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Veröffentlicht am 15.08.2020

Die Begegnung von Menschen erfolgt nicht zufällig

Pietà
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Das Buch "Pietà" von Markus Günther ist kein alltäglicher Roman. Wahrscheinlich wird sich nicht die große Masse darauf stürzen, ist der Inhalt doch sehr speziell und passt nicht in den Modus - "wir wollen ...

Das Buch "Pietà" von Markus Günther ist kein alltäglicher Roman. Wahrscheinlich wird sich nicht die große Masse darauf stürzen, ist der Inhalt doch sehr speziell und passt nicht in den Modus - "wir wollen Spaß". Es geht um das Leben - oder besser gesagt um den Tod, dem wir uns mit jedem Tag unseres Lebens nähern.

Zuerst einmal etwas über das Äußere. Das Buch fasst sich wunderbar an, liegt herrlich in der Hand und ich musste immer wieder über den Einband streichen. Eine liebevolle Geste, die vielleicht auch dem Cover gilt. Genau so wie der junge Mann dort steht, stelle ich mir Lutz vor, den Kopf unschlüssig nach vorn gebeugt, den Blick auf den Boden gerichtet.

Lutz, der Protagonist, verbrachte seine Schulzeit in einem kath. Internat. Wessen Gedanken nun sofort auf sex. Missbrauch gerichtet sind, denkt falsch. In der überwiegenden Zahl von kath. Schulen, wurden schon immer junge Menschen ganz normal ausgebildet und auf das Leben vorbereitet. Erstmals im Leben wird Lutz mit dem Tod konfrontiert, als einer der Padres stirbt. Doch es berührt die Schüler nur in der Beziehung, dass sie neugierig sind, wie ein Toter aussieht. Auch als Freunde von ihm (Lutz) ums Leben kommen, weiß er nicht damit umzugehen. Linkisch steht er vor deren Eltern und weiß nicht was zu sagen ist. In seinem Leben hat der Tod noch keinen Platz. Das Leben liegt vor ihm und verspricht großartig zu werden. Das Studium bringt ganz neue Freiheiten und auch Erkenntnisse. Was ist Geschichte? fragt sein Professor. Und je mehr Lutz nach einer Antwort sucht, umso mehr stellen sich ihm Fragen nach dem Leben, auch seinem eigenen. Seite 115: "Natürlich habe auch ich, wie viele andere, oft davon geträumt, alle Fesseln abzustreifen. ..." Doch unaufhörlich drängt sich das wirkliche Leben und der Umgang mit dem Tod in seinen Alltag, als bei seiner Mutter Krebs festgestellt wird. Unheilbar. Das Unfassbare nicht wahrhaben wollen. Nicht annehmen können, bis es sich nicht mehr leugnen lässt. Seite 130: "Ich ahnte nicht, dass ich die letzte Chance vertan hatte, mich von Mensch zu Mensch mit ihr auszutauschen, bevor die Wesensveränderungen einsetzen, die jeden todkranken Menschen zu einem Fremden machen und unüberbrückbare Gräben aufreißt". Noch immer die albernen Reden: "Weiterkämpfen und nicht aufgeben". Bis seine Mutter sagt: "Ich kann nicht mehr". Jedoch, wann ist man als junger Mensch bereit, seine Mutter herzugeben? Wahrscheinlich glauben selbst erwachsene Kinder noch immer wider besseres Wissen, die eigenen Eltern würden sie durch ihr ganzes Leben begleiten, bis sie selbst alt werden. Welch ein Trugschluss!

Zuerst stirbt seine Mutter und kaum ist sie unter der Erde, erkrankt auch sein Vater allerschwerst. Bezeichnend Seite 143: " ... Ich hatte verstanden, dass man ärztliche Warnungen dieser Art doch ernst nehmen musste und dass Menschen auch gegen meinen ausdrücklichen Willen sterben können".

Auf Seite 144: " Der Tod ist nicht einfach ein Ereignis, er ist ein Wesen, das kommt, manchmal mit Radau hineinplatzt mitten ins Leben, sich manchmal aber auch katzengleich auf leisen Pfoten unbemerkt hineinschleicht und behende sein grauenhaftes Geschäft verrichtet".

"Trauer macht einsam", lesen wir auf Seite 152. Wie wahr. Niemand kann uns die Trauer abnehmen, niemand kann sie uns erleichtern. Trauer ist immer individuell und nicht auf mehrere Schultern zu verteilen.

Doch das Buch wäre zu traurig, gäbe es nicht auch ein Blick auf die Zukunft. Seite 188: "Die Wege der Menschen kreuzen sich nicht zufällig". Lutz lernt seine neue Freundin Michaela kennen.

Besonders gut gefiel mit ein kurzer Abschnitt auf S. 227: " Von allen Metaphern und Redensarten, mit denen Menschen versuchen, über Sterbende zu sprechen ist diese vielleicht die treffendste: Wer stirbt, macht sich auf den Weg. Das heißt, dass er sich langsam entfernt, dass er eine Zeitlang noch in Ruf- und Sichtweite ist, dass er dann aber in unerreichbarer Ferne verschwindet. Und es heißt auch, dass er nur ein Stück weit begleitet werden kann; die letzten Schritte aber tut er ganz allein".

"Pietà" ist ein wundervolles Buch über das Leben, welches für uns alle eines Tages mit unserem Tod zu Ende geht. Der Autor ist ein Meister der leisen Töne und vermag auch noch die schlimmsten Ängste und Gefühle in versöhnliche Worte zu kleiden, was selbst das Unfassbare für uns Menschen durchlebbar erscheinen lässt. Wir halten das alles aus.

Der fontis Verlag hat mit diesem Buch wieder ein außergewöhnliches Werk verlegt.


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Veröffentlicht am 01.08.2020

Keine gute alte Zeit

Schatten der Welt
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Der Roman "Schatten der Welt" von Andreas Izquierdo nimmt den Leser mit in die "gute alte Zeit", wie man immer sagte. Doch gut war diese Zeit vor dem 1. Weltkrieg nur für die Oberschicht. Bei den adligen ...

Der Roman "Schatten der Welt" von Andreas Izquierdo nimmt den Leser mit in die "gute alte Zeit", wie man immer sagte. Doch gut war diese Zeit vor dem 1. Weltkrieg nur für die Oberschicht. Bei den adligen Großgrundbesitzern und Unternehmern war das Geld und sonstige Besitztümer gehortet. Man arbeitete nicht selbst, man ließ arbeiten. Egal ob es sich um die Verwaltung des Gutes handelte oder den Haushalt, für alles gab es Personal, denn Arbeitskräfte waren billig zu haben. "Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel" sagte mal jemand. Die Menschen waren vom Wohlwollen der Herrschaft abhängig und diese Gesellschaftsschicht nützte diese Abhängigkeit ohne Skrupel aus. Wer auf der Sonnenseite des Lebens stand, nahm es als pure Selbstverständlichkeit dass die "Niederen" ihnen dienen mussten.

Der arme Schneider, ein Künstler seines Handwerks, erhielt Zeit seines ganzes Lebens nicht die Anerkennung seiner Kundinnen, die ihm gebührte. Den Männern schneiderte er den besten Anzug nachdem sie verstarben - als Totenbekleidung - die anschließend niemand mehr bewundern konnte. Vor jedem Kunden musste er buckeln und den launigen Kundinnen im Preis entgegen kommen, wenn diese ihre Macht ausspielten. Zu allem Übel war er auch noch ein Jude aus Riga, was seinem Ansehen noch mehr schadete. Dieser arme Schneider sowie Carl, sein Sohn, hausten in einer kleinen und im Winter schlecht geheizten Wohnung. Doch unter ihrem Dach war die grenzenlose Liebe vom Vater zum Sohn und vom Sohn zum Vater zu Hause. Dieses heimelige Gefühl durchzieht den ganzen Roman und macht diesen wohl so liebenswert. War die Welt da draußen auch noch so böse, den Beiden konnte sie nichts anhaben. Carl, ein geradliniger junger Mann der alles richtig machen und ein anständiger Mensch sein wollte, somit nicht so recht in diesen Ort Thorn und die Zeit passte, in der man viel besser überlebte wenn man tricksen, lügen und betrügen konnte.

Doch da sind auch noch Artur und Isi, beides Freunde von Carl. Artur, schon in jungen Jahren körperlich wie ein Schrank hat die verrücktesten Geschäftsideen, mit denen das Trio zu Geld kommen will. Ein richtiges Schlitzohr ist dieser große Junge, der nur dann die Schule besuchte, wenn er nichts besseres vorhat. Seine ausgeklügelten Einfälle, die dann äußerst wirksam umgesetzt wurden, geben dem Roman eine humoristische Pointe und sorgten bei mir für manch einen Lacher. Isi, ein Mädchen mit dem Herzen auf dem rechten Fleck, aufgeweckt und aufmüpfig, geriet zum Spielball ihres Vaters. Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts galt das männliche Familienoberhaupt als unanfechtbar in der Familie, hatte das Sagen und die Macht über die Familienmitglieder. Prügel gehörten in vielen Familien zum Alltag, Mädchen als auch Jungen wurden gleichermaßen damit bedacht. Sie alle waren Kinder ihrer Zeit. Die Monarchie gab vor wie es zu laufen hatte. Die Kehrseite - Männer begingen aus purem Ehrgefühl unsinnige Selbstmorde.

Dem Autor gelingt es in diesem Roman, ein sehr einprägsames Sittengemälde dieser Zeit zu zeichnen. Die Sprache, derer er sich bedient lässt sich gut und flüssig lesen, obwohl die Sätze ausgefeilt und keinesfalls banal sind.

Nach unserem heutigen Verständnis wehrt sich alles in einem gegen diese sozialen und familiären Ungerechtigkeiten, in denen die Menschen der unteren Schichten leben mussten. Ich kam während des Lesens zu der Erkenntnis, dass diese Generation von Menschen, Meister des Erduldens waren. Mit dem niederen Volk konnten die Adligen, als auch wohlhabende Damen und Herren verfahren, wie es ihnen gerade beliebte. Dienstmädchen wurden vergewaltig und anstatt den Täter zur Rechenschaft zu ziehen, wurde den Mädchen gekündigt. Sie galten als "gefallen" hatten einen Makel.

Obwohl es sich abzeichnete, plötzlich war er da, der erste Weltkrieg. Die Welt stand Kopf und singend zog man in den Krieg der kurz und siegreich sein würde. Versprochen! Tod, Leid und Verstümmelung an Leib und Seele kamen im Vokabular der Kriegstreiber nicht vor. Von den Generälen und Machthabern angezettelt, jedoch auf dem Rücken armer Bauernburschen ausgetragen begann der unerbittliche Kampf. Nicht umsonst hieß es, der sicherste Platz den Krieg zu überleben, sei in der Nähe des Generals. Wer von Adel war hatte auch hier das Sagen - war er auch noch so ein großer Dummkopf.

Der Roman fesselte mich von der ersten Seite bis zum Schluss. Zwar sind einige Episoden etwas sehr glatt gebügelt und es gibt ein paar gute Zufälle zu viel - doch das braucht es auch, damit die Geschichte schlüssig bleibt. Der Krieg war zu Ende und die drei Freunde haben fern von einander überlebt.

Dieses Buch verlangt nach einer Fortsetzung der Geschichte. Viel zu sehr sind mir als Leser Carl in seiner Gradlinigkeit die ihm manchmal im Wege steht, Artur mit seiner Bauernschläue und Isi mit ihrem Durchsetzungsvermögen ans Herz gewachsen.

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Veröffentlicht am 29.04.2020

Man kann die Hölle überleben, wenn man an den Himmel glaubt

Opferkind
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Die Rezension zu diesem Buch "Opferkind", fällt mir so schwer wie bisher noch bei keinem anderen Buch zuvor.
Aus dem Vorwort der Autorin Astrid Dauster: "Unvorstellbares und Unglaubliches habe ich überlebt ...

Die Rezension zu diesem Buch "Opferkind", fällt mir so schwer wie bisher noch bei keinem anderen Buch zuvor.
Aus dem Vorwort der Autorin Astrid Dauster: "Unvorstellbares und Unglaubliches habe ich überlebt durch ebenso Unvorstellbares und Unglaubliches. Die ersten 13 Jahre meines Lebens waren geprägt von zum Teil unvorstellbaren Misshandlungen von Körper, Geist und Seele, die mich letzten Endes dazu bringen sollten, mich selbst zu töten. Ich war das Opfer eines psychopathischen Vaters, der zudem Satanist war....."
Aus dem Vorwort von Dr. Walter Meili:".... Nun, es gibt eben Dinge, die schwierig zu beweisen sind und dennoch existieren. Psychotherapeuten begegnen Opfern von Satanismus jedenfalls immer wieder. In drei dtsch. Bundesländern wurden im Jahr 2005 alle 3.225 kassenärzlichen Psychotherapeuten befragt, ob sie in ihrer Tätigkeit schon Opfern von ritueller (also satanistischer) Gewalt begegnet seien. Rückmeldungen kamen von 1.523 Therapeuten. Davon hatten 182 Therapeuten Opfer von satanistischer Gewalt in ihren Praxen gesehen. Rund 95 Prozent der Fälle wurden von den Theraputen als glaubwürdig eingeschätzt."
Dieses Buch ist die Lebensgeschichte der Autorin Astrid Dauster. Begleitet wurde sie bei ihrem Erinnern, als auch später während ihres Schreibprozesses von Dr. Walter Meili, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Traumatherapeut.
Wie die Autorin schreibt,wurde sie von frühester Kindheit an von ihrem Vater sexuell missbraucht. Doch nicht genug damit. Da ihr Vater, Leiter einer vernetzten satanistischen Loge war, überließ er seine kleine Tochter auch anderen Mitgliedern der Sekte. Ihre leisen Hilferufe wurden nicht erhört. Teils weil die Menschen die wussten was passierte ohnmächtig waren etwas daran zu ändern, teils weil andere ihr nicht glaubte. Es ist wohl das schrecklichste Buch, das ich je gelesen habe, denn es ist keine Fiktion, nein, es beruht auf realem Erleben.
Als die Autorin 13 Jahre alt war, verstarb ihr Vater. Das Martyrium hatte nun vorläufig ein Ende. Ihr Körper, ihr Geist waren gnädig und ließen das Mädchen alles vergessen, was ihr in den vergangenen Jahren angetan wurde. Erst viele Jahre später wurde ihr bewusst, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Zuerst war es nur eine Ahnung. Doch nach und nach erinnerte sie sich, musste alles in Gedanken erneut durchleben. Welch eine Hölle. Sie lässt den Leser teilhaben an ihren Qualen, als auch an ihrer Hoffnung und dem Halt, welchen sie in ihrer Begegnung mit Gott (Schäfer) fand, wenn es unerträglich wurde.
Ihre Nahtoderfahrungen, wann immer sie glaubte es nicht mehr ertragen zu können, die Loslösung von ihrer äußeren Hülle, der Abstand zu dem Geschehen, werden von Dr. W. Meili fachlich erklärt. Z. B. auf Seite 220 "Triggern" oder Seite 279/280 "dissoziatives Vergessen" usw. Die vielen fachlichen Erklärungen sind jeweils in einem anderen Schriftbild verfasst, damit sie sich vom übrigen Text abhebt. Diese Erläuterungen sind auch dringend notwendig, damit man als Laie das Geschehen versteht.
Obwohl das Buch nur 404 Seiten umfasst, brauchte ich mehr als 2 Monate zum Lesen. Manchmal schaffte ich maximal 5 Seiten am Stück, da ich nicht länger ertragen konnte, woran uns die Autorin teilhaben lässt. Der Untertitel: "Ich habe die Hölle überlebt, weil ich an den Himmel glaubte", besser könnte man es nicht ausdrücken.
Es klang für mich ungeheuerlich. Mich beschlichen Zweifel an der Wahrheit, wie es sicherlich auch anderen Lesern ergehen wird. Kann es tatsächlich sowas geben? Ist das nicht alles übertrieben? Ging da nicht die Phantasie mit der Autorin durch? Spinnt oder übertreibt sie nicht maßlos? Meine Zweifel mehrten sich und so begann ich mehrere Wochen lang zu recherchieren.
Der Zufall wollte es, dass ich in der Zeit als ich das Buch las, auf ARTE eine Berichterstattung über die "Colonia Dignidad" sah - eine ehemals dtsch. Kolonie in Chile. Auch dort wurden Kinder über viele Jahre missbraucht, misshandelt. Dieses Thema war von da an in meinem Kopf verankert. Ich musste nicht mehr nach Sendungen oder Zeitungsberichten dieses Themas zu suchen, sie fanden mich von selbst. Nur wenige Zeit später, ebenfalls auf ARTE, ging es um Videos mit sexueller Gewalt. Grausamkeiten, die ins Netzt gestellt werden. Mitarbeiter von you tube, die sich Tag für Tag Videos anschauen, damit die unerträglichen im Netz, an denen sich Voyaristen weiden, gelöscht werden. Dass es auch da vielfach um misshandelte Kinder geht, versteht sich von selbst. Im Internet stieß ich auf ein Lied von Xavier Naidoo aus dem Jahre 2012, in dem er (sexuelle) Gewalt an Kindern aufs Heftigste anprangerte, worauf er selbst von bestimmten Gruppierungen aufs Heftigste bekämpft wurde und auch heute noch wird. Dass er, bedingt durch seinen eigenen Mißbrauch wusste wovon er rappte, es auf seine Art mit der Musik ausdrückte, die Menschen wehrten ab und er steht dafür noch heute am Pranger. Ich begriff, über sowas redet man nicht, schon gar nicht so. Das Thema ist eklig, damit will im Grunde niemand behelligt werden, nicht nah an sich herankommen lassen. Das gibt es, doch nicht in unserer wohlgeordneten Welt. Plötzlich erinnerte ich mich wieder an den Fall Dutroux in Belgien. Nach seiner Verhaftung betonte D. immer, er sei nur ein kleines Rädchen in einem großen Getriebe. Zeugen verloren, bevor sie hätten aussagen können, bei Unfällen ihr Leben. (Wikipedia) Mir fielen wieder Artikel in der FAZ über den "kinderfreundlichen" Moderator der BBC, Jimmy Savile ein. Ich stolperte bei meinen Recherchen im Internet über "Casa Pia" und noch einige solcher Vorgänge mehr. Danach war ich mir sicher, was die Autorin Astrid Dauster in dem Buch "Opferkind" beschreibt, hat sie nicht erfunden. Es gibt Menschen, die sind abgrundtief böse, ohne Gewissensbisse, und andere, die decken es ab, aus welchem Grund auch immer.
Dass die Autorin viele Jahre, in denen sie sich nicht mehr an ihre Kindheit erinnerte, ein ganz normales Leben mit Ehemann und Kindern führen konnte, grenzt an ein Wunder. Das Bewusstsein verdrängt, doch es vergisst nichts. So auch bei A. D., weshalb sie anfing und sich erinnerte. Für ihre Familie war es eine große Belastung. Ihr Ehemann stand ihr immer zur Seite, bis er selbst nicht mehr konnte. Als ob das alles noch nicht genug sei, bekam sie die Diagnose Krebs, den sie jedoch überstand. Und wieder Nahtoderfahrung. Egal was geschah, immer begleitete sie ihr Glaube an Gott und richtete sie wieder auf.
Dies ist ein ganz außergewöhnliches Buch, das völlig aus dem üblichen Rahmen fällt.

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Veröffentlicht am 07.04.2020

Mitläufer

Der Empfänger
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Das Buch "Der Empfänger" von Ulla Lenze ist in unterschiedlichen Zeitebenen angesiedelt, was dem Leser sehr viel Konzentation beim Lesen abverlangt. Immer wieder wechselt die Autorin von der Vorkriegszeit ...

Das Buch "Der Empfänger" von Ulla Lenze ist in unterschiedlichen Zeitebenen angesiedelt, was dem Leser sehr viel Konzentation beim Lesen abverlangt. Immer wieder wechselt die Autorin von der Vorkriegszeit in den USA, in die 50er Jahre Westdeutschlands.

Wie fing es an? Ein Brüderpaar - von einem sehr strengen Vater erzogen - der seine Söhne regelmäßig übelst verprügelte - wollte nach dem 1. Weltkrieg in die USA auswandern. Josef schaffte es, doch sein Buder verlor auf unglückliche Weise (hing es mit dem prügelnden Vater zusammen?) ein Auge und ihm wurde der Wunsch verwehrt.

Der Roman beginnt mit dem Besuch Josefs Anfang der 50er Jahre im vom Kriege zerstörten Deutschland. Hatte man dort den wohlhabenden Amerikaner erwartet der regelmäßig Care-Pakete schickte, so wurde man bei der Ankunft von Josef enttäuscht. Vor der Tür stand ein armer Schlucker, dessen ganze Habe in einen einzigen Koffer passte. Josef gehörte zu den US - Einwanderern, für die das Geld nicht auf der Straße lag. Er verdiente seinen Lebensunterhalt in New York in einer Druckerei. Was dort produziert und unter die Leute gebracht wurde, war nicht ganz legal, aber auch nicht ganz gegen die Gesetze. Eine Grauzone. Es reichte, dass die dortigen dtsch. Agenten auf den Amateurfunker Josef aufmerksam wurden und ihn köderten. Dieser erlag der Lockung des Geldes und wurde Teil eines Agentenrings der Nazis in den USA.

Natürlich musste ihm klar sein, auf was er sich einließ. Aber er fragte nie konkret nach, was er in die alte Heimat funkte, wollte es auch nicht so genau wissen. Seine Tätigkeit würde er später damit rechtfertigten, dass er nicht eingeweiht war und seine Nachfragen nicht konkret beantwortet wurden. Doch Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Als die USA in den 2. Weltkrieg eintraten, wurde Josef verhaftet und landete auf Long Island im Gefängnis.

Ich würde Josef als den typischen Mitläufer bezeichnen. Alles bleibt schwammig - genau wie das Gesicht des Mannes auf dem Cover des Buches. Genau so war Josef, keine klare Struktur, weder im Lebenslauf noch im Charakter. Er fing vieles an, doch nichts machte er mit vollem Einsatz oder Überzeugung. Er arbeitete ein wenig für den dtsch. Geheimdienst - jedoch nicht so, dass er sich schuldig fühlen müsste. Egal ob es sich ums Geldverdienen handelte, um seine Beziehungen zu verschiedenen Frauen im Laufe der Jahre oder als er glaubte, dass ihn endlich die Liebe zu seiner Lebensgefährtin erwischt hätte - war sich aber auch darin nicht richtig sicher: Überall ließ er sich ein Hintertürchen offen, durch das er entwischen konnte.

Die einzig wirkliche Bindung, verbunden mit Verantwortungsgefühl, empfand er nur für seinen Hund um den er sich auch noch während seiner Haft sorgte. Man darf nicht vergessen, Josef war ein Kind seiner Zeit. Der erste Weltkrieg ließ Europa in Trümmern zurück. Nicht nur die Städte waren zerstört, auch die alten Machtstrukturen und alte Ordnungen hatten keine Gültigkeit mehr.

Wie die Autorin betont, ist dieses Buch keine reine Phantasie. Der Roman basiert auf den Erzählungen ihres Onkels. Obwohl ich sehr viel über Nazi-Deutschland las, bisher war mir nicht bewusst, wie weit dessen Arm reichte. Ja, dass man diesen schon so weit in die USA streckte um auch dort Fuß zu fassen - was aber letztlich und Gott sei Dank - vom FBI abgeblockt wurde und nicht gelang. Dies wird in dem Buch nur angerissen, nicht weiter vertieft, denn es wäre ein Buch für sich.

Doch zurück zu Josef. In Deutschland hielt ihn auf Dauer nichts. Zu weit hatte er sich in den vergangenen Jahren davon entfernt und er ließ wieder seine alten Verbindungen spielen, nach Südamerika ausreisen zu können, traf dort auf ehemalige Nazi-Weggefährten. Doch nun war er gewarnt, erteilte denen, die in Südamerika geheime Übernahmepläne schmiedeten und Deutschland wieder unter ihre Macht bekommen wollten eine Absage.

Mich packte dieses Buch von der ersten Seite an. Nicht nur was den Inhalt anbelangte, sondern auch der klare Schreibstil von Ulla Lenze.

Lesenswert!

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Veröffentlicht am 02.03.2020

Jeder hat seine eigene Sicht auf Mattias

Nach Mattias
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Dass der Roman "Nach Mattias" von Peter Zaningh da einsetzt, als Mattias bereits tot ist, ergibt sich bereits aus dem Titel. Wie ist es für die Zurückgebliebenen, wenn ein Mensch plötzlich aus ihrer Mitte ...

Dass der Roman "Nach Mattias" von Peter Zaningh da einsetzt, als Mattias bereits tot ist, ergibt sich bereits aus dem Titel. Wie ist es für die Zurückgebliebenen, wenn ein Mensch plötzlich aus ihrer Mitte gerissen wird? Was bleibt? Nur eine Leere oder hinterlässt jemand Spuren?
Von Mattias erfahren wir nicht sehr viel - nur Vordergründiges. Es war ein lebenslustiger Mann der Musik liebte und das Leben recht locker anging. Er sprang ohne groß zu überlegen voll auf eine gerade geborene Idee. Man könnte ihn auch als Lebenskünstler bezeichnen. Der Stoff für einen leichten Unterhaltungsroman - und trotzdem ist dieses Buch ganz anders. Tiefgründig.
Was war er für die Menschen in seinem näheren und weiteren Umfeld? Manche berührte er, gab ihnen das Gefühl ganz für sie da zu sein und einige streifte er nur zufällig. Jeder hat seine eigene Sicht auf ihn.
Zuerst seine Freundin, in deren Wohnung nach dem Tode von Mattias dessen bestelltes Fahrrad geliefert wird. Sie war ihm nah und trotzdem gab es zwischen ihnen auch Unverständnis. Mattias, der mit einem Lachen und kleiner Geste ihre Welt wieder gerade rückte.
Da ist außerdem ein Alkoholiker von dem man lange nicht weiß, wie er in dieses Buch passt. Dieser lässt sich treiben, hat kein eigenes Lebensziel vor Augen und auch keinen Antrieb. Lebt, wie es kommt und man würde landläufig sagen, er hatte mit allem was er anpackte auch noch Glück. Doch warum wird so jemand zum Alkoholiker und braucht diesen Stoff, durch sein Leben zu kommen? Sinnlosigkeit und Leere, die sonst nicht zu ertragen wäre? Wir lesen von Freunden die Mattias persönlich kannten, ein Internetfreund, der ihm im Alltag nie begegnete, für den er aber trotzdem von Bedeutung war. Seine Mutter, als auch die Mutter des jungen Mannes, der den Tod von Mattias verschuldete. Auch dieser "Täter" hatte eine Lebensgeschichte, die auf wenigen Seiten erzählt wird. Nichts Persönliches kostete Mattias das Leben. Er war nur zur falschen Zeit am falschen Ort.
Das Leben aller wurde von Mattias beeinflusst.
Der Autor schreibt in einem minimalistischen Stil. Und trotzdem ist alles Wichtige, das es zu verstehen gibt, gesagt. Mich erinnert es etwas an Robert Seethalers Roman "Ein ganzes Leben". Zwar haben die Inhalte nichts gemeinsam, jedoch auch R. S. drückt auf wenigen Seiten alles Wesentliche aus, was es zu dem Leben des Protagonisten zu sagen gab.
Das Buch "Nach Mattias" werde ich in wenigen Wochen noch einmal zur Hand nehmen. Ich bin mir sicher, dass ich dann noch viel mehr herauslese als beim ersten Mal. Auch als Leser wurde ich von Mattias berührt.

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