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Veröffentlicht am 25.01.2019

Lesen wie im Tunnel

Children of Blood and Bone
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„Solange wir keine Magie haben, werden wir niemals mit Respekt behandelt werden. […] Sie müssen wissen, dass wir uns wehren können.“ (z. B. auf S. 590)

In der sogenannten Blutnacht hat der machthungrige ...

„Solange wir keine Magie haben, werden wir niemals mit Respekt behandelt werden. […] Sie müssen wissen, dass wir uns wehren können.“ (z. B. auf S. 590)

In der sogenannten Blutnacht hat der machthungrige König von Orisha alle Maji, das sind Menschen mit einer besonderen Gabe, umbringen lassen. Ihre Nachkommen, die Divînés, werden seither unterdrückt. Als ihre Gabe erwacht, bekommt die Divîné, Zélie, die Chance, die Magie nach Orisha zurückzubringen und damit die Unterdrückung zu beenden. Dazu begibt sie sich gemeinsam mit ihrem Bruder Tzain, der ausgerissenen Tochter des Königs, Amari, und ihrer geliebten Löwenesse an ein einen magischen Ort. Der Weg dorthin ist gesäumt von zahlreichen Widersachern, die Zélie und ihren Verbündeten nach dem Leben trachten.

Tomi Adeymi verwebt geschickt die Religion und Kultur sowie meinem Empfinden nach das ganze Wesen des in Westafrika, vor allem in Südwest-Nigeria beheimateten Volkes der Yoruba in einem Roman, den wir dem Fantasy-Genre zuordnen, der aber ähnlich wie Grimms Märchen auch eine Überlieferung von Geschichten der Yoruba sein könnte. Orte, wie Lagos, Orisha, aber auch Chândomblé spielen für die Yoruba wie auch für „Children of Blood and Bone“ eine ebenso wichtige Rolle wie die jeweils eine Naturkraft verkörpernden Gottheiten, mit denen die Menschen in Verbindung treten können. Die Verbindung wird wie im Roman über eine Beschwörung aufgebaut. Dazu muss das Ashê, eine besondere Kraft, fließen. Feste, zu denen die Gottheiten mit eigenen Tänzen und personifizierten Outfits für alle Anwesenden inszeniert werden, sind fester Bestandteil der Kultur. Unabhängig davon, ob es sich jetzt um „echtes“ Fantasy handelt oder eher um eine Überlieferung, die Geschichte liest sich, als wäre sie eine einzige alles umfassende Beschwörung, aufregend, spannend und gefährlich.

Ohne Mühe konnte ich meinen Leseplatz hinter mir lassen und gemeinsam mit Zélie auf dem Rücken ihrer Löwenesse durch Orisha jagen. Ich konnte mir Orisha, die Personen und die riesigen, gleichzeitig bezaubernden Tierwesen darin so gut vorstellen, dass alles um mich herum in den Hintergrund getreten ist. Das war Lesen wie im Tunnel. Für mich war die Geschichte in sich stimmig, weil sie auch in Zeiten größter Anspannung und Stress die Bedürfnisse der Menschen, z. B. nach Liebe oder nach Innehalten, nicht ausblendet. Auch wenn diese Sehnsüchte, die Protagonisten zunächst schwächen, wird deren Ausleben doch benötigt, um schließlich über sich hinauszuwachsen. Zudem wurde dadurch auch für den Leser ein Ausgleich zu der doch ganz schön gewalttätigen Handlung geschaffen. Ähnlich wie Spartacus in der Antike müssen die Protagonisten, insbesondere Zélie, zeitweise Höllenqualen erleiden. Viele ihrer Wegbegleiter müssen sterben. Bis zum Abschlachten ist es aus meiner Sicht nur ein schmaler Grad.

Die Geschichte wird aus drei Ich-Perspektiven erzählt. Dabei kommen neben Zélie die ausgerissene Prinzessin Amari und der zu ihrer Verfolgung beauftragte Prinz Inan zu Wort. Der Leser erlebt dabei viele Szenen aus verschiedenen Blickwinkeln. Dabei wird transparent, dass unterschiedliche Herkunft und Erziehung diverse Ansichten und Meinungen begründen, die wiederum zu verschiedenen Handlungsweisen und Entscheidungen führen. Durch diese Wiederholungen wird das große Ganze für den Leser aufrecht erhalten und darüberhinaus auch der beschwörerische Charakter unterstützt.

Besonders gut gefallen hat mir die Verwendung der Sprache der Yoruba zur Beschwörung der Magie oder zum Anrufen der Gottheiten. Dadurch wirkt „Children of Blood and Bone“ insgesamt noch glaubwürdiger. Für mich war das Lesen wie ein Rausch, mich hat die Geschichte vollständig für sich eingenommen, ich freue mich auf auf die Fortsetzung.

Empfehlen kann ich „Children of Blood and Bone“ fast allen, die spannende Storys lieben und auf Magie stehen. Nur wer etwas zart besaitet ist, sollte aufgrund der brutalen Kämpfe vielleicht die Finger davon lassen.

Veröffentlicht am 25.01.2019

Stark im Ei

Vom Ende der Einsamkeit
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Ist man stark im Ei, boxt man sich durchs Leben, auch wenn dieses Leben kein Nullsummenspiel ist.

Jules, der Jüngste von drei, nach einem Unfall elternlosen Geschwistern, erzählt uns seine von Höhen ...

Ist man stark im Ei, boxt man sich durchs Leben, auch wenn dieses Leben kein Nullsummenspiel ist.

Jules, der Jüngste von drei, nach einem Unfall elternlosen Geschwistern, erzählt uns seine von Höhen und Untiefen geprägte Lebensgeschichte. Die bis dahin behütet aufgewachsenen Kinder gehen nun auf ein Internat, wo sich ihre doch sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten entwickeln. Liz ist nach dem Tod der Eltern so lebenshungrig, dass sie unbedingt jedes Abenteuer mitnehmen muss. Marty ist der typisch nerdige Streber. Jules hat von den Dreien die größten Schwierigkeiten, sich auf die traurige Situation einzustellen. Er ist gefangen in seinen Tagträumen, lässt in Gedanken immer wieder seine Erinnerungen ablaufen, vermischt sie mit aktuellen Tagesgeschehen.

Benedict Wells vermittelt mit Jules Geschichte eine umfangreichere Lebenserfahrung als ich sie von einem um die dreißig Jährigen erwartet hatte. Er begleitet Jules durch Kindheit und Pubertät, später weiter ins Erwachsenenleben mit Frau und eigenen Kindern. Benedict Wells zeichnet große und kleine Gefühle mit einer schlanken, wenig verschachtelten Sprache. Dennoch ist seine Wortwahl dermaßen treffsicher, dass er mich mehrfach zu Tränen gerührt hat. Beeindruckt haben mich die vielen eingestreuten Lebensweisheiten, die man immer wieder gern als Zitate nutzen möchte. Hier ein längeres und ein kurzes Beispiel:
„Am wichtigsten ist, dass du einen wahren Freund findest, Jules. Dein wahrer Freund ist jemand, der immer da ist, der dein ganzes Leben an deiner Seite geht. Du musst ihn finden, das ist wichtiger als alles, auch als die Liebe. Denn die Liebe kann vergehen.“ S. 33
„Hoffnung ist was für Idioten“ - „Pessimismus auch.“ S. 165

Zunächst irritiert hatte mich die unterbrochene Kontinuität der Kapitel. Zwischen den Abschnitten, die dem Leser präsentiert werden, fehlen immer wieder mehrere Jahre. Dieses bewusste Weglassen hat für mich nach kurzer Gewöhnungsphase letztlich einen schönen Kontrast zu der intensiven Auseinandersetzung mit Jules Gedankenwelt ergeben.

Insgesamt hat mir „Vom Ende der Einsamkeit“ so gut gefallen, dass ich die Geschichte uneingeschränkt weiterempfehlen kann. Sie hat mich beeindruckt, sie hat mich berührt und sie wirkt in mir nach.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Spricht mir aus der Seele

Die Schönheit der Nacht
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Bitte versteht mich nicht falsch. Ich liebe meinen Ehemann und meine beiden reizenden Kinder über Alles. Für nichts auf der Welt würde die Drei eintauschen. Unser Zusammenleben ist mit all den kleinen, ...

Bitte versteht mich nicht falsch. Ich liebe meinen Ehemann und meine beiden reizenden Kinder über Alles. Für nichts auf der Welt würde die Drei eintauschen. Unser Zusammenleben ist mit all den kleinen, täglichen Unwegbarkeiten, die das Leben so mit sich bringt, nahezu perfekt. Ich bin jedoch eine Meisterin im Hinterfragen, mich selbst, meine sogenannte Karriere, Ansätze von Kindererziehung und vieles mehr. Manchmal beneide ich Menschen, die ein anderes Leben führen, weil sie es scheinbar einfacher haben oder weil sie für dies oder jenes Zeit haben.

Da geht es mir ähnlich wie Claire, der Verhaltensforscherin, mit deren Charakter ich mich am meisten identifizieren kann. Claire musste sehr früh in ihrem Leben einen Teil ihres Frau-Seins aufgegeben, um Mutter zu sein, ihre Konzentration von sich auf ihren Sohn, Nicolas, lenken. Unbeschwertheit im Leben wich Vernunft, Verantwortung und Sorge. Das geht wohl jeder Frau, die zur Mutter wird, so. Durch ihr Kind war sie dann auch an dessen Vater Gilles gebunden. Claire zweifelt, ob alle ihre Entscheidungen gut für sie waren. Sie glaubt, in ihrem Leben festgefahren zu sein, wie „versteinert“ zu sein. Als Verhaltensforscherin ist sie aus meiner Sicht doppelt bestraft, da sie fachlich in der Lage ist, jede ihrer Gefühlslagen zu deuten und dies dann zwangsläufig auch allzuoft tut.

Julie, die neunzehnjährige Freundin des erwachsenen Nicolas, verkörpert die schüchterne, unentschlossene Jugend, der noch alle Türen offen stehen, die nur den ersten Schritt ins selbstverantwortliche Leben wagen muss. Sie ist der vorgehaltene Spiegel, der Claire einen bewussten Rückblick in ihre eigene Vergangenheit gestattet. Julie bringt fast vergessene Erinnerungen wieder zum Vorschein.

Claire und Julie, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten, sich doch aber auch so ähnlich sind, beäugen sich zunächst distanziert, tauschen Nicolas zu Liebe gehemmt Höflichkeiten aus, bis sie akzeptieren können, was sie unterbewusst schon längst wissen.

Die sprachliche Gewalt dieses wundervollen Romans rollt in Wellen auf den Leser zu, spült ihn mit sich fort in die Gedanken- und Gefühlswelt der beiden Protagonistinnen und spuckt einen mitten im eigenen Leben wieder aus. Nina George hat mich als Leser so gekonnt mitgenommen, dass ich schon nach kurzer Zeit die Rolle der Claire gedanklich angenommen habe. Nach dem Lesen bleibe ich nachdenklich zurück, fühle mich allerdings nicht mehr so allein mit meinem Drang zum Hinterfragen.

Leseempfehlung: Ich möchte die „Schönheit der Nacht“ Frauen, aber insbesondere Müttern, als Lektüre an Herz legen.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Grandios, doch Nichts für schwache Mutterherzen

NACHTWILD
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Gefährlich, von innerer Zerrissenheit geprägt, ein Thriller wie ein Pferderennen, ein Thriller der den Namen wirklich verdient. Das ist Nachtwild. Er spielt mit den Urängsten einer jeden Mutter.

Das ...

Gefährlich, von innerer Zerrissenheit geprägt, ein Thriller wie ein Pferderennen, ein Thriller der den Namen wirklich verdient. Das ist Nachtwild. Er spielt mit den Urängsten einer jeden Mutter.

Das schönste und wertvollste Geschenk, das eine Frau je bekommen kann, ist ein eigenes Kind. Jedoch weckt ein Kind Instinkte in einer Frau, die sie zur Mutter transformieren. Ein Zurück gibt es nicht. Eine Mutter kann nie wieder nur Frau sein.
Dazu gehört die unheimlich starke Angst, das eigene Kind zu verlieren oder dass ihm etwas zustoßen könnte. Für ein Kind stellt man ohne Reue eigene Bedürfnisse zurück. Ein Großteil der Energie wird darauf verwand, dem Kind den Weg ins Leben zu ebnen. Keinesfalls möchte ich hier die Väter ausschließen, ihnen wird es ähnlich gehen, aber durch die Schwangerschaft bleibt ein Kind meiner Ansicht nach auch immer ein körperlicher Teil der Mutter.

Genau so liebt Joan ihren Sohn Lincoln. Sie geht mit ihm so oft wie möglich in den Zoo, gibt ihm damit Gelegenheit an der frischen Luft zu spielen. Sie beschäftigt sich mit ihm, unterstützt ihn in jeder seiner Spielphasen, egal, ob er nun gerade Dinosaurier oder Superhelden mag.
An einem nahezu perfekten Zootag fallen, kurz bevor Joan und Lincoln nach Hause müssen, Schüsse. Als Joan begreift, was gerade passiert ist, mutiert sie zur Bärenmutter. Ihr Körper versetzt sich in Alarmbereitschaft, Joan ergreift jede erdenkliche Maßnahme zum Schutz ihres Kindes. Nur die Unversehrtheit ihres Sohnes zählt. Alles andere ordnet Joan diesem Ziel unter, andere potentielle Opfer, eigenen Schmerz und noch viel mehr.

Als Mutter wurde ich schon nach den ersten Seiten mitten ins Geschehen gerissen. Ich konnte mich mit jeder von Joans Gefühlslagen identifizieren. Ihre Entscheidungen waren für mich 1:1 nachvollziehbar, ihre innere Zerrissenheit und das Abwägen der Alternativen ebenfalls. Joan hat genau so reagiert wie ich es von mir in meiner Vorstellung bei einem solchen Szenario glaube.

Für mich war Nachtwild ein grandioser Thriller, den ich am liebsten gar nicht aus der Hand gelegt hätte. Er hat mich gefesselt, hat mir Aufregung und Herzklopfen bereitet.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Nirgends richtig zu Hause

Häuser aus Sand
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„Häuser aus Sand“ ist eine politische Geschichte, die die wohlhabende Palästinensische Familie Yacoub bei ihrer Flucht vor dem Krieg über Generationen hinweg begleitet. Ausgehend von ihrer Heimat Jaffa ...

„Häuser aus Sand“ ist eine politische Geschichte, die die wohlhabende Palästinensische Familie Yacoub bei ihrer Flucht vor dem Krieg über Generationen hinweg begleitet. Ausgehend von ihrer Heimat Jaffa müssen die Yacoubs zunächst nach Nablus, dann nach Kuwait und nach Amman in Jordanien fliehen. Ab der 3. Generation leben Teile der Familie sogar in Paris und Boston. Da die Familie finanziell gut betucht ist, ist die Flucht jedoch eher mit einem Umzug oder mit einem Weiterziehen vergleichbar. Ein neues Haus, neue Einrichtungsgegenstände werden angeschafft. Neue Hausmädchen werden eingestellt. Das Leben geht weiter.

Obwohl arabisch gesprochen wird, werden die Yacoubs auch an ihren Wohnorten im Nahen Osten aufgrund ihres „Dialekts“ als Fremde identifiziert und entsprechend behandelt. Deshalb fällt es ihnen schwer, richtig Fuß zu fassen. Durch ihr dauerhaftes Leben im Ausland nehmen sich die Yacoubs auch den jeweiligen Lebensstil im Land an. Schleichend und unbemerkt verändern sich die Yacoubs in ihrem Habitus. Somit weichen die späteren Generationen so stark von ihren Landsleuten ab, dass sie auch in Palästina als Fremde empfunden werden.

Als gesellschaftskritische Betrachtung setzt sich „Häuser aus Sand“ über die Flucht hinaus mit der Veränderung der Haltung der Muslime im Glauben und dem Einfluss der westlichen Welt auf den „Erziehungserfolg“ bei den Kindern auseinander. Auch fernab von der europäischen Kultur findet dem entsprechend eine Verrohung der Gesellschaft statt, wenn auch das Ausmaß ein anderes ist.

Alia ist als die Jüngste der 2. Generation das Familienmitglied, das die gesamte Geschichte miterlebt. Während ihrer aufmüpfigen Kindheit als Nesthäkchen hat sie ihrer Familie einigen Kummer bereitet. Deshalb mochte ich sie als Kind nicht so gern. Nach ihrer Hochzeit mit Atef ist ihr Leben von heftigen Turbulenzen gekennzeichnet. Dennoch hält Alia immer die Familie zusammen. Sie erträgt ihr schwieriges Schicksal ohne sich zu beklagen, versucht das Beste daraus zu machen. Dafür habe ich Alia dann bewundert.

An dem Roman hat mir der Blick hinter die Kulissen der Palästinensischen Familie besonders gut gefallen. Man erkennt, was man eigentlich weiß, was allerdings die mediale Berichterstattung vollständig ausblendet, nämlich dass auch Palästinenser oder dass auch Muslime neben dem politischen Konflikt ganz normale Problemchen wie eine krumme Nase oder Übergewicht haben. Als weiterer Pluspunkt verleihen die eingestreuten arabischen Worte dem Roman zusätzlich Authentizität.
Durch das Beschränken der Geschichte auf die wichtigsten Stationen der Familie mit mehrjährigen Lücken dazwischen und durch spontane Gedankensprünge und Rückblicke wird die Aufmerksamkeit des Lesers stark beansprucht. Auch wenn mir dieser Erzählstil gefallen hat, könnte ich mir vorstellen, dass er nicht jedermanns Sache ist.

Fazit: Empfehlung an alle, die auch beim Lesen gern eine Herausforderung annehmen.