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Veröffentlicht am 31.05.2020

Hommage an Gothic Novels

Die stummen Wächter von Lockwood Manor
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Dieses Buch wird sicherlich polarisieren. Wer einen knappen, modernen Stil bevorzugt, der nur eine kurze Aufmerksamkeitsspanne erfordert und eine actiongeladene Handlung erwartet, wird unweigerlich enttäuscht ...

Dieses Buch wird sicherlich polarisieren. Wer einen knappen, modernen Stil bevorzugt, der nur eine kurze Aufmerksamkeitsspanne erfordert und eine actiongeladene Handlung erwartet, wird unweigerlich enttäuscht werden. Stattdessen arbeitet die Autorin immer wieder mit raffinierten Schachtelsätzen, die zwar nicht Proustsche Länge erreichen, aber doch herrrlich an die brillianten Klassiker längst vergangener Zeiten erinnern. Sie schafft atmosphärisch-dichten, subtilen Grusel, der mit seinen Elementen bewusst immer wieder die Gothic Novels der Epoche der Schwarzen Romantik zitiert. Wer diese wie ich liebt, wird von diesem Buch dagegen genauso begeistert sein, wie ich es war.

Die junge Hetty führt ein ereignisarmes, einsames Leben in London Ende der Dreißiger Jahre. Sie geht auf in ihrem Beruf, bei dem sie die Säugetierabteilung eines Historischen Museums leitet. Dessen Exponate sind hauptsächlich ausgestopfte Tiere, mit denen Hetty jedoch lieber umgeht als mit ihren Kollegen.

Kriegsbedingt wird die Sammlung auf das herrschaftliche Lockwood Manor verlegt. Doch anscheinend ist sie dort weniger sicher als in London: Tiere wechseln auf geheimnisvolle Weise ständig die Plätze, verschwinden ganz oder werden gar verstümmelt. Ebenso seltsam wie diese Ereignisse sind die Bewohner von Lockwood Manor: der frisch verwitwete Major, dessen exotische Frau kürzlich auf mysteriöse Weise ums Leben kam, dessen Liebschaften, seine schöne, aber wenig belastbare Tochter Lucy und eine Heerschar von Dienstboten.

Während Hetty in Lucy eine Freundin findet, wird sie immer tiefer in die Rätsel des düsteren Herrenhauses hineingezogen, denn die Schatten der Vergangenheit reichen bis in die Gegenwart und bedrohen nicht nur Lucy, sondern auch Hettys geliebte Sammlung. Die ausgestopften Tieren werden dabei zu den titelgebenden stummen Wächtern von Lockwood Manor. Sie finden sich auch passenderweise auf dem wunderbar färbenprächtigen Cover, das sofort ins Auge fällt.

Verschwundene Räume, Spuk, Wahnsinn und menschliche Abgründe: Ich hatte große Lesefreude daran zu rätseln, ob sich alle Geheimnisse auf natürliche Weise aufklären würden oder echte Geister Lockwoods Flure unsicher machen. Ich werde auf jeden Fall nach weiteren Büchern von Jane Healey Aussicht halten.


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Veröffentlicht am 24.05.2020

NinaBlazon kann einfach alles

Liebten wir
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Fünf Sterne vergebe ich am liebsten. Dennoch tue ich es hier wohl auch wirklich selten. Im Falle dieses Romans tue ich es nun aus vollem Herzen. Frau Blazon ist mir als großem Fantasyfan schon durch ihre ...

Fünf Sterne vergebe ich am liebsten. Dennoch tue ich es hier wohl auch wirklich selten. Im Falle dieses Romans tue ich es nun aus vollem Herzen. Frau Blazon ist mir als großem Fantasyfan schon durch ihre Romane aus dieser Kategorie ein Begriff. Dieser Roman hat nun mit Fantasy überhaupt nichts zu tun und entzieht sich gekonnt einer genaueren Genreklassifikation. Beziehungs-/Familien-/Zeitgeschichte-/Finnland-Roman, Krimi, Roadmovie? All das und noch viel mehr. Und vor allem eins war mir ein Hochgenuss: Die Figuren dieses Romans scheinen zu atmen und zu bluten, so lebensnah, so unverwechselbar sind sie. So oft klappe ich ein Buch am Ende zu und denke, naja, ganz nett, aber das waren ja bloße Abziehbilder, vollkommen austauschbar. Mit dieser hervorragenden Autorin droht das dem Leser nicht. Hinzu kommt die atmosphärisch dichte Erzählweise und eine wunderbar bildhafte Sprache, die Menschen und Situationen aufs Genaueste quasi zu sezieren vermag. Hier meine drei Lieblingsstellen zur Einstimmung, die mich, auch aus persönlicher Betroffenheit, sehr beeindruckt haben: "Das ist nämlich mein Geheimnis: Meine Mutter ist nicht tot. Auch in den Märchen sterben Mütter niemals ganz, sie raunen in Bäumen, schicken Botschaften, überbracht von verzauberten Tieren, oder sie kommen nachts zu ihren Kindern zurück, um sie in die Arme zu nehmen und zu wiegen."..."Weißt du, es gibt Momente im Leben, die wie ein Fallbeil sind. Sie trennen das Vorher vom Nachher."...."Er ist immer auf dem Sprung; sein Zuhause ist das Dazwischen - Türschwellen und Grauzonen ohne Verbindlichkeiten."
Um so vieles geht es hier: Familien und ihre Geheimnisse, Finnland, Fotografie, Kriegsgeschehnisse vor langer Zeit... Vor allem ist es die Geschichte von Moira, deren Kindheit alles andere als normal war. Erst allmählich begreift der Leser, was es mit Moira auf sich hat, warum sie, die autodidaktische Berufsfotografin, ihre Kamera fast wie eine Spannerin benutzt. Sie entreißt den Menschen ihre Geheimnisse und hält gleichzeitig die Welt auf Abstand. Sie selbst bezeichnet sich als Kuckucks-Seele, immer auf der Suche nach einem warmen Nest. Selbst ihren jeweiligen Freund sucht sie wegen seiner harmonisch wirkenden Familie aus, so auch Leonid mit russischen und finnischen Wurzeln. Ruft sie ihre eigene Schwester an, nimmt diese jedoch automatisch an, sie müsse lebensbedrohlich erkrankt sein. Wie ein Kaleidoskop, aus vielen Andeutungen und Begebenheiten, erschließt sich im Laufe des Buches die Vergangenheit von Moira und ihrer Schwester Danae, gipfelt schließlich sogar in der Aufklärung eines Mordfalls.
Da das erste tatsächliche Treffen mit Leonids Famile auf unerwartete Weise eskaliert, findet sich Moira auf einmal auf der Flucht mit der Großmutter ihres Freundes, Ainu, in deren Heimat Finnland wieder. Auch das eine originelle Idee. Der Hauptteil des Buches spielt denn auch dort und hat in mir großes Interesse an diesem Land geweckt. Auch Ainus Vergangenheit und deren Geheimnisse entfalten sich nach und nach, und führen letztendlich dazu, dass Moira nach dem Scheitern ihrer Beziehung zu Leonid eine neue Liebe findet und ihre eigene traumatische Vergangenheit ein Stück weit loslassen kann.
Harmlos-verspielt kommt das Cover des Buches daher, mit rosa Wolken und Schlieren, wie sie die Flugszeuge im Sommerhimmel hinterlassen. Obwohl sonst kein rosa-Fan, hat mir die grau/neonrosa-Kombination ausnehmend gut gefallen. Ich wünschte nur, der Roman wäre als gebundenes Buch erschienen, denn er hat das Zeug zum Lieblingsbuch, so wie auch Nina Blazon nun endgültig zu meinen Lieblingsautoren gehört. Es ist definitiv eine Geschichte zum Wiederlesen. Ich fühle mich jetzt seltsam ambivalent: Selten war ich so dankbar für den Gewinn eines Buches. Wunderbar, dass ich es schon vor dem Erscheinen lesen durfte. Die Banderole des Verlages "Ein besonderes Buch für Sie" lasse ich dran, weil das Buch wirklich besonders ist. Gleichzeitig beneide ich alle, die den Lesegenuss noch vor sich haben. Wie gut, dass ich von der Autorin noch "Ascheherz" auf meinem Stapel ungelesener Bücher habe!

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Veröffentlicht am 24.05.2020

Noch so ein wunderbares Buch

Noch so eine Tatsache über die Welt
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Ich freue mich, schon wieder kann ich fünf Sterne vergeben. Meisterhaft vermag es die junge australische Autorin, Gefühle von Trauer und Verlust zu beschreiben. Das kann man nur, wenn man selbst tief getrauert ...

Ich freue mich, schon wieder kann ich fünf Sterne vergeben. Meisterhaft vermag es die junge australische Autorin, Gefühle von Trauer und Verlust zu beschreiben. Das kann man nur, wenn man selbst tief getrauert hat, habe ich die ganze Zeit über gedacht, und tatsächlich erfährt man im Nachwort, im allerletzten Satz, vom Tod ihrer Mutter. Drei Protagonisten erfand Brooke Davis, die ihrem Schmerz Ausdruck verleihen. Das sonderbare, aber liebenswerte siebenjährige Mädchen Millie, dessen Vater stirbt und das daraufhin von ihrer Mutter einfach in einem Kaufhaus zurückgelassen wird. Den 87jährigen Karl, dem Millie dort begegnet. Carl ist ein Altersheim-Flüchtling und nennt sich selbst der Tasttipper, weil er alles, was er sagt, gleichzeitig mit den Fingerspitzen vor sich hin tippt. Er hat seine geliebte Frau verloren. Dann ist da noch die alte Agatha, die nach dem Tod ihres Mannes eine aus ihrem Fenster schreiende Frau wurde und ihr Haus nicht mehr verließ. Stattdessen folgt ihr Leben unsinnigen, immer gleichförmigen Ritualen, um der Einsamkeit zu entkommen. Agatha wohnt gegenüber von Millies Familie und kennt, wie sich im Laufe der Geschichte herausstellt, auch Karl vom Sehen.
Sehr schnell ans Herz gewachsen ist mir Millie. Sie kann dem Leser einfach nur leid tun. Ihre Mutter hat gar kein Interesse an ihr. Selbst als Millies Vater noch lebt, sitzt er eigentlich nur vor dem Fernseher. Alleingelassen, treibt Millie ihre eigenen Studien und versucht der Vergänglichkeit zu begegnen, indem sie alles in ihr "Buch der toten Dinge" einträgt. Die kindliche Perspektive war dabei sehr gut eingefangen. Millie hat mich oft nicht nur zu Tränen gerührt, sondern ihre Studien habe mich manchmal auch zum Lachen gebracht. Da werden zum Beispiel bei einem Mitschüler, der Millie Geburten erklären soll, Plazentas mal eben zu Placebos.
Auch Agatha war mir mit wenigen Ausnahmen überraschend sympathisch. Im wahren Leben würde man wohl schnell die Straßenseite wechseln, wenn man ihr begegnet, aber Brooke Davis hat für mich Agathas Verhalten begreifbar gemacht. Außerdem hat es mich, wenn Agathas zu Beginn alles laut herausschreit, was sie gerade macht ("Ich wasche mich gerade!") und eigentlich nur aus Ausrufezeichen besteht, nicht nur gerührt, sondern bei allem Mitleid irgendwie auch zum Schmunzeln gebracht. Nur "Tasttipper" Karl ist mir nicht so nahe gekommen. Die Idee des Tasttippens hat mir auch nicht so gut gefallen und ich habe nicht verstanden, was es Karl genau bedeutet. Mehr habe ich aber wirklich nicht auszusetzen.
Agatha, Karl und Millie begeben sich auf eine verrückte Reise quer durch Australien, immer auf der Suche nach Millies Mutter, obwohl man doch weiß, dass diese von ihrer kleinen Tochter nicht gefunden werden will. Aber zum Glück gibt es noch eine Tante... Agatha und Karl kommen sich immer näher und finden langsam zurück ins Leben. Das Ganze wird in einer ganz eigenen Sprache berichtet, überwiegend im Präsens, die vielen Dialog kursiv gesetzt und ohne Anführungszeichen. Manche Sätze möchte man sich notieren, so gehen sie unter die Haut, z.B. "Das Fehlen seines Namens fühlte sich an wie ein Schwindelanfall". So beschreibt Davis das Fehlen des Namens von Agathas verstorbenen Mann auf dem Anrufbeantworter.
Sicher wird das Buch nicht jedem gefallen. Daher war ich überrascht und erfreut, dass es in Australien ein Bestseller ist. Wer oberflächliche Schönwetterliteratur mag, wird den Roman schnell aus der Hand legen. Wer Verlust kennt und selbst tief getrauert hat, wird das Buch zu schätzen wissen.

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Veröffentlicht am 17.05.2020

Rabenschatten zum Zweiten

Der Herr des Turmes
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Besonders gefreut habe ich mich über den Gewinn dieses Romans. Mit dem ersten Teil hatte es damals nicht geklappt, und leider war ich noch nicht dazu gekommen, ihn mir selbst zuzulegen. Aufgrund des Gewinns ...

Besonders gefreut habe ich mich über den Gewinn dieses Romans. Mit dem ersten Teil hatte es damals nicht geklappt, und leider war ich noch nicht dazu gekommen, ihn mir selbst zuzulegen. Aufgrund des Gewinns habe ich ihn mir aber sofort besorgt und hatte nun das Vergnügen, den ersten und den zweiten Teil hintereinander weg zu lesen. Das ist aufgrund der komplexen Handlung wirklich ein Vorteil. Meiner Meinung nach sollte man den ersten Teil jedenfalls auf jeden Fall gelesen haben, denn die Bücher sind nicht in sich abgeschlossen, sondern schließen unmittelbar aneinander an und bauen aufeinander auf. Sonst entgeht dem Leser einfach zu vieles, und das wäre schade.
Im zweiten Band bricht der Autor mit seiner bisherigen Erzählstruktur. Beim "Lied des Blutes" stand ausnahmslos Vaelin al Sorna im Vordergrund, seine Entwicklung vom adligen Kind zum kämpfenden Ordensbruder, in epischer Breite, nur eingebettet in eine kurze Rahmenhandlung um den Chronisten Verniers, dem Vaelin seine Geschichte erzählt.
Nun gibt es vier Handlungsstränge (wenn man die erneute Rahmenhandlung um Verniers nicht mitzählt): Vaelin selbst, sein Ordensbruder Frentis, Prinzessin Lyrna und ein neuer Charakter, Reva, die Tochter des ehemaligen cumbraelischen Herrschers. Diese geänderte Erzählweise hatte aus meiner Sicht Vorteile und Nachteile, wobei die Vorteile für mich stark überwiegen. Einerseits wirkte das Vorgehen für mich wie ein Bruch zum ersten Band und uneinheitlich. Außerdem erinnert das Ganze dadurch plötzlich an "Das Lied von Eis und Feuer" (Game of thrones), und so wunderbar Rabenschatten auch ist, "Das Lied von Eis und Feuer" ist für mich allseits unerreicht. Die Ähnlichkeit wurde größer, als dann auch noch die Eishorde auftauchte...
Andererseits ist die Vervielfältigung der Hauptpersonen ein Gewinn. Nun treten auch Frauen in den Vordergrund, und Vaelin empfand ich im ersten Teil oft einfach als zu gut um wahr zu sein, einfach zu aufopferungsvoll. Überrascht hat mich, wie gern ich nun über Frentis gelesen habe. Im ersten Teil war er noch ein Kind und hat mich oft eher genervt. Nun waren für mich seine Erlebnisse die interessantesten. Er gerät in die Gewalt einer mysteriösen, bis zum Schluss namenlosen Frau, die ihn einfach zu allem zwingen kann, sogar den König der Königslande zu ermorden! Mit dieser Zauberin ist dem Autor eine wirklich facettenreiche böse Person gelungen. Auch Lyrnas Handlungsstrang war für mich sehr spannend. Überhaupt enden viele Kapitel mit einem Cliffhanger, und die Geschichte springt zunächst zu einem weiteren Protagonisten. Überraschenderweise geriet der beinahe übermächtige Vaelin dabei zunehmend in den Hintergrund, seine Abenteuer waren einfach blasser trotz oder gerade wegen seiner Ernennung zum titelgebenden Herrn des Nordturmes. Reva hat mich auch nicht so gefesselt. Die plötzliche Einführung dieses Charakters als gleichwertige Hauptperson und ihre Suche nach dem Schwert ihres Vaters habe ich als ziemlich gezwungen erlebt. Aber ich denke, hier werden die Geschmäcker der Leser sehr verschieden sein. Sicher ist für jeden Fantasyfan etwas dabei. Der Anteil der dunklen Gaben im Buch nimmt auch deutlich zu, es wird magischer. Und man fragt sich schon jetzt: Womit wird uns der Autor im dritten Teil überraschen? Ich kann es kaum erwarten.

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Veröffentlicht am 17.05.2020

Hommage an Wiedersehen mit Brideshead

Ein anderes Paradies
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Kaum gewonnen, war das Buch schon in der Post. Innerhalb von zwei Tagen hatte ich es dann verschlungen. Ich mochte es kaum aus der Hand legen, und die Seiten flogen nur so dahin.
Die Abbildung des Buchumschlages ...

Kaum gewonnen, war das Buch schon in der Post. Innerhalb von zwei Tagen hatte ich es dann verschlungen. Ich mochte es kaum aus der Hand legen, und die Seiten flogen nur so dahin.
Die Abbildung des Buchumschlages hatte ich zunächst noch etwas unscheinbar gefunden, aber das Original kann sich dann doch wirklich sehen lassen. Es ist in sehr sanften Tönen gehalten, das Mädchen mit dem abgewandten Blick wirkt wie auf der Durchreise in ihrem eigenem Leben. Vor allem der pastellige Türkiston hat es mir angetan, aber auch die gemalte Muschel, die sich zu Beginn der Kapitel wiederfindet sowie in der Handlung, da ein Teil am Meer spielt und die Hauptprotagonistin Muscheln als Erinnerungsstücke sammelt.
Das Ganze beginnt mit einem vorangestellten Kommentar aus "Wiedersehen mit Brideshead" von Evelyn Waugh, das ich schon in meiner Jugend geliebt habe. Seltsam, als Kind habe ich Bücher für Erwachsene gelesen, und nun, Jahrzehnte später, liebe ich Jugendbücher! Und tatsächlich kann man "Ein anderes Paradies" als Nacherzählung von "Wiedersehen mit Brideshead" für Jugendliche betrachten. Die Ähnlichkeiten sind so frappierend, dass es unmöglich ein Abkupfern sein kann. Der Roman ist wohl als eine echte Hommage gedacht. Ich habe daher eine Weile geschwankt, ob ich nicht doch nur vier statt fünf Sterne vergeben kann, denn natürlich ist "Wiedersehen mit Brideshead" ein echter Klassiker der englischen Literatur, mit dem das Jugendbuch im direkten Vergleich nicht mithalten könnte. Aber "Ein anderes Paradies" hat mir soviel Freude bereitet, dass ich beschlossen habe, es von seinem literarischen Vorbild losgelöst zu bewerten. Und wird jemand außer mir bei Vorablesen die überdeutliche Vorlage erkennen? Ich bin gespannt!

Statt Charles Ryder im Original haben wir es hier mit Charlotte Ryder, genannt Charlie, als Protagonistin zu tun. Auch sie lernt die reichen Geschwister Julia und Sebastian kennen, und verliebt sich anders als Charles dann natürlich in Sebastian und nicht in Julia. Zwangsläufig sind die Rollen im Vergleich zu "Widersehen mit Brideshead" also vertauscht. Julia ist ein sehr unsteter Charakter, voller Leben, sehr eigen, aber auch von tiefer Melancholie umschattet. Sie war bei einem Autounfall dabei, der ihre ältere Schwester und deren Freund das Leben kostete. Das hier nicht alles so ablief wie geschildert, ahnt der Leser schon früh. Julias Familie ist froh über den guten Einfluss, den Charlotte auf Julia hat, und stellt sie nahezu unter ihre Aufsicht. Bald sind die beiden unzertrennlich, im Internat und im Strandhaus von Julias Eltern. Als sich Sebastian von seiner Freundin trennt, wird aus Sebastian und Charlotte unabwenbar ein Paar. Immer tiefer wird Charlotte in die Welt der wohlhabenden und einflussreichen Buchanans gesogen und vergisst beinahe, ihren eigenen Weg zu gehen, der sie eigentlich auf eine Kunsthochschule führen soll. Als die Wahrheit über den Unfall ans Licht kommt, zerfällt jedoch ihre Freundschaft zu Julia wie ein Kartenhaus, und auch ihre Liebe zu Sebastian ist mehr als gefährdet...
Das Buch hat mich regelrecht in seinen Bann gezogen und war viel zu schnell vorbei, zumal das Ende auch etwas plötzlich kam. Die Geschichte ist sehr dialoglastig, was sie noch lebendiger wirken lässt und das Erzähltempo weiter gesteigert hat. Sie ist sehr modern aufgebaut und enthält am Ende der Kapitel häufig den Austauch von Kurznachrichten oder Emails, was sehr frisch wirkt. Durch die den einzelnen Teilen vorangestellten klassischen lateinischen Zitate entsteht aber auch ein gewisser Tiefgang. Ein wirklich gelungene Mischung! Ich habe das Buch einfach genossen. Wieder einmal ein sehr guter Roman aus dem Carlsen Verlag!

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