Profilbild von ekoepping

ekoepping

Lesejury-Mitglied
offline

ekoepping ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit ekoepping über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.06.2019

Humorvoll und emotional

Ich komm auf Deutschland zu
0

Firas Alshater durchschaut die deutsche Mentalität mit großem Verständnis und noch größerem Humor - wo man vor Verzweiflung weinen möchte, gelingt es ihm treffsicher, den deutschen Behördendschungel, Nazis ...

Firas Alshater durchschaut die deutsche Mentalität mit großem Verständnis und noch größerem Humor - wo man vor Verzweiflung weinen möchte, gelingt es ihm treffsicher, den deutschen Behördendschungel, Nazis und Männer (und Frauen) mit und ohne Bärte zu durchschauen und in seiner ihm ganz eigenen Weise mit Witz und Verstand zu entlarven. Chapeau - ein gut geschriebenes, humorvolles, ehrliches und sehr emotionales Buch. Das gehört unter jeden Weihnachtsbaum.

Veröffentlicht am 24.06.2019

Ein Buch der Hoffnung

Memed mein Falke
0

Ich konnte es kaum aus der Hand legen. Wie ironisch, dass Kemal den höchsten Kulturpreis der Türkei im Jahr 2008 ausgerechnet in Anwesenheit von Recep Tayyip Erdoğan erhalten hat... Aber vielleicht ist ...

Ich konnte es kaum aus der Hand legen. Wie ironisch, dass Kemal den höchsten Kulturpreis der Türkei im Jahr 2008 ausgerechnet in Anwesenheit von Recep Tayyip Erdoğan erhalten hat... Aber vielleicht ist auch das Anlass zu Hoffnung: dass der Widerstand gegen das Unrechtsregime dort weiter blüht und gedeiht.

Veröffentlicht am 24.06.2019

Freundschaft und andere (Wahl-) Verwandtschaften

Auf nach irgendwo!
0

Nicht immer ist die Familie, in die man hineingeboren wird, auch wirklich die erste Wahl - sie ist halt einfach da. Ändern lässt sich weder an der Situation etwas noch am Verwandtschaftsgrad, well, abgesehen ...

Nicht immer ist die Familie, in die man hineingeboren wird, auch wirklich die erste Wahl - sie ist halt einfach da. Ändern lässt sich weder an der Situation etwas noch am Verwandtschaftsgrad, well, abgesehen von Kontaktabbruch, aber das ist ja dann nun wirklich das allerletzte Mittel. Ich persönlich kenne das Gefühl sehr gut - die eigenen Eltern sind nie da, wenn man sie braucht – oder wenn sie da sind, nerven sie nur (statt in lebenswichtigen Fragen wirklich mal zuzuhören oder einen guten Rat zu geben). Aus unerfindlichen Gründen ist da aber diese tiefe Beziehung zu einem Großcousin oder einem Neffen, die so viel wertvoller und geistig ergiebiger ist als die Unterhaltung mit der eigenen Mutter.

Die beiden Protagonisten von "Auf nach Irgendwo", Jakob und Miro, teilen dieses Schicksal. Nun, bei Jakob ist es nochmal komplizierter, aber ich will nicht spoilern, das nimmt ja ein Stück weit die Entwicklung der Geschichte vorweg. Jakob ist in der DDR aufgewachsen, unter der Ägide eines enorm strengen und darüber hinaus auch noch extrem linientreuen Vaters, mit dem er nichts, aber auch gar nichts gemeinsam hat. Lichte Momente sind die wenigen Stunden, die er mit seiner Tante Inge verbringt. Er entscheidet sich zur Flucht aus der unmenschlichen Enge des eigenen Elternhauses in das Haus seines Großvaters auf dem Land und bricht alle bisherigen Brücken hinter sich ab.

Bei dem Gedanken, wie zurückgezogen und isoliert er sein ganzes Leben verbracht hat (abgesehen von den kumpelhaften Alltagsbeziehungen im Dorf, die es selbstverständlich gibt), bleibt bei mir nur Fassungslosigkeit zurück. Ja, das ist eine fiktionale Geschichte, das ist mir bewusst - aber sie ist lebensnah. Ich sehe hier eine ganz deutliche Parallele zum Leben meiner Großtante und ihrer Tochter - ursprünglich aus einer Künstlerfamilie in Cottbus, die, um finanziell als alleinerziehende Mutter zu überleben, in die brandenburgische Pampa zog. Die beiden waren da beileibe nicht unglücklich, aber sie waren (und sind) dort sehr isoliert. Das darf man nicht vergessen: das System im Osten hat zwar viele Familien und Freundeskreise stark zusammengeschweißt, aber es gibt unzählige Menschen, die aus dem Raster fielen, die in die (innere) Emigration fliehen mussten.

Auch Miro, der 17-Jährige aus dem Westen, der ungefähr in dem Alter ist, in dem Jakob war, als er von zu Hause wegging, hat ein engeres Verhältnis zu seiner Großmutter als zu seiner Mutter, die eben irgendwie nicht für die Elternschaft gemacht ist (shit happens). Da erscheint es nur logisch, dass es den Jungen ausgerechnet zum eigenbrötlerischen Jakob hinzieht - er ist in der Lage, ihn eben nicht als "alten Sack" abzutun, den es keines Blickes zu würdigen gilt, sondern sich auf ihn als Menschen und auch auf seine Geschichte einzulassen. Diese Zufallsbegegnung und der sich anschließende Roadtrip im alten gelben VW-Bus "Bienchen" (beinahe die 3. Protagonistin dieser Geschichte, denn ohne sie geht gar nichts).

Zwischen den beiden entstehen durch die gemeinsamen Erlebnisse auf dieser Fahrt Richtung Kroatien und auch durch die nach und nach geteilten Gefühle, das Gespräch über Träume und Enttäuschungen ein so enges Band der Freundschaft, dass man hier am Ende wirklich von einer Wahlverwandtschaft sprechen muss. Sie haben sich nicht gesucht, aber sie haben sich definitiv gefunden. Sich - und später dann noch diverse weitere Menschen. Sie haben am Ende geliebt und die Liebe verloren und letztlich doch etwas kostbares Neues wiederentdeckt.

"Auf nach Irgendwo!" ist eine sehr berührende Geschichte mit durchaus detektivischen Elementen, die einen ab einem gewissen Punkt so fesselt, dass man das Buch definitiv nicht mehr aus der Hand legen kann. Mir ging es jedenfalls so - soviel zum Thema "Nur noch schnell ein Kapitelchen vor dem Schlafengehen...". Kleiner Wehmutstropfen: am Anfang dauert es doch ein bisschen lang, bis die Geschichte in Fahrt kommt – gewissermaßen dem Zeitraum analog, den Bus "Bienchen" braucht, um in Fahrt zu kommen. Es lohnt sich aber defintiv dranzubleiben!

Worüber ich mich übrigens täglich (oder vielmehr abendlich) gefreut habe, wenn ich das Buch in die Hand genommen habe, ist das Buchcover. Dieser lustige quietschgelbe Bus mit den chaotischen Insassen ist ein echter Blickfang und gibt gleich gute Laune, wenn es nur auf dem Nachttisch liegt!

Veröffentlicht am 24.06.2019

Ein Anwalt der Armen

Ludwig Pappenheim
0

Es handelt sich um ein Bändchen, das den historischen Spuren eines hessischen Lokalpolitikers folgt: Zu den ersten Opfern des NS-Regimes zählten im Jahr 1933 politische Gegner aus den Reihen von Kommunistischer ...

Es handelt sich um ein Bändchen, das den historischen Spuren eines hessischen Lokalpolitikers folgt: Zu den ersten Opfern des NS-Regimes zählten im Jahr 1933 politische Gegner aus den Reihen von Kommunistischer Partei und SPD, darunter Ludwig Pappenheim.

Das geflügelte Wort „Ich kenne meine Pappenheimer“ geht auf Schillers Drama „Wallensteins Tod“ aus dem Jahr 1799 zurück. Der berühmte Feldherr tätigt diesen Ausspruch als Anerkennung für die große Gefolgstreue des Regiments, das dem Grafen zu Pappenheim unterstellt ist. Pappenheim ist eine Kleinstadt in Mittelfranken, ganz in der Nähe von Nürnberg – ganze 45 Jahre lang gab es jedoch einen weiteren Ort, der diesen Namen trug: das am südwestlichen Rand des Thüringer Waldes gelegene Kleinschmalkalden, seit 2006 Teil der Gemeinde Floh-Seligenthal.

Seit der Wende trägt das Städtchen wieder seinen historischen Namen. Über Jahrhunderte war Kleinschmalkalden in einen thüringischen und einen hessischen Verwaltungsbereich geteilt – als historische Absurdität muss wohl gelten, dass die beiden Ortsbereiche mit der Teilung Deutschlands 1945 gewissermaßen wiedervereinigt wurden. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte auch die Umbenennung in „Pappenheim“, im Gedenken an jenen dort nachhaltig wirkenden und unbeugsam für Demokratie und Menschenrechte eintretenden Lokalpolitiker Ludwig Pappenheim, der zu den ersten Opfern der NS-Diktatur gehörte. Obzwar er mit Schillers Pappenheim nichts zu tun hat, verbindet ihn mit den „Pappenheimern“ der Kriegstragödie jedoch eines: er vertraute nicht auf Propaganda, sondern auf das Prinzip der demokratischen Meinungspluralität und damit auf eine freiheitliche gesellschaftliche Grundordnung.

York-Egbert König, Mitarbeiter im Stadtarchiv in Pappenheims nordhessischer Geburtsstadt Eschwege und Verfasser zahlreicher Bücher zur Lokalgeschichte, hat gemeinsam mit weiteren Autoren dessen Biografie recherchiert und im vorliegenden Bändchen zu Papier gebracht. Für ihn hat der Politiker Pappenheim bis heute Vorbildfunktion. „Er trat radikal für die Gleichheit der Menschen ein“, sagt König, „gepaart mit einer Unbeugsamkeit gegenüber den Mächtigen. Er war ein herausragender Vertreter von Zivilcourage und Solidarität.“ König, der sich auch im Jahr 2011 für die Verlegung eines Stolpersteins vor dem ehemaligen Elternhaus Pappenheims in Eschwege einsetzte, faszinierte die Vielzahl an Spuren, die Pappenheim aufgrund seiner politischen und journalistischen Arbeit in der Lokalgeschichte hinterlassen hatte. „Von anderen Kommunalpolitikern aus der Zeit weiß man längst nicht so viel.“

Ludwig Pappenheim wurde am 17. März 1887 in eine jüdische Kaufmannsfamilie hineingeboren. Er absolvierte eine Kaufmannslehre und war bis zum Jahr 1913 im Geschäft seines Vaters tätig. Noch während seiner Lehrzeit, symbolträchtig am 1. Mai des Jahres 1905, trat er der SPD bei und wurde mit der Reorganisation der Parteiarbeit im damals noch hessischen Schmalkalden betraut. Aus seiner Teilhabe am Kriegsgeschehen in den Jahren 1915-1917 ging er als entschiedener Pazifist hervor. An der Front verfasste er mit anderen Kameraden zahlreiche Flugblätter gegen den Krieg und diese politische Agitationsarbeit setzte er ab 1919 in Schmalkalden als Redakteur der sozialdemokratischen Tageszeitung „Volksstimme“ fort.

Im kommenden Jahrzehnt seiner lokalpolitischen Aktivitäten setzte er sich für zahlreiche Projekte zum Wohl der Gemeinschaft ein: ein Schwimmbad wurde gebaut, hunderte von Wohnungen für Bedürftige im Rahmen eines genossenschaftlichen Wohnungsbauprogramms. Liebevoll nannte ihn der Volksmund „Lupa“ – er galt als „Anwalt der Armen“. Besonders am Herzen lagen ihm die Volksgesundheit und die Jugendarbeit: er nahm gerne an Treffen der Sozialistischen Arbeiterjugend teil und initiierte gemeinsame Wanderungen und Ausflüge.

Pappenheim befand sich wegen seiner politischen Ideale Zeit seines Lebens mit einem Bein im Gefängnis: Während des Krieges erwartete ihn wegen seiner kritischen Haltung gegenüber sozialer Ungleichbehandlung unter den Soldaten ein Feldgerichtsverfahren. Im Oktober 1919 wurde er nach einer Denunziation im Zusammenhang mit den „Kartoffel-Demonstration“ genannten Arbeiterunruhen verhaftet und saß einige Wochen in Kassel ein, 1923 und 1924 aus unbekannten Gründen im Gefängnis von Suhl. Am 25. März 1933 schließlich wurde der erklärte Kriegsgegner aufgrund einer anonymen Denunziation wegen des vermeintlichen Besitzes eines Waffenlagers (zu Unrecht) verhaftet und im Januar 1934 im Konzentrationslager Neusustrum im Emsland „auf der Flucht“ erschossen.

Pappenheims Inhaftierung war Teil der NSDAP-Strategie zur Eliminierung der politisch unliebsamen Opposition. In der Nacht vom 27. Februar 1933 brannte der Reichstag, bereits am nächsten Morgen wurde die sogenannte „Reichstagsbrandverordnung“ erlassen. Sie setzte die demokratischen Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft und ermöglichte der NSDAP die willkürliche Inhaftierung politischer Gegner. Die zweit- und drittstärkste Kraft im Reichstag waren bei der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar neben den Kommunisten die Sozialdemokraten.

Für die geplanten Neuwahlen nach der Auflösung des Reichstags stellten die Oppositionsparteien eine unberechenbare Gefahr für den Mehrheitserfolg der NSDAP dar. Der Reichstagsbrand bildete daher gegenüber der Bevölkerung den Vorwand, binnen weniger Tage deutschlandweit mehr als 25.000 Mitglieder von KP und SPD zu verhaften.

Mein Großcousin York-Egbert König ist Co-Autor des Buches - das sollte ich dazu sagen. Es listet mehr oder weniger die historisch-biografischen Fakten aus dem Leben Pappenheims auf, ist also nicht notwendigerweise ein Buch, das sich zum Schmökern vor dem Schlafengehen empfiehlt. Das Engagement Pappenheims, seine bewundernswert radikale Haltung (bei aller parteipolitischen Gemäßigtheit) in Bezug auf die Verteidigung demokratischer Grundsätze hat mich jedoch stark fasziniert. Und auch sein konsequenter Einsatz für die Verbesserung der Lebensverhältnisse in seinem Wahlkreis.

Pappenheim ist der Beweis dafür, dass sich mit Lokalpolitik Dinge zum Besseren bewegen lassen. Dass persönlicher Einsatz und Engagement für die gute Sache tatsächlich etwas verändern können. Für mich ist die Biografie Pappenheims so etwas wie die historische Utopie von einer besseren Welt, die bis heute nachwirkt. Aus diesem Grund fühlte ich mich tatsächlich auch an den Wallenstein erinnert, daher die Analogie.