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Veröffentlicht am 29.06.2019

Geschichte zum Leben erweckt

Schwert und Krone - Meister der Täuschung
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Im ersten Band des "Barbarossa Epos" Schwert und Krone widmet sich Sabine Ebert der Zeit zwischen 1137 und 1147, als Staufer und Welfen um die Königsmacht kämpften. Von Beginn an sind wir mitten im Geschehen, ...

Im ersten Band des "Barbarossa Epos" Schwert und Krone widmet sich Sabine Ebert der Zeit zwischen 1137 und 1147, als Staufer und Welfen um die Königsmacht kämpften. Von Beginn an sind wir mitten im Geschehen, die Erzählweise bleibt das ganze Buch über farbig. Ambitioniert werden die aufregenden Geschehnisse aus Sicht der Herrschenden geschildert und dies gelingt gut. Uns begegnen eine Vielfalt historischer Personen - nicht nur die Staufer und Welfen, sondern auch die lokalen Herrscher wie Albrecht der Bär, Konrad von Meißen, diverse Bischöfe, Grafen und ihre Familien. Eine Übersicht vorne im Buch listet die wesentlichen Charaktere nach Familien geordnet auf. Ich habe diese Übersicht nicht gebraucht, weil es die Autorin die Figuren so gut darstellt, daß man sie auseinanderhalten und ihren verschiedenen Handlungssträngen folgen kann.

Auch sonst bietet das Buch gute Hintergrundmaterialien. Eine farbige Landkarte auf der inneren Umschlagseite zeigt die verschiedenen Herrschaftsgebiete und wichtigsten Städte. Diverse Stammbäume der beteiligten Familien sowie ein Glossar schließen sich im hinteren Teil des Buches der Geschichte an. Der Auflistung der Personen folgt ein ausführlicher Stammbaum der Staufer und Welfen - der ist leider zumindest im Taschenbuch gar nicht hilfreich, da die Schrift so winzig ist, daß man sie nicht lesen kann. Hinzu kommt, daß die Felder der Staufer dunkel unterlegt sind. Dunkle Schrift auf dunklem Hintergrund...komplett unlesbar. Das kann man nicht der Autorin und dem Buch zur Last legen, aber es war ausgesprochen ärgerlich und ich frage mich, warum ein Verlag so etwas nicht überprüft. Im Nachwort gibt die Autorin noch einige Informationen und erklärt auch, an welchen Stellen sie sich ein wenig dichterische Freiheit erlaubte und welche Punkte sich historisch nicht definitiv belegen lassen. Das fand ich informativ und gut.

Es ist auf jeder Seite offensichtlich, daß hier viel historisches Wissen vorhanden ist und auch gründlich recherchiert wurde. Durch zahlreiche Details lebt die Welt des 12. Jahrhunderts auf und ich konnte mir vieles bildlich vorstellen. Wie bereits erwähnt, erhalten auch die Charaktere Konturen und werden von bloßen historischen Namen zu Menschen, die man sich ebenfalls gut vorstellen kann. Es hat mir sehr gut gefallen, wie diese Welt zum Leben erweckt wurde. Manchmal ist es allerdings auch etwas zu viel der Detailfreude, viele Szenen ziehen sich durch diese Ausführlichkeit. Auch die Vielzahl der beteiligten Personen geht manchmal etwas zu Lasten von Übersichtlichkeit und Erzählfluß. Den historischen Personen werden einige wenige fiktive Charaktere zur Seite gestellt, deren Geschichte ich in großen Teilen nicht so interessant fand, was auch daran gelegen haben wird, daß es einfach insgesamt zu viele Erzählstränge waren. Auch wiederholen sich manche Szenen in der Struktur - der geheimen Gespräche in Militärlagern gab es reichlich und der geheimen Gespräche in Burgkammern ebenfalls. Überwiegend aber liest sich das Buch unterhaltsam, oft spannend und das Ende ist geschickt gewählt, denn es werden genügend Andeutungen gemacht und neue Erzählstränge begonnen, um die Neugier der Leser zu erwecken.

Ein ausgesprochen ärgerliches Manko ist allerdings die unerfreuliche Methode, Infodumping per Dialog zu betreiben. Bei einer erfahrenen Autorin hätte ich nicht damit gerechnet, daß die Informationsvermittlung an vielen Stellen so plump erfolgt. Viele Dialoge dienen ausschließlich dazu, dem Leser Hintergrundinformationen zu vermitteln. Wenn dies gut gemacht ist, ist es als Methode durchaus sinnvoll, aber es ist leider überhaupt nicht gut gemacht. Da erzählen sich ständig Leute Dinge, die sie bereits wissen und das in aller Ausführlichkeit. Da betet eine Mutter ihrem Sohn ihren Stammbaum herunter, als ob er ein völlig Fremder wäre, oder jemand berichtet einem anderen von Geschehnissen, die sie gemeinsam erlebten. Viele Unterhaltungen sind in diesem Sinne (kein Zitat, nur ein Beispiel): "Du bist bei deinem Onkel Arnulf aufgewachsen. Er und seine Frau Hildtrud hatten vier Kinder namens a, b, c und d. A und c starben im Alter von vier, bzw. sieben Jahren. Da b und d Mädchen sind, hat dein Onkel keinen Erben." Kein Mensch würde so reden und im Buch kommen solche Dialoge so oft vor, daß ich mich richtiggehend geärgert habe, denn hier wählt die Autorin eine unelegante, für sie einfache Methode und nimmt den Leser nicht ernst. Das hat mein Lesevergnügen erheblich beeinträchtigt. Ein kleineres Ärgernis waren die doch häufigen Wiederholungen von Fakten und Informationen, sowie die Holzhammermethode, mit der auf die Situation der Frauen in dieser Zeit immer und immer wieder hingewiesen wurde.

Insofern ist es ein durchaus lesenswertes Buch, in dem Geschichte gelungen erweckt, Zusammehänge gut erklärt werden, und auch das zweite Buch werde ich lesen, aber es gab leider mehrere Punkte, die ich störend fand.

Veröffentlicht am 16.06.2019

Detailverliebte fundierte Darstellung

Deutsche Geschichte 1800-1866
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Das hier von Thomas Nipperdey verfaßte Werk kann man schon fast monumental nennen. Auf über 800 Seiten beleuchtet der Autor 66 Jahre deutsche Geschichte. Dies geschieht in einem erfreulichen Miteinander ...

Das hier von Thomas Nipperdey verfaßte Werk kann man schon fast monumental nennen. Auf über 800 Seiten beleuchtet der Autor 66 Jahre deutsche Geschichte. Dies geschieht in einem erfreulichen Miteinander der "großen" Geschichte der Politik und Kriege und der "kleinen" Alltagsgeschichte. Die ausführliche Berücksichtigung der Alltagswelt bietet durchaus nicht jedes geschichtliche Werk.

Ausführlichkeit ist ohnehin ein Charakteristikum des Buches, sowohl im positiven wie auch in negativen Sinn. Eine derart detaillierte geschichtliche Betrachtung habe ich selten gelesen. Sehr genau, manchmal minutiös zeichnet Nipperdey Geschehnisse auf, beschreibt die verschiedenen Positionen und Motive der involvierten Parteien. An Hintergrundinformationen mangelt es keineswegs, es gibt auch spezielle Kapitel, die über Parteienentwicklungen, wichtige Bewegungen genau informieren. Allerdings geht diese Detailfreudigkeit häufiger zu Lasten einer effizienten Informationsvermittlung. Man verliert sich beim Lesen manchmal zu sehr in Details an für mich wäre oft weniger mehr gewesen. Auch gibt Nipperdey gerne dem in Deutschland so beliebten Drang der Wissenschaftler nach, vieles nach Möglichkeit gleich mehrfach hintereinander zu schreiben. Ich fand es enervierend, immer wieder eine Seite lang die gleiche Äußerung in diversen Formulierungen zu lesen.

Ein Grundverständnis für Geschichte sollte bereits bestehen, ebenso sollte bereits Wissen über die damaligen Verhältnisse und wichtigsten Personen vorhanden sein. Als Einführung ist dieses Buch nicht geeignet und sicher auch nicht gedacht. Es vermittelt ein tieferes Verständnis von Hintergründen und Zusammenhängen. Gerade die Zusammenhänge kann Nipperdey gut aufzeigen. Beim Lesen dieses Buches kann man gut verstehen, welch weitreichende Konsequenzen manche Entscheidungen haben, wie lange sie sich auswirken können. Die wacklige Balance der europäischen Mächte, die internationalen Implikationen und notwendigen Rücksichtnahmen sind hier ebenfalls hervorragend dargestellt. So fundiert habe ich diese Themen bislang selten beschrieben erlebt.

Wenig erfreulich fand ich die Tendenz, zu sehr in Philosophisches abzugleiten. Die ausgesprochen detaillierten Abhandlungen zu philosophischen Hintergründen und Meinungen, die Darstellungen verschiedener philosophischer Strömungen waren mir viel zu viel und haben mich oft geärgert, weil sie mich vom eigentlichen Thema wegführten. Dies wird gerade in dem Kapitel über "Die ästhetische Kultur: Musik, Kunst, Literatur" übertrieben. Auch brachen hier die stilistischen Schwächen sehr durch. Bandwurmaufzählungen des Gleichen, wie "Tendenz zum Idyll, zu optimistischen Gefühlen, zur glättenden Harmonisierung, zu etwas penetrantem Frohsinn, zur Verharmlosung" oder "Tendenz zum Humoristischen, zum Skurrilen, Kauzigen, Ironischen und Karikierenden". Adjektive und Subjekte erscheinen fast nur noch in Paaren oder Gruppen: "Versuch zu Gelassenheit und Beruhigung, zur Stille und Einfalt", "gegen das Große und Laute, gegen Prinzipien und Theorien, hin zum Kleinen, Bescheidenen" oder "zur Bändigung und Dämpfung der Leidenschaften, des Elementaren und des Unheimlichen". Das ist ungemein anstrengend zu lesen und enthält gemessen an den verwendeten Worten recht wenig Inhalt. – Auch Zahlenvergleiche und Statistiken werden oft im Text herunterrezitiert, obwohl sie in einer tabellarischen Übersicht wesentlich besser aufgehoben werden. Einige solche Übersichten werden auch verwendet und sind durchaus informativ.

Nun steht der Stil bei einem solchen Buch nicht im Vordergrund, einen derart geschriebenen Roman hätte ich wesentlich schlechter bewertet. Die Kapitel über die "große" Geschichte sind auch weitestgehend zugänglicher verfaßt. Trotzdem ist es schade, daß sich ein Buch voller guter Informationen teilweise so sperrig liest. Im Ganzen ist es als geschichtliches Werk aber voller interessanter Informationen, gut dargestellter Zusammenhänge und erfreulicher Themenvielfalt. Lernen kann man hier eine ganze Menge.

Veröffentlicht am 10.04.2019

Vielversprechende Idee, leider nicht durchweg gelungen umgesetzt

Lass sie nicht in dein Haus
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Der Klappentext des Buches macht neugierig. Zwei Frauen, Melanie und Abi, ehemals beste Freunde, seit 17 Jahren ohne Kontakt. Nun meldet sich Abi, sucht den Kontakt und tut dies anscheinend mit sinistren ...

Der Klappentext des Buches macht neugierig. Zwei Frauen, Melanie und Abi, ehemals beste Freunde, seit 17 Jahren ohne Kontakt. Nun meldet sich Abi, sucht den Kontakt und tut dies anscheinend mit sinistren Motiven. Ich habe mir daraufhin einen raffinierten Psychothriller erwartet.

Es läßt sich recht gut an, die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, mal berichtet Melanie, mal Abi, später kommen auch andere Charaktere zu Wort. Melanie und Abi könnten gegensätzlicher nicht sein. Melanies Leben stellt sich für mich recht trostlos da - mit Mann und drei Kindern lebt sie in einer Siedlung, in der alle Häuser gleich aussehen; des Tagesablauf ist bestimmt von den Bedürfnissen der zwei kleineren Kinder, das Haus ein wenig ramponiert und unordentlich, Melanie ohne Zeit und Muße, sich um sich und ihre Beziehung zu kümmern. Abi dagegen hat es zur mittleren Fernsehprominenten in den USA geschafft, hat einen reichen Mann, kennt Berühmtheiten, ist gepflegt und attraktiv. Beides für mich kein erstrebenswerter Lebensstil, aber Abi wirkt auf viele schillernd und kommt mit einem ganz anderen Selbstbewußtsein daher als Melanie. Diese Gegensätze, das Aufeinandertreffen der beiden früheren Freundinnen und das allmähliche Einnisten von Abi in Melanies Leben werden auf etwa 200 Seiten recht ausführlich und gemächlich beschrieben. Kleine Andeutungen weisen darauf hin, daß in der Vergangenheit etwas vorgefallen ist und man merkt schnell, daß Abi nicht mit positiven Motiven agiert, weiß aber noch nicht genau, was sie vorhat. Mir hat dieser Teil des Buches ausgezeichnet gefallen und mir fehlte die Spannung nicht, denn es gab genügend Entwicklungen und wir erfuhren allmählich immer neue Facetten der beiden Hauptpersonen.

Störend fand ich allerdings hier schon, was im Laufe des Buches immer stärker wird: die Autorin scheint noch nie von „show, don’t tell“ gehört zu haben. Sie vermittelt nur sehr selten etwas durch Handlung und Dialoge, sondern erklärt es dem Leser ausführlich. Gedanken, Motive, Persönlichkeiten werden uns oft recht plump auf dem Tablett serviert. Wenn etwas dann doch mal gezeigt wird, wird es zur Sicherheit oft noch zusätzlich erklärt. Das ist überflüssig und ärgerlich. Manche Dinge werden uns gleich mehrfach erklärt, noch ärgerlicher. Man hätte hier vieles so herrlich raffiniert darstellen können, diese Möglichkeit wurde fast komplett verschenkt und das Lesevergnügen dadurch beeinträchtigt.
Auch sonst gibt es leider viele Längen. Erinnerungen der Charaktere sind viel zu detailreich, Tagesabläufe werden enervierend ausführlich beschrieben, jeder Schritt erläutert. Man hätte meines Erachtens um die 100 Seiten ersatzlos streichen können.

Die Charaktere reagieren oft nicht plausibel und nicht ihrem Charakter entsprechend. An manchen Stellen hatte ich beim Lesen das Gefühl, daß die gesamte Charakterentwicklung über den Haufen geworfen wurde, um die Geschichte in die gewünschte Richtung zu erzählen. Einige der Motivationen waren ebenfalls für meinen Geschmack zu weit hergeholt, zu unlogisch oder zumindest übertrieben. Abis Plan enthüllt sich uns zu Ende, er ist aber auf so viele unsichere Komponenten aufgebaut, daß es mir nicht plausibel erschien, daß eine intelligente Frau auf einen solchen Plan verfällt. Das Ende selbst ist leider auch ein wenig antiklimaktisch. ich brauche keinen langgezogenen gewalttätigen Showdown, im Gegenteil, aber hier verpufft alles irgendwie und ließ mich ein wenig enttäuscht zurück.

Nun gab es aber auch durchaus Gutes in dem Buch. Die Grundidee gefällt mir. Die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Lebensstile und Persönlichkeiten von Abi und Melanie fand ich gelungen und interessant, ebenso wie die Gedanken und Gefühle, mit der beide Frauen auf das Leben der jeweils anderen blicken. In manchen Rezensionen zum Buch wird Vorhersehbarkeit bemängelt - ich fand das Buch nicht zu vorhersehbar. Es gab für meinen Geschmack mehrere gute und überraschende Wendungen. Das Erzähltempo per se fand ich nicht übel, denn ich mag diese allmählichen Entwicklungen, wenn sie gut dargestellt sind. An der Darstellung haperte es aus o.e Gründen eben leider, aber im Großen und Ganzen ließ sich das Buch recht gut lesen. Aber für den erwarteten raffinierten Psychothriller reichte es leider nicht.

Veröffentlicht am 05.02.2019

Angenehmer Schreibstil, etwas zerfaserte Geschichte

Die Lichtung (Jan-Römer-Krimi 1)
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Die Geschichte hat mich gleich interessiert: 1986 werden während eines Wochenendes unter Jugendlichen zwei von ihnen umgebracht. Einer dieser Jugendlichen, Jan Römer, ist 27 Jahre später Journalist und ...

Die Geschichte hat mich gleich interessiert: 1986 werden während eines Wochenendes unter Jugendlichen zwei von ihnen umgebracht. Einer dieser Jugendlichen, Jan Römer, ist 27 Jahre später Journalist und soll ausgerechnet über diesen Fall berichten - nun will er endlich herausfinden, was damals wirklich geschah. Das ist eine gute Idee, bringt einen frischen Gesichtspunkt hinein und liest sich auch anfangs sehr unterhaltsam.

Jan Römer begleitet uns als Ich-Erzähler. Man kommt leicht in die Geschichte hinein, der Schreibstil liest sich gut und ist sympathisch. Jan ist ein recht gelungener Progagonist - nicht fehlerlos, sehr menschlich. Seine heutigen Ermittlungen wechseln sich ab mit Rückblicken zur Vorgeschichte und den Geschehnissen 1986. Diese Zeit wird anschaulich berichtet, viele gelungene Details zeichnen ein gutes Bild der Jugend in den 80ern. Jan, mit den typischen Unsicherheiten eines 16jährigen behaftet, wirkt auch hier echt. Der Wechsel zwischen den Zeitebenen funktioniert. Unterhaltsam waren die Gegenüberstellungen der Freunde von 1986 und den Erwachsenen, zu denen sie in der Gegenwart geworden sind.

Die Welt des Gegenwarts-Jan ist ebenfalls anschaulich dargestellt, die lähmende Sommerhitze wird immer wieder (ein wenig zu oft) durch kleine Anmerkungen einflochten und lokale Details zu Köln und der Umgebung machen sich ganz gut, wenn sie auch an mehreren Stellen zu ausführlich geraten. Jans Privatleben überzeugt weniger. Er hat eine Ehefrau und einen Sohn, die schon im Urlaub sind und darauf warten, daß er nachkommt. Er kommuniziert mit seiner Frau in gelegentlichen Telefongesprächen, die nicht besonders interessant sind und die Geschichte eher unterbrechen als weiterbringen. Die wacklige Ehe bringt eine unnötige Komponente in die Handlung und wird halbherzig behandelt. Ich hätte es gelungener gefunden, diesen Punkt entweder richtig zu thematisieren oder (vorzugsweise) ganz rauszulassen.

Zur Unterstützung bei seinen Ermittlungen wendet Jan sich an seine ehemalige Kollegin, die den etwas irritierenden Spitznamen "Mütze" hat (ich mußte mich immer daran erinnern, daß sie eine junge Frau ist, bei dem Spitznamen stellte ich mir einen schluffigen Typen vor). Auch hier ist es etwas halbgar: so richtig viel trägt Mütze zu den Ermittlungen nicht bei und die Freundschaft zwischen den beiden schwankt von Jans Seite her zwischen platonisch und dem Wunsch nach mehr. Auch das ist für die Geschichte nicht wirklich relevant und tröpfelt ab und an ins Geschehen. Wenn Mütze nicht vorkam, hatte ich sie als Charakter auch schon fast wieder vergessen.

Ist das Erzähltempo anfangs noch angemessen, hat es mich nach dem ersten Drittel nicht mehr sonderlich gebannt. Ich habe das Buch zwischendurch eine Woche einfach nicht weitergelesen, und hatte bis zum Ende nie dieses "noch eine Seite, ich muß wissen, was passiert"-Gefühl. Die Geschichte zerfasert sich zu sehr, dann verliert Jan sich in etwas langatmigen Überlegungen zu diversen Themen. Die detaillierte Beschreibung einer Boxhalle, die ausführlichen Abhandlungen zu Musik und insbesondere die Grübeleien zum Thema "früher war alles besser" haben alle zur Geschichte nichts beigetragen und für Zähigkeit gesorgt. Auch in den Rückblicken werden dann manche Dinge detailliert geschildert, die wir schon aus den Gegenwartsszenen wußten.
Dazu kamen dann noch einige etwas billige Schockmomente (à la "da steht jemand in der Ecke und starrt mich an - oh, das ist mein Spiegelbild"). Einer davon ist so wenig plausibel, daß ich mir als Leser verulkt vorkam (ohne zu viel zu spoilern: daß jemand in einer Stadt wie Köln aus Versehen die Wohnungstüre aufläßt, ist schon seltsam. Daß aber ein harmloser Besucher einfach nachts in die Wohnung kommt und sich gemütlich ins Wohnzimmer setzt, während der Wohnungsinhaber im Schlafzimmer schläft, ist schlichtweg absurd). Eine Polizeiverhörszene fand ich in ihrer übertriebenen "good cop - bad cop"-Manier auch eher albern, denn der "bad cop" reagiert so unverhältnismäßig, daß es unglaubwürdig ist.

Am Ende ging es dann auch leider nicht ohne die von wohl 98 % aller Krimis verwendete Szene, in der der Täter den Ermittler mit einer Waffe bedroht und ausführlich seine Taten und Motivationen erklärt. Abgesehen davon, daß das in der Wirklichkeit sicher so gut wie nie vorkommt, ist diese Szene überbenutzt. Gerade da hier die sonstige Geschichte schon angenehm vom üblichen Krimigerüst abweicht, die Beziehungen der Freunde untereinander thematisiert und eine Mischung aus Krimi und Entwicklungsroman bietet, hätte ich mehr erwartet. Wenigstens aber nimmt dieser End-Showdown dann noch eine etwas originellere Wendung.

Jans Verhalten selbst ist an manchen Stellen wenig nachvollziehbar, was aber nicht so störend wirkte wie die o.g. Szenen. Prinzipiell habe ich ganz gerne über ihn gelesen und in einer etwas konzentrierteren Geschichte würde ich auch noch ein Buch mit ihm als Protagonisten lesen, gerade auch weil der Autor einen erfreulichen Schreibstil hat. Hier aber war es mir einfach zu unentschlossen, mit zu vielen Abschweifungen.

Veröffentlicht am 24.01.2019

Ungewöhnliche und spannende Geschichte mit Lektorierungsbedarf

Er hat mich umgebracht
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Die Beschreibung dieses Buches hat mich gleich neugierig gemacht - ein Mädchen träumt einen viele Jahre später stattfindenden Mord in allen Details, das ist schon ungewöhnlich. Der Prolog beschreibt diesen ...

Die Beschreibung dieses Buches hat mich gleich neugierig gemacht - ein Mädchen träumt einen viele Jahre später stattfindenden Mord in allen Details, das ist schon ungewöhnlich. Der Prolog beschreibt diesen Mord dann auch gleich sehr lebendig und anschaulich, man ist sofort drin.

Die nächsten zwei Kapitel widmen sich diesem Mädchen namens Luna und den verstörenden Träumen, die sie im Alter von 6 Jahren hat. In diesen Kapiteln empfand ich den Schreibstil manchmal als etwas unbeholfen und es gab auch einige Unklarheiten. Die Unheimlichkeit der Träume und das Gefühl der Bedrohung, welches diese auslösen, wurde allerdings hervorragend vermittelt. Mit einer Hypnose versucht die Familie, Abhilfe zu schaffen, Details möchte ich natürlich nicht verraten. Die angewandte Methode selbst und ihr Ergebnis war für mich nicht ganz nachvollziehbar. Allerdings muß man sich in diesem Buch auch einfach mal auf einige Dinge einlassen, die nicht rational erklärbar sind, das hat sich mir beim weiteren Lesen erschlossen.

Der Hauptteil der Geschichte behandelt dann Luna als Erwachsene, der geträumte Mord geschieht nun tatsächlich und es zeigt sich, daß die zu ihrer Kindheit versuchte Abhilfe erhebliche Nachteile hat. Nach und nach wird Luna sich bewußt, daß sie tatsächlich in Gefahr ist und erfährt auch allmählich mehr über die Probleme ihrer Kindheit und Jugend. Die entwickelt sich interessant und zwar sowohl die Mordermittlungen, Lunas allmähliche Erkenntnisgewinnung und auch Lunas inneres Wachsen als Person. Luna ist sehr gut und glaubhaft dargestellt, sie ist vielseitig und es ist hervorragend beschrieben, daß sie zugleich verletztlich & verängstigend, aber auch innen richtig stark ist.

Während die Charakterentwicklung und Spannung sich sehr gut entwickeln und auch der Schreibstil etwas kraftvoller wird, beeinträchtigen leider sehr häufige grammatikalische Fehler das Lesevergnügen doch erheblich, zumindest bei mir. Es sind ziemlich viele Schreibfehler im Buch, wesentlich stärker wirkt sich aber aus, daß die Vorvergangenheit so gut wie durchgehend (abgesehen von 2 oder 3 Ausnahmen) falsch - also: nicht - verwendet wurde. Dies erschwert an einigen Stellen das Verständnis und ist eben auch zum Lesen unerfreulich, ebenso wie der fast immer falsch verwendete Konjunktiv. Da hat, ich muß es leider schreiben, ein Lektor sehr unzureichend gearbeitet und ich kann nur dringend empfehlen, daß das Buch anständig lektoriert wird. Gerade bei einer so guten spannenden Geschichte ist es besonders schade, wenn so viele Fehler vorhanden sind.

Es gibt einige kleine Längen, aber im Ganzen wird die Geschichte immer spannender, Luna immer konturierter, der Schreibstil immer stärker. Sehr schön finde ich, daß die Autorin auf billige Effekte verzichtet hat. Es gibt eine Liebesgeschichte im Buch, aber sie ist nicht nur da, damit eine Liebesgeschichte enthalten ist, sondern ist wichtig für die Geschichte. Die Spannung wird raffiniert bis zum Ende gehalten, es gibt keinen 08/15-Showdown, sondern viele unerwartete Wendungen, die Schritt für Schritt zu einem wohlausgedachten Ende führen.