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Veröffentlicht am 07.05.2020

Ein verstörendes Stück Zeitgeschichte

Stella
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Als Friedrich, ein junger, in sich gekehrter, künstlerisch begabter Mann im Jahr 1942 aus der Schweiz nach Berlin reist, um dort die Wahrheit zu finden, ahnt er nicht, dass sich sein Leben für immer verändern ...

Als Friedrich, ein junger, in sich gekehrter, künstlerisch begabter Mann im Jahr 1942 aus der Schweiz nach Berlin reist, um dort die Wahrheit zu finden, ahnt er nicht, dass sich sein Leben für immer verändern wird. Denn er trifft dort auf eine hübsche Blondine, eine kesse Berlinerin, die sich im als Kristin vorstellt und die er sich Hals über Kopf verliebt. Sie zeigt ihm die verbotenen Jazz-Spelunken Berlins, macht ihn mit Tristan von Appen, einem Lebemann – und SS-Offizier – bekannt. Doch schlagartig ändert sich alles, nachdem Kristin mitsamt ihrer Familie gefangen genommen und ins Lager Große Hamburger Straße gebracht wird. Denn Kristin heißt in Wahrheit Stella Goldschlag und ist Jüdin. Um sich und ihre Familie zu retten arbeitet sie ab diesem Zeitpunkt als „Greiferin“ und geht täglich für die Nazis auf Jagd nach Juden.
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Von der Kritik wurde Stella verrissen, zu romantisch die Liebesgeschichte, zu schwach die Frage nach der Schuld, überhaupt kann man sich einem solchen Thema nicht auf diese Art nähern.

Mich persönlich hat Takis Würger mit seinem Roman gefesselt. Ich fand es faszinierend, wie er in 12 Kapiteln – für jeden Monat des Jahres 1942 – die unfassbare Geschichte der Stella Goldschlag und das Leben im Berlin jener Zeit, eingebettet in eine fiktive Liebesgeschichte und immer wieder unterbrochen durch Vernehmungsprotokolle, erzählt hat. Für mich ein absolut lesenswertes Buch.

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Veröffentlicht am 15.04.2020

Der Ball der Verrückten

Die Tanzenden
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Im Jahr 1885 wird die junge, intelligente und vor allem sehr unangepasste Eugénie, Tochter aus gutem Hause, aufgrund einer außergewöhnlichen Gabe von ihrem eigenen Vater in die Salpêtrière eingeliefert, ...

Im Jahr 1885 wird die junge, intelligente und vor allem sehr unangepasste Eugénie, Tochter aus gutem Hause, aufgrund einer außergewöhnlichen Gabe von ihrem eigenen Vater in die Salpêtrière eingeliefert, die wohl bekannte psychiatrische Anstalt Europas. Hier werden die „Irren“, die „Hysterikerin“ oder einfach nur unbequeme Frauen entsorgt oder einfach nur zum Schweigen gebracht.

Victoria Mas erzählt von den unterschiedlichen Frauen, die es hierhin verschlagen hat: da ist Louise, die fest daran glaubt, durch die Hochzeit mit einem jungen Arzt diesem Ort bald entfliehen zu können; Therese, die fast ihr ganzes Leben in der Anstalt verbracht hat und sich ein Leben außerhalb dieser Mauern nicht mehr vorstellen kann und da ist Genévieve, die Oberschwester, deren Welt durch die Begegnung mit der jungen Eugénie komplett auf den Kopf gestellt wird.

Und da sind die Ärzte, allen voran der berühmte Jean-Martin Charcot, denen es in erster Linie um den eigenen Ruhm geht und weniger um die Heilung der Frauen. So werden diese allwöchentliche vor Publikum zur Schau gestellt, mit Hypnose zu Anfällen getrieben und mit fragwürdigen Mitteln wieder zur Ruhe gebracht.

Der Höhepunkt aber ist der alljährlich stattfindende Ball der Verrückten, dem die Patientinnen der Anstalt entgegenfiebern und bei dem die Pariser Oberschicht sich dem Nervenkitzel hingibt, die „Verrückten“ wie Tiere im Zoo zu begaffen.

Gekonnt verwebt Mas Fiktion mit wahren Begebenheiten und schafft es dabei mit einer bewundernswerten Leichtigkeit, dieses schwere Thema unterhaltsam und fesselnd zu vermitteln.

Ein absolut lesenswerter, zum Nachdenken anregender, berührender Roman.

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Veröffentlicht am 05.04.2020

Die Schule auf der Insel

Die Schule am Meer
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1925 gründete eine Schar hochmotivierter Lehrer um Martin Luserke und das Ehepaar Anni und Paul Reiner auf der Nordseeinsel Juist die Schule am Meer, die erste reformpädagogische Schule Deutschlands auf ...

1925 gründete eine Schar hochmotivierter Lehrer um Martin Luserke und das Ehepaar Anni und Paul Reiner auf der Nordseeinsel Juist die Schule am Meer, die erste reformpädagogische Schule Deutschlands auf einer Insel. Naturnahe Erziehung, Sportliche Betätigung, Handwerkliches Können und Musische Bildung und sowie Darstellende Kunst standen im Mittelpunkt dieses für die damalige Zeit ungewöhnlichen Schulprojektes. Unter den Lehrern befand sich u.a. Eduard Zuckmayer, bei den Schülern fanden sich illustre Namen wie Peter Döblin, Beate Uhse oder die Schauspielerin Maria Becker.

In ihrem Roman Die Schule am Meer beschreibt Sandra Lüpkes die gesamte Zeitspanne der Schule mit vielen kleinen Anekdoten, die mal aus der Sicht der Lehrer, der Schüler aber auch der Insulaner erzählt werden. So begleiten wir z.B. den Schüler Maximilian, genannt Mücke, von der Überfahrt zur Insel bis zu seinem Abitur, erleben Abenteuer wie die gefährliche Überquerung der zugefrorenen Nordsee, den Bau der großen Theaterhalle, Freundschaft und Rivalität und nicht zuletzt die Spannungen zwischen den eingeschworenen Inselbewohnern und den mit Misstrauen beäugten Bewohnern des Internats, der „Judenschule“ und „Kommunistenschmiede“.

Es ist ein beeindruckendes und bedrückendes Stück Zeitgeschichte, das Sandra Lüpkes in ihrem wunderbaren Roman auf 570 Seiten darbietet. Mein Fazit: absolut lesenswert


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Veröffentlicht am 15.03.2020

Über den alltäglichen Wahnsinn des Rassismus

Eine Farbe zwischen Liebe und Hass
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In seinem Roman Eine Farbe zwischen Liebe und Hass erzählt Alexi Zentner die Geschichte des 17-jährigen Jessup, ein ganz normaler Junge aus Amerika. Er gehört zum sogenannten „white trash“ – seine Mutter ...

In seinem Roman Eine Farbe zwischen Liebe und Hass erzählt Alexi Zentner die Geschichte des 17-jährigen Jessup, ein ganz normaler Junge aus Amerika. Er gehört zum sogenannten „white trash“ – seine Mutter hat drei Kinder von drei verschiedenen Vätern, bekam das erste schon mit 14, die Familie lebt in einem Wohnwagen, das Leben ist nicht einfach. Doch Jessup ist ein guter Ringer und ein guter Football-Spieler, ein Einser-Schüler, seine Fahrkarte raus aus Cortaca, dem Ort, an dem ihn jeder kennt. Denn da sind noch sein Bruder Ricky und sein Stiefvater David John, die im Gefängnis sitzen, weil Ricky in Notwehr zwei farbige Studenten erschlagen hat. Die Familie ist zudem noch Mitglied der Heiligen Kirche des Weißen Amerika, eine Kirche, die die Überlegenheit der Weißen Rasse propagiert und zum Heiligen Rassenkrieg aufruft. Jessup selber ist anders, er geht nicht mehr in diese Kirche, seine Freundin, die Tochter seines Coaches, ist selber eine Schwarze, doch wer in einer solchen Familie aufwächst, kann den Vorurteilen kaum entkommen. Als dann noch ein grauenvoller Unfall geschieht, der das Leben aller verändert, sieht sich Jessup mehr denn je gefangen zwischen Schwarz und Weiß, Familie und Gesellschaft, Liebe und Hass.
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Sehr einfühlsam und eindrücklich beschreibt Zentner das Leben in einem Milieu, das geprägt ist von vielfältigem Rassismus, vom Gegensatz zwischen Armut und Reichtum, von Vorurteilen und Vorverurteilungen. Man kann sich wirklich gut in die seelischen Nöte des Jungen hineinversetzen, seine Hoffnung auf ein besseres Leben nachvollziehen, die Liebe zu seiner Familie und seiner Freundin und den furchtbaren Zwiespalt, in den er dadurch gerät. Die große Frage ist, kann man sich trotz seiner Herkunft in eine andere Richtung entwickeln oder ist ein Lebensweg vorgezeichnet, aufgrund der Hautfarbe oder der Erziehung?
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Sehr viel Tiefe erhält das Buch durch die Beschreibung von David John: er ist ein Rassist, er glaubt an die Lehren seiner Kirche, sein Körper ist übersät mit White-Power—Tattoos und doch ist er ein guter Kerl, ein liebevoller Vater, der nichts anderes will, als seine Kinder zu anständigen Menschen erziehen. Und genau dieser Gegensatz macht es Jessup so schwer, sich aus diesem von Gewalt und Hass geprägten Milieu zu lösen. Und er hat mich sehr zum Nachdenken angeregt.
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Besonders beeindruckt hat mich die Tatsache, dass Alexi Zentner selber miterleben musste, wie fanatische Nazis einen Brandanschlag auf das Haus seiner Eltern verübten. Die Fragen, die ihn seither beschäftigt haben, hat er in diesem Roman verarbeitet.
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Mich hat dieses Buch absolut gepackt, ich fand es äußerst spannend und es hat mich sehr zum Nachdenken angeregt. Ein wichtiges, aktuelles Thema, nicht nur in den USA. Absolut lesenswert.

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Veröffentlicht am 12.03.2020

Aus dem Leben einer Rebellin

Ich erwarte die Ankunft des Teufels
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Mary MacLane, geboren 1881 in Winnipeg, Kanada, zog mit ihrer Familie in die Bergarbeiterstadt Butte, Montana. Ein trostloser Ort, ein Ort für hart arbeitende Männer. Aber nicht für ein junges, extrem ...

Mary MacLane, geboren 1881 in Winnipeg, Kanada, zog mit ihrer Familie in die Bergarbeiterstadt Butte, Montana. Ein trostloser Ort, ein Ort für hart arbeitende Männer. Aber nicht für ein junges, extrem ehrgeiziges 19-jähriges Mädchen wie Mary. Und so schrieb sie sich all ihren Frust, ihre Wünsche, Hoffnungen und Träume von der Seele und veröffentlichte diese 1902 in Tagebuchform, womit sie es tatsächlich schaffte, berühmt zu werden.

Mit dem typischen Pathos einer Pubertierenden, dabei aber durchaus mit einer gewissen Portion Humor und Wortwitz, grenzenlosem Größenwahn (so schreibt sie direkt zu Anfang auf Seite 9: „Ich bin ein Genie“), schonungsloser Offenheit - sie hatte eine Vorliebe für Oliven und Frauen, wünschte sich als Liebhaber den Teufel, mindestens aber Napoleon - erschuf Mary MacLane ein frühes feministisches Werk, einen Skandal. Ein junges Mädchen gefangen zwischen Größenwahn und Todessehnsucht, fest davon überzeugt, besser, intelligenter und wertvoller zu sein als all die langweiligen Menschen um sie herum, mit einer gewissen Halbbildung gesegnet und einem grenzenlosen Selbstbewusstsein, ohne intellektuelle Ansprache und umgeben von Trostlosigkeit und Kargheit, führt uns vor Augen, wie es gewesen ein muss, in der viktorianischen Zeit im Amerika der beginnenden Arbeiterbewegung zu leben.

Lange Zeit war es still um Mary MacLane, ihre Werke, 3 Bücher und ein Stummfilm, fast vergessen, doch 2013 wurde sie wiederentdeckt und ihr Erstling nun erstmals in deutscher Sprache veröffentlicht.

Mein Fazit: lesenswert, eine wirklich gelungene literarische Wiederentdeckung.

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