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Veröffentlicht am 22.03.2020

Inselgeheimnisse - Karen Eiken Hornbys zweiter Fall

Doggerland. Tiefer Fall (Ein Doggerland-Krimi 2)
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Im zweiten Fall der Doggerland-Reihe verschlägt es Kommissarin Karen Eiken Hornby ausgerechnet zu Weihnachten auf eine Insel im unwirtlichen Norden der fiktiven Inselgruppe zwischen Skandinavien und Großbritannien. ...

Im zweiten Fall der Doggerland-Reihe verschlägt es Kommissarin Karen Eiken Hornby ausgerechnet zu Weihnachten auf eine Insel im unwirtlichen Norden der fiktiven Inselgruppe zwischen Skandinavien und Großbritannien. Ein alter Mann ist zu Tode gestürzt - oder wurde ihm nachgeholfen? Die Reise auf die Insel Noorö kommt der Polizistin nicht ganz ungelegen. Denn war sie im ersten Band noch die einsame Wölfin, die nach reichlich Alkohol und einem One night stand mit ihrem Chef einen Fall übernehmen musste, in dem besagter Chef zudem unter Mordverdacht stand, hat sie nun beinahe mehr Menschen um sich herum, als sie ertragen kann.

Doch auch auf Noorö, der Heimat ihres verstorbenen Vaters, gibt es Verwandtschaft - und das Wiedersehen verläuft nicht ganz so, wie Karen es erwartet hat. Hat einer ihrer Cousins, Mitglied einer Motorradgang, womöglich seine Finger bei dem ungeklärten Todesfall im Spiel? Es bleibt nicht bei einer Leiche und zwischen Weihnachten und Silvester werden die Ermittlungen durch urlaubende Kollegen und vergrätzte Provinzpolizisten erschwert.

Kälte, Einsamkeit, Nebel und Isolation auf der Insel im hohen Norden werden athmospärisch dicht beschrieben. Amouröse Verwicklungen muss Karen diesmal nicht fürchten, doch Privates und ihre von einem tragischen Unfall geprägte Vergangenheit überschatten auch die aktuellen Ermittlungen. Vielleicht liegt es ja auch an diesen Ablenkungen, dass Karen sich von Indizien und Spuren erst einmal nur in eine Richtung leiten lässt und erst spät erkennt, dass alles ganz anders ist. Dabei gerät sie in tödliche Gefahr und hat es mit einem perfiden Gegner zu tun, dessen wahren Charakter sie nur zufällig durchschaut.

Die vom Schicksal gebeutelte Kommissarin ist eine toughe Kämpferin - und hat Freunde, auf die sie bauen kann. Vielleicht ist das Leben einer einsamen Wölfin ja doch nicht die einzige Option. Im zweiten Band der Doggerland-Reihe entwickelt sich Karen Eiken Hornby auch als Person weiter. Auch wenn einige der Figuren aus dem ersten Band erneut eine Rolle spielen, ist der Plot in sich abgeschlossen und auch Neu-Leser finden gut in das Setting. Da kann man gespannt sein, was sich Autorin Maria Adolfsson als nächstes zu der Doggerland-Kommissarin einfallen lässt.

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Veröffentlicht am 22.03.2020

Das Mädchen und der Paramilitär

Milchmann
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Es ist eine zerrissene, disfunktionale Welt, in der die namenlose 18-Jährige Protagonistin des Romans "Milchmann" der nordirischen Autorin Anna Burns heranwächst. Autobomben Busentführungen Kontrollen ...

Es ist eine zerrissene, disfunktionale Welt, in der die namenlose 18-Jährige Protagonistin des Romans "Milchmann" der nordirischen Autorin Anna Burns heranwächst. Autobomben Busentführungen Kontrollen der paramilitärischen "Verweigerer" wie auch der Soldaten des "Landes jenseits der See", eine Gemeinschaft, die ebenso kontrollierend wie schützend wirkt, eine Trennwand die die Stadtvierteln "der Unsrigen" und der "Anderen" voneinander trennt. Selbst wenn man nicht schon aus dem Klappentext wüsste, dass Anna Burns in Belfast geboren wurde, wecken gleich die ersten Buchseiten Bilder aus dem nordirischen Bürgerkrieg, vermutlich 1970-er Jahre.

Doch die Stadt, das Land die Menschen bleiben fast immer namenlos. Die Ich-Erzählerin gilt in der Familie nur als die "Mittelschwester", die aud Erste, Zweite und Dritte Schwester gefolgt ist. Die drei jüngsten Schwestern gelten sogar als Gruppe zusammengefasst nur als die "Kleinen Schwestern". Ein Bruder ist im Bürgerkrieg ums Leben gekommen, liegt auf dem besonderen Teil der "Verweigerer" auf dem Friedhof begraben, ein anderer ist auf der Flucht - eine ganz übliche Familiengeschichte im Viertel der jungen Frau, die sich mit Politik am liebsten gar nicht befassen würde.

Die junge Frau, der die Mutter bereits mit Fragen nach einem Heiratskandidaten in den Ohren liegt, übt ihre kleinen Fluchten - die unverbindliche Beziehung zu "Vielleicht-Freund", Joggen mit Schwager Nummer drei, Französichkurs im Stadtzentrum, wo sie Normalität mit den "Anderen" erleben kann, und die Bücher aus dem 19. Jahrhundert, in die sie zur Irritation ihrer Nachbarn beim Gehen die Nase steckt. Das 20. Jahrhundert kann sie nämlich nicht ausstehen, nicht einmal seine Bücher.

Das trotz der politischen Trubulenzen gewollt ruhige Leben wird allerdings gestört, als sich der "Milchmann" der jungen Frau nähert, sie beobachtet, zu erkennen gibt, dass er alles über sie weiß. Der Stalker, Mitte 40 und ein hohes Tier bei den "Verweigerern" bringt mit seiner unerwünschten Aufmerksamkeit das Leben der jungen Frau durcheinander. Plötzlich wird über sie geredet. Kameras klicken, wenn sie durch den Park joggt. "Verweigerer-Groupies" bieten ihr die Freundschaft an, es wird über sie geredet, und obwohl sie den Milchmann fürchtet und zu vermeiden versucht, wird ihr eine Affäre angedichtet.

"Milchmann" ist eine Coming of Age-Story in unruhigen Zeiten, ein Roman über innere Einsamkeit und Flucht in die Selbstisolation, über sozialen Druck und Zusammenhalt in einem Quasi-Belagerungszustand. Die Endlosssätze inneren Monologs können da durchaus als Gedankenschleifen in einer Situation ohne Ausweg gesehen werden. Dabei bleiben die meisten Menschen im Umfeld der Erzählerin merkwürdig blass und unscharf, von einer gewissen Beliebigkeit. Ist die Namenlosigkeit der Figuren künstlerische Marotte? Vielleicht soll sie ja auch verdeutlichen, dass religiöses oder politisches Sektierertum in Bürgerkriegsgesellschaften nicht auf eine bestimmte Gesellschaft beschränkt sein muss. Die Geschichte der Erzählerin könnte ebenso gut im Libanon der 70-er Jahre, in Afghanistan oder im Irak spielen können.

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Veröffentlicht am 08.02.2020

Glaubwürdige Ermittlerin und spannender Plot - "Nächte des Zorns"

Nächte des Zorns
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Eigentlich ist Amanda Lund, Unterhändlerin der schwedischen Polizei und Mitglied eines Sondereinsatzkommandos, nach ihrer Rückkehr aus der Mutterschutzzeit, noch nicht wieder zurück auf ihrem alten Fitnesslevel. ...

Eigentlich ist Amanda Lund, Unterhändlerin der schwedischen Polizei und Mitglied eines Sondereinsatzkommandos, nach ihrer Rückkehr aus der Mutterschutzzeit, noch nicht wieder zurück auf ihrem alten Fitnesslevel. . Doch dann hat die alleinerziehende Mutter von Zwillingen keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, ob sie wirklich schon wieder einsatzfähig ist: Im Kosovo ist ein schwedischer Polizist entführt worden. Amanda Lund hat gerade genug Zeit, einen Babysitter zu organisieren, dann geht es zurück auf den Balkan, den sie von einer früheren Mission gut kennt. Es geht schließlich um einen Kollegen.

Mit ihrem zweiten Buch "Nächte des Zorns" stellt die schwedische Autorin Anna Tell erneut Unterhändlerin Amanda Lund in den Mittelpunkt eines spannenden Kriminalthrillers, bei dem Polizeiarbeit , Korruption und ein Fall von persönlicher Rache verwoben werden.

Der Einsatz erweist sich als kompliziert - in Schweden verschwindet die Ehefrau des Entführten, in Pristina dagegen ist der Vorgesetzte des Beamten merkwürdig unkooperativ und hat, wie sich schnell herausstellt, reichlich Dreck am Stecken. Hat die Drogenmafia mit dem Fall zu tun - und warum wurde eine Kamera im Garten des Entführten versteckt? Bei ihren Ermittlungen erhäkt Lund unerwartete Unterstützung von einer ehemaligen Polizistin, die als Angestellte eines dubiosen Sicherheitsexperten erkennt, dass ihr jüngster Auftrag erhebliche Konsequenzen haben könnte. Der Ermittlungsspagat zwischen Balkan und Schweden droht zu einem Wettlauf gegen die Zeit zu werden.

Anna Tell ist selbst Kriminalkommissarin, war auf Auslandsmissionen im Einsatz. Sie weiß, wovon sie schreibt - das merkt man ihrem Buch wie schon ihrem Erstling "vier Tage in Kabul" angenehm an. Auch wenn die Arbeit eines Sondereinsatzkommandos seine Mitglieder noch einmal vor andere Herausforderungen stellt als der ganz normale Polizeidienst - Amanda Lund und ihre Kollegen sind keine unglaubwürdigen Superhelden. Amanda ist tough, doch selbst dort, wo sie einen Alleingang in dienstlicher Grauzone hinlegt, bleibt sie immer noch glaubwürdig, unterscheidet sich wohltuend von manchen Phantasiedetektivinnen (oder -detektiven) , die völlig unrealistisch bleiben. Daneben kommt auch das Menschlich-Zwischenmenschliche nicht zu kurz, um den Figuren ein Leben jenseits der Ermittlungsarbeit zu geben. Es bleibt spannend, wie es wohl für Amanda Lund weiter geht.

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Veröffentlicht am 09.09.2019

Ein Buch als Stolperstein

Vergesst unsere Namen nicht
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Mit "Vergesst unsere Namen nicht" hat der norwegische Autor Simon Stranger gleich in doppelter Hinsicht eine norwegische Familiengeschichte aus dem Zweiten Weltkrieg erzählt - zum einen die einer jüdischen ...

Mit "Vergesst unsere Namen nicht" hat der norwegische Autor Simon Stranger gleich in doppelter Hinsicht eine norwegische Familiengeschichte aus dem Zweiten Weltkrieg erzählt - zum einen die einer jüdischen Familie und ihrer Erfahrung von Verfolgung, Exil und Flucht, zum anderen die eines norwegischen Kollaborateurs und Nazi-Spions. Der Zufall will es, dass die Familie eines von den Deutschen ermordeten Juden ausgerechnet in das Haus in Trondheim zieht, indem die "Rinnan-Bande" nicht nur ihr Hauptquartier, sondern auch ihren Folterkeller hatte.

Es ist eine Stolperstein-Zeremonie, die den Erzähler erkennen lässt, dass das Schicksal des Urgroßvaters seinen Kindern nicht gleichgültig sein darf, dass jedes Opfer der Nazis ein zweites Mal stirbt, wenn sein Name vergessen wird. Und so wie die Stolpersteine auf den Straßen die Namen der ermordeten Nachbarn in Erinnerung rufen, so wird die Schilderung der Familiengeschichte zum literarischen Stolperstein, zut Erinnerung nicht nur an den Ermordeten, sondern das Schicksal der Familie, die zum großen Teil überlebte dank Helfern, die den Söhnen bei der Flucht nach Schweden halfen.

Kaleidoskopartig, in vielen kleinen Episoden, scheinbar zufällig gewählten Begriffen erzählt Stranger, seine Kapitel sind den Buchstaben des Alphabets nachempfunden. Dabei geht es nicht nur um Familiengeschichte und individuelle Schicksale, sondern auch um die Frage, was den einen dazu bewegt, sein Leben und seine Freiheit für fremde Mitmenschen zu riskieren und wie ein anderer Mensch mit ähnlichem Hintergrund Verrat und Kollaboration wählt. Wie kam es, dass der Schustersohn Rinnan, der wegen seiner geringen Größe schwer unter Komplexen litt, zum Spion und Menschenschlächter wurde?

Die Erzählweise mit den vielen kleinen Mosaikstückchen macht einen Reiz des Buches aus, ist aber auch sein Problem. Denn so richtig "auserzählt" werden die Charaktere dabei eben nicht, es fehlt an der Tiefe der beschriebenen Menschen. Doch vielleicht hat Stranger dies ganz bewusst gemacht: die vielen Textversatzstücke erinnern ein wenig an alte Familienfotos und -episoden, zu denen jeder in der Runde etwas beizutragen hat, bis aus den vielen Details ein Gesamtbild entsteht. So funktioniert es auch bei "Vergesst unsere Namen nicht".

Veröffentlicht am 02.09.2019

Psychothriller um eine verhängnisvolle Liebe

ATME!
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Nile glaubt, endlich das große Los getroffen zu haben mit Ben: Er ist ihr Seelengefährte, der Mann, mit dem sie zusammengehört, mit dem sie sich ein gemeinsames Leben aufbauen will. Sie planen die Hochzeit, ...

Nile glaubt, endlich das große Los getroffen zu haben mit Ben: Er ist ihr Seelengefährte, der Mann, mit dem sie zusammengehört, mit dem sie sich ein gemeinsames Leben aufbauen will. Sie planen die Hochzeit, auch das perfekte Kleid ist gefunden, doch just als sie es anprobiert, verschwindet Ben spurlos. Nile kann es nicht fassen, dass keiner das Verschwinden, ja den wartenden Ben bemerkt haben will. Die Polizei hält sie für hysterisch, an Bens Arbeitsplatz macht sich niemand Sorgen und Bens Freunde, die in letzter Zeit ohnehin rar geworden sind, blocken ab oder verweigern den Kontakt zu Nile.

Im Glück der beiden gibt es nämlich einen Schönheitsfehler: Damit sie heiraten können, muss Ben erst einmal von seiner ersten Frau Flo geschieden werden. Für Nile ist Flo die Feindin, die Frau, auf deren Seite sich alle von Bens Freunden gestellt haben. Doch sei´s drum: In ihrer perfekten Zweisamkeit genügen sich die beiden vollkommen.

Oder ist vielleicht alles ganz anders? In der Konfrontation mit Flo zeigt Nile, nach einer Jahre zurückliegenden Vergewaltigung zu Panikattacken neigend und dann auch schwere Medikamente schluckend, ein ganz anderes Gesicht. War die traute Zweisamkeit von beiden gewollt, oder leidet Nile unter Kontrollzwängen? Was hatte es seinerzeit mit Bens blauem Auge auf sich, als er Flo besuchte? Ist es nur die zunehmende Panik, die Nile zu einer Besessenen macht, oder ist hier eine schwer gestörte Frau, die ihren letzten Halt verloren hat?

Die Sichtweisen von Nile und Flo prallen gegeneinander, nahezu unversöhnlich, und dennoch müsen sich die beiden Frauen widerwillig verbünden, um auf eine Spur von Ben zu stoßen. Liebe und Loslassen, Klammern und Ausbrechen, die Vergangenheit begraben oder einen Neuanfang wagen? Jeder Schritt der beiden gegensätzlichen Frauen scheint neue Entscheidungen zu erfordern, stellt das fragile Miteinander, diesen brüchigen Waffenstillstand auf eine neue Probe. Dabei steht für Nile fest, dass es für Ben ohnehin nur eine geben kann und so ganz will sie Flo die Beteuerung, sie wolle jetzt endlich die Scheidung, um das Kapitel Ehe hinter sich zu lassen, nicht abnehmen.

Verletzlichkeit, Wut, besessene Liebe, Angstzustände und euphorische Hoffung - Judith Merchant lässt in diesem Psychothriller ihre Protagonistin durch ein Wechselbad extremer Gefühle gehen und sorgt mit zahlreichen falschen Fährten und Winkelzügen für Überraschungseffekte. Den Ausgang ahnt man zwar weit vor Schluss, das aber ändert nichts am Lesevergnügen. Große Gefühle können manchmal zu einem Drama auf Leben und Tod eskalieren - verhängnisvolle Leidenschaft eben. Spannung mit einer Extradosis ziemlich komplizierter Gefühle!