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Veröffentlicht am 13.01.2020

Geschichte zum anfassen

Der Attentäter
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Am 28.06.1914 beenden zwei Schüsse die Leben des Thronfolgers von Österreich-Ungarn, Franz Ferdinand, sowie dessen Frau, der Herzogin Sophie Chotek. Das Buch behandelt die letzte Woche vor diesem allseits ...

Am 28.06.1914 beenden zwei Schüsse die Leben des Thronfolgers von Österreich-Ungarn, Franz Ferdinand, sowie dessen Frau, der Herzogin Sophie Chotek. Das Buch behandelt die letzte Woche vor diesem allseits bekannten Attentat in Sarajevo, das lange Zeit als Auslöser des Ersten Weltkriegs gilt, was inzwischen jedoch bezweifelt werden darf. Vermutlich war es nur der Funke, der den Kriegsausbruch beschleunigte.

Aufgebaut im Stil eines Tagebuches folgt der Leser den unterschiedlichen Stationen der Geschichte. Eingeleitet wird jeder neue Tag mit originalen Zeitungsberichten aus der Zeit. Die blutjungen Attentäter um Gavrilo Princip, die perspektivlos sind und mit ihrem steten Gefühl der Unterdrückung der Serben durch die machthabenden Österreicher ideale Voraussetzungen für Radikalisierung bieten, sind von der Richtigkeit ihres Tuns absolut überzeugt. Sie wollen Serbien befreien, Volkshelden werden und unsterblich. Allesamt vom Schicksal gebeutelt und vom Umfeld belächelt und ungeliebt sehen sie ihre große Chance, allen zu zeigen, was für tolle Hechte sie tatsächlich sind. Ihren Tod nehmen sie dabei in Kauf, da sie ohnehin krank sind und nicht mehr lange zu leben haben.

Franz Ferdinand - durch seine robuste und unbeherrschte Art nicht eben beliebt beim Volk und bei Hofe - der völlig unzeitgemäß eine Liebesheirat mit Sophie Chotek einging und diese zur geplanten Reise zum Abschluss des Militärmanövers in Bosnien mitnimmt. Eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen sie ihn überhaupt begleiten darf, da sie als nicht standesgemäße Gattin lediglich eine morganatische Ehe schließen durften. Dieser Aspekt der gegenseitigen Liebe, auch für ihre drei gemeinsamen Kinder, wird sehr schön beleuchtet. Franz Ferdinand bekommt so ein deutlich sympathischeres Antlitz als die meisten Geschichtsschreiber ihm haben zukommen lassen.

Dann gibt es noch die fiktive Figur Markovic - ein Major des Geheimdienstes, der damit beauftragt wird, unter Serben kursierende Gerüchte von einem evtl. Anschlag zu erhellen und vor allem eben jene Anschläge zu verhindern. Wir alle wissen, dass ihm das leider nicht gelingen wird.

Mir hat dieses Buch ausgesprochen gut gefallen! Eine gelungene Mischung aus Historie und Fiktion. Der stetige Wechsel der Perspektiven, der gegen Ende in gefühlt immer kürzeren Abständen erfolgt, macht es dem Leser leicht, den einzelnen Protagonisten zu folgen und annäherungsweise zu verstehen. Was einem bei den Attentätern noch recht gut gelingt stellt zumindest mich in Bezug auf die Verantwortlichen für die Sicherheit des Thronfolgerpaares vor größere Probleme. Denn trotz aller sich verdichtenden Hinweise besteht vor allem Feldzeugmeister Potiorek auf einem Besuch in Sarajevo vor reichlich jubelndem Volk - völlig die Gefahr verkennend, die sich aus einer solchen Fahrt ergibt; im offenen Fahrzeug, ohne Militär- und mit nur unzureichendem Polizeischutz.

Mit gewissen historischen Anpassungen zur Steigerung der Spannung kann ich absolut leben, zumal wenn sie nicht wirklich entscheidend für den Ausgang der Geschichte sind. So wurde die Anreise der Attentäter aus dramaturgischen Gründen in eben diese sieben Tage des Romans verlegt. Insgesamt wurden selbstverständlich die sehr gut recherchierten Fakten verwendet. Durch die Romanform bieten sich wesentlich mehr Möglichkeiten, dem Leser Geschichte näher zu bringen. Und das ist gelungen, denn spannend ist das Buch definitiv bis zum Schluss. Die Auflockerung der Story durch eine kleine Romanze des Major Markovic passt gut ins Geschehen und bietet am Ende zumindest ein ganz klein wenig Happy-End-Feeling.

Fazit: Ich habe viel gelernt! .....und es hat richtig Spaß gemacht

  • Einzelne Kategorien
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  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.10.2019

Ein echtes Talent!

Die Ewigkeit in einem Glas
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Was bin ich froh, dass diese Frau zu schreiben begonnen hat! Schon ihre beiden vorherigen Bücher haben mich rundum begeistert und mit diesem ist es kaum anders, obwohl es dieses Mal eben doch ganz anders ...

Was bin ich froh, dass diese Frau zu schreiben begonnen hat! Schon ihre beiden vorherigen Bücher haben mich rundum begeistert und mit diesem ist es kaum anders, obwohl es dieses Mal eben doch ganz anders ist. Denn zum ersten Mal versetzt Jess Kidd uns in die Vergangenheit...
Bridie Devine ist Privatdetektivin im London des Jahres 1863. Einen speziellen Auftrag erhält sie vom Hausarzt eines Adligen, dessen Tochter Christabel unter mysteriösen Umständen entführt wurde. Überhaupt ist alles um Christabel mysteriös, denn außer dem Arzt und dessen Tochter hat noch niemand der Angestellten sie je zu Gesicht bekommen. Bridie verschafft sich unerlaubten Zutritt zu ihrem Trakt und erkennt, dass diese ein ganz besonderes Kind ist und in großer Gefahr schwebt.
Bridies Kindheit verlief recht turbulent und abwechslungsreich. Das Buch wechselt immer in verschiedenen Erzählsträngen der Gegenwart des Jahres 1863 und verschiedenen Zeiten ihrer Vergangenheit, was jedoch als Kapitelüberschrift klar zu ersehen ist. Parallel verläuft die Geschichte aus Bridies Perspektive und der der Entführer. Ein Beteiligter erzählt zudem Christabel während der Flucht Märchen, die mit und mit einiges klarer erscheinen lassen.

Jess Kidd hat das Talent, Bücher zu schreiben, die man so wirklich keinem Genre zuordnen kann. Eine wundervolle Mischung aus Kriminalfall, Mystery und ein wenig Fantasy. Wobei beides nicht im Übermaß anklingt, sodass auch schlichte Krimifans noch auf ihre Kosten kommen. Es ist der gelungene Versuch, die Gratwanderung der viktorianischen englischen Gesellschaft zwischen beginnendem Fortschritt und trotzdem noch vorherrschendem Aberglauben abzubilden.
Der Roman besitzt außerordentliche Lebendigkeit, auch wenn wie gewohnt wieder einmal ein Toter mit von der Partie ist. Gerade er bringt ordentlich Schwung und auch eine gute Prise Humor in die Story.
Ich bin überhaupt kein Anhänger von Fantasy oder gar Mystery, aber Jess Kidd reißt mich bereits nach den ersten Seiten mit in die Geschichte und mir ist völlig einerlei, ob das alles realistisch ist oder nicht. Es ist einfach gut!
Genug der Worte - selbst lesen ist hier mein finaler Tipp

Veröffentlicht am 22.09.2019

Was hätte dieser Mann noch alles schreiben können...

Menschen neben dem Leben
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In diesem Roman wird das Leben verschiedener Protagonisten im Berlin der 20er Jahre beschrieben. Der Gemüsehändler Schreiber, der einen Nebenkeller an 2 Arbeitslose für 1,50 Mark die Woche als Schlafplatz ...

In diesem Roman wird das Leben verschiedener Protagonisten im Berlin der 20er Jahre beschrieben. Der Gemüsehändler Schreiber, der einen Nebenkeller an 2 Arbeitslose für 1,50 Mark die Woche als Schlafplatz vermietet; die Arbeitslosen Fundholz und Tönnchen, die sich ihren Lebensunterhalt erbetteln müssen und schließlich den jungen Arbeitslosen Grissmann.
Grissmann lebt am Rande zur Illegalität, denn seine Gedanken kreisen ständig um evtl. Chancen, zu Geld zu kommen. An anderer Leute Geld, versteht sich, durchaus auch mittels Einbruch, Raub oder Erpressung.
Fundholz hingegen hat sich mit seiner desolaten Lage abgefunden. Er träumt schon länger nicht mehr davon, aus dieser prekären Situation heraus zu finden, sondern fristet sein Leben mit Betteleien. Als ob er nicht schon wenig genug hätte, füttert er auch noch Tönnchen mit durch, der durch eine psychische Beeinträchtigung nicht mehr für sich sorgen kann.
Es gibt noch so einige Mitwirkende, die ebenfalls ihr Päckchen zu tragen haben und für den Handlungsverlauf interessant sind. Trotz ihres trüben Tagesablaufs zieht es sie abends in den Fröhlichen Waidmann, um bei Pfefferminzschnaps, Musik und Tanz dem grauen Alltag für wenige Stunden zu entfliehen, was nicht immer reibungslos vonstatten geht.
Trotz aller Entbehrungen und Tiefschläge bleibt letztlich dennoch ein Hoffnungsschimmer in den Köpfen der Protagonisten, dass es irgendwann ja auch wieder bergauf gehen muss.

Ähnlich wie das bereits zuvor erschienene Buch "Der Reisende" hat mich sein Erstwerk "Menschen neben dem Leben" begeistert. Erzählt wird aus der dritten Person und das so gekonnt, dass ich immer wieder verwundert war, dass man einen solchen Schriftsteller so lange ignorieren konnte in Deutschland. Man ist innerhalb einer Seite in der grauen Zeit der Weltwirtschaftskrise und spürt förmlich die weitgehend vorhandene Hoffnungslosigkeit der Menschen. Boschwitz verrät uns die Gedankengänge der Protagonisten, als ob er selbst bereits in ähnlichen Situationen gewesen wäre. Aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt steuert alles auf einen Showdown im Waidmann hin, wo die Ereignisse sich quasi überschlagen.

Boschwitz Sprache hat absolut nichts antiquiertes an sich sondern könnte auch vor wenigen Jahren niedergeschrieben worden sein. An einigen Stellen war der Text sogar hochaktuell - bspw. wenn er von der Umweltbelastung des starken Verkehrs auf Berlins Straßen berichtet.
Dass ein so junger Mensch einen solch tiefen Blick auf die Gesellschaft werfen und dann auch noch derart eindrucksvoll formulieren kann, ist in meinen Augen herausragend. Als ob er gewusst hätte, dass ihm nicht viel Zeit zum schreiben vergönnt sein würde.
Was hätte dieser Mann noch alles schreiben können....

Veröffentlicht am 12.07.2019

Ein Buch wie ein Puzzle

All die unbewohnten Zimmer
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In dem vorliegenden Buch von Friedrich Ani kann man, wenn man bereits Bücher von ihm gelesen hat, alte Bekannte treffen. Es sind Jakob Franck, der seinen Kollegen die meist unangenehme Aufgabe abnimmt ...

In dem vorliegenden Buch von Friedrich Ani kann man, wenn man bereits Bücher von ihm gelesen hat, alte Bekannte treffen. Es sind Jakob Franck, der seinen Kollegen die meist unangenehme Aufgabe abnimmt die Angehörigen über den Tod des Opfers zu informieren, Tabor Süden, der gar kein Polizist mehr ist, sondern für eine Detektei nach vermissten Personen sucht, Polonius Fischer ein ehemaliger Mönch der jetzt Chef des K111 (bekannt als die 12 Apostel) ist und Fariza Nasri die nach einer langjährigen Pause wieder in den Dienst zurückkehrt.
Diese vier Ermittler arbeiten zusammen und doch jeder mit den eigenen Methoden an zwei Morden, die anfänglich nichts miteinander zu tun zu haben scheinen. Ein Polizist wird erschlagen als er zwei Kinder verfolgt, die Obst gestohlen haben und eine Frau wird auf offener Straße scheinbar ohne Motiv erschossen.
Am Anfang gibt es offensichtliche Ermittlungsansätze und Ergebnisse, aber mit jedem Kapitel kommen neue Aspekte dazu die die Situation in neuem Licht erscheinen lassen. So als hätte man in einem Puzzle ein Teil, was so aussieht als ob es passt, aber wenn man dann versucht die Lücke zu schließen, merkt man, dass da doch ein anderes hingehört.
Am Ende des Buches hat man ein stimmiges Bild über die Abläufe der Morde, die Umstände die dazu geführt haben und ein recht überraschendes Finale.
Ganz nebenbei hat man auch noch ein gesellschaftspolitisch hochaktuelles Buch gelesen, da hier u. a. Bereiche wie Migrationspolitik, Vorurteile, Rassismus, Fluch und Segen der sozialen Netzwerke, Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland etc. geschickt mit eingeflochten werden.
Der Autor schafft es mit seinem ruhigen, intensiven Erzählstil den Lesenden in seinen Bann zu ziehen und hat mich wieder einmal total gefesselt.

Fazit: Ein sehr empfehlenswertes Buch, das wesentlich mehr ist als nur ein Krimi.

Veröffentlicht am 27.04.2019

Das Loslassen der Kriegsenkel

Das Haus meiner Eltern hat viele Räume
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Ein Problem, das auf viele der Kriegsenkel-Generation (50er/60er Geburtsjahrgang) zukommt, wenngleich nicht auf alle: Das Elternhaus muss aufgelöst und ausgeräumt werden.
Es trifft nicht auf alle zu, ...

Ein Problem, das auf viele der Kriegsenkel-Generation (50er/60er Geburtsjahrgang) zukommt, wenngleich nicht auf alle: Das Elternhaus muss aufgelöst und ausgeräumt werden.
Es trifft nicht auf alle zu, denn längst nicht alle der Kriegskinder-Generation hatten das Glück, ein eigenes Heim zu besitzen. Viele lebten (wie meine Eltern) in einer Mietwohnung, wo es schon aus Platzgründen deutlich weniger auszuräumen gibt als in einem Haus.
Von meinen Schwiegereltern her kenne ich jedoch auch die von der Autorin Ursula Ott beschriebene Seite der Besserverdienenden und auch bereits das Problem, ihr Haus zumindest tlw. räumen zu müssen. Da es jedoch nicht mein Elternhaus war, fiel es mir recht leicht.
Bei der Lektüre dieses Sachbuches - ist es das oder doch eher eine Art Biografie eines Auszugs? - fand ich jedenfalls genügend Episoden, die mir absolut vertraut waren. Teils durchaus amüsant festzustellen und oft musste ich lachen deswegen.
Absolut interessant waren die aufschlussreichen Beobachtungen zum Thema Kriegsenkel - ein Begriff, der mir völlig neu war. Die hierzu gemachten Beobachtungen fachlich versierter Menschen (Psychologen, Soziologen, Kulturwissenschaftler) fand ich allesamt schlüssig und nachvollziehbar. Nachvollziehbar schon deshalb, weil ich sie auch bei mir selbst beobachten kann.
Letztlich bietet das Buch eine Reihe hilfreicher Tipps, womit ich nicht unbedingt die im Anhang aufgeführten und immerhin über 30 Seiten umfassenden Tipps zur Weiterverwendung bzw. Entsorgung gefundener Sachen meine. Einzelne Hinweise innerhalb der biografischen Erzählung bargen für mich Schlüsselerkenntnisse: Aus einer Sammlung gleichartiger Gegenstände 1 oder 2 "warme" heraus picken und behalten, der Rest kommt weg. Wenn man, wie ich als Kriegsenkel, kaum bis gar nicht wegwerfen kann, dann muss man großzügig verschenken. Notfalls auch an Unbekannte durch auf die Straße stellen. Vor allem von den Dingen trennen, die man nur als kalt erinnert und die einem persönlich wirklich gar nichts bedeuten. Kurz nochmal anschauen, innehalten und ggf. drüber reden und dann ab dafür!
Frau Ott schreibt einen wirklich gut lesbaren Stil und da sie größtenteils von eigenen Erfahrungen schreibt, kann sich der Lesende gut darauf einlassen und sich auch mit diesem haarigen Thema auseinander setzen. Etwas schade finde ich, dass die eigentliche Erzählung lediglich 140 Seiten umfasst. Aber vielleicht wäre auch viel mehr gar nicht zu schreiben gewesen.
Fazit: Absolut empfehlenswert für Interessierte mit anstehendem Räumungsproblem bei den Eltern.