Eindringlich und ungewöhnlich
Irmas Vormund„Irmas Vormund“ ist in mehrerlei Hinsicht ein ungewöhnliches Buch. Dies beginnt schon mit der Thematik – Arno Breslauer ist Vormund seiner psychisch erkrankten Mutter Irma und ringt in diesem autobiographisch ...
„Irmas Vormund“ ist in mehrerlei Hinsicht ein ungewöhnliches Buch. Dies beginnt schon mit der Thematik – Arno Breslauer ist Vormund seiner psychisch erkrankten Mutter Irma und ringt in diesem autobiographisch geprägten Roman sowohl mit sich selbst wie auch mit der Beziehung zu seiner Mutter. Eine schwierige, schmerzliche Situation, die kontemplativ beleuchtet wird. Der Autor verknüpft einige Tage einer ohnehin schwierigen Lebensphase Arno Breslauers mit dessen Betrachtungen der Familiengeschichte, seiner Spurensuche.
Auch der Schreibstil weist Ungewöhnlichkeiten auf, zum einen durch die innere Distanz, die sich allmählich auflöst, zum anderen durch den Stil selbst. Die innere Wandlung von Distanz zur Innigkeit ist faszinierend, wir sind bei dieser emotionalen Reise dabei und sie wird anschaulich geschildert. Man merkt die Tiefe der Gedanken und Gefühle. Der Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig und hat mich nur teilweise überzeugt. Viele Formulierungen sind unbeholfen, die Angewohnheit, Teilsätze als Einzelsätze zu schreiben, irritierte mich häufig. Generell hätte m.E. ein Lektorat nicht geschadet. Andererseits finden sich aber auch ganz wundervolle Formulierungen und Sätze von solch emotionaler Wucht und Schönheit, daß ich sie mehrmals las. Insgesamt sticht der Schreibstil also schon durch diese Mischung heraus.
Die Familiengeschichte geht einige Generationen zurück und liest sich faszinierend. Es finden sich hier zahlreiche ungewöhnliche Ereignisse, die selbst schon Material für einen Roman ergeben würden. Sie sind leider etwas knapp geschildert, manche Fragen bleiben offen und vieles hätte ich gerne wesentlich ausführlicher gelesen, dies liegt aber, wie im Buch erwähnt wird, schlichtweg an fehlenden Informationen und ist nicht zu ändern. Das, was hier berichtet wird, ist jedenfalls vielseitig und lesenswert.
Die Lebenssituation Breslauers wird dafür ausgesprochen detailliert geschildert. Mir wurde die minutiöse Darstellung alltäglicher Details, bis hin zur Beschreibung der Mahlzeiten, oft zu viel, hier hätte einiges weggelassen werden können, was die Wirkung eher verstärkt hätte. Interessant sind die Einblicke in den Berufsalltag eines Pastors.
Ein wirklich bedauerliches – und leicht vermeidbares – Manko sind die zahlreichen Zeichensetzungs-, Formatierungs- und Tipp- bzw. Rechtschreibfehler. Der Buchsatz irritiert beim Lesen durch fast ständiges Zerschießen des Blocksatzes in der vorletzten Absatzzeile sowie Wortabstandsfehler und auch die willkürliche anmutende Zeichensetzung trübte mein Lesevergnügen ganz erheblich. Das ist gerade angesichts des lesenswerten Inhalts bedauerlich, hier sollte dringend nachgebessert werden.
Die Beziehung zwischen Breslauer und seiner Mutter berührt außerordentlich. Mit wohlgesetzten Worten wird deutlich gemacht, welche Verantwortung schon auf dem Kind ruhte, wie sehr alle Familienmitglieder unter der Krankheit Irmas litten und wie sehr sie auf sich allein gestellt waren. Bei der Beschreibung einer Spielszene aus der Kindheit schneidet ein Satz wie „Dann rannte der spätere Vormund auf seine Kind-Mutter zu“ ganz tief ins Herz, weil er die eigentlich so fröhliche Situation schon mit dem Schatten überlagert, der bald auf die Familie fallen wird. Auch Ausdrücke wie „Der kleine Vormund“ sagen sehr viel. Die Geschichte Irmas und Arnos berührt, macht traurig, zeigt aber auch Positives auf. Die philosophischen und religiösen Betrachtungen haben Tiefe und die innere Reise Breslauers verdient Bewunderung.