Ein wichtiges Buch, das gar nicht weit genug verbreitet werden kann.
Inside AfDEin gutes, wichtiges, und sehr informatives Buch. Teils Sachstandbericht der Lage in Ostdeutschland und der Nach-Wende-Generation, teils Abbitte und Gewissenserleichterung und ganz viel Abrechnung mit ...
Ein gutes, wichtiges, und sehr informatives Buch. Teils Sachstandbericht der Lage in Ostdeutschland und der Nach-Wende-Generation, teils Abbitte und Gewissenserleichterung und ganz viel Abrechnung mit und Warnung vor der AfD. Wobei das vielleicht nicht ganz treffend formuliert ist, schwingt doch in Abrechnung immer etwas von Rache mit, von verbitterter Nachrede nach dem enttäuschenden Verlust von Idealen. Darum geht es Franziska Schneider nicht in erster Linie - natürlich ist sie enttäuscht, dass die Partei, in die sie einst aus Unzufriedenheit gegen vorherrschende wirtschafts- und europapolitische Politik eintrat, sich so extrem gewandelt hat. Und natürlich sind da viele Vorwürfe gegen die, die es - unabsichtlich, aus eigener Machtgier oder berechnender Kalkulation - so weit haben kommen lassen. Aber zum großen Teil ist dieses Buch auch eine Abrechnung mit der Autorin selbst: Wie konnte ich mich soweit verbiegen, wieso habe ich mich so weit treiben lassen? Und da wirkt es als mahnendes Beispiel, als Warnung für alle, die nach wie vor mit dieser Partei liebäugeln. Wobei mir, bei allem Lob, auch nicht alles gefällt, z.B. finde ich die Darstellung von Frau Petry als zu positiv, und auch die grundsätzliche libertäre Einstellung von Frau Schreiber ist nicht meins. Abgesehen davon ist das Buch aber sehr ansprechend geschrieben.
Franziska Schneider, immerhin die ehemalige Vorsitzende der Jungen Alternative Sachsen, hat den Absprung geschafft. Sie war mutig und stark genug, sich selbst und ihre Wandlung zu hinterfragen und endlich auch die Kritik von außen anzunehmen. In diesem Buch stecken, neben zahlreichen interessanten Fakten und Verweisen, auch viel ungeschönte Selbstreflexion und Bedauern. Stimmen wie ihre müssen noch lauter werden, damit es auch der letzte desillusionierte Mensch hört, der nach wie vor glaubt, mit einer Stimme für die AfD könnte man eine Art von "Protest" ausüben. Wahr ist: Er oder sie stärkt damit nur die Neurechten.
Für politisch interessierte Menschen ist das natürlich nichts Neues. Vieles in dem Buch findet sich so oder ähnlich auch an anderer Stelle, sei es in Artikeln, Magazinen oder Büchern. Trotzdem ist dieses Buch durchaus eine Bereicherung, denn zum einen bietet der Blickwinkel von ganz innen natürlich noch einmal ganz neue Perspektiven. Zum anderen dient die ganz persönliche Geschichte von Frau Schreiber gut als warnendes Beispiel. Nicht zuletzt sind es natürlich die kleinen Extra-Insider-Happen, die auch dieses Werk bietet (u.a. hat Frau Schreiber die ganze Debatte um Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen ja überhaupt erst richtig ins Rollen gebracht, indem sie seine geheimen Treffen mit Frauke Petry hier öffentlich gemacht hat).
Drei inhaltliche Punkte möchte ich besonders hervorheben:
- ziemlich am Anfang beschreibt Franziska Schreiber - geboren 1990 in Dresden - die Gefühlslage vieler ostdeutscher Menschen, vor allem auch der Nach-Wende-Generation, die den rasanten Aufstieg der AfD im Osten überhaupt erst ermöglicht haben. Das war ein für mich sehr erhellendes Kapitel mit vielen neuen Informationen und Aspekten, die ich so tatsächlich noch nie bedacht habe. Ähnliches habe ich nach Trumps Wahl zum Präsidenten der USA gelesen - wie konnte es soweit kommen, warum hat er in bestimmten Gebieten so viele Stimmen erhalten, was ist da mit den Leuten los? Da geht es um mehr als verletzten Stolz, eher um das Gefühl, nicht beachtet und/oder nicht gefragt/mitgenommen, also vergessen worden zu sein. Das hat mich an diesen Teil des Buches erinnert, der einiges, wenn doch für mich nicht nachvollziehbarer, so doch bis zu einem gewissen Grad verständlicher bzw. erklärbarer macht.
- das Leben in der rechten Filterblase, mit der Partei als Familienersatz (die biologische hat schließlich längst kein Verständnis mehr) wird sehr detailliert beschrieben. Schreiber hadert nach wie vor mit der Frage, wie sie sich überhaupt soweit treiben lassen konnte und übernimmt den Großteil der Verantwortung dafür durchaus selbst, zeigt jedoch gleichzeitig, wie die Partei und ihre Blase das nicht nur begünstigt, sondern regelrecht befördert hat. Erschreckend.
- noch erschreckender ist nur das, was eigentlich sowieso klar ist, auch wenn die AfD es nach wie vor (mal mehr, doch immer weniger halbherzig) versucht, anders darzustellen: Es ist eine Partei, die nicht nur rechtsextreme Züge hat, sondern geradezu unterwandert ist. Verbindungen zu PEGIDA, der Identitären Bewegung, der NPD, Die Freiheit undundund... in diesem Buch sind zahlreiche Beispiele zu finden. Seien es persönliche Verstrickungen (wer bekleidet welches Amt) oder "verbale Ausfälle" (wer hat was gesagt und mit welchen Konsquenzen? Spoiler: in 95% der Fälle gab es keine) - hier ist alles noch einmal wunderbar zusammengefasst. Man liest es, möchte Max Liebermann zitieren und fasst sich an den Kopf.
Ein wichtiges Buch, das gar nicht weit genug verbreitet werden kann.