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Veröffentlicht am 07.04.2020

Ein Hauch Melancholie

Die langen Abende
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Crosby ist eine (fiktive) Kleinstadt an der amerikanischen Ostküste und die Heimat von Olive Kitteridge, der pensionierten Lehrerin, die wir bereits aus „Mit Blick aufs Meer“ kennen. Und nun ist sie zurück, ...

Crosby ist eine (fiktive) Kleinstadt an der amerikanischen Ostküste und die Heimat von Olive Kitteridge, der pensionierten Lehrerin, die wir bereits aus „Mit Blick aufs Meer“ kennen. Und nun ist sie zurück, schlecht gelaunt wie eh und je und unvermindert scharfzüngig. Eine Frau, die aus ihrem Herzen keine Mördergrube macht und nichts auf die Meinung ihrer Mitmenschen gibt. Sie ist zwar älter geworden, oft einsam, aber deshalb nicht unbedingt sanftmütiger. Schonungslos ehrlich, auch dann, wenn es um die eigenen Familienangehörigen geht. Sich verbiegen, damit sie gemocht wird? Keine Option. Und dennoch - unter dem harten Panzer steckt jede Menge Mitgefühl und Einfühlungsvermögen, was mit Sicherheit damit zusammenhängt, dass sich Olive langsam aber sicher der eigenen Sterblichkeit bewusst wird.

Wieder einmal ist Olive Dreh- und Angelpunkt, das verbindende Element in den vielen kleinen Geschichten aus Crosby, die Elizabeth Strout in „Die langen Abende" erzählt. In diesen leicht melancholischen „Short Cuts“ bildet sie das gesamte Spektrum des Lebens ab. Von der Geburt bis zum Tod. Vom Suchen und Finden und Verlieren. Von unbändigen Glücksgefühlen und tiefer Trauer. Von der Einsamkeit und der Zweisamkeit. Von der Liebe am Ende des Weges.

Und diese Beschreibungen haben es in sich, schauen unter die Oberfläche, sind unglaublich intensiv. Authentisch und voller Herzenswärme für ihre Figuren, die man trotz - oder eher wegen - ihrer Macken, sofort ins Herz schließt. Dabei wird Strout nie ausufernd, sondern charakterisiert äußerst sparsam und genau deshalb auf den Punkt, sehr präzise und eindringlich. Und der Leser freut sich an der sprachlichen Virtuosität sowohl der Autorin als auch der Übersetzerin (Sabine Roth). Nachdrückliche Leseempfehlung!

Und wer die Miniserie mit Frances McDormand in der Rolle der Olive Kitteridge noch nicht gesehen hat, unbedingt nachholen.

Veröffentlicht am 05.04.2020

Spannende Lesestunden garantiert

Sühne
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Sollte ich eine Rangordnung erstellen, welche gesellschaftspolitisch relevanten Themen sich für einen realistischen Thriller eignen, würden die Machenschaften der Pharmaindustrie ganz oben auf der Liste ...

Sollte ich eine Rangordnung erstellen, welche gesellschaftspolitisch relevanten Themen sich für einen realistischen Thriller eignen, würden die Machenschaften der Pharmaindustrie ganz oben auf der Liste stehen. Das hat sich wohl auch Steffen Jacobsen gedacht, der nicht nur ein erfolgreicher Autor sondern auch Mediziner ist. Nun also „Sühne“, sein fünfter Thriller mit Lene Jensen und Michael Sander, eine Reihe, die sich immer wieder durch spannende und temporeiche Plots auszeichnet:

Direktor eines Pharmaunternehmens hat Krebs im Endstadium, bekommt Gewissensbisse wegen eines Unrechts aus der Vergangenheit, sucht mit Hilfe eines Journalisten Vergebung, den er als Ghostwriter engagiert hat. Dieser soll seine Biografie schreiben und die Öffentlichkeit von seiner Verfehlung in Kenntnis setzen, seine späte Reue publik machen. Das Vorhaben ist nicht unbemerkt geblieben und passt jemandem absolut nicht in den Plan. Bei dem Treffen begeht der Direktor Selbstmord, der Journalist wird von einem Auftragsmörder erschossen, der Killer verschwindet.

Nicht sonderlich spektakulär, hört sich jetzt durchaus bekannt an, schon zigmal gelesen könnte man meinen. Aber – auf die Umsetzung kommt es an, denn spätestens als Sander, Privatermittler und kompromissloser Ex-Militär mit „speziellem“ moralischen Kompass, sich einschaltet, nimmt die Geschichte Fahrt auf. Er ist persönlich involviert, betroffen, denn der ermordete Journalist war sein Freund. Wenn da nur nicht Lene Jensen ebenfalls auf den Fall angesetzt wäre. Hauptkommissarin und seine Frau, die auch gerne auf eigene Faust ermittelt, sich dabei aber an die Regeln hält. Im Gegensatz zu Sander, dessen intuitive Kombinationsgabe immer wieder von Vorteil ist, und der noch einen weiteren Trumpf im Ärmel hat. Das Tagebuch eines in Afrika praktizierenden Arztes, das brisante Informationen enthält und ihm von dem ermordeten Freund über Umwege zugespielt wurde.

Ein interessanter Ansatz, ein dynamischer Plot, wohldosierte Actionsequenzen, die sich nahtlos in die Handlung einfügen, kurze Kapitel, – richtig gut gemacht. Dazu detailliert ausgearbeitete Charaktere bis in die Nebenrollen, sympathische Protagonisten und deren Umfeld, das man bereits aus den Vorgängern kennt. Ein Thriller mit aktuellem Bezug, dessen Thematik mit Sicherheit realistisch und nicht weit hergeholt ist. Spannende Lesestunden garantiert.

Veröffentlicht am 23.03.2020

Alte Wunden

Pandora
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Historische Kriminalromane, die sich mit unserer jüngeren Geschichte beschäftigen, gibt es viele, aber nur wenigen gelingt es, die gesellschaftspolitische Realität in den ersten Jahren nach dem Zweiten ...

Historische Kriminalromane, die sich mit unserer jüngeren Geschichte beschäftigen, gibt es viele, aber nur wenigen gelingt es, die gesellschaftspolitische Realität in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg so authentisch abzubilden, wie dem Autorenpaar Amber & Berg in dem Auftakt ihrer neuen Krimireihe, die in Berlin (im Jahr 1948) verortet ist.

Im Zentrum steht der junge Kommissar Stein, der in dem neugegründeten Polizeipräsidium West Dienst tut. Sohn eines Emigranten, der zurück in einer Stadt ist, die die Schrecken des Krieges noch nicht verdaut hat, in Ost- und Westsektoren gespalten, was sich auch in der Etablierung unterschiedlicher Polizeipräsidien manifestiert, die aus politischen Erwägungen heraus gegründet werden.

Von seinem Kollegen Wuttke wird er misstrauisch beäugt, ist Stein doch der „Duke“, der Ex-Londoner, ausgebildet von Scotland Yard. Lore Krause hingegen, Schreibkraft in der Friesenstraße, ist voller Bewunderung, bezieht er sie doch in die Fälle mit ein. Dass sein Vorgesetzter, Polizeirat Krüger, alles daran setzt, ihn wieder los zu werden und deshalb seine Arbeit sabotiert, wird ihm spätestens bei seinem ersten Mordfall klar. Als Akten verschwinden, keimt in Stein allmählich der Verdacht auf, dass er einer weit größeren Sache als einem Mord auf der Spur ist, die zurück in die Zeit des Nationalsozialismus reicht. Und dass er es mit einflussreichen Personen zu tun hat, die für die Sicherung ihrer Positionen über Leichen gehen.

Wir begleiten Kommissar Stein durch das zerbombte Berlin, sehen die offenen Wunden der Stadt, den Mangel überall und das Streben der Menschen, die Kriegsgräuel zu vergessen, den Alltag neu zu organisieren, wieder Normalität einkehren zu lassen.

Es ist eine glaubhafte Geschichte, sind uns doch allen die Verbrechen des Nationalsozialismus bekannt. Aber wir wissen auch um die „Persilscheine“, die im Zuge der Entnazifizierung ausgestellt wurden, mit denen Kriegsverbrecher reingewaschen und in hohe Ämter (wie beispielsweise Bundeskanzler oder Ministerpräsident) gespült wurden.

Spannender Beginn einer neuen Reihe, die mit sympathischen Protagonisten und authentischem Zeitkolorit punktet, und die ich mit Sicherheit weiterverfolgen werde. Lesen!

Veröffentlicht am 09.03.2020

Realistisch, schockierend, spannend

Die Wächter
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Stell‘ dir vor, du lebst in den USA und bist Afroamerikaner. Wirst eines Verbrechens beschuldigt, das du nicht begangen hast. Stehst vor Gericht, hast einen Pflichtverteidiger, der seinen Job nur halbherzig ...

Stell‘ dir vor, du lebst in den USA und bist Afroamerikaner. Wirst eines Verbrechens beschuldigt, das du nicht begangen hast. Stehst vor Gericht, hast einen Pflichtverteidiger, der seinen Job nur halbherzig erledigt und wirst trotz zweifelhafter Beweise von einer überwiegend weißen Jury schuldig gesprochen. Es erwartet dich eine langjährige Haftstrafe oder das Todesurteil. Wenn du sehr viel Glück hast, reagiert eine der Organisationen, die gegen Justizirrtümer kämpfen, auf deinen Hilfeschrei und nimmt sich deines Falls an. Wenn nicht, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass du mit dem Leben bezahlst.

In John Grishams „Die Wächter“ kämpfen die „Guardian Ministries“, eine vierköpfige Gruppe engagierter, chronisch unterbezahlter Streiter für Gerechtigkeit, gleich um zwei Leben. Zum einen ist da Duke Russell, beschuldigt der Vergewaltigung und des Mordes an einer weißen Jugendlichen, zum anderen Quincy Miller, der für den Mord an seinem Scheidungsanwalt in der Todeszelle sitzt. Cullen Post, der frühere Priester und jetzige Anwalt der Gruppe, ist von ihrer Unschuld überzeugt. Und er scheut kein Risiko, wenn es darum geht, seine Klienten zu rehabilitieren. Auch wenn er bei seinen Nachforschungen skrupellosen Gegnern auf die Füße tritt und sein eigenes Leben in Gefahr bringt.

Grisham zeigt mit dem Finger auf ein marodes Rechtssystem, in dem sich nicht nur Polizisten und Richter sondern auch Anwälte auf die Aussagen unzuverlässiger Zeugen und zweifelhafter Gutachter verlassen. Nicht zu vergessen die privatisierte, profitorientierte Gefängnisindustrie, die natürlich Vollbelegung erwartet.

Die Mischung aus „Cold case“ Ermittlung einerseits und Justizthriller andererseits generiert einen höchst spannenden, realistischen, aber über weite Strecken auch schockierenden und wütend machenden Roman über Ungerechtigkeit und Korruption in God’s Own Country, in dem die Menschenrechte offenbar nur für die weiße Bevölkerung gelten.

Mit diesem Roman beweist John Grisham einmal mehr, dass er zu Recht zu den ganz Großen des Genres gehört. Lesen!

Veröffentlicht am 03.03.2020

Eine unterhaltsame Reise durch Zeit und Raum

Einfach alles!
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Nicht nur wer kleine Kinder und/oder Enkel hat, wird dieses Kompendium zu schätzen wissen, kommen aus deren Mündern doch oft die erstaunlichsten Fragen, meist mit einem „Warum?“ eingeleitet. Auch wir Erwachsene ...

Nicht nur wer kleine Kinder und/oder Enkel hat, wird dieses Kompendium zu schätzen wissen, kommen aus deren Mündern doch oft die erstaunlichsten Fragen, meist mit einem „Warum?“ eingeleitet. Auch wir Erwachsene sind in der Regel nicht auf allen Gebieten bewandert und mit jeder Epoche vertraut.

Aber Hilfe ist in Sicht: ähnlich wie Bill Bryson bietet Christopher Lloyd, der ehemalige Wissenschaftsjournalist der Sunday Times, hier Unterstützung. Höchst unterhaltsam und dennoch den wissenschaftlichen Fakten verpflichtet. Er startet mit der „Entstehung des Universums, der Erde und allen Lebens“ und arbeitet schrittweise über die verschiedenen Zeitalter und Epochen die diversesten Themen bis zu unserer Gegenwart, der „Welt, wie wir sie kennen, und was die Zukunft bringen könnte“, ab. Hilfreich sind hier auch immer die Zeitleisten, die jeweils zu Beginn die Highlights hervorheben und somit auch der ersten Orientierung dienen.

Es ist eine eher unkonventionelle, populärwissenschaftliche Lektüre, immer den historischen Gegebenheiten verpflichtet, die durch den leichten, unterhaltsamen Ton des Autors zum Schmökern verleitet. Farbige Fotos und Illustrationen ergänzen und veranschaulichen die Texte.

Nicht nur ein Nachschlagwerk sondern auch eine höchst lehrreiche Lektüre, eine unterhaltsame Reise durch Zeit und Raum, die mit Sicherheit immer wieder gerne zur Hand genommen wird und bei der auch Erwachsene noch jede Menge Neues erfahren.