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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.03.2020

Für meinen Geschmack viel zu überzogen und teils unlogisch

Unter der Erde
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Ich habe eine große Schwäche für Bücher, in denen ein ganzes Dorf (oder mehrere Leute dort) dunkle Geheimnisse verbergen. Insofern hat mich „Unter der Erde“ sofort interessiert. Der Anfang war auch gleich ...

Ich habe eine große Schwäche für Bücher, in denen ein ganzes Dorf (oder mehrere Leute dort) dunkle Geheimnisse verbergen. Insofern hat mich „Unter der Erde“ sofort interessiert. Der Anfang war auch gleich vielversprechend. Der Schreibstil liest sich angenehm, das bleibt auch im ganzen Buch so. Wenn wir den Hauptcharakter Elias zu Beginn im Auto auf die Fahrt in das kleine Dorf in der Lausitz begleiten, dann ist das herrlich farbig beschrieben. Kleine Eindrücke fließen ein und tragen zur bildhaften Erzählweise bei. Man sieht es alles vor sich und spürt die flirrende Sommerhitze. Elias selbst ist ein ziemlicher Antiheld – man stellt sich einen übergewichtigen unfitten Althippie vor, was ich mal ganz angenehm fand. Auch das Dorf, das letztlich nur aus einer Straße besteht, ist in seiner ganzen Trostlosigkeit wunderbar eingefangen. Man spürt die Beklemmung geradezu und das Dorfleben, der Geburtstagskaffee von Elias Großvater Wilhelm sind sehr realistisch beschrieben.

Schon ziemlich zu Beginn wird klar, daß im Dorf etwas nicht stimmt und diese Verdachtsmomente schrauben sich gelungen nach und nach hoch. Elias fallen Unstimmigkeiten auf und ich habe sehr gebannt gelesen, um zu erfahren, wie das alles zusammenhängt. Der Autor flicht einige Gespräche von zwei unbekannten Leuten ein, die diese per Funkgerät führen, wodurch wir noch einige Informationen erhalten, die Elias nicht bekommt. Außerdem reisen wir immer wieder mal in die Vergangenheit, einerseits durch Elias‘ Kindheitserinnerungen, andererseits durch Textpassagen, die 1946 spielen. Das ist alles abwechslungsreich gemacht und gibt uns verschiedene Möglichkeiten, unser Bild zu vervollständigen. Auch als Elias anfängt, ein wenig nachzuforschen, war das genau mein Geschmack. Ich erwartete mir eine interessant geschilderte schrittweise Aufdeckung, neue Puzzleteile, neue Erkenntnisse.

Nach dem vielversprechenden Anfang wurde diese Erwartung aber leider dann größtenteils nicht erfüllt. Ein wenig störend fand ich die anfänglich Überbenutzung von „Schockmomenten“ – ständig taucht überraschend jemand auf, ruft überraschend jemand an, bricht überraschend was zusammen. Elias kann kein Papier lesen, keinen Anruf machen, ohne nicht von so etwas unterbrochen zu werden. Diese inflationäre Mini-Cliffhanger-Praxis hat mir schon Fitzeks Bücher verleidet und nutzt sich schnell ab. Das hat hier aber das Lesevergnügen nicht wesentlich beeinträchtigt. Für mich schlug das Buch exakt ab Kapitel 13 eine Richtung ein, die mir dann immer weniger gefiel. Die Handlung wird dann aber leider auch immer abgedrehter und teilweise unlogisch.

Mit den interessanten Nachforschungen und Puzzlestücken ist es dann auch fast vorbei. Fast die gesamte zweite Hälfte des Buches besteht in einem langgezogenen Showdown und das ist nicht mein Geschmack. Erfreulicher waren in diesem Buchabschnitt die Rückblicke in das Jahr 1946, die historisch interessant und zudem anschaulich geschildert waren. Leider werden diese zum Ende hin immer holzhammermäßiger. Sie sollen uns aufzeigen, wie hart und mitleidlos jemand wird und das wird uns nicht nur in immer neuen Beispielen geschildert, sondern auch noch mehrfach mitgeteilt, obwohl der Leser es schon begriffen hat. Das war unnötig und beim Lesen eher ärgerlich. Auch der Showdown hat zwar einige spannende Momente – gerade bei einem Charakter gelingt es dem Autor hervorragend, uns bis fast zum Ende rätseln lassen, auch welcher Seite dieser steht – und es kommt auch durch Elias‘ Erinnerungen eine Entwicklung ans Licht, mit der ich nie gerechnet hatte und die ausgezeichnet geschildert wird. Aber sonst folgt der Showdown in großen Teilen dem üblichen Showdownverlauf und birgt wenig Überraschungen. Dafür werden einige ausgesprochen skurrile Szenen eingebaut, die teilweise auf mich letztlich albern wirkten. Insofern war diese zweite Hälfte fast nur in den Rückblicken erfreulich zu lesen.

Das dunkle Geheimnis des Dorfes war mir dann auch einfach zu übertrieben, zu unglaubwürdig. Es bleiben auch einige Fragen unbeantwortet und es gab mehrere Logiklöcher. Insofern entsprach das Buch leider aus mehreren Gründen nicht meinen Erwartungen. Wer nichts gegen eine überzogene Handlung hat und gerne längere Showdowns liest, wird hier auf seine Kosten kommen und man muß auch loben, daß der Autor sich absolut einiges hat einfallen lassen und sich nicht scheut, ungewöhnliche Wege zu gehen. Mein Geschmack war es aber leider größtenteils nicht.

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Veröffentlicht am 02.03.2020

Handlungsarm und distanziert - der Zauber fehlt

Konzert ohne Dichter
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Nachdem ich von "Keyserlings Geheimnis" des gleichen Autors sehr angetan war, habe ich "Konzert ohne Dichter" mit hohen Erwartungen gelesen. Der Vergleich zwischen beiden Büchern bleibt nicht aus, liegt ...

Nachdem ich von "Keyserlings Geheimnis" des gleichen Autors sehr angetan war, habe ich "Konzert ohne Dichter" mit hohen Erwartungen gelesen. Der Vergleich zwischen beiden Büchern bleibt nicht aus, liegt beiden doch ein ähnliches Konzept zugrunde.

"Konzert ohne Dichter" führt uns ins die Künstlerkolonie Worpswede zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Aufhänger ist das Gemälde "Das Konzert" des Malers Heinrich Vogeler, welches vorne im Buch farbig abgedruckt ist. Das ist eine gute Idee und ich habe es mir beim Lesen oft angesehen, da es in der Geschichte eine tragende Rolle spielt und Details davon immer wieder beschrieben werden.

Die Rahmenhandlung spielt im Jahr 1905, als ebendieses Gemälde in einer Ausstellung gezeigt werden soll und Vogeler an die Zeit zurückdenkt, in der er das Bild malte. Zahlreiche Rückblicke führen uns in dieses Zeit, durch die Freundschaft zwischen Vogeler und dem Dicher Rainer Maria Rilke. Leider tun sie das aber ziemlich blutarm. Vogeler sinniert ausgesprochen viel, wir sind selten bei einer Handlung wirklich dabei, sondern erfahren sie durch Vogelers Gedanken oder bekommen sie im Fließtext fast reportageartig erzählt. Gerade zum Ende hin hatte ich fast das Gefühl, daß der Autor rasch fertig werden wollte, denn die letzten Geschehnisse werden ein wenig lieblos heruntererzählt. Bei "Keyserlings Geheimnis" war ich beeindruckt, wie lebendig Charaktere, Orte und Geschehnisse wirkten, oft hatte ich beim Lesen fast das Gefühl, vor Ort zu sein. In "Konzert ohne Dichter" hatte ich das nie. Die Charaktere bleiben mir fremd, blieben fast nur Namen. Die Schönheit von Worpswede wird nicht spürbar.

Die sehr handlungsarme, sinnierende Erzählweise schleppt sich dahin, da leider für mich auch die Atmosphäre fehlte, die auch handlungsarmen Büchern etwas Besonderes geben kann. Ich habe zwischendurch eine Woche mit dem Lesen aufgehört, weil es mich nicht gereizt hat. Während ich bei "Keyserlings Geheimnis" von der Sprache des Autors ganz hingerissen war, findet sich hier dieser Zauber nicht wieder. Natürlich ist der Schreibstil gut, aber das gewisse Etwas fehlte mir hier.

Das Buch, einige Jahre vor "Keyserlings Geheimnis" verfaßt, erschien mir wie eine blassere, kraftlosere Aufwärmübung, als ob die Kraft und der Zauber, die "Keyserlings Geheimnis" so herausheben, hier noch nicht erweckt worden wären.

Informativ ist aber auch "Konzert ohne Dichter", die sorgfältige Recherche merkt man durchaus, die sorgfältige Arbeitsweise ebenso. Die Thematik ist ebenfalls durchaus interessant und wer etwas über die Hintergründe dieses Bildes oder über Vogeler und Rilke erfahren möchte, wird hier viele Informationen finden. In diese Welt eintauchen konnte ich aber leider keineswegs und so bin ich froh "Keyserlings Geheimnis" zuerst gelesen habe, weil ich nach "Konzert ohne Dichter" auf weitere Bücher des Autors nicht neugierig gewesen wäre.

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Veröffentlicht am 08.01.2020

Interessante Themen, die Erzählweise ließ mich leider kalt

Die Wunderheilerin
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Ich habe mich gefreut, einen in Leipzig spielenden historischen Roman zu entdecken. Leider vermerkt die mir vorliegende Ausgabe nirgendwo, dass es Band 3 einer Trilogie ist, das habe ich nur zufällig beim ...

Ich habe mich gefreut, einen in Leipzig spielenden historischen Roman zu entdecken. Leider vermerkt die mir vorliegende Ausgabe nirgendwo, dass es Band 3 einer Trilogie ist, das habe ich nur zufällig beim Lesen anderer Rezensionen entdeckt. Das erklärt, warum das Buch gleich mit einem Mordversuch beginnt, dessen Hintergründe nachher nie erklärt werden. Ansonsten aber merkt man im positiven Sinne nicht, daß es schon zwei Vorgängerbände gibt. Notwendige Hintergründe werden - leider sehr wiederholt - erklärt, ansonsten ist es eine eigenständige Geschichte.

Wir befinden uns in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts und es werden mehrere interessante Themen jener Zeit behandelt. So heiratet die Hauptperson Priska den Arzt Adam, der so seine Homosexualität verbergen möchte. Priska und Adam befassen sich mit gesundheitlichen Fragen, so die Behandlung der Syphilis und Möglichkeiten der Empfängnisverhütung. Auch die Anfänge der Reformation und ihre Auswirkungen werden geschildert. Dies ist eine gute Themenvielfalt, die auch nicht schon in zahllosen anderen historischen Romanen behandelt wurde.

Leider aber hat mich das Buch trotz dieser Themen nicht packen können. Es liest sich recht leicht, der Stil ist einfach. Historische Hintergründe sind teils gelungen eingebracht und, soweit ich das beurteilen kann, gut recherchiert. Allerdings ließen mich alle Charaktere kalt. Es gibt eigentlich nur fünf Hauptpersonen, aber denen wird kein Leben eingehaucht. Man liest beschreibend über sie, nimmt die Informationen zur Kenntis, aber die Charaktere bleiben fast durchweg Namen auf Papier. Auch tragische Geschehnisse konnten mich so nicht berühren. Die Geschehnisse selbst sind irgendwie blutleer berichtet. Es werden keine Emotionen erweckt. Symptomatisch ist unter anderem auch der Tod eines noch halbwüchsigen Charakters. Er kommt im Buch nur in Nebensätzen vor, hat selbst keine eigene Dialogzeile. Irgendwann, nach über 200 Seiten, findet er einen gewalttätigen Tod. Das kann kaum anrühren, da er kaum Teil der Geschichte war.

Auch sind viele Handlungen und Motivationen nicht nachvollziehbar. Das zeigt sich inbesondere an der Hauptperson Priska. Diese ist schon fast zu gut für diese Welt. Ihre Schwester, Regina, von Anfang an eher schablonenhaft dargestellt, ist Priska übel gesonnen. Das hindert diese aber nicht, die Schwester regelmäßig zu besuchen, ihr Dinge zu bringen und sich dabei beleidigen zu lassen. Sie zeigt darauf kaum eine Reaktion, setzt ihre Besuche fort - ein weiteres Beispiel für die blutleere Erzählweise. Auch nachdem Regina ihr etwas wirklich Schlimmes, Gravierendes antut, beeinflusst das Priskas Verhalten ihr gegenüber nicht nachhaltig. Später bedroht, erpresst Regina Priska - die ergreift weder Gegenmaßnahmen noch Konsequenzen, überlegt sogar noch, wie sie der Schwester eine kleine Freude machen kann und entschuldigt sich am Ende, Regina keine gute Schwester gewesen zu sein. Da konnte ich beim Lesen nur mit dem Kopf schütteln.

So gab es hier sicher gute Ansätze, gelungen ausgewählte Themen, über die zu lesen hier teilweise interessant war. Aber ich kann mich an wenige Bücher erinnern, deren Charaktere und Ereignisse mich emotional so wenig berührt haben.

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Veröffentlicht am 30.12.2019

Ein durchwachsenes Leseerlebnis

Die Erbin der Teufelsbibel
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Das Buch beginnt mit einer ausgezeichnet geschilderten Szene, die dem Leser jene schrecklichen Jahre des 30jährigen Krieges sehr nahe bringt – die absolute Verrohung der Soldaten, die Menschen aus purem ...

Das Buch beginnt mit einer ausgezeichnet geschilderten Szene, die dem Leser jene schrecklichen Jahre des 30jährigen Krieges sehr nahe bringt – die absolute Verrohung der Soldaten, die Menschen aus purem Vergnügen quälen und abschlachten; das Ausgeliefertsein der Zivilisten. Im Laufe dieses dritten Bandes der Teufelsbibel-Trilogie finden sich viele weitere solcher farbig und gut geschriebenen Szenen. Ich habe durch das Buch viel über den 30jährigen Krieg gelernt, man merkt die genaue historische Recherche. Neben den größtenteils fiktiven Charakteren begegnen uns auch historische Personen, die gut in die Geschichte eingeflochten werden. In einem informativen Nachwort berichtet der Autor von seiner Recherche und seinen Quellen – auch hier merkt man, daß viel Arbeit und Sorgfalt in das Buch geflossen sind. Das ist erfreulich. Was angesichts dieser Sorgfalt verwundert, sind die oft viel zu modernen Dialoge. Im Nachwort schreibt der Autor daß er „kein Freund künstlich rustikal gefärbter Dialoge“ ist. Da bin ich ganz bei ihm, solche Dialoge wirken gestelzt und manchmal sogar albern. Das ist aber kein Grund für vorgreifend anachronistische Dialoge, die mir im Buch immer wieder ärgerlich aufgefallen sind. Da wird historisch falsch gesiezt und bei manchen Dialogen fühlte ich mich eher wie im 20. denn im 17. Jahrhundert. So fragt an einer Stelle ein Charakter: „Alles klar?“ und auch sonst gibt es immer wieder solche Beispiele. Das ist für mich ein Schwachpunkt. Zwischen „künstlich rustikal gefärbten“ und viel zu modernen Dialogen gibt es eine Menge Spielraum und viele andere Autoren zeigen, wie man dies gut umsetzen kann.

Ich bin erst mit diesem dritten Band in die Trilogie eingestiegen. Das klappte erstaunlich gut; viele relevante Geschehnisse aus den früheren Bänden werden kurz erklärt, auch die Verwandtschafts- und Beziehungsverhältnisse werden ab und an erläutert. Teilweise geschieht dies leider auch etwas zu häufig, an manchen Stellen wäre weniger mehr gewesen. Dafür sind andere Teile der Handlung nur unzureichend erklärt. So werden Charaktere in einem Dorf gefangengesetzt, nachdem ihnen zunächst Begleitschutz angeboten wurde. Warum sie plötzlich Gefangene sind, erfährt man nie. Die sinistren Absichten einer Feldherrengattin werden angedeutet, aber nie aufgelöst. Viele Stellen waren einfach verwirrend, was nichts damit zu tun hatte, daß es der dritte Band ist.

Es gibt im Buch zahlreiche Schlachten- und Kampfszenen, oft sehr ausführlich. Diese mögen gut geschildert sein, waren mir aber zu häufig und zu lang. Das ist natürlich absolut persönlicher Geschmack – wer solche Szenen mag, wird hier viel Lesefreude haben.

Ärgerlich fand ich es, daß zu oft der Zufall zu Hilfe kommt. Die Charaktere begegnen sich auf dem doch großen Areal zwischen Würzburg und Prag immer wieder zufällig und im richtigen Moment. In einem Fall kommen so viele Zufälle zusammen, daß ich mich als Leser nicht ernst genommen fühlte. Auch die Charaktere sind oft nicht glaubhaft. Ein Charakter erledigt spielend ganz alleine vier oder fünf Wachmänner. Auf eine Person wird im Laufe des Buches mehrere Male aus kurzer Entfernung geschossen. Sie überlebt jedes Mal, kann auch mit einer frischen Schußwunde herumlaufen und viel erledigen, und das im Alter von weit über 70 Jahren. Überhaupt sind die älteren Herrschaften (zwischen 70 und 80 Jahren) bemerkenswert fit, flink und kampftüchtig. Das wär schon heute überraschend, im 17. Jahrhundert ist es in dieser Häufung unglaubwürdig.

Die Charaktere sind vielfältig, was mir gut gefiel. Einige haben mich angerührt und wir bekommen Einblick in die Gedanken und das Seelenleben sehr unterschiedlicher Personen. Ungewöhnliche Freundschaften und Schicksalsgemeinschaften bilden sich in jener alles durcheinanderwerfenden Zeit und werden vom Autor ausgezeichnet geschildert. Ich bin kein großer Fan von Liebesgeschichten, hier aber wird eine solche gelungen geschrieben, ohne Kitsch und Pathos, sehr berührend. Eine andere Liebesgeschichte dagegen findet fast nur durch erotische Handlungen und Gedanken statt, was schnell langweilte. Wie man merkt, hinterläßt das Buch in mir zwiespältige Eindrücke; das setzt sich auch weiter fort: in manchen Szenen ist der Humor herrlich, an anderen Stellen kippt er ins Alberne. Es gibt Szenen, die ich großartig fand, aber auch viele, die zur Geschichte nichts beitrugen und überflüssig oder zu lang waren. Es gibt tolle Sätze, die ich mehrfach las, beeindruckende Handlungsstränge, eine Vielfalt spannender historischer Themen. Aber auch sich ständig wiederholende Motive, eine umständliche Vielzahl von Handlungsorten und Personen, eine unnötige Komplexität und Detailverliebtheit. So war für mich „Die Erbin der Teufelsbibel“ ein eher gemischtes, durchwachsenes Leseerlebnis.

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Veröffentlicht am 20.12.2019

Spannendes Thema, gut recherchiert, nicht nach meinem Geschmack umgesetzt

Wir sehen uns unter den Linden
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Der Einstieg in dieses Buch war perfekt. Im Frühling 1945 begleiten wir Suse von der Schule nach Hause, wo sie zu ihrem Entsetzen nicht nur ihre Eltern, sondern auch die Gestapo vorfindet und eine Katastrophe ...

Der Einstieg in dieses Buch war perfekt. Im Frühling 1945 begleiten wir Suse von der Schule nach Hause, wo sie zu ihrem Entsetzen nicht nur ihre Eltern, sondern auch die Gestapo vorfindet und eine Katastrophe passiert. Ich habe auf diesen Seiten mit Suse gezittert, war gerührt von ihren Erinnerungen an eine behütete Kindheit, ein liebevolles Elternhaus. Es war also alles da – Spannung, eine Protagonistin, mit der man mitfühlte, geschichtlicher Hintergrund. Nach dem gelungen-dramatischen Einstieg reisen wir ins Jahr 1928 und eine ganz andere Welt – das Berlin der Weimarer Republik, das vielfältige Kunstleben und die Liebesgeschichte von Suses Eltern. Auch hier ist der historische Hintergrund hervorragend geschildert, überhaupt ist die historische Recherche im ganzen Buch bemerkenswert. Eine Zeittafel und ein Glossar am Ende des Buches bieten weitere nützliche Informationen. Es ist immer eine Freude, wenn historische Romane so sorgfältig konzipiert sind.

Charlotte Roth gelingt es auch gut, die historischen Ereignisse mit den persönlichen Schicksalen ihrer Charaktere zu verbinden. Schon im 1928-Kapitel erkennt der aufmerksame Leser abgesehen von dem offensichtlichen Thema des sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Hintergrundes von Suses Eltern (leider verpufft dieses Thema nach seiner ausführlichen Einführung rasch und wird nicht genutzt) noch weitere Themen, die auf tragische Entwicklungen hindeuten. Im Laufe des Buches arbeitet die Autorin mit den Zeitsprüngen, ohne die fast kein historischer Roman mehr auszukommen scheint. Während der Haupterzählstrang die mittlerweile erwachsene Suse zwischen 1952 und 1961 begleitet, gibt es immer wieder Kapitel, die in die Nazizeit zurückblicken und uns so die Hintergrundgeschichte Stück für Stück nahebringt. Das funktioniert gut und ist interessant. Im Hauptstrang gibt es ebenfalls einige Zeitsprünge, zwischendurch werden immer mal zwei, drei Jahre übersprungen. Leider gehen dadurch auch einige Fragen und Themen unter. Eine Person, die uns zu Beginn des Buches sehr ausführlich geschildert und uns somit als einer der Hauptcharaktere nahegebracht wird, versinkt schon bald zur Randnote, deren Tod dann schließlich nur noch in einem Nebensatz erwähnt wird. Das fand ich unerfreulich. Auch andere Entwicklungen erhalten nicht die notwendige Aufmerksamkeit, während es dagegen zahlreiche langatmige Passagen gibt, die wesentlich kürzer gehalten (oder ausgelassen) hätten werden können. So fehlte mir beim Lesen die Ausgewogenheit.

Es war interessant, einen Roman zu lesen, der den Hauptfokus auf die frühen Jahre des Lebens in der DDR richtet. Dazu gibt es nicht viele Bücher und ich habe mich gefreut, hierzu mehr zu erfahren. Gelernt habe ich auch eine ganze Menge – ich kann nur noch einmal die historische Recherche und Einbindung loben, wenn auch vieles zu oft wiederholt wird. Allerdings war der „DDR-Strang“ leider für meinen Geschmack insgesamt nicht gelungen. Das liegt zum einen daran, daß Suse, mit der man am Anfang so noch mitfühlt, sich zu einer unsympathischen Protagonistin entwickelt, an der ich wenig Anteil nehmen konnte und über die ich nicht gerne las. Sie ist von der DDR absolut überzeugt, was ein wenig durch ihre Erfahrungen in der Nazizeit erklärt wird. (Warum ein Familienfreund so überzeugter Genosse wird und zudem noch problemlos bis in die höchsten Partei- und Stasilevel aufsteigt, wird leider nicht hinreichend erklärt, was ich sehr schade fand). Sie ist dabei schon fast fanatisch, sogar ein einfacher Ausflug von Ost- nach West-Berlin kommt für sie nicht in Frage und bei jeder Gelegenheit betet sie DDR-Parolen herunter. Die dunklen Seiten des Regimes blendet sie aus – es fällt ihr zwar auf, wie menschenverachtend die DDR agiert, aber es findet keine innere Entwicklung bei ihr statt (anders als der Klappentext es darstellt). Sie verliebt sich dann ausgerechnet in einen West-Berliner, Kelmi, und das war für mich die zweite Schwäche dieses Strangs. Von Anfang an ist nicht verständlich, was die beiden aneinander finden. Suse behandelt Kelmi wie den letzten Dreck, während er ihr wochenlang hinterherrennt, ohne daß wir Leser verstehen, warum er das tut, was sie für ihn so anziehend macht. Es wird uns als Fakt präsentiert, daß die beiden einander lieben, ohne daß es uns auch nur einmal glaubhaft dargestellt wird. In den neun Jahren der „DDR-Handlung“ streiten sie sich immer und immer wieder über die ewiggleichen Themen – Suse hat ihre festgefahrenen Meinungen über den Westen, Kelmi kann mit dem Osten nichts anfangen. Neun Jahre lang die immer gleichen Auseinandersetzungen, bei denen Suse alle Argumente wegwischt und ihre Parolen runterbetet. Das war beim Lesen langatmig und enervierend, auch wurde immer weniger klar, warum diese beiden eigentlich zusammenbleiben, denn außer zu streiten tun sie nicht wirklich viel.
Insofern war der Hauptteil der Geschichte für mich unglaubwürdig, sich wiederholend (auch das „Wir sehen uns unter den Linden“-Motiv wird als Satz im Buch überbenutzt) und hielt sich zudem bei Nebensächlichkeiten detailverliebt auf. Ich hatte zwischendurch keine große Lust, weiterzulesen.

Die Rückblicke waren vielfältiger und interessanter, manchmal aber so distanziert berichtet, daß man zu den Emotionen der Charaktere kaum Zugang bekommt. Das Ende ist originell und unerwartet, aber auch ziemlich distanziert. So war „Wir sehen uns unter den Linden“ einerseits zwar ein Buch mit ausgesprochen interessanter Thematik und beeindruckender historischer Recherche, das einige wundervoll geschriebene Abschnitte enthielt, die mich fesselten und emotional berührten. Leider aber war der Hauptteil für mich nicht überzeugend, die Gewichtung der Erzählweise nicht nach meinem Geschmack, die Nähe zu den meisten Charakteren, insbesondere der Protagonistin Suse, nicht vorhanden.

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