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Veröffentlicht am 14.05.2019

Ein wichtiges Buch, das gar nicht weit genug verbreitet werden kann.

Inside AfD
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Ein gutes, wichtiges, und sehr informatives Buch. Teils Sachstandbericht der Lage in Ostdeutschland und der Nach-Wende-Generation, teils Abbitte und Gewissenserleichterung und ganz viel Abrechnung mit ...

Ein gutes, wichtiges, und sehr informatives Buch. Teils Sachstandbericht der Lage in Ostdeutschland und der Nach-Wende-Generation, teils Abbitte und Gewissenserleichterung und ganz viel Abrechnung mit und Warnung vor der AfD. Wobei das vielleicht nicht ganz treffend formuliert ist, schwingt doch in Abrechnung immer etwas von Rache mit, von verbitterter Nachrede nach dem enttäuschenden Verlust von Idealen. Darum geht es Franziska Schneider nicht in erster Linie - natürlich ist sie enttäuscht, dass die Partei, in die sie einst aus Unzufriedenheit gegen vorherrschende wirtschafts- und europapolitische Politik eintrat, sich so extrem gewandelt hat. Und natürlich sind da viele Vorwürfe gegen die, die es - unabsichtlich, aus eigener Machtgier oder berechnender Kalkulation - so weit haben kommen lassen. Aber zum großen Teil ist dieses Buch auch eine Abrechnung mit der Autorin selbst: Wie konnte ich mich soweit verbiegen, wieso habe ich mich so weit treiben lassen? Und da wirkt es als mahnendes Beispiel, als Warnung für alle, die nach wie vor mit dieser Partei liebäugeln. Wobei mir, bei allem Lob, auch nicht alles gefällt, z.B. finde ich die Darstellung von Frau Petry als zu positiv, und auch die grundsätzliche libertäre Einstellung von Frau Schreiber ist nicht meins. Abgesehen davon ist das Buch aber sehr ansprechend geschrieben.

Franziska Schneider, immerhin die ehemalige Vorsitzende der Jungen Alternative Sachsen, hat den Absprung geschafft. Sie war mutig und stark genug, sich selbst und ihre Wandlung zu hinterfragen und endlich auch die Kritik von außen anzunehmen. In diesem Buch stecken, neben zahlreichen interessanten Fakten und Verweisen, auch viel ungeschönte Selbstreflexion und Bedauern. Stimmen wie ihre müssen noch lauter werden, damit es auch der letzte desillusionierte Mensch hört, der nach wie vor glaubt, mit einer Stimme für die AfD könnte man eine Art von "Protest" ausüben. Wahr ist: Er oder sie stärkt damit nur die Neurechten.

Für politisch interessierte Menschen ist das natürlich nichts Neues. Vieles in dem Buch findet sich so oder ähnlich auch an anderer Stelle, sei es in Artikeln, Magazinen oder Büchern. Trotzdem ist dieses Buch durchaus eine Bereicherung, denn zum einen bietet der Blickwinkel von ganz innen natürlich noch einmal ganz neue Perspektiven. Zum anderen dient die ganz persönliche Geschichte von Frau Schreiber gut als warnendes Beispiel. Nicht zuletzt sind es natürlich die kleinen Extra-Insider-Happen, die auch dieses Werk bietet (u.a. hat Frau Schreiber die ganze Debatte um Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen ja überhaupt erst richtig ins Rollen gebracht, indem sie seine geheimen Treffen mit Frauke Petry hier öffentlich gemacht hat).

Drei inhaltliche Punkte möchte ich besonders hervorheben:

- ziemlich am Anfang beschreibt Franziska Schreiber - geboren 1990 in Dresden - die Gefühlslage vieler ostdeutscher Menschen, vor allem auch der Nach-Wende-Generation, die den rasanten Aufstieg der AfD im Osten überhaupt erst ermöglicht haben. Das war ein für mich sehr erhellendes Kapitel mit vielen neuen Informationen und Aspekten, die ich so tatsächlich noch nie bedacht habe. Ähnliches habe ich nach Trumps Wahl zum Präsidenten der USA gelesen - wie konnte es soweit kommen, warum hat er in bestimmten Gebieten so viele Stimmen erhalten, was ist da mit den Leuten los? Da geht es um mehr als verletzten Stolz, eher um das Gefühl, nicht beachtet und/oder nicht gefragt/mitgenommen, also vergessen worden zu sein. Das hat mich an diesen Teil des Buches erinnert, der einiges, wenn doch für mich nicht nachvollziehbarer, so doch bis zu einem gewissen Grad verständlicher bzw. erklärbarer macht.

- das Leben in der rechten Filterblase, mit der Partei als Familienersatz (die biologische hat schließlich längst kein Verständnis mehr) wird sehr detailliert beschrieben. Schreiber hadert nach wie vor mit der Frage, wie sie sich überhaupt soweit treiben lassen konnte und übernimmt den Großteil der Verantwortung dafür durchaus selbst, zeigt jedoch gleichzeitig, wie die Partei und ihre Blase das nicht nur begünstigt, sondern regelrecht befördert hat. Erschreckend.

- noch erschreckender ist nur das, was eigentlich sowieso klar ist, auch wenn die AfD es nach wie vor (mal mehr, doch immer weniger halbherzig) versucht, anders darzustellen: Es ist eine Partei, die nicht nur rechtsextreme Züge hat, sondern geradezu unterwandert ist. Verbindungen zu PEGIDA, der Identitären Bewegung, der NPD, Die Freiheit undundund... in diesem Buch sind zahlreiche Beispiele zu finden. Seien es persönliche Verstrickungen (wer bekleidet welches Amt) oder "verbale Ausfälle" (wer hat was gesagt und mit welchen Konsquenzen? Spoiler: in 95% der Fälle gab es keine) - hier ist alles noch einmal wunderbar zusammengefasst. Man liest es, möchte Max Liebermann zitieren und fasst sich an den Kopf.

Ein wichtiges Buch, das gar nicht weit genug verbreitet werden kann.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Sie spricht mir in vielen Dingen aus der Seele.

Die letzten Tage des Patriarchats
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Ich bin ein großer Fan von Margarete Stokowski, denn vieles - fast alles - was sie beschreibt, erklärt, anprangert oder ironisiert würde ich genauso machen, wenn ich das entsprechende Talent hätte. Etwas ...

Ich bin ein großer Fan von Margarete Stokowski, denn vieles - fast alles - was sie beschreibt, erklärt, anprangert oder ironisiert würde ich genauso machen, wenn ich das entsprechende Talent hätte. Etwas simpler formuliert: Sie spricht mir in vielen Dingen aus der Seele.

Der vorliegende Band ist eine selbst zusammengestellte Sammlung ihrer Kolumnen, die in den vergangenen Jahren (2011-2018) in diversen Magazinen und Zeitungen (v.a. taz und Spiegel) erschienen sind. Die Auswahl ist groß, die Kolumnen sind grob nach Themen (z.B. Gewalt, gegen Rechts, Feminismus, Körper, Männer[rechte]) sortiert. Einige sind (bewusst) provokant, andere eher unbewusst/ungewollt (durch missverstandene Ironie...), alle regen zum Nachdenken an, es sei denn, man ist Frau Stokowski (und ähnlichen Autor*innen) grundsätzlich negativ gegenüber eingestellt. Von diesen Menschen zeugen die (durch ihre Unqualifiziertheit oft unfreiwillig komische, aber trotzdem sehr abschreckende) (Hass)Kommentare auf diverse Kolumnen, die dieser Sammlung als Zusatz eingefügt wurden.

Einige Kolumnen kann ich schon, aber das hat das Vergnügen keineswegs geschmälert. Ein Tipp für alle, die dieses Buch noch lesen wollen: Tut es möglichst bald! Frau Stokowski schreibt sehr oft über aktuelle Themen und Zusammenhänge. Da, wo zur Erstausgabe die Gefahr der "Überalterung" bestand, wurden entsprechende Hinweise zu den jüngsten Entwicklungen angefügt. Und auch wenn man sich bei der Mehrzahl der in den Kolumnen behandelten Probleme wünscht, dass diese hoffentlich irgendwann der Vergangenheit angehören, wäre es bis dahin vermutlich noch etwas erfrischender fürs Lesevergnügen, wenn die Dinge noch halbwegs präsent sind.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Sehr empfehlenswert

Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche
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Da ich hier kein echtes Profilbild hochgeladen habe, möchte ich als Erstes betonen, dass ich Weiß bin und so "Flagge zeigen": Ja, ich bin mir meines white privilege bewusst, jener himmelschreienden Ungerechtigkeit, ...

Da ich hier kein echtes Profilbild hochgeladen habe, möchte ich als Erstes betonen, dass ich Weiß bin und so "Flagge zeigen": Ja, ich bin mir meines white privilege bewusst, jener himmelschreienden Ungerechtigkeit, die in dieser unserer westlichen Welt "Weiß sein" als Standard festgelegt hat, weswegen es im "Regelfall" eben nicht explizit erwähnt wird. Reni Eddo-Lodge erzählt dazu eine berührende Anekdote, in der sie als Kleinkind ihre Mutter fragte, wann sie denn weiß werden würde - schließlich seien im Fernsehen alle gute Menschen weiß, die Schwarzen irgendwie immer die Bösen, und sie sei doch ein gutes Mädchen, also muss auch sie doch irgendwann weiß werden?

Macht es doch selbst einmal, dieses kleine Gedankenexperiment: Wenn ihr Bücher lest oder über Charaktere sinniert, stellt auch ihr sie euch meist weiß "by default" vor? - sollte es sich um eine PoC handeln, wird das ja schließlich immer explizit erwähnt, oder? Und, was habt ihr "gesehen"? John Grisham hat dieses Gedankenexperiment Ende der 80er als wirklungsvollen Plot Point in Die Jury eingesetzt, und es hat nichts an seiner Aktualität verloren. Das ist noch eine recht harmlose Variante von white privilege, die aber deutlich vermittelt, wie voreingestellt unsere Denkmuster sind. Deswegen die lange Vorrede und die explizite Erwähnung - setzt mein Weißsein nicht einfach so Voraus. Ich habe dieses Privileg, ich bin mir dessen bewusst, und ich will es bekämpfen.

Reni Eddo-Lodge versucht, mit ihrem Buch - entgegen des Titels, den einige Unverbesserliche nur zu gerne als "Provokation" auffassen, was die Aussage der Autorin nur noch mehr bestärkt - zwei Dinge zu erklären: Die Geschichte des Rassismus in Großbritannien sowie die Geschichte des Verschweigens desselben. Und so bietet das erste Kapitel auch gleich einen sehr ausführlichen, mit zahlreichen Beispielen (und Quellen, überhaupt ist das Buch sehr gut recherchiert) belegten Überblick über die Geschichte von PoC in GB und ihrer systematischen, strukturellen Unterdrückung von den Anfängen des Sklavenhandels über die Kolonialzeit bis heute. PoC, Rassismus - da denken die meisten Menschen in erster Linie an die Geschichte der USA, die ist ja auch gut bekannt und dokumentiert. Doch auch PoC in GB hatten und haben schwere Zeiten durchgemacht, tun dies noch immer, und die Autorin gibt ihnen eine Stimme, die aufgrund des US-Fokus bisher viel zu leise war. Mir war sehr vieles neu; was mich verwundert hat: Der Autorin, und somit anderen PoC in GB, ebenfalls. Da scheint GB noch viel Aufarbeitung der eigenen Geschichte vor sich zu haben.

Zur Geschichte des Verschweigens kommt dann wieder der Titel ins Spiel: Rassismus, so die Autorin, ist eine Angelegenheit der Weißen. Sie sind dafür verantwortlich, setzen ihn durch und um - und sind sich dessen oft gar nicht bewusst. Deswegen kommen oft auch abwehrende, rechtfertigende bis hin zu vollends wütenden Reaktionen, wenn diese "zornige schwarze Frau" es doch mal wagt, den Mund aufzumachen. So erklärt sich der Titel - und so erklärt die Autorin u.a. das bereits erwähnte white privilege und die Fehlannahme von "reverse racism" - für mich die stärksten Teile des Buchs.

Die weiteren Kapitel waren ebenso wahnsinnig interessant, denn sie lassen sich - auch wenn sie wieder den Fokus auf GB legen - auch auf alle anderen europäischen Länder übertragen, in denen Vorurteile gegen PoC und/oder MigrantInnen, Fremdenhass und Ausgrenzung auf dem Vormarsch sind. Da geht es um die Angst der "Einheimischen", von einer fremden Rasse quasi annektiert zu werden (die "Umvolkung", vor der die Neu-Rechten auch in Deutschland warnen), die Angst der Arbeiter, dass ihnen "von denen" die ohnehin schon spärlichen Jobs (und die Frauen!) gestohlen werden usw. usf....genau der gleiche Mist wie bei uns. Auch spannend: Im Buch wird das Konzept der Intersektionalität sehr ausführlich und verständlich erklärt.

Ich empfehle dieses Buch allen Menschen, die sowieso grundsätzlich an der Thematik interessiert sind. Ganz ausdrücklich empfehle ich es weißen Menschen, die noch "ganz am Anfang stehen", sich ihrer Privilegien bewusst zu werden und mehr darüber erfahren wollen. Die aufgeschlossen sind, nicht vor Selbstkritik zurückschrecken und gemeinsam mit anderen Stellung beziehen wollen. Macht den ersten Schritt und lest dieses Buch. Es wird eine sehr inspirierende Reise.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Tolles Buch, rundum empfehlenswert.

Frauenpower made in Europe
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Es gibt nur eine Sache, die ich an diesem Buch schade finde - und da kann das Buchs nicht mal was für: Dass meine Nichte noch zu jung dafür ist. Ansonsten ist dies ein tolles Lese-, Lern- und Anschaubuch ...

Es gibt nur eine Sache, die ich an diesem Buch schade finde - und da kann das Buchs nicht mal was für: Dass meine Nichte noch zu jung dafür ist. Ansonsten ist dies ein tolles Lese-, Lern- und Anschaubuch für ältere Kinder: Gut zusammengestellt, sehr informativ und liebevoll gestaltet.

In den knapp 120 Seiten sind, nach Geburtsjahr geordnet, Porträts "großer" europäischer Frauen versammelt, mal über zwei, mal über vier Seiten, mal als Kurzeintrag auf einer Übersichtsseite (wie z.B. große Wissenschaftlerinnen oder erfolgreiche Sportlerinnen). So werden im letzten Übersichtsteil über "Die junge Generation", z.B. auch Laurie Penny oder Hazel Brugger erwähnt, was ich ziemlich cool fand.

Aber zurück zu den eigentlich "großen" Frauen, die ausführlicher dargestellt werden. Ich finde die Auswahl sehr gelungen, wobei sich mir natürlich schon die Frage gestellt hat, was die Autorin denn wohl unter "groß" versteht. Klar erwartet man, Steffi Graf oder Angela Merkel vorzufinden, allein schon aufgrund ihrer großen, offensichtlichen, rekordhaften Erfolge. Doch dieses Buch bietet weit mehr, eigentlich von allem etwas: Frauen, die durch die Geschichtsbücher bekannt sind (z.B. Jeanne d'Arc, Rosa Luxemburg oder Sophie Scholl), Wissenschaftlerinnen (wie Marie Curie, Ada Lovelace oder Jane Goodall), Künstlerinnen und Kreative (Virginia Woolf, Coco Chanel, Astrid Lindgren) oder einfach nur Heldinnen, die vor allem durch Pionierarbeit geglänzt haben, wie Fliegerass Elly Beinhorn oder Lili Elbe, die erste trans Frau mit geschlechtsangleichender Operation.

Was mir richtig gut gefallen hat, sind zwei Punkte:

1) Empowerment: Die Leistungen der Frauen werden nicht einfach nur nacherzählt, sondern immer jeweils die Besonderheit betont - mit Bezug auf die Hindernisse der jeweiligen Zeit, die den Frauen in den Weg gelegt wurden. Dies ist zum einen ein spielerischer Exkurs in die Geschichte der Emanzipation - ganz nebenbei erfahren die jungen Leserinnen (und Leser, warum nicht), dass für Frauen nicht immer alles, was heute "normal" ist, selbstverständlich war. Zum anderen wird den jungen Mädchen mitgeteilt: Auch ihr könnt alles schaffen, was ihr wollt, so wie diese Frauen es geschafft haben. Eine tolle, ermutigende Botschaft, und das ohne erhobenen Zeigefinger.

2) Begeisterung, aber ohne Scheuklappen: Auch wenn dieses Buch eine sehr positive und aufmunternde Grundstimmung verbreitet, so verliert es nicht die Balance und ist nicht vollends unvoreingenommen. Kritische Anmerkungen zu den Frauen werden erwähnt und erläuert, z.B. über Hannah Ahrendts Eichmann-Buch und die ihr vorgeworfene Banalisierung des Bösen oder Alice Schwarzers Werbung für die BILD-Zeitung. Das macht das Ganze umso authentischer.

Die Leseempfehlung liegt bei zehn bis zwölf Jahren, ich finde, das passt gut. Einige schwere Wörter werden ganz nebenbei erklärt, und die Illustration ist niedlich-verspielt, aber dennoch sind die Einträge klar strukturiert: Einem kurzen Vorspann folgt der eigentliche Text, dazu gibt es einen Lebenlauf in Kurzversion, ein Zitat und ein Bild.

Tolles Buch, rundum empfehlenswert.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Unterhaltsames und auch spannendes Hörbuch

NSA - Nationales Sicherheits-Amt
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Endlich mal wieder ein richtig guter Eschbach - ein von Anfang bis Ende gut durchdachtes, erschreckend realistisch und beklemmendes Szenario aus dem Bereich der "alternativen Geschichte". Und auch das ...

Endlich mal wieder ein richtig guter Eschbach - ein von Anfang bis Ende gut durchdachtes, erschreckend realistisch und beklemmendes Szenario aus dem Bereich der "alternativen Geschichte". Und auch das Ende hat er super hingekriegt, das ist ja nicht immer so seins - hier passt für mich alles.

Die Grundlage dieser alternativen Geschichte ist schnell erzählt: Was wäre, wenn die Nazis (und auch alle anderen Menschen dieser Zeit) schon Computertechnologien, inklusive Handys und Social Media, gehabt und genutzt hätten? Schon als ich das erste Mal von diesem Plot gelesen habe, war ich direkt angefixt und hatte vor allen zwei Gedanken: 1) GRUSEL und 2) Wie soll das gehen?

Gedanke 1 - GRUSEL hat Eschbach schon mit dem sehr fulminanten Einstieg bereitet, der schon in den ersten Szenen sehr anschaulich beschreibt, welche Auswirkungen es auf der spätere Geschichte gehabt hätten, wären die Nazis schon online gewesen. Es gibt einige dieser geschichtsverändernden Szenen im Buch, ich werde hier nix inhaltlich spoilern, nur soviel: Jede Änderung war plausibel und nachvollziehbar. Und überhaupt, die ganze Szenerie, erschreckend! Big Brother kann einpacken, echt.

Plausibel und nachvollziehbar trifft erfreulicherweise auch auf meinen Gedanken 2 - Wie soll sowas gehen? zu. Die Story, warum Rechenmaschinen, und mit ihnen später Computer und Handys, schon weitaus eher "erfunden" wurden als geschehen, ist kein totaler Fantasyplot, sondern basiert tatsächlich auf historischen Grundlagen, die, zumindest bis zu einem gewissen Grad, gewisse Technologien hätten beschleunigen können, wenn, ja wenn... tja, nix mit wenn, es ist, wie es ist (und, gemessen an Eschbachs alternativer Version, wohl auch besser so). Sicher wird es für absolute IT-Cracks noch mehr Fragen geben, für mich als Leserin, die auf der Suche nach spannender Unterhaltung war, die nicht total abgehoben ist, hat dieser Roman alles erfüllt, was ich mir erhofft hatte, ohne das ich ständig Gedanken à la "was für ein Quatsch!" im Hinterkopf hatte.

Die zwei Hauptcharaktere waren gut gewählt: Da ist zum einen Helene, ein Mädchen aus guten Hause, die als "Programmstrickerin" (Programmiererin) beim NSA eine steile Karriere hinlegt. Sie ist unser "guter" Charakter, zumindest dem Anschein nach, denn aus zwei Gründen (mangelndes, fast schon pathologisch geringes Selbstwertgefühl, sowie berufliche Aufgaben, die sie in ihrer Naivität nicht immer gleich durchblickt) vollzieht sie - ungewollt, aber nichtsdestotrotz - einige negative Handlungen, die sie nicht ganz so unschuldig erscheinen lassen.

Der zweite Charakter, Eugen Lettke, handelt eher unter umgekehrten Vorzeichen: Mit dem Wissen, unerschütterlich wichtiger "Sohn eines Kriegshelden" zu sein aufgewachsen, ist er, zumindest unterschwellig, mit einem enormen Selbstwertgefühl ausgestattet. Als Kind wurde er einmal verletzt, etwas, das seine "Heldenkind"-Erziehung nicht vorgesehen hat, seitdem bestimmen Rachegelüste sein Leben.

Beide, sowohl Helene als auch Eugen, können dem Nationalsozialismus nichts abgewinnen, "nutzen" ihn jedoch beide gewissermaßen für persönliche Zwecke. Beide nutzen außerdem ihre Arbeit und Stellung, um private Dinge "zu regeln" - ich empfand diese Facetten sehr interessant, machen sie die beiden doch vielschichtiger als "die liebe Helene" und "der böse Eugen". Wie sie zu dem wurden, was sie sind, erzählt Eschbach sehr ausführlich, wobei Helene (zu Recht) mehr Platz eingeräumt wird - gleichzeitig dient Helenes Erzählstrang auch als Erklärung dieser alternativen Welt.

Toll fand ich auch die Sprache: Hin und wieder hat Eschbach damals "zeitgemäße" Begriffe und Wendungen eingestreut, sowohl in Dialogen als auch in Beschreibungen. Und zwar genau im richtigen Maß: Zuviel hätte "gewollt" gewirkt, weniger wäre kaum aufgefallen. So gab es ab und an ein "daran haben Sie gut getan" (statt "das haben Sie gut gemacht"), "Frommser" (statt Kondom) usw. - leider fallen mir ad hoc keine weiteren Beispiel ein, aber ich fand diese kleinen Momente der eher ungewohnten Formulierungen ziemlich cool. Sie haben die Zeit noch etwas greifbarer gemacht.

Alles in allem ein sehr unterhaltsames und auch spannendes Hörbuch, bei dem ich mich nicht eine Minute gelangweilt habe. Keine Weltliteratur, aber spannend, absolut nachvollziehbar und auch lehrreich. Das ist es, was ich von Eschbach erwarte, und das hat er voll und ganz erfüllt.

Ich habe die ungekürzte Version gehört und bin voll des Lobes für die Sprecherin Laura Maire, die wirklich alle Stimmungen und Stimmen zum Leben erweckt hat. Werde nach weiteren Hörbüchern von ihr Ausschau halten.