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Veröffentlicht am 08.06.2020

Moderne Zeiten

Die Schule am Meer
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Eine ungewöhnliche Familie Ist die Familie Reiner, die 1925 nach Juist zieht - gänzlich unkonventionell, wie es scheint. Die neue Schule, die dort entstehen soll, geht eigene Wege, sie folgt nämlich neuen ...


Eine ungewöhnliche Familie Ist die Familie Reiner, die 1925 nach Juist zieht - gänzlich unkonventionell, wie es scheint. Die neue Schule, die dort entstehen soll, geht eigene Wege, sie folgt nämlich neuen Ansätzen. Ebenso wie das angegliederte Internat.

Ein historischer Roman über ein Modell der Reformpädagogik - ein spannendes und interessantes Thema. Und vor allem: Es geht nicht nur darum, sondern auch um die Akzeptanz dieser neuen Schulform. Und damit können die Ureinwohner von Juist so gar nichts anfangen. Auch die zwei Welten, die hier aufeinander treffen, bilden einen wichtigen Bestandteil der Handlung: Hier trifft Modernes auf Althergebrachtes und das ist noch nie ohne Reibereien abgelaufen.

Sorgfältig, mit Liebe zum Detail, ganz, wie man es von ihr gewohnt ist, beschreibt Autorin Sandra Lüpkes dieses Szenario - eine Thematik, die ich sehr genossen habe! Es sind nämlich nicht nur die genannten zwei, sondern es sind gleich mehrere neue Welten, die man als Leser hier betritt. Und die ich viel zu früh wieder verlassen musste - fast wünsche ich, es gäbe einen zweiten Teil!

Veröffentlicht am 31.05.2020

Entspannt leben, kriminell handeln

Das Kind in mir will achtsam morden
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Geht das? Anwalt Björn Diemel hat damit allerbeste Erfahrungen gemacht, seit er achtsam mit sich selbst umgeht. Inzwischen lebt er getrennt von seiner Frau Katharina, mit der er sich jedoch gemeinsam um ...

Geht das? Anwalt Björn Diemel hat damit allerbeste Erfahrungen gemacht, seit er achtsam mit sich selbst umgeht. Inzwischen lebt er getrennt von seiner Frau Katharina, mit der er sich jedoch gemeinsam um Tochter Emily kümmert. Für die es inzwischen - rein zufällig - einen Kindergartenplatz gibt, der sich - ebenso zufällig - im selben Haus wie Björns neue Wohnung befindet und - auch das ganz zufällig - von Sascha, dem ehemaligen Fahrer einer der mafiösen Banden des vorherigen Falles geleitet wird, der zufällig auch Pädagoge ist. Und inzwischen Björns Schicksalsgenosse und Freund. Und Nachbar, denn auch Sascha wohnt in diesem Haus.

Aber auch noch eine Altlast vom vorherigen Fall. Denn Björn mag nicht mehr morden. Auch wenn sich bisher alles ganz gut zusammengefügt hat und er inzwischen - im Geheimen sozusagen - zwei miteinander verfeindete mafiöse Clans leitet und davon nicht wenig profitiert, hat er gemerkt, dass Morden doch nicht so ganz sein Ding ist. Auch wenn es noch so entspannt vonstatten geht.

Doch da hat er die Rechnung ohne sein inneres Kind gemacht, mit dem er auf Anraten seines Therapeuten in Kontakt getreten ist. Was im großen und ganzen ausgesprochen bereichernd und erfüllend ist, doch in diesem einen durchaus zentralen Punkt sind sie sich nicht einig.

Im Gegensatz zum ersten Teil fand ich diesen überhaupt nicht langatmig, sondern richtig spritzig - Björns inneres Kind hat doch so einiges aufgemischt. Doch in dieser Krimödie geht es noch weniger frauenfreundlich zu als im vorherigen Band, deswegen bin ich noch immer nicht uneingeschränkt begeistert. Aber im Großen und Ganzen schon: denn auch dieser Fall enthält etliche ausgesprochen originelle Elemente, die zudem ganz klar im Hier und Jetzt wurzeln. So ist beispielsweise ein Imperium von Elektrorollern, also solchen, die ausgeliehen werden können und sicher nicht nur mich damit nerven, dass sie überall die Wege blockieren, Teil des neuen Falles.

Achtsamkeit ist nicht aller, aber doch einiger Laster Anfang, doch diese Laster können wunderbar entspannen und das Leben vereinfachen. Auch der Dialog mit dem eigenen inneren Kind eignet sich durchaus zur Übernahme in den eigenen Alltag, aber ich würde als Basis dafür dann doch das Buch "Das Kind in Dir muss Heimat finden" von Stefanie Stahl empfehlen. Unter uns: ich glaube, auch Björns Therapeut hat das ausgiebig gelesen, ebenso wie der Autor dieses unterhaltsamen Bandes Karsten Dusse!

Ich habe mich wieder köstlich amüsiert und freue mich bereits auf den nächsten Fall!

Veröffentlicht am 26.05.2020

Zerrissenheit...

Giovannis Zimmer
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überall, wohin man auch nur blickt - und das mitten in den 1950er Jahren in Paris! Hatten die Menschen damals keine Werte, keine Ideale?

Doch, aber die waren eng getaktet, bzw. hatten das zu sein. Hier ...

überall, wohin man auch nur blickt - und das mitten in den 1950er Jahren in Paris! Hatten die Menschen damals keine Werte, keine Ideale?

Doch, aber die waren eng getaktet, bzw. hatten das zu sein. Hier schreibt der Autor James Baldwin - selbst Afroamerikaner und homosexuell, damit gleich in zweifacher Hinsicht Angehöriger einer Randgruppe - aus der Sicht eines Landsmannes, der allerdings weiß ist. Aber eben homosexuell, was bisher (noch) nicht viele in seinem Umfeld wissen.

Der Protagonist kommt aus wohlhabenden und angesehenen Kreisen und hat auch vor, dorthin zurückzukehren - zusammen mit seiner Zukünftigen, die derzeit durch Südeuropa reist.

Doch dann kommt ihm die Leidenschaft in die Quere - zusammen mit Giovanni, einem jungen Italiener, den er sozusagen auf den ersten Blick erobert, lebt er diese voll aus. Und möchte sich dann wieder abwenden davon, von dieser - so hofft er - temporären jugendlichen Tollheit. Doch der heißblütige Giovanni, der ihm so vieles gegeben hat, vor allem sich selbst in jeder Hinsicht, lässt dies nicht zu. Und als er sich seiner Ohnmacht bewusst wird, passiert ...

Nein, das verrate ich jetzt nicht, das muss sich jeder selbst erlesen. Und sich damit auf den Prüfstand begeben in Bezug darauf, ob und wie gut er das durchsteht. Denn es ist keine leichte Kost, man braucht schon starke Nerven für diese Lektüre. Nicht nur Giovanni gibt so vieles von sich preis, nein, die Helden des Romans, sowohl die Haupt- als auch die Nebenfiguren, sowohl die männlichen als auch die weiblichen (gut, davon gibt es nur eine) stellen sich nicht nur einmal bloß.

James Baldwin hat es 1956, als er diesen Roman verfasste, geschafft, in das Innerste und Tiefste all seiner Protagonisten vorzudringen und alles, was sie eigentlich zu verbergen trachten, offenzulegen. Zunächst einmal natürlich vor uns Lesern, aber ebenso vor den anderen Akteuren des Romans. Und obwohl dies ein Werk ist, in dem Hauen und Stechen eine eher geringe Rolle spielen, könnte man meinen, es wäre ein Thema. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Roman, in dem sich Vieles unterschwellig abspielt, so brutal sein kann! Und das auch noch, obwohl mich das Werk nicht mal ganz in meinem tiefsten Inneren erreichte! Das liegt aber nicht am mangelnden Können des Autors, nein, ganz und gar nicht.

Aber irgendwie fühlte ich mich während der Lektüre doch immer sehr weit entfernt von der Thematik - und daran konnte weder der eindringliche Stil des Autors noch die wunderbare Übersetzung von Miriam Mandelkow etwas ändern!

Veröffentlicht am 10.05.2020

Das ist die Kölner Luft - mit Parfum-Duft!

Die Lilienbraut
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Schon die Ansiedlung des neuen Romans von Teresa Simon machte mich neugierig - nirgendwo anders als in meiner Heimatstadt Köln spielt die Geschichte der Lilienbraut und das in einer sehr unbarmherzigen ...

Schon die Ansiedlung des neuen Romans von Teresa Simon machte mich neugierig - nirgendwo anders als in meiner Heimatstadt Köln spielt die Geschichte der Lilienbraut und das in einer sehr unbarmherzigen Zeit, nämlich während des Zweiten Weltkriegs. Wobei es wie immer bei dieser Autorin auch einen Erzählstrang gibt, der in der Gegenwart stattfindet.

Hier treffen wir die Niederländerin Liv, die mit ihrem kleinen Söhnchen frisch nach Köln gezogen ist und im Stadtteil Ehrenfeld einen Parfumladen eröffnet hat. Rasch lernt sie ihre Umgebung kennen und freut sich, dass viele Kölner ihr offen und ausgesprochen hilfsbereit begegnen. Aber längst nicht alle! Bald schon muss sie einen ganz besonders fiesen und heimtückischen Angriff auf ihren Laden hinnehmen und alles deutet mehr und mehr auf eine Verbindung in die Vergangenheit. Denn warum hat Livs kürzlich verstorbene Tante, der sie den Geldsegen für die Gründung des Ladens verdankt, wohl darauf bestanden, dass Liv diesen in Köln einrichtet?

Schauen wir zurück in die Vergangenheit, landen wir in einer für Köln ganz besonders schweren Zeit, war es doch die Stadt, die von allen in Deutschland am häufigsten bombardiert wurde und zwar in allen Phasen des Krieges. Nellie Voss lebt mit Mutter und Bruder in Ehrenfeld und hat eine Anstellung in der rennomierten Parfumerie 4711 ergattert. Ihre Mutter betreibt eine kleine Kneipe, in der sie abends hilft. Wie so viele Kölner sind die Vossens fromme Katholiken und besuchen regelmäßig den Gottesdienst. Und gerade dort trifft Nellie ihre große Liebe.

Peu à peu bewegen sich beide Erzählstränge geschickt aufeinander zu, um sich kurz vor dem Finale geschickt miteinander zu verbinden. Gut getroffen ist hier sowohl der besonders offene Geist der Kölschen sowie die multikulturelle Veedels-Atmosphäre, die gerade in Ehrenfeld auch "in echt" ausgesprochen präsent ist. Als bemerkenswert empfinde ich die lebendigen Darstellungen Kölns, insbesondere Ehrenfelds in Vergangenheit und Gegenwart - hier hat die Autorin, die selbst keine Kölnerin ist, voll ins Schwarze getroffen - das muss man erst mal hinbekommen!

Allerdings hätte sie ihr Personal aus meiner Sicht nicht auf Kölsch sprechen lassen sollen, denn da passt so einiges nicht. Ich selbst bin auch nicht sattelfest und halte mich in der Regel zurück, kann Fehler aber erkennen.

Zudem ist bei einer derart erfolgreichen Autorin wie Teresa Simon davon auszugehen, dass sich nicht nur Leser an das Buch wagen, die Köln und seine Eigenarten kennen - hier hätten einige Begriffe wie bspw. "Köbes" genauer erläutert werden können. Aber all das hat mein Lesevergnügen nur minimal einschränken können - insgesamt hatte ich viel Freude mit und Liv, Nellie und allen anderen, auch wenn der Roman schon aufgrund der Thematik nicht gerade leichtfüßig daherkommt!

Veröffentlicht am 04.05.2020

Hannah in Wort und Bild

Die drei Leben der Hannah Arendt
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Und zwar Hannah Arendt, eine der Frauen, die im 20. Jahrhundert etwas zu sagen hatten. Und zwar zu Fragen des Glaubens und der Kultur, am allermeisten jedoch zur Politik. Und zwar in Zeiten, als es richtig, ...

Und zwar Hannah Arendt, eine der Frauen, die im 20. Jahrhundert etwas zu sagen hatten. Und zwar zu Fragen des Glaubens und der Kultur, am allermeisten jedoch zur Politik. Und zwar in Zeiten, als es richtig, richtig gefährlich war, nämlich in den 1930er und 1940er Jahren. Auch danach verstummte sie nicht - und erntete viel Kritik.

Aber nicht nur sie enttäuschte, auch sie selbst wurde enttäuscht, so bspw. in großem Maße von Martin Heidegger, ihrem zeitweiligen (Hochschul)Lehrer und Geliebten, der es durchaus auch mit den Nazis hielt.

Ein Einblick ist dies in das bzw. in die drei Leben(sphasen) der Hannah Arendt, der sicher nichts für jeden ist - kommt er doch sehr komprimiert rüber und nicht immer sind die vom Zeichner Ken Krimstein ausgesuchten Szenen diejenigen, die man selbst erwählt hätte.

Wie auch immer - ich habe Graphic-Novel-Erfahrung und mir gefällts. Ich würde diese besondere Art der Biographie allerdings - bspw. als Geschenk - nicht allein stehen lassen, sondern entweder die Karte dazu mit Links garnieren oder sie im Doppel mit einem anders gearteten Werk verschenken. Für visuell orientierte Menschen durchaus ein Gewinn - wobei ich doch zu gern erfahren würde, was genau Krimstein mit der Farbe Grün assoziiert, die er Hannah auf jeder Zeichnung unterjubelt - sozusagen als KennZeichnung!

Ein besonderes Werk und sicher nichts für jedermann - aber aus meiner Sicht durchaus eine Bereicherung des Angebots zur Person Hannah Ahrendt.