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Veröffentlicht am 08.02.2020

Gabriella Ullberg Westin - Der Todgeweihte

Der Todgeweihte
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Nächtliche Schüsse im Zentrum des beschaulichen Hudiskvall mit einem Toten und einer Schwerverletzten stellen die Polizei vor Fragezeichen. Im Umfeld der Opfer können Kriminalinspektor Johan Rokka und ...

Nächtliche Schüsse im Zentrum des beschaulichen Hudiskvall mit einem Toten und einer Schwerverletzten stellen die Polizei vor Fragezeichen. Im Umfeld der Opfer können Kriminalinspektor Johan Rokka und seine Kollegen keine Motive für den brutalen Mord finden. Doch dann werden die Ermittlungen für Rokka noch deutlich erschwert als Louise Hojier, die Frau seines Cousins und Mutter der 5-jährigen Silje, auf einer Geschäftsreise verschwindet. Eigentlich darf er in diesem Fall nicht ermitteln, aber das Personal ist knapp und so lässt man ihn nach der top Informatikerin eines erfolgreichen Start-Ups suchen. Dass sein Bruder Daniel unerwartet nach 15 Jahren Funkstille plötzlich vor ihm steht, macht die Lage auch nicht einfacher, denn Daniel ist Morphium-abhängig und offenbar todkrank. Nicht nur Johan Rokkas schwerster, sondern vor allem sein persönlichster Fall, doch wie persönlich dieser wird, ahnt er noch gar nicht...

Die Schwedin Gabriella Ullberg Westin konnte sich mit ihrer Serie um den Inspektor Johan Rokka schnell einen vorderen Platz in der Riege der skandinavischen Krimiautoren sichern. Sein dritter Fall setzt die Reihe überzeugend fort und stellt einmal mehr unter Beweis, dass auch fernab der Hauptstadt spannende Geschichten erzählt werden können. Der Protagonist steht dieses Mal mehr denn je unter Beschluss, blieb er gerade im ersten Band noch etwas undurchschaubar, wird Rokka zunehmend sympathisch und als Figur greifbarer.

Die beiden Fälle scheinen zunächst nichts miteinander zu tun zu haben, gerade der Anschlag auf die beiden jungen Kinobesucher kommt nicht voran. Dafür wird das Umfeld des Inspektors schnell interessant. Die Nebenhandlung um Amanda ist zwar recht vorhersehbar, die Bedeutung ihrer Täuschung jedoch wird erst später offenkundig. Der Fall ist als ganz persönliche Herausforderung für Johan Rokka angelegt, hätte aber durchaus auch das Potenzial zu einem Wirtschaftskrimi gehabt, diese Chance hat Ullberg Westin leider verschenkt, denn so richtig wird nicht klar, welche Bedeutung für die Sicherheitstechnik Louises Erfindung haben könnte. Dies tut der Spannung jedoch keinen Abbruch, die sich stetig steigert im Laufe der Handlung.

Ein sauber konzipierter Krimi, dessen Fäden langsam zusammenlaufen und am Ende keine Fragen offenlassen. Die Entwicklung der Figuren wird von Fall zu Fall besser, womit Ullberg Westin meine Erwartungen voll erfüllt hat.

Veröffentlicht am 05.02.2020

Nele Pollatschek - Dear Oxbridge

Dear Oxbridge
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Der Brexit ist nach jahrelangem Tauziehen seit 31. Januar vollzogen – Zeit also, auf unsere nicht mehr ganz so geliebten Nachbarn jenseits des Kanals zu blicken. Nele Pollatschek kennt sie gut, die Engländer, ...

Der Brexit ist nach jahrelangem Tauziehen seit 31. Januar vollzogen – Zeit also, auf unsere nicht mehr ganz so geliebten Nachbarn jenseits des Kanals zu blicken. Nele Pollatschek kennt sie gut, die Engländer, wobei das eigentlich nicht ganz stimmt. Mit Studium und Promotion in Cambridge und Oxford – kurz Oxbridge – hat sie Einblick in die Welt der Eliteinstitutionen gewonnen, die die Geschehnisse im Land maßgeblich bestimmen. Kaum ein führender Politiker oder Wirtschaftsboss, der nicht die exklusive Bildung einer der beiden Universitäten genossen hat, der sich nicht diese ganz eigene Mentalität angeeignet hätte, die die Absolventen schon von weitem erkennbar von ihren Mitbürgern unterscheidet. Es ist ein Mikrokosmos, der dort entstanden ist, der jedoch nur wenig mit dem Rest des Landes gemein hat. Da er aber der Nährboden für politische Entscheidungen ist und vor allem all jene, die den Brexit letztlich verantworten, hervorgebracht hat, lohnt der Blick auf diese ganz eigene Welt.

Nele Pollatschek beginnt mit dem schicksalsvollen Tag, dem 23. Juni 2016, der fortan die Nachrichten bestimmen würde. Sie ganz persönlich war von der Entscheidung, die EU zu verlassen betroffen. Nicht so sehr, weil sie als Deutsche nun um ihren Aufenthaltstitel bangen musste, sondern weil sie über Jahre hohe Schulden durch das teure Studium angehäuft hat, die durch den Absturz des Pfunds schlagartig reduziert wurden. Es gab also individuell doch auch ganz positive Aspekte des Brexit. Auf diese Anekdote folgt jedoch der Blick auf die harte Realität: der Weg an die exklusiven Universitäten ist steinig und war auch für sie zunächst von Misserfolg gezeichnet. Endlich angekommen, lernt sie eine völlig andere akademische Welt kennen als die, in der sie in Deutschland lernte. Aber nicht nur das Studium folgte eigenen Gesetzen, auch der Wohnungsmarkt hat seine Tücken. Es folgen eine Reihe von kurzweiligen Episoden über die kleinen aber feinen Unterschiede der beiden Länder, die man nur dann erkennen kann, wenn man lange genug in die fremde Kultur eintaucht und so manches Vorurteil entpuppt sich dann doch eher als weit verbreiteter gesellschaftlicher Wesenszug.

Es sind viele Versuche unternommen worden, das fatale Wahlergebnis jenes Junitages zu erklären. Vielfach wurde der Blick auf den vermeintlich „einfachen“ Bürger gerichtet, der gar nicht verstanden habe, was er eigentlich entscheidet oder gar gleich zu faul war, überhaupt an die Urne zu treten. Insofern ist Nele Pollatscheks Ansatz ein gänzlich anderer, blickt sie doch auf das andere Ende der sozialen Klasse, jenen kleinen Teil, der sich seit Jahrhunderten abschottet und selbst reproduziert. Genau hierin liegt eines der Probleme: es fehlt vielen Absolventen der Bezug zur Realität der sozialen Mittel- und Unterschicht, sie sind jedoch diejenigen, die wesentliche Entscheidungen über deren Alltag treffen. Dies klingt nun viel geißelnder als Pollatschek dies beschreibt, ihr Buch ist keine Klageschrift, sondern eine scharfsinnige Beobachtung, aus der sie schlichtweg die richtigen Schlüsse zieht. Der Brexit ist natürlich ein ganz zentraler Punkt, aber letztlich nur eins von vielen Phänomenen, die die beiden renommierten Universitäten hervorgebracht hat.

„Dear Oxbridge. Liebesbrief an England“ trägt den passenden Untertitel. Trotz all der Marotten der Briten, die sie nerven und die sie erst mühsam erkennen und erlernen musste, liebt sie dieses Land und die kleine Welt von Oxford und Cambridge. Besonders gefallen haben mir der unterhaltsam leichte Plauderton, mit dem sie ihre Erfahrungen schildert, witzig und auch mit einem Schuss Selbstironie schildert sie Erfolg wie Niederlage. Bei all der Kritik an der Exklusivität der Bildung kann sie aber auch überzeugend darlegen, warum genau die Art, wie dort gelehrt wird, sich eben drastisch von anderen Universitäten unterscheidet und diesen letztlich überlegen ist. Sie schließt ihren Bericht mit einem Kapitel über „kindness“, einen im deutschen nur schwer wiederzugebenden Begriff. Aber es ist genau diese Milde oder liebenswerte Güte, die wir in der aktuellen Situation gegenüber unseren britischen, jetzt etwas entfernteren Nachbarn walten lassen sollten.

Veröffentlicht am 27.01.2020

Lisa Taddeo - Three Women – Drei Frauen

Three Women – Drei Frauen
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Drei Frauen, drei Geschichten, drei Schicksale. Über viele Jahre hinweg hat Lisa Taddeo sie begleitet, immer mehr über sie erfahren, Urteile gelesen und sie letztlich zum Inhalt ihres Buchs gemacht. Maggie ...

Drei Frauen, drei Geschichten, drei Schicksale. Über viele Jahre hinweg hat Lisa Taddeo sie begleitet, immer mehr über sie erfahren, Urteile gelesen und sie letztlich zum Inhalt ihres Buchs gemacht. Maggie ist noch minderjährig als sich ihr Lehrer ihr zuwendet. Zunächst ist es nur die Aufmerksamkeit, die sie bei ihren alkoholsüchtigen Eltern nicht erhält, bald schon glaubt sie in ihn verliebt zu sein und kurz danach verfällt sie ihm völlig und gibt sich in totale Abhängigkeit. Lina wird als junges Mädchen Opfer einer K.O. Tropfen Vergewaltigung, doch statt dass sie Mitleid bekäme, wird sie beschimpft und geächtet. Viele Jahre später findet sie sich in einer toxischen Beziehung wieder, aus der sie aufgrund ihrer emotionalen Abhängigkeit und Blindheit nicht mehr herauskommt und auch nicht heraus will. Auch Sloane trägt seit ihrer Jugend Dämonen in sich, die sie viele Jahrzehnte begleiten werden und die sie lange davon abhalten zu erkennen, wer sie ist und was sie braucht, um glücklich zu sein.

Häppchenweise werden die Geschichten der drei Frauen präsentiert, immer wieder wird dadurch die Erzählung unterbrochen, was jedoch sehr gut passt, um zu unterstreichen, dass es sich nicht um Episoden, sondern um bisweilen jahrelange Martyrien handelt. Was Taddeo besonders gut gelungen ist, ist das Gedankenkonstrukt, in dem alle drei gefangen sind, ein Gefängnis, das sie sich selbst geschaffen haben und aus dem es kein Entkommen gibt. Sie sind intelligent, auch oftmals reflektiert, aber dennoch können sie nicht wie der Leser als Außenstehender ihre Lage erfassen und so handeln, wie es für ihre psychische und auch physische Gesundheit gut wäre.

Für mein Empfinden ist der Klappentext irreführend. Die drei Geschichten sind keine Schilderungen von Begehren und Lieben, sondern ganz im Gegenteil: die dargestellten Beziehungen sind auf Macht und Machtmissbrauch aufgebaut, emotional wie körperlich wird die Abhängigkeit - sei es wegen des Lehrer-Schülerinnen-Verhältnisses, wegen der einseitigen Zuneigung oder der stärkeren psychischen Konstitution – von den Männern ausgenutzt. Zwar glauben alle drei Frauen zu lieben, sind dankbar für jede Minute, die der Mann ihnen schenkt, für jede noch so abfällige Bemerkung, die sie sich als Zuneigung umdeuten, die Grundvoraussetzungen der Liebe sind jedoch nie gegeben. Es sind keine Beziehungen auf Augenhöhe, keine Ausgewogenheit der Machtverhältnisse und ganz offenkundig ist den Männern ihr Wohlergehen ziemlich egal. Ganz besonders bitter: die gesellschaftlich-soziale Komponente: die Frauen werden durch das Umfeld ein zweites Mal zum Opfer bzw. sogar zum Täter und böswilligen Lügner und Verbreiter falscher Anschuldigungen gemacht.

Die Bandbreite der Kritiken könnte kaum größer sein, von fulminanter Begeisterung bis totalem Zerriss findet sich so ziemlich jede Stimme zu dem Buch. Einige Kritikpunkte kann ich nachvollziehen, die Autorin hat nur weiße heterosexuelle Frauen portraitiert, hier klafft sicher eine große Lücke, wenn sie umfassend toxische Beziehungen darstellen wollte. Sie wird oft sehr explizit in ihrer Darstellung, ob dies unbedingt immer erforderlich ist, sei dahingestellt, auch erscheint die positive Beschreibung einiger Handlungen bisweilen etwas unpassend, auch wenn die betroffenen Frauen sie in diesem Moment so empfunden haben mögen. Andererseits wirkt alles auf mich authentisch und es werden ganz klar die Widersprüche auch innerhalb der Frauen, aber besonders die Folgen, die diese Erlebnisse für sie haben, aufgezeigt.

Nach inzwischen mehreren Jahren #metoo Debatte und zahlreichen prominenten Gerichtsverfahren stellt sich jedoch schon die Frage, welchen Beitrag dieses Buch zu den spezifischen Anliegen der Frauen liefert. Für mich ist es nicht das Buch mit der großen neuen Erkenntnis, aber ganz sicher ein lesenswertes Steinchen in dem Gesamtbild, das nochmals unterstreicht, dass die Welt überwiegend aus Grautönen in zahlreichen Schattierungen besteht und ganz sicher nicht aus schwarz und weiß. Und manchmal lohnt es sich einfach, wenn auch bekannte Fakten nochmals wiederholt werden.

Veröffentlicht am 26.01.2020

Marion Messina – Fehlstart

Fehlstart
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Das Abitur bestanden, steht ihr die Welt im egalitären Frankreich offen. Sie weiß, wofür sie all die Jahre hart gearbeitet hat, doch dann muss Aurélie Lejeune eine herbe Enttäuschung nach der anderen erleben. ...

Das Abitur bestanden, steht ihr die Welt im egalitären Frankreich offen. Sie weiß, wofür sie all die Jahre hart gearbeitet hat, doch dann muss Aurélie Lejeune eine herbe Enttäuschung nach der anderen erleben. Das Jurastudium an der Universität von Grenoble ist uninspiriert, mit ihren Kommilitonen verbindet sie nichts und zunehmend begreift sie sich als Außenseiterin. Mit den kolumbianischen Austauschstudenten scheint sie viel mehr zu verbinden und in Alejandro, den sie bei ihrem Nebenjob als Putzfrau kennenlernt, verbindet sie bald schon eine innige Liebe. Doch als dieser der Enge der Kleinstadt entflieht, fällt auch Aurélies Leben in sich zusammen, es stand ohnehin nur auf tönernen Füßen. In Paris hofft sie auf einen Neuanfang und die Realisierung ihrer Träume, die sie eigentlich schon gar nicht mehr hat. Sie will ihre soziale Herkunft als Kind einer Arbeiterfamilie hinter sich lassen, sieht sich bald aber schon einer viel prekäreren Situation ausgesetzt als ihre Eltern es jemals erlebt hatten.

In ihrem Debutroman stellt Marion Messina gleich mehrere Mythen ihres Heimatlandes infrage. An ihren jungen Protagonisten zeigt sie auf, dass das voller Versprechen begonnene Leben sich oftmals anfühlt, als sei es schon vorbei, bevor es überhaupt begonnen hat, wie die ungeliebte B-Seite einer Schallplatte, die niemand hören will und die nur die Aufgabe hat, einen eben noch vorhandenen Platz zu füllen, an die jedoch nicht die geringsten Erwartungen gestellt werden. Wofür soll man in dieser Existenz kämpfen? Die Wirtschaftskrise von 2008, die ganz Europa unerwartet und heftig packte, hat vor allem die Jungen und Gebildeten getroffen, die sich nach jahrelanger Mühe um beste Startchancen um ihr Leben betrogen sahen, ein klassischer „Fehlstart“, sie waren zur falschen Zeit am falschen Ort.

Messina zeichnet ein erbarmungsloses Portrait einer Gesellschaft und einer Generation, das wenig Mut und Hoffnung macht. Wo sich Alejandro einer omnipräsenten Xenophobie in einem sich selbst als weltoffen und tolerant wahrnehmenden Land ausgesetzt sieht, fühlt sich Aurélie aufgrund ihrer sozialen Herkunft ausgeschlossen, sie kennt die Codes der Kleidung, des Verhaltens und der Sprache nicht und ihre Eltern sind schon lange nicht mehr in der Lage, sie zu unterstützen. Sie soll doch mit dem bescheidenen Dasein, wie sie es selbst führen, zufrieden sein. All die Bemühungen und der Verzicht werden sich nicht auszahlen, das elitär organisierte Land hat keinen Platz für Emporkömmlinge. Das muss auch Benjamin erkennen, der einzige Freund, den Aurélie in der 12 Millionen Metropole gefunden hat und der nach jahrelangem Ackern bereit ist, aufzugeben und in die Provinz zurückzukehren.

Insbesondere das Bild der Arbeitswelt, in der die Angestellten in den niedrigen Positionen nicht nur schnell austauschbar sind, sondern die durch vorgegebene Kleidung, Make-up und Phrasen auch austauschbar wirken und dafür mit dem Mindestlohn abgespeist werden, der kaum ausreicht, um Wohnung und ausreichend Nahrung zu finanzieren, wirkt brutal, aber authentisch. Die prekäre Existenz mit Zweit- und Drittjob laugt sie so dermaßen aus, dass sie gar nicht mehr am Leben teilnehmen und von Paris außer den Gängen der U-Bahn nichts mehr sehen. „Métro-Boulot-Dodo“ wird so nicht mehr nur ein ironisches Wortspiel, sondern schlichtweg Realität.

Marion Messina untermauert die falschen Versprechungen sprachlich versiert, in kursiv erscheinen die immer wieder bemühten Phrasen, die sich jedoch als leere Worthülsen entpuppen. Ihr Roman erschien 2017 noch vor den aktuellen Protesten der Gilets Jaunes, sie legt aber den Finger in genau dieselbe Wunde und erfüllt damit eine der wesentlichen Aufgaben der Literatur: sie hält der Gesellschaft und vor allen denjenigen, die diese lenken, den Spiegel vor, in dem sie bei genauen Hinschauen eine schmerzverzerrte Fratze erkennen können. Auch 2020 noch einer DER Romane der Stunde.

Veröffentlicht am 25.01.2020

Lesley Kara - Das Gerücht

Das Gerücht
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London ist einfach nicht die richtige Umgebung für ihren Sohn Alfie, deshalb zieht Joanna in die Kleinstadt Flinstead, die direkt am Meer liegt und wo auch ihre Mutter lebt, die die alleinerziehende Maklerin ...

London ist einfach nicht die richtige Umgebung für ihren Sohn Alfie, deshalb zieht Joanna in die Kleinstadt Flinstead, die direkt am Meer liegt und wo auch ihre Mutter lebt, die die alleinerziehende Maklerin unterstützen kann. Das Idyll wird bald schon durch ein böses Gerücht ins Wanken gebracht: Sally McGowan soll Mitten unter den braven Bürgern leben, die Frau, die Jahrzehnte zuvor als Mädchen ihren kleinen Spielfreund Robbie heimtückisch mit einem Messer erstochen hat. Das Zeugenschutzprogramm bietet ihr Anonymität, aber die Bewohner des Küstenstädtchens sind aufgeschreckt und sowohl bei den wartenden Müttern vor der Schule wie auch im Buchclub gibt es kein anderes Thema mehr. Auch Alfies Vater und Joannas Teilzeitlover Michael interessiert sich für die Geschichte; der Journalist weiß zwar, dass es eine verboten wurde, über die Kindermörderin zu schreiben, aber er hofft dennoch, dass sie vielleicht nach all der Zeit ihre Version der Geschehnisse berichten mag. Und so taumelt Joanna in eine Hetzjagd, von der sie nicht ahnt, wie sie enden wird.

Die ehemalige Krankenschwester und Sekretärin Lesley Kara nutzt die richtigen Zutaten, um in ihrem Debutroman Spannung zu entwickeln. Zunächst nimmt man noch an, dass Joannas ganzer Horror in der lokal wie auch gedanklich begrenzten Welt der Kleinstadtmütter liegt, doch dann mehren sich geschickt die Anzeichen, dass die Mörderin tatsächlich existiert und sich in unmittelbarer Nähe aufhält. Genau wie die Protagonistin beginnt man den Spuren zu folgen und eine Figur nach der anderen zu verdächtigen – nur um zu realisieren, dass man ganz Wesentliches nicht beachtet hat.

Mich konnte „Das Gerücht“ überzeugen und bestens unterhalten. Joanna ist authentisch gezeichnet, als alleinerziehende Mutter mit beschränkten finanziellen Mitteln plagt sie permanent das schlechte Gewissen gegenüber ihrem Sohn. Als dieser dann in der Schule auch noch ausgegrenzt wird, erwacht ihr Mutterinstinkt so richtig. Gleichzeitig mehrere Bälle zu jonglieren ist nicht immer einfach und auch sie gerät immer wieder an ihre Grenzen. Das ganze kompensiert die Ich-Erzählerin jedoch mit einer gehörigen Portion Selbstironie, die mich immer wieder auch in gewisser Weise an Bridget Jones erinnerte – es geht halt auch immer mal wieder was schief und schnell hat man sich auch verplappert. Dieser unterhaltsame leichte Ton weicht an der genau richtigen Stelle dem nervenzerreißenden Schrecken, wenn plötzlich alle Puzzleteile ineinandergreifen und sich ein Bild formt – ein gänzlich unerwartetes und ohne Frage unerwünschtes.

Ein fesselnder Roman, der auch immer wieder überraschen kann und sowohl mit glaubwürdiger Figurenzeichnung wie auch einer geschickt gesponnenen Handlung und kurzweiligem Erzählton punkten kann.