbar nicht. Die Todesschützin, Agneta Broman, ist allem Anschein nach eine „Schläferin“, eine Agentin oder Terroristin, die sehr, sehr lange auf diesen Einsatzbefehl gewartet hat. So lange, dass das für ihre anschließende Flucht gedachte Notfall-Set hoffnungslos veraltet ist. Selbst die darin enthaltenen Banknoten sind nicht mehr gültig.

Zeitgleich erwachen im fernen Deutschland Ermittler des dortigen Auslandsgeheimdienstes BND aus einem langen Schlaf bei der Fahndung nach Abu Rasil, einem seit ewigen Zeiten gesuchten Terroristen. Nach 30 Jahren beginnt die Jagd erneut.

Gustaf Skördeman liefert den Lesenden neben einem Spionage-Krimi ein Stück Volkshochschule zum Thema „Kalter Krieg“ und erläutert die politischen Hintergründe, die zum Verständnis des Buchs unerlässlich sind, ohne dabei diejenigen zu überfordern, die einfach nur einen Roman und kein Geschichtsbuch lesen wollen.

Am aktuellen Mord-Tatort in Stockholm tritt unterdessen Kommissarin Sara Nowak höchst inoffiziell auf den Plan und wird schnell zur Hauptfigur im Roman. Sara ist seit ihrer Kindheit gut mit der Familie von Täterin und Opfer bekannt und kümmert sich - obwohl gar nicht zuständig - aus persönlichem Interesse um die Aufklärung der Bluttat.

Saras private Hintergründe, Probleme und Erinnerungen nehmen allerdings derart viel Raum ein, dass das eigentliche „Geiger“ -Thema zeitweise völlig aus dem Fokus gerät.

Soweit es tatsächlich um „Geiger“ geht, sind Story und Hintergründe interessant, wenn auch nicht übermäßig spannend. Soweit ein ordentlicher Polit-Krimi, ganz gewiss aber kein Thriller.

Der Erstlings-Roman von Gustaf Skördemann nimmt ein überraschendes, wenn auch sehr plötzliches Ende. Und ganz am Schluss wird es in der reichlich verworrenen Spionage-Geschichte dann tatsächlich doch noch spannend. Leider erst in einem grandiosen - nicht immer glaubhaften - Showdown auf den letzten 20 Seiten.

Dabei lässt der Autor dem lesenden Publikum keine Chance, selbst auf die Lösung zu kommen. Skördeman führt die Kundschaft bewusst auf die falsche Fährte und endet mit dem „April-April“-Effekt: „Angeschmiert, liebe Leser, es ist alles ganz anders als ihr denkt.“

„Geiger“ ist ein durchaus lesbarer Roman, aber vermutlich keiner, der die Bestseller-Listen im Sturm erobern wird.

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Veröffentlicht am 14.10.2019

Stimmiges Portrait

Schuldacker
0

Mord und Todschlag in Westerwick, einem beschaulichen Dorf im Münsterland.

Kriminalrat Heinrich Tenbrink, ein schon etwas älteres Semester und Münsterländer Sturkopf, wie er typischer nicht sein könnte, ...

Mord und Todschlag in Westerwick, einem beschaulichen Dorf im Münsterland.

Kriminalrat Heinrich Tenbrink, ein schon etwas älteres Semester und Münsterländer Sturkopf, wie er typischer nicht sein könnte, ermittelt zusammen mit seinem aus Magdeburg zugezogenen Partner Maik Bertram in einem spannungsgeladenen Umfeld:

Da gibt es eine strenggläubige Familie, die der erzkonservativen Glaubensgemeinschaft der Täufer angehört. Und im Dorf mit Argwohn betrachtet wird.

Keine Sympathien bringen die Einheimischen auch den zahlreichen Heimatvertriebenen und Spätaussiedlern entgegen, obwohl die schon seit ewigen Zeiten im Dorf leben.
Sie werden immer noch als Flüchtlinge betrachtet, ebenso wie die, die erst mit der aktuellen Flüchtlingswelle ins Dorf gespielt wurden.

Dann gibt es da noch eine kleinkriminelle einheimische Jugend-Clique und natürlich die angestammten, überwiegend älteren Münsterländer, denen das Multikulti-Umfeld überhaupt nicht passt.

Letztere schließen sich unter Führung des rechtspopulistischen Lokalreporters Gerd Nollmann zur einer „Landwehr“ zusammen, der es vordergründig um Recht und Ordnung geht. Dahinter aber verbirgt sich kaum verhohlene Ausländerfeindlichkeit.

So ist es für Tenbrink und Bertram nicht leicht, zwischen ernstzunehmenden Zeugenaussagen und bloßen Vorurteilen zu unterscheiden.

Aber was war geschehen?

Im Dorf hatte Paul Winterpacht, Heranwachsender aus einer wenig angesehen, sozial schwachen einheimischen Familie, einen Jugendlichen aus der „Täufer-Familie“ im Streit derart heftig gegen den Kopf geschlagen, dass der an den Folgen verstarb.

Es kommt zum Gerichtsverfahren, bei dem Paul mit einer lächerlich geringen Strafe davonkommt: 18 Monate auf Bewährung.

Die Volksseele kocht: Da wurde ein Mensch erschlagen, und der Täter muss nicht einmal einen einzigen Tag im Gefängnis sitzen.

Kurz darauf wird Paul Winterpacht ermordet im nahe gelegenen Wäldchen aufgefunden.

Hat sich die Familie des Opfers gerächt? Hat die „Landwehr“ für „Recht und Ordnung“ gesorgt? Oder gibt es einen ganz anderen Grund für den Mord?

Dies herauszufinden sind Tenbrink und Bertram aus Münster nach Westerwick gekommen. Aber noch während die beiden Beamten ermitteln, geschieht ein weiterer Mord. . .

Vor dem Hintergrund dieses Kriminalfalls zeichnet Autor Tom Finnek detailliert und liebevoll ein stimmiges Portrait des Münsterlandes und seiner Menschen.
Da er selbst von dort stammt, macht es ihm keinerlei Schwierigkeit, regelmäßig Münsterländer Plattdeutsch einfließen zu lassen. Zum Kummer des zugereisten Kommissars Maik Bertram, der immer wieder die Dolmetscherdienste seines Vorgesetzten, Heinrich Tenbrink, in Anspruch nehmen muss.

Das alles ist sehr gelungen. Dabei verwendet Finnek, einen ruhigen, unaufgeregten Erzählstil, passend zur Mentalität der Region.

Nicht ganz so gut kommt der Krimi weg. Ihm mangelt es an Spannung.
Während die beiden Ermittler erfolglos von einer toten Spur zur nächsten hüpfen, will sich beim Leser so recht kein Nervenkitzel einstellen.

Schließlich kommt der Kriminalfall zu einem durchaus überraschenden, aber nicht sehr glaubhaften Ende.

Im Untertitel von „Schuldacker“ heißt es: Ein Münsterland-Krimi.

Für Fans des Münsterlandes, denen der Krimi nicht ganz so wichtig ist, ist das ein schönes, lesenswertes Buch; sicherlich auch für alle, die Land und Leute auf diese Weise besser kennenlernen wollen.

Für den hartgesottenen Krimi-Fan, den der regionale Aspekt nicht so sehr interessiert, drängt sich das Buch nicht unbedingt auf.

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Veröffentlicht am 27.12.2018

Dichte Atmosphäre

Graue Nächte
3

Island im Kriegswinter 1941. Mit der letzten offiziell genehmigten Fähre kehren Isländer, die sich im übrigen Skandinavien befinden, nach Hause zurück, überwiegend aus dem von den Nazis besetzten Dänemark.

Der ...

Island im Kriegswinter 1941. Mit der letzten offiziell genehmigten Fähre kehren Isländer, die sich im übrigen Skandinavien befinden, nach Hause zurück, überwiegend aus dem von den Nazis besetzten Dänemark.

Der Medizinstudent Osvaldur jedoch kann die gebuchte Reise nicht antreten. „Sie“, seine Freundin, deren Identität erst ganz zum Schluss des Romans aufgedeckt wird, wartet vergeblich und muss ohne ihn reisen. Es geht das Gerücht, der Student sei in Kopenhagen von den Nazis verhaftet worden.

Ein weiterer junger Mann kommt nicht in Reykjavik an. Er geht während der Schiffsreise über Bord und bleibt vermisst.

In der isländischen Hauptstadt - man schreibt inzwischen das Frühjahr 1943 - kommt es zu einigen merkwürdigen Todesfällen. Ein Mann wird ertrunken am Strand aufgefunden. War es Selbstmord?

Eindeutig ermordet hingegen wurde ein einheimischer Junge.
Dessen Leiche findet man auf einer Wiese hinter dem Piccadilly, einer berüchtigten Kneipe, in der junge isländische Frauen mit amerikanischen Besatzungssoldaten anbandeln. Eine dieser jungen Frauen wird vermisst.

Genug Arbeit für die beiden Polizisten Flovent und Thorson, der eine von der isländischen Polizei, der andere kanadischer Militär-Cop. Sie sind die Hauptpersonen des Romans.

Während die beiden Polizisten die Vorfälle in Reykjavik ermitteln, versucht die mysteriöse „Sie“, das Schicksal ihres in Kopenhagen vermissten Freundes zu ergründen. „Sie“ verbündet sich mit dem Bruder des Schiffbrüchigen, der Zweifel hat, dass sein Verwandter tatsächlich einem Unfall zum Opfer fiel.

Arnaldur Indridason erzählt die Geschichte der „Grauen Nächte“ in mehreren, lange Zeit völlig voneinander getrennten Handlungssträngen. Er zeichnet ein düsteres Bild des Lebens im kargen nordischen Winter unter den Bedingungen von Krieg und Besatzung. Entsprechend bedrückt, geradezu unfreundlich kommen seine Charaktere daher. Einzig die beiden Polizisten zeigen Empathie und Verständnis. Flovent und Thorson werden einigermaßen ausführlich porträtiert. Die übrigen Romanfiguren bleiben weitgehend gesichtslos.

Der Autor bedient sich eines ruhigen, unaufgeregten, atmosphärisch dichten Erzählstils. Mit Akribie werden zum Beispiel die Zeugenvernehmungen wiedergegeben; fast wie Wortprotokolle.
Indridason weidet sich nicht an brutalen und abscheulichen Situationen, bleibt jederzeit sachlich, beinahe unterkühlt.

Im Verlauf nimmt das Buch mehr Fahrt auf, überrascht den Leser allerdings mit einem sehr plötzlichen Ende. Bei weitem nicht alle Fragen werden beantwortet.

„Graue Nächte“ ist kein Thriller, sondern ein ruhig erzählter, dennoch spannender Kriminalroman. Das Buch macht es dem Leser nicht immer leicht. Die unterschiedlichen Handlungsstränge, vor allem aber die verschiedenen Zeitebenen erschweren die Orientierung. Beim Lesen ist zuweilen Geduld gefordert.

Der Roman ist kein „Pageturner“, Freunden skandinavischer Krimis aber sicherlich eine Empfehlung wert.

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Veröffentlicht am 11.04.2023

Verwirrend

°C – Celsius
0

Aktueller könnte das Thema kaum sein: Der globale Klimawandel steht im Mittelpunkt von „Celsius“ , dem neuesten Roman von Marc Elsberg.

Wie bei Elsberg üblich, sind die Kapitel sehr kurz, es gibt mehrere ...

Aktueller könnte das Thema kaum sein: Der globale Klimawandel steht im Mittelpunkt von „Celsius“ , dem neuesten Roman von Marc Elsberg.

Wie bei Elsberg üblich, sind die Kapitel sehr kurz, es gibt mehrere - zunächst voneinander unabhängige - Handlungsstränge und jede Menge handelnde Figuren. Das erweist sich das Personenregister am Beginn des Buches als hilfreich.

Inhaltlich wird schnell klar, welch riesiger Konflikt sich da zwischen den Nationen auftut. China - selbst weltweit größer Emmitent von Treibhausgasen - spielt sich als der globale Klimaretter auf.
Der Außenminister verlangt radikale Veränderungen der westlichen Klimapolitik und lässt dem Rest der Welt großzügige fünf Wochen Zeit, entsprechend einschneidende Maßnahmen auf den Tisch zu legen. Anderenfalls werde China das Heft in die Hand nehmen.

Marc Elsberg hat gründlich recherchiert und liefert in verständlicher Sprache den naturwissenschaftlichen Hintergrund zur Klimakrise. Das nimmt aber sehr viel Raum ein, hat stellenweise Vorlesungscharakter und nötigt den Lesenden Einiges an Geduld ab.

Von der Weltgemeinschaft weitgehend ungehört, installiert China schließlich den „Großen Sonnenschirm“. Drohnen bringen große Mengen an Staub- und Schmutzpartikeln in die Stratosphäre ein und legen - ähnlich wie nach einem Vulkanausbruch - eine Filterschicht zwischen Sonne und Erdoberfläche. Es gelingt Peking tatsächlich, den Temperaturanstieg zu stoppen.

Doch das geht nicht lange gut: Eine Klima-Katastrophe beginnt und scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein. Frankreich, Italien, Spanien, alle EU-Südländer sind nicht mehr bewohnbar. Nördlich gelegenere Länder wie Deutschland und Österreich schotten sich gegen die Massen von Zuwanderern aus dem überhitzten Süden ab, ziehen Mauern und Stacheldraht quer durch die EU.

Die Konflikte in den betroffenen Ländern nehmen stetig zu: Eine UN-Klimaexpertin wird erschossen , ebenso ergeht es einer Berliner Klimaaktivistin: Sie stirbt auf der Flucht vor der Polizei im Kugelhagel.

Und dann? Dann sind plötzlich alle wieder quicklebendig. Die Apokalypse war gar keine, alles nur Fake. Ein Film. Und der geneigte Leser verliert so allmählich die Orientierung. Die Ebenen verwischen, (Roman-) Realität und (Film-) Fiktion sind nicht zu unterscheiden, es gibt keine durchgehend nachvollziehbare Handlung, es gibt keinen roten Faden.

Marc Elsberg arbeitet wild mit Zeitsprüngen, fünf Jahre vor, dann 30 Jahre vor, schließlich 80 Jahre in die Zukunft. . . und schwupp sind wir wieder in der Gegenwart.
Leider sind die Sprünge nicht immer gleich nachvollziehbar und als solche zu erkennen. Der Autor macht es den Lesenden wirklich unnötig schwer, ihm zu folgen. Da wird vermutlich so mancher aussteigen und das Buch beiseite legen.

Aber weiter im Text: Die Antwort des globalen Südens auf die Erderwärmung heißt „Safe Heaven“. Dieses Programm ähnelt auf den ersten Blick dem „Großen Sonnenschirm“ der Chinesen, geht in Wahrheit aber viel weiter.

Während China mit seinem Schirm die Klimaerwärmung stoppen will, geht es den Safe-Heaven-Initiatoren darum, das Weltklima in großem Maße abzukühlen. Sie wollen die ökonomisch erfolgreichste, die gemäßigte Klimazone nach Süden verschieben. Afrika und die Subtropen bekommen das gemäßigte mitteleuropäische Klima und blühen wirtschaftlich auf, und selbst in Holland kann man endlich mal wieder richtige Schneemänner bauen.

Der globale Süden dreht dem Norden den Spieß um. Die Folgen sind dramatisch: Die meisten Ländern der EU sind eiskalt und so gut wie nicht mehr bewohnbar. Riesige Flüchtingsströme bewegen sich von Nord nach Süd. Wer kann, wandert nach Afrika aus. Immer mehr verzweifelte Mitteleuropäer versuchen sich als Bootsflüchtlinge übers Mittelmeer nach Süden zu retten.

Wirklich? Nein, keineswegs. Es ist wieder nur Fake, wieder nur ein fiktiver Zeitsprung, wieder nur ein Film. Und wieder für den Leser lange nicht erkennbar.

Und dann endet der Roman ziemlich unvermittelt, besser gesagt, er verendet. Es kommt - wie auch immer - zu einem Abkommen zwischen den USA und China einerseits und den Safe-Heaven-Staaten auf der anderen Seite.

Das wars. Noch Fragen?

FAZIT:
„Celsius“ greift ein aktuelles Thema auf, zeigt welch dramatische Folgen der Klimawandel haben kann und welche gewaltigen politischen Konflikte damit ausgelöst werden können. Das macht den Roman - ein Thriller ist es tatsächlich nicht - für Menschen interessant, die ein belletristisches Buch zum Klimawandel möchten.

Aber das Werk ist nur schwer zu lesen. Der Autor verwirrt die Lesenden nach Kräften. 600 Seiten sind eine lange Strecke. Da gilt es, das Publikum bei der Stange zu halten. Marc Elsberg praktiziert das Gegenteil: Er baut jede Menge „Rausschmeißer“ ein.

So reicht der Roman bei weitem nicht an die Qualität von Elsbergs bisherigen Mega-Thrillern heran.
Die kann man alle empfehlen, „Celsius“ leider nur sehr bedingt.

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