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Veröffentlicht am 27.05.2019

Kurzgeschichten von Strunk geschrieben und gelesen - so vielfältig und abgründig wie das Leben selbst.

Das Teemännchen
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Die Stories gehen von ganz, ganz kurz (unter einer Minute) bis mehrkapitelig (im Hörbuch, also so ca. 15 Minuten) und erzählen von kaputten Typen, verloren gegangenen Träumen, dysfunktionalen Beziehungen ...

Die Stories gehen von ganz, ganz kurz (unter einer Minute) bis mehrkapitelig (im Hörbuch, also so ca. 15 Minuten) und erzählen von kaputten Typen, verloren gegangenen Träumen, dysfunktionalen Beziehungen und allerlei skurrilen Alltagsbeobachtungen. Bei den meisten Geschichten überwiegt ein düsterer Eindruck: Keiner beschreibt das üble, abgeranzte, angeschimmelte, widerlich-modrige so gut wie Heinzer.

Da kehrt Axl Rose in einer Reeperbahnkneipe ein ("Ein Weltstar"), da begleitet ein junger Mann seine neue Freundin (wenn sie es ist denn ist) auf einen sehr merkwürdig-ostalgischen Heimatbesuch ("Jenny Müller"), da verwirlicht sich eine einsame Bloggerin online #inyourface ("Yummy Whoop Fuck"). In your face, auf ganz widerliche Weise, auch die Masche der beiden Bartypen in der Studentenklitsche "Madhaus", brrrr. Ich habe herzlich abgelacht bei "Fred Perry" (der versuchte Einkauf nach einem Zahnarztbesuch), mich orgendlich fremdgeschämt bei "Klaus & Klaus" (Geburtstagsfeier in der alten Dorfheimat) und "Janine" (Kennenlernen an der Hotelbar) und mich sehr über das Ende des sehr gut durcherzählten "Das schwarze Loch" (Hotelzimmer mit "Eigenleben") gefreut.

Gute Unterhaltung also allemal, und ich kann gar nicht sagen, ob mir die ganz kurzen, mittleren oder längeren Geschichten am besten gefallen haben. In allen drei Kategorien waren einige wirklich exzellent pointierte Erzählungen dabei, doch gab es ebenso einige - wenige - Ausreißer, bei denen mir noch etwas gefehlt hat. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Wer Strunz' Humor mag, wird bei diesem Hörbuch bestens bedient.

Veröffentlicht am 27.05.2019

I hear you, Heinzer.

Fleisch ist mein Gemüse
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Ergänzung nach zweiter Leserunde (Mai 2019):
Immer noch gut, immer noch lustig. Und auch nach acht Jahren ist noch so viel gleich wieder da: Vogelmama, Zwergenhaus, Acne conglobata, diese gruseligen Spielautomaten ...

Ergänzung nach zweiter Leserunde (Mai 2019):
Immer noch gut, immer noch lustig. Und auch nach acht Jahren ist noch so viel gleich wieder da: Vogelmama, Zwergenhaus, Acne conglobata, diese gruseligen Spielautomaten und natürlich Gurki.

Also gilt: Applaus! Applaus für viele, viele "Oh ja, genau so!"-Momente, Applaus für unfassbar komische Selbstgeißelung, Applaus für ein richtig gutes Audiobook.

I hear you, Heinzer. Dorffeste im norddeutschen Raum sind schon ein ganz besonderes Vergnügen. Ob im Landkreis Harburg oder Lüneburg, ob in Weser-Ems, Pyrmont, Vechta, oder eben Region Hannover mit schillernden Ortschaften wie Gailhof, Schwüblingsen oder Poggenhagen - Gurkis, Tiffany's und glitzernde Jackets gibt es da wirklich. Überall. Wie oft damals, beim 60. vom Oppa, "An der Nordseeküste" gespielt wurde - ich weiß es nicht mehr. Allerdings hatten wir keine Tanzkapelle, nur einen Alleinunterhalter. Aber: Mit Glitzerjacket. Und Jubi. Und massenhaft Fleisch.

Dieses Gefühl des Dabeigewesenseins, des Selbsterlebthabens gibt diesem Werk natürlich einen satten Sympathiebonus. Doch auch ohne ist es gut. Der Humor ist dörflich-derbe, geht gegen alles und Jeden inklusive Erzähler und wirkt dabei echt und authentisch. Zynismis, Sarkasmus, Bitterkeit ohne bitter zu sein (ja, das geht) - appetitlich serviert.

Und Strunks Lesung ist fantastisch. Einfach wunderbar. Verstellte Stimmen, viel "Gesang", sympathisches Lachen über eigene Verleser - ich kann nur ganz bestimmt und absolut zum Hörbuch raten.

Veröffentlicht am 17.05.2019

Erschreckend...

Das braune Netz
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Schon wieder so ein "Gruselbuch": Man liest es und hat das Gefühl (oder die stille Hoffnung?), eine Art alternative Geschichte in den Händen zu halten - denn klar war mir schon irgendwie bewusst, dass ...

Schon wieder so ein "Gruselbuch": Man liest es und hat das Gefühl (oder die stille Hoffnung?), eine Art alternative Geschichte in den Händen zu halten - denn klar war mir schon irgendwie bewusst, dass die alten Nazis nach dem Ende des 2. Weltkrieges nicht alle automatisch in der Versenkung verschwunden sind, aber dass es so schlimm war? Das hat mich dann an vielen Stellen doch ziemlich geschockt. Gut, die meisten "Größen" sind vor ihrer Verantwortung in der Tat geflüchtet - entweder via Übersee oder Suizid. Aber es gab eben viele, die übrig waren - und die nicht etwa ganz von vorne anfangen oder irgendwo in Schimpf und Schande ihr Dasein fristen mussten, sondern die einfach weitermachen konnten - unbehelligt, unverfolgt und - vielleicht am Erschreckendsten - ungemein wertgeschätzt.

Will Winkler nennt hierfür zahlreiche Beispiele aus den verschiedensten Bereichen, die sich in den jeweiligen Kapiteln wiederfinden: Politiker, Verwaltungsmenschen, Film- und Kunstschaffende, Journalisten und Schriftsteller, Professoren und Lehrende, Richter und Staatsanwälte, jede Menge weitere Personen des öffentlichen Lebens und natürlich Soldaten und Militärs (ja, hier wird wenig gegendert, aber die Beispiele beziehen sich bis auf sehr, sehr wenige Ausnahmen fast ausschließlich auf Männer, also seht es mir bitte nach). Klingt erschreckend? Sag' ich doch!

Wie muss man sich das vorstellen, in den ersten Jahren nach dem Krieg? Vereinfacht in etwa so: Wir brauchen Leute, die anpacken, die ihr Handwerk verstehen. Also schauen wir doch mal in den Bestand und besetzen z.B. den neuen Verfassungsschutz u.a. mit Ex-Gestapoleuten, tolle Idee, die kennen sich ja mit sowas aus (diese Verquickung zwischen Nazis und Verfassungsschutz ließ mich natürlich sofort an das denken, was Franziska Schreiber in "Inside AFD: Der Bericht einer Aussteigerin" publik gemacht und so im vergangenen Jahr den Stein in der "Causa Maaßen" ins Rollen gebracht hat - der Chef des Verfassungsschutzes warnt die Chefin der AfD vor anstehenden Untersuchungen, tsk, tsk, tsk). Oder die "Operation Gehlen", Vorgängerorganisation vom BND und "Parkplatz" für ehemalige Wehrmachts- und SS-Haudegen. Die Wirtschaft muss wieder angekurbelt werden, also macht man mit Flick und Co. mal etwas kürzeren Prozess und entlässt sie möglichst schnell wieder in den Kreislauf. Natürlich will das Volk auf dem Weg in den Aufschwung unterhalten werden, deswegen darf "Jud Süß"-Regisseur Veit Harlan auch weiter munter Film drehen, nur halt ohne Rassismus und Kriegspropaganda. Von der Beihilfe zur Verfolgung durch seine volksverhetzenden Machwerke wird er freigesprochen, von einem (nanu!) Richter, der noch Jahre zuvor als NSDAP-Staatsanwalt an einem Sondergericht Todesurteile wegen "Rassenschande" erwirkt hat. Die Juden, so heißt es in der Urteilsbegründung aus dem Jahr 1950, hätten ja "schon damals, 1940/1941, ins Kino gehen und Strafantrag wegen Beleidigung stellen können". Was will man dazu noch sagen?

Beispiel derart nennt Winkler zuhauf, und er liefert auch Theorien, wie es überhaupt soweit kommen konnte und warum es bis zum Eichmannprozess 1961 und den Studentenunruhen ab Mitte bis Ende der 60er brauchte, um überhaupt so etwas wie einen Bewusstseinswandel in Gang zu setzen:

- Ab in die Opferrolle: Eigentlich waren ja sowieso die Deutschen die Opfer, immer und überall. Krieg, Bomben, alles kaputt, können wir nichts für, wollten wir ja eigentlich auch gar nicht, konnte ja keiner ahnen! Diese grundgedankliche Stimmung vereint - zum gemeinsamen trauern, Wunden lecken und Nachweinen der "guten alten Zeit" (nicht Hitler, der war natürlich böse, aber sonst, herrje!)

- Der wahre Widerstand: Von innen heraus! Ein "Argument" (ich muss es in Anführungen setzen, weil es so abstrus ist) vieler ehemaliger Nazis und Funktionäre: Sie waren ja eigentlich gegen das alles, und sind nur deshalb in Deutschland und dabei geblieben, um "Schlimmeres" zu verhinden (was hätte denn doch "schlimmer" werden können?). Sie haben also quasi den Widerstand von innen heraus geleistet und sich so nützlich gemacht - ganz im Gegenteil zu Typen wie Thomas Mann oder Willy Brandt, die Deutschland in dieser schweren Not bei erster Gelegenheit im Stich gelassen und das Elend aus der Ferne betrachtet haben. Dieses "Argument" erschließt sich mir so wirklich überhaupt nicht, kam aber, und das ist das eigentlich Erschreckende, in den 50er Jahren richtig gut an - vor allem auch vor Gericht. Dazu passt die absolute Gedankenverdrehung, dass die echten Widerständler - Elsner, Stauffenberg und Co. - nach wie vor eher als Verräter am deutschen Volk gesehen und ihnen zunächst jegliche Formen der Ehrung abgesprochen wurden.

- Gemeinsam gegen den neuen alten Feind: Der Russe kommt! Und Kommunismus ist sowieso die größe Bedrohung überall. Diese Einstimmung auf den neuen Feind von ganz links außen bringt Schwung in die Bude, schweißt zusammen und sorgt für ein gemeinsames neues Ziel im Sinne paranoider Verbrüderlichung. Das Volk hat wieder etwas, wovor es sich gemeinsam fürchten kann, die Amis brauchen dringend einen Puffer gegen den entstehenden Ostblock, Deutschland kann sich also wieder beweisen (mit Hilfe von Gehlen, Verfassungsschutz und Co., siehe oben - ja, klar bedient man sich dann halt bei SS, SA, Gestapo und Co., aber Hitler ist ja tot und der Russe sehr lebendig, da muss man halt Abstriche machen!).

Seht mir diese von Zynismus nur so triefende Review nach, aber dieses Buch hat mich inhaltlich sehr aufgewühlt. Ich denke an die heutige Zeit, an die Vorwürfe aus der neurechten Ecke, dass es Zeit sei, diesen "Vogelschiss" endlich mal gut sein zu lassen - und dann lese ich über alle diese Männer (und wenigen Frauen), und wie sie nach dem Krieg einfach weiter machen konnten, als wenn nichts gewesen sei. Wie ein ganzes Volk weiter gemacht hat, als wenn nichts gewesen sei - wenn die "bösen Amis" die Bevölkerung mal mit Fotos und Videos aus den KZs konfrontiert haben, dann war das, ja pfui, war das wirklich nötig, so was Verstörendes? Echte Aufarbeitung? Ne, danke, lass' mal gut sein mit diesem Zeug, ist doch vorbei, Hitler ist doch tot. Erschreckend und beschämend zugleich.

Auf emotionaler Ebene hat mir das Buch also sehr gut gefallen - es hat mich wirklich sehr aufgeregt und ein dringendes Mitteilungsbedürfnis ausgelöst, immer ein gutes Zeichen. Und Willi Winkler war sehr akribisch: Mehr als 40 Seiten Fußnoten, jeder Schnipsel, jedes Zitat ist genaustens belegt. Allerdings liegt hierin die für mich auch kleine bittere Note des Werks: An vielen Stellen zu viel, zu ausführlich und dadurch leider auch etwas trocken. Gerade die Namensflut war teils sehr ausufernd und ich hatte, trotz Wikipedia, Fußnoten und Co., hier und da Mühe, am Ball zu bleiben. Aber vielleicht muss man auch nicht jede kleinste Anekdote im Gedächtnis behalten - die Auswahl ist auch so erschreckend groß genug.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Spannendes und sehr lehrreiches Buch

Die schwarze Macht
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Spannendes und sehr lehrreiches Buch, das ziemlich unaufgeregt (also recht sachlich, ohne unnötiges Aufgebausche) über ISIS bzw. IS bzw. Da'ish informiert (auch über die unterschiedlichen Bezeichnungen ...

Spannendes und sehr lehrreiches Buch, das ziemlich unaufgeregt (also recht sachlich, ohne unnötiges Aufgebausche) über ISIS bzw. IS bzw. Da'ish informiert (auch über die unterschiedlichen Bezeichnungen und ihre jeweiligen Bedeutungen).

Das Buch ist quasi zwei geteilt und bietet im ersten Teil eine Art Historie der Terrororganisation/-bewegung/des Kalifats: Wie wurde IS überhaupt gegründet? Wer sind/waren die Drahtzieher? Welche Rahmenbedingungen in Syrien und im Irak trugen dazu bei, dass der IS zu der Bedrohung werden konnte, die er heute ist? Wie ist die Verbindung zu al-Qaida? Zu den Rebellen in Syrien? Den Taliban? Im zweiten Teil werden eher einzelne Aspekte des IS beleuchtet: Seine "Beziehungen" zu Nachbarstaaten, sein Verhältnis zur Religion, seine PR-Strategie sowie der ganz "normale" Alltag im "Islamischen Staat".

Für mich persönlich bot dieses Buch genau den umfassenden Rundumüberblick, den ich mir gewünscht hatte, um die Geschichte des IS einmal verständlich und umfassend aufgezeigt zu bekommen und so die Hintergründe der fast täglichen Nachrichten besser zu verstehen und einordnen zu können.

Teilweise wird ein bisschen was an Wissen zur Lage in Nahost vorausgesetzt, aber nichts, was der allgemein politisch interessierte nicht Mensch nicht wissen könnte - und wenn doch nicht, hilft Tante Google doch immer gerne weiter.

Was ich mir noch gewünscht hätte, wäre ein übersichtliches Namen- bzw. Personenregister. Für mich waren sehr viele Namen neu und ungewohnt und teilweise auch sehr ähnlich, sodass ich eine entsprechende Auflistung zum Nachschlagen sehr hilfreich gefunden hätte.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Wow, was für ein Ritt.

Macht
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Beginnt als - in meiner Gedankenwelt - alles andere als abwegige Dystopie, die mir in letzter Zeit immer häufiger "über den Weg" läuft: Die Erde krankt am Menschen, der zu viel macht, zu viel will, sich ...

Beginnt als - in meiner Gedankenwelt - alles andere als abwegige Dystopie, die mir in letzter Zeit immer häufiger "über den Weg" läuft: Die Erde krankt am Menschen, der zu viel macht, zu viel will, sich viel zu viel aneignet und vor allem: selbst viel zu viel ist. Das Problem der Überbevölkerung, die exzessive Landwirtschaft (v.a. zur Gewinnung von Nahrung von Vieh und Nutzung als Weidefläche), der damit verbundene Raubbau an der Natur, der Mangel an Nahrung und Wasser, die Umweltverschmutzung, der Klimawandel... viele schlimme Faktoren, die das Leben (auf) der Erde verschlechtern, es womöglich schon "bald" einem Ende zuführen und alle eine Ursache haben: den Menschen. Wie unsere Welt bei gleichbleibender Entwicklung aussehen könnte, zeigt uns Karen Duve anhand eines möglichen Deutschlands im Jahr 2031.

Neben den ganzen ökologischen Auswirkungen stellt sie auch eine neue soziale Ordnung vor, in der nicht nur der Jugendwahn auf die Spitze getrieben wurde. Es ist eine Welt, in der die Frauen an der Macht sind - und die Männer mit dem Verlust dieser Macht auf ganz unterschiedliche Weise umgehen (der Titel ist übrigens wirklich perfekt gewähnt mMn). Einer dieser Männer ist der "Held" des Romans, Sebastian - ein alles andere als sympathischer, aber dafür recht unterhaltsamer Zeitgenosse, der diesen Machtverlust äußerlich gut weggesteckt zu haben scheint. Recht schnell offenbart sich jedoch, dass Sebastian mal so gar nicht mit seiner Welt klar kommt, und die so halbwegs heile Welt, die anfangs präsentiert wurde, wandelt sich zu einer perversen Parallelgesellschaft. Wortwörtlich.

Ich will gar nicht weiter auf den Inhalt eingehen, denn ich wusste auch nicht viel mehr, als ich mit dem (sehr gut gelesenem und ungekürztem) Hörbuch angefangen habe. Da gab es sehr viele Momente, in denen mir die Luft weggeblieben ist, weil mich eins, zwei Twists doch ziemlich umgehauen haben. Dann gab es einige sehr "unschöne" Szenen, die mir das Zuhören nicht gerade leicht gemacht haben - starker Tobak. Ein paar lustige Momente waren durchaus auch dabei. Und über all dem schwebt dieses ständige "Was wäre wenn", dieses immerwährende "Kann das denn", das mich viel hat nachdenken lassen, noch lange, nachdem der Player ausgeschaltet war. Ein Buch, das so ziemlich jeden Teil der Gesellschaft kritisiert und ihr gekonnt den Spiegel vorhält - in den meisten Fällen glotzt eine böse Fratze zurück. Ein Buch, das nachwirkt!