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Veröffentlicht am 17.09.2021

Wichtig!

Kein Pausenbrot, keine Kindheit, keine Chance
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In seinem bewegenden Sachbuch erzählt der junge Jeremias Thiel über seine Armutserfahrung, das Aufwachsen in einer kaputten Familie und im SOS-Kinderdorf. Die Beschreibungen sind brutal ehrlich und erschrecken. ...

In seinem bewegenden Sachbuch erzählt der junge Jeremias Thiel über seine Armutserfahrung, das Aufwachsen in einer kaputten Familie und im SOS-Kinderdorf. Die Beschreibungen sind brutal ehrlich und erschrecken. Sie geben einen wichtigen Einblick, was Armut in Deutschland bedeuten kann und wie vor allem Kinder der Situation oft hilflos ausgeliefert sind. Aus seinen Erfahrungen zieht der Autor Schlussfolgerungen und erklärt seine Forderungen dazu, was sich ändern müsste. Das untermauert er auch mit kurzen Auswertungen verschiedener Studien. Sehr empfehlenswert!

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Veröffentlicht am 10.08.2020

Fesselnde Dystopie

Paradise City
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Zoë Beck erzählt beinahe filmisch – die Geschichte fließt so leicht, dass man unversehens hineingezogen wird. Der Thriller baut geschickt Spannung auf, ohne blutrünstig zu sein. Zu Beginn steigt der Spannungsbogen ...

Zoë Beck erzählt beinahe filmisch – die Geschichte fließt so leicht, dass man unversehens hineingezogen wird. Der Thriller baut geschickt Spannung auf, ohne blutrünstig zu sein. Zu Beginn steigt der Spannungsbogen subtil an, als die Rechercheurin Liina, die undercover für eine der letzten nicht-staatlichen Nachrichtenagenturen arbeitet, für eine scheinbar sinnlose Recherche in die Uckermark geschickt wird. Natürlich hängt am Ende alles zusammen – der Recherchetrip, Liinas Erinnerungen an ihre Jugend, der dramatische Fall, an dem ihr Chef und Liebhaber dran ist. Die Autorin verwebt die einzelnen Handlungsstränge geschickt zu einem komplexen Bild einer erschreckenden Zukunft.

Dafür hat sie eine dystopische Welt erschaffen, die den perfekten Background für diesen Thriller abgibt. Nach mehreren Pandemien (ja, irgendwie hat man schnell das Gefühl, dass die Handlung nicht komplett unrealistisch ist...) ist FFM zur 10-Millionen-Metropole und deutschen Hauptstadt angewachsen. Der Meeresspiegel steigt. Außerhalb der großen Städte, im Hinterland, leben die "Parallelen": Menschen mit Depressionen oder Behinderungen zum Beispiel – alle, die nicht in eine scheinbar perfekte Gesellschaft passen. Wer bestimmt, wer gut genug für das Stadtleben ist? Es ist ein grusliges Szenario, dessen ganzer Schrecken sich erst nach und nach offenbart.

Die modernen Errungenschaften der Zukunft, die das Leben verbessern sollen, scheinen den Menschen zunächst hauptsächlich Vorteile zu bringen (Schließlich ist nichts perfekt, stimmt's?), aber mit der Zeit zeigt sich, wie gefährlich und grausam Technik gegen den Menschen verwendet werden kann. Das krasseste Beispiel ist hier das Gesundheitssystem KOS, das die Menschen kontrolliert, bei Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes sofort Tipps gibt (Ruhepause einlegen) oder an die Einnahme von Medikamenten erinnert. Doch es hat nicht nur Vorteile. Es überwacht die Menschen komplett. Wie anfällig das System für Manipulation ist, kann man sich zwar denken, es wirkt jedoch extrem erschreckend, wie sich diese Gefahr in der Geschichte entfaltet.

Die Charaktere sind sehr unterschiedlich und ergänzen sich dadurch sehr gut. Allen voran hat mich die Protagonistin Liina fasziniert, die gerne vor ihren Problemen wegläuft und schon mal das Land verlässt, aber für die (wenigen) Menschen, die ihr wichtig sind, kein Risiko scheut.

"Paradies City" ist ein mitreißender und erschreckender Thriller.

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Veröffentlicht am 21.05.2020

Großartig

London Calling
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Annette Ditters Vlog "London Calling", den sie für die ARD produziert hat, habe ich sehr gerne gesehen, deswegen war dieses Buch natürlich ein Muss. Wenn ich das richtig sehe, kam in dieser Neuauflage ...

Annette Ditters Vlog "London Calling", den sie für die ARD produziert hat, habe ich sehr gerne gesehen, deswegen war dieses Buch natürlich ein Muss. Wenn ich das richtig sehe, kam in dieser Neuauflage nur die neue Einleitung mit Beobachtungen zur aktuellen Lage aus dem Januar 2020 hinzu. Da sind kluge Beobachtungen dabei, aber wer bereits eine frühere Auflage dieses Buches gelesen hat, für den lohnt sich ein Neukauf nicht wirklich.

Für alle neuen Leserinnen und Leser mit Interesse an London, Großbritannien und der Politik der Briten lohnt sich "London Calling" aber unbedingt. Annette Dittert fängt die Kontraste, die Großbritannien ausmachen, treffend ein. Sie nähert sich der Mentalität, dem Lebensgefühl, der Politik der Briten und erklärt sie wunderbar anschaulich anhand von Anekdoten, Interviews und historischen Fakten. Wie der Untertitel anklingen lässt, geht es hier auch um den Brexit. Annette Dittert hinterfragt, wie es dazu kommen konnte und wie es den Briten aus den Leave- und Remain-Lagern danach geht.

Sie spricht mit vielen interessanten Menschen, z.B. mit dem Betreiber eines obskuren Museums; einer gebürtigen Deutschen, die als britische Abgeordnete für den Brexit kämpfte; einer Beamtin, die gegen den Brexit gestimmt hat, jetzt aber im entsprechenden Ministerium daran mitarbeiten muss; und einem Anwalt, der auf einem Kanalboot wohnt. Natürlich kommt auch Annette Ditters eigenes Leben auf einem Kanalboot, über das sie bereits im Vlog berichtet hat, immer wieder zur Sprache. Aus deutscher Perspektive wirkt das schon sehr exotisch.

Durch diese vielen Aspekte, die die Journalistin gekonnt zu spannenden Kapiteln verwebt, entsteht ein kurzweiliges, anregendes Buch, das die vielen Informationen und Perspektiven leicht verdaulich und unterhaltsam präsentiert. Es macht sofort Lust, viele der beschriebenen Orte selbst zu besuchen, und wieder in diese fassettenreiche Stadt zu reisen - sobald das wieder möglich ist.

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Veröffentlicht am 09.09.2019

Die etwas andere Krankengeschichte

Wir von der anderen Seite
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In ihrem Debutroman erzählt Anika Decker pointiert und kurzweilig eine Krankengeschichte. Ihre Ich-Erzählerin Rahel wacht aus dem Koma auf, kann sich aber nicht an die Ereignisse erinnern, die sie ins ...

In ihrem Debutroman erzählt Anika Decker pointiert und kurzweilig eine Krankengeschichte. Ihre Ich-Erzählerin Rahel wacht aus dem Koma auf, kann sich aber nicht an die Ereignisse erinnern, die sie ins Krankenhaus gebracht haben. Das Buch erzählt von ihrem langsamen und kräftezehrenden Genesungsprozess, dem Kampf um die Erinnerungen und den sich verändernden Verhältnissen zu ihrer Familie und ihrem Freund Olli.
Rahel arbeitet eigentlich als Drehbuchautorin, sie schreibt Komödien, ist eine etwas neurotische Person mit einem skurrilen Sinn für Humor, der selbst in den schwierigsten Situationen immer wieder zum Vorschein kommt. Im Kontrast dazu wirken die dramatischen Momente, die immer wieder plötzlich passieren und die Rahel überfordern, umso eindringlicher.
„Wir von der anderen Seite“ ist keine Selbstmitleidsgeschichte, aber auch kein überdrehter Quatsch – Anika Decker hat hier eine wunderbare Balance zwischen Humor und einfühlsamem Erzählen gefunden. Die Handlung ist eigentlich ziemlich überschaubar: Rahels Genesung steht im Mittelpunkt. Aber wie die Autorin die Gefühle der Protagonistin und die kleinen Alltäglichkeiten erzählt, ist wirklich beeindruckend und macht den Roman zu einer positiven, lebensbejahenden Geschichte.

Veröffentlicht am 18.03.2019

Bizarres kleines Buch

Töte mich
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Was für eine bizarre Geschichte… Eine Wahrsagerin prophezeit Graf Henri Neville ungefragt, dass er bei seinem demnächst stattfindenden Fest einen seiner Gäste töten wird. Seine depressive 17-jährige Tochter ...

Was für eine bizarre Geschichte… Eine Wahrsagerin prophezeit Graf Henri Neville ungefragt, dass er bei seinem demnächst stattfindenden Fest einen seiner Gäste töten wird. Seine depressive 17-jährige Tochter Sérieuse hört davon. Sie möchte sterben und sagt ihrem Vater: „Töte mich“. Die Protagonisten gehören einer adligen Familie an, weshalb die absurde Handlung vor einer skurrilen Kulisse spielt. Die Autorin Amélie Nothomb spiegelt die dekadente Lebensweise gekonnt in ihrem Schreibstil wider. Vor allem Henri klingt oft besonders affektiert.

Die Charaktere sind mir durch die Bank weg unsympathisch. Henri scheint sich mehr über die Prophezeiung zu grämen statt über den schockierenden Vorschlag seiner Tochter. Seine deutlich jüngere Frau ist umwerfend schön, aber langweilt sich schnell und wirkt dabei sehr herablassend. Die anderen zwei Kinder sind auch keine Sympathieträger. Dazu kommt: Familie Neville nimmt das Sprichwort „Adel verpflichtet“ deutlich zu ernst und lässt selbst die eigenen Kinder hungern, um Geld zu sparen. Dieses Geld wird wiederum dafür aufgewendet, nach außen hin den hohen Lebensstandard aufrechterhalten und die adligen Verpflichtungen erfüllen zu können. Mehr Schein als Sein. Dazu zählt vor allem der monatliche Empfang auf dem Familienschloss, die sogenannte Garden Party. In der aktuellen Generation steht die Familie nun vor dem Ruin – sie ist bankrott und muss ihr Schloss demnächst verkaufen. Eine letzte Garden Party ist geplant, bei der eben dieser ominöse Mord stattfinden soll.

Trotz der dekadenten, unsympathischen Charaktere und der abstrusen Handlung fesselt das Buch. Ich habe es in einem Zug durchgelesen (was bei mageren 111 Seiten allerdings nicht schwer war) und das absurde Geschehen hat mich auf schockierende Weise unterhalten.