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Veröffentlicht am 16.11.2019

Den Friesennerz ablegen

Laufen
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Das möchte die namenlose Frau, Protagonistin und Ich-Erzählerin dieses eigenwilligen Romans. So nennt sie die Last, die seitdem an ihr haftet, zuerst seit einem, dann seit zwei Jahren. Seitdem: das ist ...

Das möchte die namenlose Frau, Protagonistin und Ich-Erzählerin dieses eigenwilligen Romans. So nennt sie die Last, die seitdem an ihr haftet, zuerst seit einem, dann seit zwei Jahren. Seitdem: das ist der dunkelste Punkt überhaupt in ihrem Leben, der Selbstmord ihres Lebensgefährten nämlich. Der nicht nur für sie äußerst überraschend kam, auch wenn ihr bewusst war, dass sie mit einem schwer depressiven Mann zusammen lebte.

Man kommt wohl nicht umhin, in einer solchen Situation nach der eigenen Schuld an diesem traumatischen und komplett lebens- und werteverändernden Ereignis zu suchen und das tut auch diese Frau. Wobei sie durchaus in einer für viele beneidenswerten Situation ist: sie hat die richtigen Menschen an ihrer Seite, nämlich ihre beste Freundin Rike, die quasi instinktiv alles richtig macht und eine wirklich gute Therapeutin noch dazu. Aber sie begegnet viel mehr Menschen, die alles falsch machen, quasi den Finger in die Wunde legen, sobald diese sich auch nur das kleinste Bisschen schließt. Zu diesen Menschen gehört sie am Anfang auch selbst.

Der Leser folgt ihren Gedanken beim Laufen, einer Aktivität, zu der sie nach jahrelanger Pause zurückgefunden hat. Die zunächst sehr mühsam für sie ist, dann aber immer leichter von der Hand bzw. vom Fuß geht - allmählich natürlich und ebenso langsam, wie sich ihre Wahrnehmung wandelt - zunächst zur Würdigung positiver Dinge in ihrem Leben, dann auch zu vorsichtig-optimischer Planung. Es ist keine Trauerbewältigung, denn das ist - so sehe ich und ich glaube, auch sie es - nichts, was man bewältigen kann, aber sie lernt, damit umzugehen, es als Teil ihres Lebens zu sehen.

Manchmal fiel es mir schwer, dem Laufrythmus der Erzählerin zu folgen, was nur beweist, wie individuell ein solcher Verlust, der Umgang mit ihm und die Trauer jeweils ist. Stark und schwach zugleich, dabei ausgesprochen authentisch.

Veröffentlicht am 07.11.2019

Nicht nur Tee

Fettnäpfchenführer Ostfriesland
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gibt es in Ostfriesland in Hülle und Fülle - nein, man begegnet auch Schönheitswettbewerben sowie sportlichen Aktivitäten der besonderen Art, verspeist mit ein bisschen Glück (und guter Recherche im Vorfeld) ...

gibt es in Ostfriesland in Hülle und Fülle - nein, man begegnet auch Schönheitswettbewerben sowie sportlichen Aktivitäten der besonderen Art, verspeist mit ein bisschen Glück (und guter Recherche im Vorfeld) köstliches Essen und darf den herben Charme der "Ureinwohner" genießen.

Ja, in der Fremde unterscheidet sich vieles vom Leben daheim: man muss nicht unbedingt Landesgrenzen überschreiten, auch in vielen Regionen Deutschlands ticken die Uhren in mancher Hinsicht anders. Und wie!

In dieser Reihe wird gerade dieser Einstieg durch Zugezogene und Touristen veranschaulicht. Hier sind es Sonja aus Schwaben und ihr Freund Max, die sich in Ostfriesland und seine Besonderheiten einfinden wollen - und müssen! Vor allem Sonja, die dort bei einer Zeitung einsteigt - ausgerechnet im Lokalteil und dementsprechend schnell an ihre Grenzen stösst - vor allem bei der Reportage über einen Schönheitswettbewerb, der ganz anders ist als erwartet.
Ihr Freund Max besucht sie dort oft und überlegt, zu ihr zu ziehen. Wie sich die beiden schlagen und ob es dazu kommt, das können sie hier auf sehr unterhaltsame Art und Weise nachlesen und dabei viele der ostfriesischen Eigenarten kennenlernen. Und natürlich einiges an Tipps an die Hand bekommen. Mir standen in diesem Band die beiden Protagonisten ein bisschen zu sehr im Vordergrund, dennoch habe ich ihn sehr gerne und mit viel Freude gelesen.

Dies ist eine gute Vorbereitung bzw. Begleitung für Ostfriesland-Reisende jeder Art oder auch für Menschen, die sich für diesen Landstrich "einfach so" interessieren! Vielleicht wird nach der Lektüre ja mehr daraus!

Veröffentlicht am 30.10.2019

Die dunklen Seiten der Nachkriegszeit

Die Zeit der Töchter
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Wir begegnen Maria und Vivien und ihren Töchtern Anna und Antonia, die wir in "Die Stunde der Mütter" durch den Krieg begleiteten, in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre. Anna und Antonia sind zu jungen ...

Wir begegnen Maria und Vivien und ihren Töchtern Anna und Antonia, die wir in "Die Stunde der Mütter" durch den Krieg begleiteten, in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre. Anna und Antonia sind zu jungen Frauen herangewachsen, die ihr eigenes Leben leben und sich dem Alltag stellen. Ihre Mütter halten immer noch zusammen und stehen ein für die Schwachen: Vivien als energische Schuldirektorin und Maria durch ihr Engagement in der Flüchtlingshilfe.

Sie sind umgeben von einer ganzen Reihe weiterer Charaktere, die mehr oder weniger wichtige Rollen im Leben der vier Frauen spielen.

Ich liebe den atmosphärischen, eleganten Stil und die klugen Recherchen der Autorin Katja Maybach zu immer noch brennenden historischen Themen und konnte somit auch wieder wunderbar in vergangenen Zeiten schwelgen bzw. mich von überraschend vielen negativen Erscheinungen schrecken lassen. Ein wieder mal ausgesprochen gelungener Roman über die Nachkriegszeit, in dem mir diesmal leider ein wenig zuviel Personal vorhanden war. Nicht nur die beiden Mütter/Töchterpaare, sondern weitere Figuren, die zuerst noch einführt werden mussten, standen im Vordergrund. Das war mir insgesamt ein bisschen des Guten zuviel, auch wenn dies eine Kritik auf sehr, sehr hohem Niveau ist: Katja Maybach ist und bleibt eine meiner Lieblingsautorinnen - das hat sich durch die Lektüre dieses Romans nur verstärkt!

Insgesamt also ein keineswegs pessimistischer Roman, der die dunklen Seiten der Nachkriegszeit zutage fördert. Und zeigt, wie stark die Frauen trotzdem waren - sie waren diejenigen, die mutig einstanden für Werte, die auf eine bessere Zukunft hoffen ließen! Erschreckend allerdings ist, wie viele der damals aktuellen Themen wie Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass im Allgemeinen und die Ablehnung von Flüchtlingen im Speziellen heute wieder im Vordergrund der politischen und gesellschaftlichen Debatten stehen!

Die Autorin legt den Finger in die Wunde, ohne jemals plump zu werden, sie rüttelt auf eine besonders markante Weise auf: durch das Aufzeigen des Wiederkehrenden, der Wiederholungen. Ein sehr empfehlenswerter Roman für alle die, die mit beiden Beinen im Hier und Jetzt stehen, denen die Bedeutung der Vergangenheit jedoch bewusst ist.

Veröffentlicht am 30.10.2019

Eine leidende Exzentrikerin

Die Dame hinter dem Vorhang
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Das war Edith Sitwell, die es sowohl aus gesundheitlichen als auch rein optischen - ihre Eltern fanden sie einfach hässlich - nie einfach hatte. Dennoch konnte sie sich das ein oder andere große ...

Das war Edith Sitwell, die es sowohl aus gesundheitlichen als auch rein optischen - ihre Eltern fanden sie einfach hässlich - nie einfach hatte. Dennoch konnte sie sich das ein oder andere große Stück Kuchen von der Sonnenseite des Lebens abschneiden. Denn sie war klug und originell und reüssierte als Autorin sowohl von Poesie als auch von Erzählungen und diversen Berichten, mit denen sie ihr täglich Brot verdiente.

Und zwar nicht nur für sich, sondern auch für ihren Hausstand - ihre frühere Gouvernante und spätere Gesellschafterin Helen und für Jane Banister, ihrem Hausmädchen, einer fiktiven Figur, aus deren Perspektive die Handlung geschildert wird.

Man erfährt so einiges von ihr - sie hielt nicht mit ihrer Meinung hinter dem Berg und tat, was ihr passte. Allerdings ließ sie sich durchaus auch von dem ein oder anderen Zeitgenossen ausnutzen. Nein, ein glücklicher Mensch war sie zeitlebens nicht; schon in ihrer Kindheit wurde sie von ihren Eltern ihren Brüdern gegenüber benachteiligt und das setzte sich auch in späteren Jahren durch.

Veronika Peters hat einen Roman über diese faszinierende Persönlichkeit verfasst, die sowohl von realen als auch fiktiven Figuren umgeben ist. Die Charaktere sind gut gezeichnet, auch Zeit und Raum sind atmosphärisch dargestellt, doch wäre ein stellenweise etwas tiefergehender Ansatz wünschenswert gewesen. Ein unterhaltsamer, ab und an zu wenig Spannung beinhaltender Roman, der dazu einlädt, sich weiter mit der Person Edith Sitwell und einigen ihrer Zeitgenossen zu beschäftigen.

Veröffentlicht am 28.10.2019

Lebendiges Lernen

Alles außer fern
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Ksenia Konrad kommt aus Russland und hat selbst Deutsch als Fremdsprache gelernt. Inzwischen lebt sie selbst im deutschsprachigen Raum, unterrichtet selbst Deutschlernende - und schreibt Bücher ...

Ksenia Konrad kommt aus Russland und hat selbst Deutsch als Fremdsprache gelernt. Inzwischen lebt sie selbst im deutschsprachigen Raum, unterrichtet selbst Deutschlernende - und schreibt Bücher auf Deutsch, wie man sieht.

Und zwar über genau das: über ihre Erfahrungen als Deutschtrainerin, wie sie sich bezeichnet. Dass sie ihre Aktivitäten sehr strukturiert angeht, wird schon von Beginn an klar, denn so verfährt sie auch Im Aufbau ihres Buches: entlang der deutschen Grammatik nämlich - und kommt von dort auf die weiteren Zusammenhänge in ihrem Unterricht, auf die Inhalte und Aktivitäten ihrer Kurse und vor allem: auf die Teilnehmer.

Schnell lernen wir, dass eigentlich alles an der Motivation hängt - ist der Unterricht eintönig, sind die Teilnehmer gelangweilt und vergessen die Lerninhalte alsbald wieder. Doch bei anschaulichem Lernen ist das Gegenteil der Fall - es bleibt viel mehr hängen, die Inhalte werden quasi spielerisch erarbeitet, was auf verschiedenste Weisen möglich ist - bspw. durch Einbeziehung der eigenen Lebensinhalte oder durch Anwendung des Gelernten vor Ort, also in der Natur, in Museen oder auch einfach in der Stadt. Alles, was mit dem eigenen Alltag, der eigenen Situation und vor allem den eigenen Interessen zu tun hat, bleibt hängen.

Die Trainerin kniet sich ordentlich rein in ihre Aufgabe - und ihre Schützlinge danken es ihr, indem sie es ihrerseits auch tun. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt, aber in ihrem Einsatz um die Eroberung der Sprache Deutsch sind sie vereint, ein Team sozusagen. Eines, das einander aufgrund der gleichen Bedürfnisse versteht. Wobei es nicht alle schaffen, so weit zu kommen, aber viele!

Ein spannendes Buch, während dessen Lektüre ich mich stellenweise auch ein klein bisschen gelangweilt habe, nämlich in dem Teil, in dem es um die Grammatik ging. Obwohl ich eine kleine Auffrischung durchaus gebrauchen könnte, auch als Muttersprachlerin. Aber es geht auch ohne, also bin ich faul und lasse mich nicht richtig drauf ein. Falsch von mir, ich weiß! Doch vielleicht bin ich nicht ganz die richtige Zielgruppe, sondern fortgeschrittene DaF-Lernende - und die werden das ganz sicher zu schätzen wissen!