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Veröffentlicht am 01.08.2020

Charaktere und Geschichte haben stark nachgelassen

Die Festung (Finsterzeit 2)
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„Die Lebenssituation hier in der Festung war vergleichbar mit der kurz vor der Finsterzeit. Die Menschen mit geringerem Einkommen konnten kaum noch ihre Rechnungen bezahlen, während sich wenige andere ...

„Die Lebenssituation hier in der Festung war vergleichbar mit der kurz vor der Finsterzeit. Die Menschen mit geringerem Einkommen konnten kaum noch ihre Rechnungen bezahlen, während sich wenige andere in ihrem Reichtum suhlten.“ (S. 113)

Die Festung ist der zweite Teil der Finsterzeit-Trilogie, in der es um eine Gruppe Menschen nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch der Gesellschaft geht.
Aus dem friedlichen Dorf wandern Freiwillige nach Norden zur Festung. Sie wollen den Herrscher Friedrich stürzen, Thomas Familie befreien und Vorräte für den Winter beschaffen. Nachdem sie dort angekommen sind, werden sie von Friedrich gemäß ihres Standes in Obrigkeit und Arbeiter eingeteilt. Vor allem Lara hat Schwierigkeiten, sich dem Leben in der Festung anzupassen.

Thomas hat den Freiwilligen ausführlich die veralteten und strengen Ansichten seines Großvaters nahe gebracht. Frauen sollen vor allem hübsch aussehen und ihren Männern zu Diensten sein. Als emanzipierte Frau kommt Lara mit dieser Einstellung nicht zurecht und fühlt sich von Thomas vernachlässigt und nicht mehr geliebt. Zum Glück gibt es aber den Pfleger Ben. „Es war einer dieser Momente, in denen seine tiefblauen Augen bis auf den Grund ihres Selbst zu blicken schienen […].“ (S. 167) Warum Lara sich nicht für ein paar Wochen zusammen reißen und den Erwartungen Friedrichs gerecht werden kann, ist unverständlich. Sie soll nicht die Festung revolutionieren, solange er noch anwesend ist, sondern die Gemeinschaft unterwandern. Da Lara sich nicht für einen begrenzten, absehbaren Zeitraum an ihre Aufgabe halten kann, wirkt sie schwach und nachlässig.
Thomas spielt in diesem Teil eine zentrale Rolle, obwohl er meistens als Berater oder am Rande erwähnt wird. War er in Das Dorf der liebevolle Freund und hilfsbereite Dorfbewohner, ist er in diesem Teil in sich gekehrt, voller Geheimnisse und wirkt hinterhältig. Viktor ahnt schlimmes, weil er Thomas nicht einschätzen kann. Doch verlässt er sich da zu sehr auf seine Gefühle für Lara, seine Herzenstochter.

Neben den charakterlichen Veränderungen, die hauptsächlich in Schwächen umschlagen, gibt es auch sprachlich und inhaltlich Defizite.
Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind immer in Extremen beschrieben und die Autorin wird nicht müde, dies auch regelmäßig zu betonen: Lara und Viktor sind Herzenstochter und Herzensvater, Thomas und Lara sind Seelenverwandte und zwischen Walter und Viktors Frau ist eine „tiefgreifende Freundschaft“ (S. 88) nach nur wenigen Wochen entstanden. Dies wirkt nicht nur unglaubwürdig, es ist auch langweilig immer und immer wieder das gleiche zu lesen.
Genauso verhält es sich mit Floskeln von Friedrich. „Er machte eine kunstvolle Pause, die das große Kompliment wohl unterstreichen sollte“ (S. 116) ist ein Satz, der gleich zwei Mal mit sehr ähnlichem, wenn nicht sogar gleichem Wortlauf vorkommt. In beiden Fälle unterhält sich Friedrich mit Viktor.
Friedrich ist ein sehr flacher Charakter, den alle auf der einen Seite zu durchschauen scheinen, auf der anderen ist er ein ungelöstes Rätsel.

Inhaltlich passiert nicht viel. Die Gruppe Freiwilliger unterwandert die Festungsgemeinschaft mit Fokus auf die Obrigkeit und die künstlich erzeugten Dramen zwischen Thomas und Lara. Währenddessen verhungert die Dorfgemeinschaft langsam aber absehbar. Dies geschieht über mehrere sehr kurze, nichts aussagende Kapitel, während die Obrigkeit im Überfluss schwelgt. Um diesen starken Kontrast besonders hervor zu heben, rechnet ein Charakter den Luxus in Mahlzeiten für die Dörfler um. „In Gedanken überschlug sie, wie viele der Dorfbewohner wohl die Orangen genießen würden […] und welche wohltuenden Salben sie aus den Kräutern anfertigen könnte […].“ (S. 59)

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Achtung! Spoiler zum Ende!

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Sowohl die Umstände von Viktors Angriff als auch Friedrichs Hochzeitsgeschenk an Lara und Thomas sind vorhersehbar. Gerade im letzten Abschnitt vermuten alle, dass Friedrich etwas Furchtbares plant (S288). Trotzdem muss die Situation eskalieren, damit der Held die Möglichkeit hat, alle zu retten. Abgedroschen.

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Spoiler Ende

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Ich war von den Umständen der Finsterzeit und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft angetan. Doch die Umsetzung mit Fokus auf die Liebesbeziehung zwischen Lara und Thomas hat mich enttäuscht. Der erste Teil war unterhaltsam und recht spannend, Die Festung ist dagegen vorhersehbar und langweilig und verdirbt die Lust auf den dritten Band, Die Stadt. Der Perspektivwechsel hat keine Abwechslung in die Geschichte gebracht, weil nur eine Person im Dorf geblieben ist und diese Kapitel besonders kurz und wenig informativ waren. Lara war entweder trotzig oder hat gejammert und Viktor war nur Mittel zum Zweck.
Der Fokus auf den Überlebenskampf ist verloren gegangen und damit mein Interesse an der Reihe.

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Veröffentlicht am 04.07.2020

Titel ist irreführend

jung, weiblich, rechts
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„The only opinions that should carry weight are the opinions of those we love, look up to and respect.“ (S. 16)

Dieses Buch ist eine Aneinanderreihung von persönlichen Erfahrungen und ein Erklären dieser. ...

„The only opinions that should carry weight are the opinions of those we love, look up to and respect.“ (S. 16)

Dieses Buch ist eine Aneinanderreihung von persönlichen Erfahrungen und ein Erklären dieser. Es bezieht sich nicht unbedingt nur auf Mädchen/ Frauen, sondern allgemein auf die Gesellschaft. Trotzdem stehen die Frauen in Vordergrund.
What Makes Us Girls rückt Gegebenheiten und Verhaltensweisen ins rechte Licht. Es schreibt keine Lebensweise vor, sondern empfiehlt vor allem, auf sich selbst und den eigenen Körper zu hören. Zum Beispiel wird Muttersein hoch gelobt, aber Karrierefrauen werden nicht verteufelt. Im Gegenteil, es ist eher ein Appell, dass Hausfrauen und Mütter nicht mehr im Schatten leben. Es ist auch ein Denkanstoß über die heutigen Werte, in der Frauen Männer verteufeln und es Feminismus nennen; in denen sie nicht mehr attraktiv aussehen wollen, weil das „nur“ für die Männer wäre.

Der deutsche Titel ist eine schlechte Übersetzung, der vermutlich einfach provozieren soll. Wer die Autorin nicht kennt und dieses Buch liest, lernt über sie, dass sie politische YouTuberin ist und traditionelle Lebensweisen bevorzugt. Der Titel jung, weiblich, rechts wird unentschlossene Leser durch das „rechts“ abschrecken, die dieses Buch vielleicht als hilfreich empfinden würden.

What Makes Us Girls ist leichte Lektüre, schnell zu lesen, aber leider zu inhaltsarm. Ich habe mir mehr erhofft. Es ist vor allem eine Aneinanderreihung von persönlichen Geschichten und zu wenig allgemeine Erklärungen.

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Veröffentlicht am 17.03.2020

Ein Kinderbuch mit schweren Begriffen

Einfach alles!
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„Im Vergleich zur Erde sind wir Menschen also tatsächlich sehr jung. Wie werden sapiens genannt, weil dieses lateinische Wort „weise“ oder „klug“ bedeutet. Entscheide einfach selbst, nachdem du dieses ...

„Im Vergleich zur Erde sind wir Menschen also tatsächlich sehr jung. Wie werden sapiens genannt, weil dieses lateinische Wort „weise“ oder „klug“ bedeutet. Entscheide einfach selbst, nachdem du dieses Buch gelesen hast, ob du den Namen gut findest.“ (S.90)

Einfach alles in einem Buch unter zu bringen, ist umfangreich. Deswegen hat der Brockhaus auch so viele Bände. Das ein Buch mit 352 Seiten und vielen Illustrationen da nicht heran kommt, sollte also nicht überraschen. Doch gibt dieses Buch einen groben Überblick über die Entstehung der Erde, die Entwicklung des Menschen, einiger Kulturen und Religionen. Es reißt die Themen an und bewegt sich rasant auf die heutige Zeit zu. Der Vergleich mit einer 24 Stunden Uhr macht deutlich, wie kurz der Mensch auf der Erde bereits verweilt.
Der Klappentext empfiehlt das Buch „ für alle Neugierigen - egal welchen Alters“, doch erinnert die Aufmachung und Erzählweise mit ihren Vergleichen an ein Kinderbuch. Die Geschichte der Erde und später der Menschheit wird, bis auf wenige Ausnahmen, in leicht verständlichen Worten und kurzen Sätzen erzählt. Die vielen Illustrationen und Zitate berühmter Persönlichkeiten lockern die Texte auf.
Für Kinder und Neugierige, die einen groben Überblick über die Erdgeschichte haben möchten, lohnt sich dieses Buch. Für junge Erwachsene und Erwachsene ist es zu kindlich und für Geschichtsinteressierte zu oberflächlich.



Das Buch beginnt mit dem Urknall, bei dem subatomare Teilchen und Atome erwähnt und mit Legosteinen verglichen werden. Dann folgen Wasserstoffatome, Mirkoorganismen, Cyanobakterien, Stromatolithen und Photosynthese. Diese Begriffe werden nicht erklärt, auch nicht im angehängten Glossar.

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Veröffentlicht am 20.09.2019

Die Geschichte bleibt oberflächlich

Scythe – Die Hüter des Todes
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„Die Menschen könnten alles lesen, tun es aber nicht. Sie spielen bloß und schauen sich Katzenhologramme an.“ (S.101)

Wenn ich unsterblich wäre und auf das gesamte Wissen der Welt Zugriff hätte, hoffe ...

„Die Menschen könnten alles lesen, tun es aber nicht. Sie spielen bloß und schauen sich Katzenhologramme an.“ (S.101)

Wenn ich unsterblich wäre und auf das gesamte Wissen der Welt Zugriff hätte, hoffe ich, dass ich dieses auch nutze. Ich würde gerne viele Sprachen lernen, vielleicht auch verschiedene Instrumente,; durch die Welt reisen und mir einen schönen Ort zum Leben suchen; so lange Berufe ausprobieren, bis ich meinen Traumberuf gefunden habe. Mit einem unendlichen Leben vor mir, wäre mir mein jetztiges Leben zu eintönig. Wenn man nur begrenzt Zeit hat, gibt es eine Menge Dinge, die getan werden „müssen“. Wenn man viele Leben vor sich hat, man nicht an diversen Krankheiten sterben kann und eine höhere Macht sich um alles kümmert, wozu dann das Leben mit Nichtigkeiten verschwenden.

„Die Entwicklung der Zivilisation war abgeschlossen. Das wusste jeder. Was die Menscheit betraf, gab es nichts Neues mehr zu erfahren. Nichts an ihrer Existenz musste noch enträtselt werden. Und das bedeutete, dass kein Mensch wichtiger war als irgendein anderer. Im großen Plan der Dinge war vielmehr jeder gleich nutzlos.“ (S.18)

Genau das passiert aber in der Welt der Scythe, von Citra und Rowan. Die Menschen brauchen keine Angst vor Krankheiten oder dem Alter zu haben, selbst vor Unfällen sind sie zwar nicht sicher, werden jedoch einfach wieder belebt. Der Tod existiert in dem Sinne nicht mehr. Wenn ein Unfall passiert, oder sich jemand von einem Gebäude stürzt, ist die Person nur „totenähnlich“ und wird im nächsten Revival-Zentrum wiederbelebt.
Um jedoch das Bevölkerungswachstum etwas zu regulieren und eine Überpopulation zu verhinden, hat der Thunderhead, die KI mit einem Bewusstsein, das Scythetum gegründet. Die Scythe haben ihren eigenen Kodex, ihre eigenen Regeln, und stehen über dem Gesetz. Sie sind ausgebildet, um die Menschen nachzulesen, denn töten klingt zu real. Wer für eine Nachlese ausgewählt wird, ist willkürlich und von jedem Scythe persönlich abhängig. Sie haben eine Quote zu erfüllen, dürfen aber keinen Vorurteilen folgen.
In diesem Buch geht es um die Ausbildung von Citra und Rowan zu Scythe. Der Ehrenwerte Scythe Faraday wählt beide als seine Lehrlinge, gewährt am Ende aber nur einem die Würde des Scythetums. Faraday erzählt seinen Auserwählten gerne, warum er sie ausgesucht hat und besucht später die Beerdigungen. Er nennt das Anstand.
Es gibt auch andere Scythe, die scheinbar willkürlicher ihre Opfer auswählen. So geht Scythe Curie auf die Straße und schaut sich die Menschen an, bis sie ein passendes Opfer findet.
Scythe Goddard dagegen führt gerne Massennachlesen durch, ähnlich einem Flugzeugabsturz.
So hat jeder Scythe seine eigene Nachlesemethode, doch ihre Quote von 260 Nachlesen pro Jahr muss jeder einhalten.

„Darin liet das Paradoxon der Profession […]. Nicht diejenigen die den Job haben wollen, sollten ihn bekommen … sondern die, die sich am vehementesten weigern zu töten.“ (S.56)

Natürlich gibt es auch im Scythetum Politik und Intrigen, Machspielchen und Gier. Und so kommt es zu dem Konflikt, dass Citra und Rowan einander besiegen müssen und der Gewinner am Ende den Verlierer Nachlesen muss. Da spoilert leider schon der Klappentext, den ich zum Glück vorher nicht kannte. Für mich war diese Wendung überraschend.

Außer, dass der Klappentext spoilert, führt er auch in die Irre. Citra und Rowan haben sehr wohl eine Wahl bei ihrer Ausbildung. Scythe Faraday schlägt ihnen lediglich vor, die Lehre bei ihm zu machen, zwingt sie jedoch nicht gegen ihren Willen.
Ich vermisse auch die „tiefe Verbindung“ der beiden. Eine gewisse Anziehung ist nicht zu leugnen, die jedoch den inneren Konflitk der beiden nur künstlich fördert. Ohne diese Anziehung wäre die Geschichte nicht anders.

„Wenn man sich nicht regelmäßig in den Schlaf weint, hat man als Scythe zu wenig Mitgefühl.“ (S.99)

Zwischen den emotionalen Konflikten der beiden Teenager und den politischen Konflikten innerhalb des Scythetums, geht die Geschichte der Scythe und der ganzen Welt völlig unter. Es gibt so viele Häppchen, die dem Leser serviert, aber nicht weiter verfolgt werden. Zum Beispiel wird eine Religion erwähnt, die für die Geschichte von Rowan und Citra keinen größeren Nutzen hat. Oder der Thunderhead, der die Welt regiert. Wie konnte eine KI ein Bewusstsein erlangen?
Außerdem kommt das Wort „Scythe“ zu oft vor, lässt sich nicht gut lesen und bringt den Lesefluss durcheinander. Es muss eine Übersetzung geben, die passt; etwas vergleichbares, was nicht stört.
Die Geschichte hat viel Potential, welches durch Teenagergehabe und Machtgier verloren geht. Ein emotionales Thema wird ohne jegliches Gefühl abgearbeitet; eine Gesellschaft mit vielen Möglichkeiten nicht ausgeschöpft. Das Buch versprach etwas außergewöhnliches zu werden und ist doch nur wenig befriedigend. Die Geschichte bleibt oberflächlich.


Veröffentlicht am 29.06.2019

Zähflüssig

Der Gesang der Bienen
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Der Zeidler (heute: Imker) Seyfried ist ein einfacher Mann. Er kümmert sich um die Bienenstöcke hinter seinem Haus, sucht aber auch wilde Bienen im Wald. Er verkauft Honig, Wachs, Kerzen und andere Bienenprodukte ...

Der Zeidler (heute: Imker) Seyfried ist ein einfacher Mann. Er kümmert sich um die Bienenstöcke hinter seinem Haus, sucht aber auch wilde Bienen im Wald. Er verkauft Honig, Wachs, Kerzen und andere Bienenprodukte an umliegende Kloster und wohlhabende Bürger. Er wohnt mit seiner Frau und drei Kindern auf einer Lichtung in dem selbstgebauten Zeidlerhaus. Auch wenn ihn Schatten aus seiner Vergangenheit quälen, schafft es seine Frau Elsbeth sie immer wieder zu vertreiben.
Als Elsbeth zum Tode verurteilt und auf die Staufenburg in den Kerker verschleppt wird, macht Seyfried sich auf den Weg zur berühmten Heilerin Hildegard von Bingen.

„Sie ist ein Weib und kann allein deshalb keine Heilerin sein. Sie muss mit dem Teufel im Bunde stehen!“ […] „Wieso hört man dann landauf und landab von einer heiligen Frau, die sich auf die Heilung Kranker versteht?“ (S. 85)

Hildegard von Bingen ist eine historische Persönlichkeit, die auch heute noch mit ihren Heilungsansätzen berühmt ist. Der Autor schreibt im Nachwort, wie er sich an Hildegard als Romanfigur angenähert hat und betont noch einmal, dass Der Gesang der Bienen vor allem ein Abenteuerroman und keine Biografie sei.
Die Äbtissin Hildegard wird über allen erhaben dargestellt; sie lässt Bittsteller aus Prinzip warten, mischt sich in politische Angelegenheiten ein und demütigt hohe Persönlichkeiten mit ihren Briefen oder Boten. Doch wird sie auch als hilfsbereit und mütterlich beschrieben; sie gibt Rat bei Krankheiten und bemüht sich um das Wohl ihrer Nonnen, vor allem um das Wohl der Novizin Adelheyd. Die hochehrwürdige Mutter bezeichnet sich selbst als „einfachste Dienerin ihres Herren“ (S. 408), doch benimmt sie sich gegenüber dem weltlichen König, der mit Gottes Gnaden regiert, nicht sehr einfach oder demütig: „Adelheyd ging auf die Knie, während Hildegard sich nicht einmal verbeugte.“ (S.405)
Als Seyfried auf sie trifft, wird er auf eine harte Geduldsprobe gestellt: nachdem er fast zwei Tage auf eine Audienz gewartet hat, gibt Hildegard ihm einen auf den ersten Blick unlösbaren Auftrag: er soll ihr einen Schwarm Bienen bringen. Doch der Zeidler ist einfallsreich und bringt ihr nicht nur die Bienen, sondern hilft dabei auch noch dem ortsansässigen Zeidler und seiner Tochter Hanna. Allerdings ist die hochehrwürdige Mutter Hildegard nicht so einfach zufrieden zu stellen und Seyfried läuft die Zeit davon.

„Noch dazu kennt sich auch Hanna mit Bienen aus. Sie mag langsam sein in ihrem Denken, aber sie kann den Gesang der Bienen hören.“ (S.264)

Die Bienen sind ein durchgängiges Thema in diesem Buch. Die Kinder von Seyfried und Elsbeth wachsen mit einem eigens gedichteten Bienenlied auf, das Summen erfüllt im Sommer die Luft und Verhaltensweisen der Bienen werden ausführlich beschrieben, vor allem das Schwarmverhalten. Trotzdem sind die Bienen eher Mittel zum Zweck. Ein schönes Beiwerk zur Geschichte. Seyfried könnte auch Botaniker sein und Hildegard eine seltene Pflanze verlangen. Die Geschichte würde gleich ausgehen. Vielleicht hatte der Autor mit dem Gesang der Bienen eine Anspielung auf die Familie des Zeidlers im Sinn, welcher sich mir nicht erschlossen hat.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Religion. 1152 ist das Christentum weit verbreitet und überall finden sich Ritter auf Kreuzzügen oder erzählen von diesen. Die Äbtissing Hildegard ist erst kürzlich nach Bingen gezogen um dort ein neues Kloster aufzubauen. Die Nonnen verbringen ihre Tage mit Beten und Arbeiten. Seyfrieds Frau und Kinder beten regelmäßig vor dem Essen und zu Bett gehen. Einzig Seyfried hat den Glauben an einen barmherzigen Gott verloren. Dies führt zu Irritation und Reibereien vor allem mit Hildegard.

Neben Hildegard und dem Zeidler Seyfried geht es auch noch um seine Tochter Anna. Sie ist 14 Jahre alt und muss nach der Verurteilung ihrer Mutter mit ihrem Bruder zusammen auf der Staufenburg in der Küche arbeiten.

Der Gesang der Bienen ist ein Abenteuerroman. Über einen Mann, der seine Frau retten möchte; über ein Mädchen, das zu schnell erwachsen werden muss; über einen Mord, der gesühnt werden soll; über eine Äbtissin und ihre Ränkespiele. Die Reise Seyfrieds ist lang und mühselig, denn er ist zu Fuß unterwegs. Dementsprechend langwierig ist auch die Geschichte.
Das Ende war zufriedenstellend, da alle losen Fäden zusammengeführt wurden und einen Abschluss gefunden haben. Bis dahin wirkten Teile der Geschichte zusammenhanglos und wie Füllmaterial. Anstrengend waren die Spiele Hildegards mit Elsbeths Leben; ich habe zwar am Ende ihre Gründe dafür nachvollziehen können, trotzdem wirkte ihr ganzes Gehabe unnötig. Das Buch liest sich durch die ständigen Wortwechsel zwischen Seyfried und Hildegard zähflüssig. Einzig Annas Geschichte bringt etwas Spannung, die ebenso schnell vergeht wie Honig auf der Zunge.