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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.09.2020

Mitreißend, irgendwie gut, nicht ganz überzeugend

Zugvögel
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Zugvögel, der Debütroman von Charlotte McConaghy, ist für mich sehr schwer zu bewerten. Ich brüte jetzt schon eine ganze Woche darüber und bin immer noch nicht ganz sicher in meiner Punktevergabe. Positiv ...

Zugvögel, der Debütroman von Charlotte McConaghy, ist für mich sehr schwer zu bewerten. Ich brüte jetzt schon eine ganze Woche darüber und bin immer noch nicht ganz sicher in meiner Punktevergabe. Positiv stehe ich der schönen Sprache und der Erzählweise gegenüber. Die Autorin schafft es über den gesamten Roman hinweg, das Interesse des Lesers aufrecht zu erhalten. Man wird immer wieder geködert mit einer potenziellen Entwicklung der Charaktere und der Handlung, die wirklich attraktiv wäre. Leider, und das ist für mich das Negative, kommt es fast nie zu dem, was man sich ausgemalt hatte.

Aus meiner Sicht liegt es an zahlreichen Baustellen, die bedeutungsschwer aufgerissen werden mit großem Bohei und dann teilweise im Sande verlaufen oder sich ganz samtweich auflösen. Beispielsweise wird die Mythologie der Selkies ins Spiel gebracht und der Kapitän des Fischerbootes, das Franny in die Antarktis bringen soll, sagt abwertend etwas in der Art: „Die ist auch so eine“. Am Ende meinte er wohl nur, dass Franny eine Landratte sei. Danach spielt die Mythologie überhaupt keine Rolle mehr. Unter dieser Sichtweise war für mich auch die Auflösung des schon im Klappentext angekündigten Verbrechens enttäuschend. In meiner Wahrnehmung erscheinen diese reißerischen Ankündigungen mit den eher normalen, fast schon langweiligen Auflösungen als logische Fehler.

Trotzdem habe ich den Roman gern gelesen und verstehe nicht ganz warum, denn eigentlich sind logische Fehler für mich untragbar. Dabei habe ich mit großem Interesse die verrückten Gedankengänge von Franny, der Hauptfigur, verfolgt. Die Entstehung ihrer Beziehung zu Niall war fast schon filmreif. Darüberhinaus mochte ich ihren Ehrgeiz und ihr Engagement in Bezug auf die Begleitung der Seeschwalben nach Süden, sowie ihr Durchhalte- und Durchsetzungsvermögen auf der beschwerlichen Reise mit dem Fischerboot. Die Atmosphäre auf dem Boot und das Beziehungsgeflecht der Crew war aus meiner Sicht sehr schön herausgearbeitet.

Fazit: Gern gelesen, teils kopfschüttelnd beendet. Vielleicht war es hier und da dermaßen übertrieben, dass es schon wieder gut war.

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Veröffentlicht am 12.08.2020

Wilde Jagd

Bluthölle (Ein Hunter-und-Garcia-Thriller 11)
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Ich gebe es direkt zu, Bluthölle war mein erster Chris Carter. Natürlich lassen die blutigen Nägel, die in das Buch geschlagen sind, die über und über mit Blut verschmierte Oberfläche und die schreiende ...

Ich gebe es direkt zu, Bluthölle war mein erster Chris Carter. Natürlich lassen die blutigen Nägel, die in das Buch geschlagen sind, die über und über mit Blut verschmierte Oberfläche und die schreiende Präsentation von Autor und Titel keinen Mitternachtsspaziergang erwarten. Trotzdem hat mich die detailliert plastische Darstellung der Gewalttaten kalt erwischt. Schlimmste Ängste wurden direkt angesprochen.

Alles beginnt mit einem Taschendiebstahl, den Angela Wood in einer Cocktailbar begeht, um jemandem Eins auszuwischen, der sich kurz zuvor unmöglich gegenüber anderen Gästen benommen hatte. Der Diebstahl gelingt, doch das Diebesgut ist eine Katastrophe. Die gestohlene Tasche enthält nichts von Wert, sondern das Tagebuch eines Foltermörders. Angela leitet das Tagebuch anonym an das LAPD weiter und wähnt sich sicher. Doch sie hat die Rechnung ohne den Killer gemacht.

Mit der Übergabe des Tagebuchs kommen Hunter und Garcia ins Spiel. Bei den gemeinsamen Ermittlungen steht Robert Hunter überdurchschnittlich stark im Vordergrund. Chris Carter lässt ihn jeweils als erstes sprechen, Hunters analytische Fähigkeiten und Ideen setzen sich spontan in meiner Erinnerung zum Thriller fest. Carlos Garcia ist eher der ausführende Charakter, bleibt für mich im Hintergrund, dabei hatte er mehrfach gute Ansätze parat. Natürlich ist bei einem Zweierteam immer ein Partner mehr der Leader als der andere. Hier war es mir jedoch etwas zu viel zugunsten von Hunter.

Angela Wood, die sich mit ihrer kleinen Rache in den Fokus des Killers gerückt hat, mochte ich nicht wirklich. Ihre niedrige Frustrationsgrenze, ihre mangelnde Disziplin lässt Angela ungünstige Entscheidungen treffen. Das ist zwar der Spannung des Thrillers zuträglich, den Charakter lässt es leider schwach erscheinen.

Ich mochte Bluthölle vor Allem wegen der Spannung, wegen der angstauslösenden, grenzenlos aufregenden Szenarien. Es war ein wenig wie bei einem Verkehrsunfall. Man sollte sich eigentlich am Schaden der Opfer nicht ergötzen, wagt dennoch einen kurzen Blick. Natürlich fand ich auch Robert Hunter faszinierend. Seine kreative Denke, sein Ehrgeiz und sein übermenschliches Durchhaltevermögen haben mich beeindruckt.

Summa summarum ein packender Thriller für den man nicht zu zart besaitet sein sollte. Literarisch darf nicht zu viel erwartet werden. Manches wird halt einfach passend gemacht, wie zum Beispiel als Hunter, Angela und Garcia gemeinsam die Cocktailbar betreten und der Laden eigentlich krachend voll ist. Zufällig sind genau drei Hocker am Tresen frei. Die kleinen Schwächen des Thrillers tun dem Lesevergnügen allerdings keinen Abbruch. Lediglich die vielen Zeitangaben waren etwas nervig. Trotzdem war es eine wilde Jagd von der ersten bis zur letzten Seite.

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Veröffentlicht am 24.07.2020

Stimmt mich nachdenklich

Zwei fremde Leben
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Ricarda Raspe erwartet ihr erstes Kind. Unter der Geburt kommt es zu Problemen. Die Ärzte der Dresdner Klinik teilen mit, das Baby wäre verstorben. Weder Ricarda noch ihr Verlobter dürfen das Baby sehen ...

Ricarda Raspe erwartet ihr erstes Kind. Unter der Geburt kommt es zu Problemen. Die Ärzte der Dresdner Klinik teilen mit, das Baby wäre verstorben. Weder Ricarda noch ihr Verlobter dürfen das Baby sehen und sich verabschieden. Das ist gemäß Vorschrift in der DDR 1973 nicht vorgesehen. Die daraus entstehende Unsicherheit lässt Ricarda‘s ganzes Leben aus den Fugen geraten. Ricarda glaubt an staatlich organisierten Kindesentzug.

Dieser Verdacht drängt sich auch dem sich sorgenden Polizisten Thomas Rust auf, dessen Frau zur gleichen Zeit ebenfalls schwanger in der Dresdner Frauenklinik liegt. Während er auf die Besuchszeit wartet, beobachtet Rust merkwürdige Vorgänge im Umfeld des Krankenhauses. Er beginnt mit Ermittlungen, die ihn immer tiefer in DDR-Machenschaften hineintreiben, ihn selbst in höchste Gefahr bringen.

Dieser Handlungsstrang nimmt den größten Anteil des fesselnden Romans in Anspruch. Der zweite Teil der Geschichte startet Jahre später als die junge Claudia Behling erfährt, dass ihre Funktionärseltern gar nicht ihre leiblichen Eltern sind. Claudia begibt sich auf die Suche nach ihrer Mutter, die sie angeblich nach ihrer Geburt weggegeben hatte.

Der Roman macht sehr deutlich, welche gravierenden Auswirkungen die Gegebenheiten in der DDR auf die Bürger hatte, sobald nicht Alles nach Plan lief. In meiner Wahrnehmung wurden hier zwei Leben verdreht, teilweise ganz zerstört. Beim Lesen konnte man ganz klar die mitschwingende Verzweiflung spüren. Der Roman setzt sich darüberhinaus mit der Staatssicherheit auseinander. Wie schnell konnte man in deren Fänge geraten und musste fortan IM sein? Er berichtet aber auch von verschiedenen Stasitypen, von den Engagierten und den mit vielen Worten Nichts-Sagenden. Weiterhin erfahren wir von Machenschaften der DDR in Richtung Westen, die dem normalen Bürger vermutlich gar nicht bewusst waren.

Ganz nebenbei streifen wir im Vorbeigehen Dederonstoff, ziehen an einer F6 oder am Choke. Von diesen typischen Vokabeln hätte ich mir noch mehr gewünscht oder etwas mehr Tagesgeschehen. Vermutlich wollte der Autor die Thematik nicht durch Nebensächlichkeiten verklären.

Insgesamt liest sich der neue Roman von Frank Goldammer wie ein Krimi, er ist hochinteressant und richtig spannend. Zwischendurch wurde ich auf falschen Fährten gelockt, zum Beispiel in der Frage, wessen Tochter Claudia nun eigentlich ist. Das hat mir sehr gefallen. Gern spreche ich eine Leseempfehlung aus.

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Veröffentlicht am 29.06.2020

Speziell, total verrückt, irgendwie genial

Dunkle Zahlen
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Schon folgender Auszug aus dem Klappentext gibt den intelligenten Humor preis, mit dem Matthias Senkel den Leser durch seinen Roman führt: „Wie willst Du wissen, dass du noch derselbe bist, wenn du aus ...

Schon folgender Auszug aus dem Klappentext gibt den intelligenten Humor preis, mit dem Matthias Senkel den Leser durch seinen Roman führt: „Wie willst Du wissen, dass du noch derselbe bist, wenn du aus einem Traum erwachst?“ „Wenn ich es nicht wäre, würde sich doch sofort die Frage stellen, was in eben diesem Moment derjenige macht, der sich am Abend zuvor in mein Bett gelegt hat“, erwiderte Sergei. „Woraus, wenn ich es recht überlege, ein heikles Problem für unser aller Sicherheit erwachsen könnte.“

Dunkle Zahlen von Matthias Senkel ist ein Roman, der den Leser regelrecht dazu auffordert, neue Wege zu gehen, damit ein interaktives, vielleicht nerdiges Leseerlebnis zu wagen. Es ist nicht lediglich eine geradlinige Geschichte, auch keine Geschichte mit mehreren Erzählsträngen. Behandelt wird die teilweise durch Fiktion ergänzte Historie der Rechnerentwicklung in der Sowjetunion. Als Aufhänger dient die internationale Programmierer-Spartakiade, die im Roman 1985 in Moskau stattfindet. Im Verlauf begegnet man unzähligen Charakteren, von denen ich Leonid Michailowitsch Ptuschkow, Dimitri Frolowitsch Sowakow und Jewhenij Arsenjewna Swetljaschenko mit größerem Interesse in ihrem Werdegang verfolgt habe.

Bestimmt kann das Buch wie gewohnt von Anfang bis Ende gelesen werden, ich bin allerdings auf Basis des Programmablaufplans auf Seite 9 vorgegangen. Ich las mal vorn, mal weiter hinten im Buch, es war ein Vor- und Zurückblättern. Trotzdem war das Konstrukt logisch. Nur wusste ich dadurch nicht so genau, wieviel Lesevergnügen mir noch bleibt.

Matthias Senkel hat in seinem Roman Dinge verbunden, die man in dieser Konstellation eigentlich nicht erwartet. Neben Märchenhaftem und Fantastischem gibt es Fakten wie auf Seite 164 „— etwa, dass zwischen jeder beliebigen Zahl und ihrem verdoppelten Wert mindestens eine Primzahl liegt.“ Ergänzt wird die Geschichte durch Verzeichnisse zu Abkürzungen, Fachbegriffen und Figuren. Ein Witzarchiv und ein Kreuzworträtsel wird als Topping serviert. Als persönliche Highlights bin ich in „Dunkle Zahlen“ über ein paar Kindheitserinnerungen gestolpert. Neben dem Eierfangspiel mit dem Wolf seien hier beispielhaft nur die Kinderreime von Seite 429 erwähnt.

Natürlich ist es nicht ganz einfach, diesen wechselhaften Singsang zu lesen. Dass ich die gesamte Geschichte korrekt erfasst habe, würde ich ebenfalls nicht behaupten. Was bleibt ist ein Eindruck von Engagement, Leidenschaft und Durchhaltevermögen für ein höheres Ziel, ebenso von Mangel und Tauschgeschäften, aber auch von Spionage, Überwachung und den damit einhergehenden Folgen. Ein wenig konnte ich zudem die sowjetische Seele kennenlernen. Summa summarum, mir hat der Roman gut gefallen.

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Veröffentlicht am 01.06.2020

Das sechste Massensterben

Leben
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Täglich gibt es neue schreckliche Nachrichten über das Artensterben, die Wildtiere im Kruger Nationalpark, Antilopenherden in Südafrika und Fledermäuse auf der Schwäbischen Alb. Jeden Tag werden es mehr ...

Täglich gibt es neue schreckliche Nachrichten über das Artensterben, die Wildtiere im Kruger Nationalpark, Antilopenherden in Südafrika und Fledermäuse auf der Schwäbischen Alb. Jeden Tag werden es mehr Arten, jeden Tag schreitet das Sterben schneller voran. Gleichzeitig treten bei Menschen eigenartige Ausfallerscheinungen auf. Betroffene fühlen sich plötzlich müde, sind körperlich nicht mehr leistungsfähig, als wären sie über Nacht zehn Jahre älter geworden.

In diesem Schreckensszenario entwirft Uwe Laub seinen spannungsgeladenen Thriller. In drei Teilen, die jeweils in kurze Kapitel unterteilt sind, treten die Protagonisten, Mark Brenner, Fabian Nowak sowie Davina DeBoni auf die Bühne der Ereignisse. Die Cliffhanger zwischen den Kapiteln fand ich äußerst gelungen.

Mark Brenner ist dabei der undurchsichtige Typ mit dem Hang zum Nervenkitzel. Rasante Autofahrten gehören genauso zu seinem Repertoire wie das Hacken von Hochsicherheitsrechnern. Seine Figur ist ein wichtiger Spannungslieferant für den gesamten Thriller.
Davina DeBoni, die Wissenschaftlerin mit Leib und Seele, erforscht für die Industrie Flora und Fauna im Amazonasgebiet. Als Expertin für die Tropen ist sie zwar dem Dschungel gewachsen, gerät jedoch in die Alles zermahlenden Interessenräder zweier Konzernriesen. Der Respekt und die Demut, mit der Davina der schon längst gefährdeten Natur gegenübertritt, brachten ihr meine volle Sympathie ein.
Mit der eher langweiligen Hauptfigur, Fabian Nowak, wurde ich erst relativ spät warm. Er hat mir zunächst einfach zu viel Trübsal geblasen.

Mir hat der Thriller super gefallen. Die gesponnenen Fäden wurden zum Ende hin wieder ordentlich zusammenführt. Einzig für die sterbende Tierwelt hätte ich mir noch einen Hoffnungsschimmer gewünscht. Schliesslich hatte das Artensterben zu Beginn des Thrillers einen gewichtigen Platz eingenommen. Insgesamt wirkt die Geschichte für mich mit den thematisierten Ungeheuerlichkeiten gerade in diesen Zeiten, wo wir uns mit Covid-19 auseinandersetzen müssen, sehr glaubwürdig. Unterstützend erklärt uns Uwe Laub in seinem Nachwort die Anknüpfungspunkte der Geschichte, die tatsächlich aktuell genau so vorhanden sind. Da bleibt kein Zweifel.
Gern empfehle ich die Lektüre.

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