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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.10.2020

Einfach toll!

Sie hat Bock
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Es liegt in unserer Hand, unsere Spielregeln zu schreiben.

Dass auch "sie Bock hat" - und haben darf - zeigt Katja Lewina mit diesem eindrücklichen und schonungslos ehrlichen Buch. Die Journalistin und ...

Es liegt in unserer Hand, unsere Spielregeln zu schreiben.

Dass auch "sie Bock hat" - und haben darf - zeigt Katja Lewina mit diesem eindrücklichen und schonungslos ehrlichen Buch. Die Journalistin und dreifache Mutter schreibt über Themen wie das weibliche Genital, die es umrankenden Mythen und die sprachliche Verwirrung, Lust und Unterwerfung, gesellschaftliche Probleme wie Rollenzuschreibungen, Slut-Shaming und Rape Culture. Was wie ein buntes Potpourri erscheint, hat sie mit einem gekonnt beobachtenden Blick und bewusst provozierenden Worten ohne Scham – was wir uns alle zu Herzen nehmen und umsetzen sollten! – hervorragend ausgearbeitet und zu einem stimmigen Ganzen gemacht, gespickt mit Anekdoten, eigenen Erfahrungen und ihrer Sicht auf die thematisierten Probleme.

Es fängt schon an bei der gesellschaftlich angemessenen Bezeichnung des weiblichen Genitals - was ist anstößig, was angemessen? Und vor allem: Wieso findet sich in keinem Anatomiebuch eine korrekte Bezeichnung der weiblichen Anatomie? Auch die Debatte der monogamen Ehe greift sie auf: alles nur ökonomische Vorzüge oder was steckt dahinter? Als Verfechterin offener Beziehungen nimmt sie klar Stellung dazu und beschreibt auch, wie ihre Kinder damit umgehen. Sie diskutiert die gesellschaftlichen Vorstellungen des idealen Frauenbilds, das rasiert, unterwürfig und keusch sein soll, und stellt klar, dass sich keine Frau für ihren Körper schämen sollte – niemals. Ihr Appell: Steht für euch selbst ein, liebt euch und bejubelt eure Weiblichkeit!

Ein wirklich mutiges, intimes und – vor allen Dingen – wichtiges Buch in der heutigen Zeit.

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Veröffentlicht am 18.10.2020

Herzensbuch

Das Jahr ohne Worte
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Sich zu verlieben ist, als würde man Zirkusartisten dabei zusehen, wie sie durch die Luft wirbeln, sich drehen und rollen, immer mit dem Risiko, in den Tod zu stürzen (…).

In ihrem Debütroman Das Jahr ...

Sich zu verlieben ist, als würde man Zirkusartisten dabei zusehen, wie sie durch die Luft wirbeln, sich drehen und rollen, immer mit dem Risiko, in den Tod zu stürzen (…).

In ihrem Debütroman Das Jahr ohne Worte erzählt Syd Atlas eine ergreifende Liebesgeschichte, die sich genau so vor wenigen Jahren zugetragen hat. In einem Café im Prenzlauer Berg lernt Syd den Filmemacher Theo kennen. Er ist alleinstehend, charismatisch und sie weiß, dass sie diese Art von Liebe, die sie beide verbindet, vermutlich nur einmal erleben wird. Sie bekommen ein Kind, ziehen zusammen und alles scheint in ihrer kleinen Patchworkfamilie perfekt – bis Theo immer eine schwerwiegende Diagnose erhält: ALS [amyotrophe Lateralsklerose]. Von Tag zu Tag baut Theo ab, körperlich und emotional, doch Syd kämpft dafür, ihr gemeinsamen Glück bis zum letzten Tag aufrecht zu erhalten – bis sie eines Tages eine furchtbare Entdeckung macht.

Dieses Buch hat mich auf einer Achterbahn der Gefühle begleitet, ließ mich lachen und weinen, aus Ergriffenheit genauso wie vor Erschütterung. Mit einfachen Worten, kleinen lustigen Anekdoten und scheinbar nebensächlichen Bemerkungen hat Syd Atlas eine authentische, zutiefst emotionale Liebesgeschichte geschrieben, ungeschönt und ehrlich. Die Geschichte lebt von ihrer Zwanglosigkeit und Situationskomik, einem harmonischen Erzählfluss, ist emotions- und spannungsgeladen und umgibt den Leser von Beginn an wie eine herzliche Umarmung. Die Stärke und Zuversicht, mit der Syd und Theo mit der Diagnose umgehen, es den Kindern schonend beibringen, nie die Hoffnung aufgeben und dabei ganz sie selbst bleiben, hat mich beeindruckt und bewegt, ja geradezu bewundert. Durch meine Arbeit in der Neurologie konnte ich mich im Hinblick auf die medizinischen Aspekte und Perspektiven noch besser in die Protagonisten einfühlen – was es für mich zu einem ganz besonderen Herzensbuch macht, über das ich auch in Zukunft noch nachdenken werde.

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Veröffentlicht am 16.10.2020

Ein Meisterwerk

Zugvögel
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Man kann die Wirkung eines Lebens an dem messen, was es gibt und hinterlässt, aber man kann sie auch an dem messen, was es der Welt wegnimmt.

Zugvögel ist der Debütroman von Charlotte McConaghy, zu dem ...

Man kann die Wirkung eines Lebens an dem messen, was es gibt und hinterlässt, aber man kann sie auch an dem messen, was es der Welt wegnimmt.

Zugvögel ist der Debütroman von Charlotte McConaghy, zu dem sie von ihrer Passion zur Natur und Tierwelt sowie den zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels inspiriert wurde; eine Ode an die wilden Geschöpfe dieser Erde und eine Geschichte über die Wege, die wir für die Menschen gehen, die wir lieben.
Von klein auf an war Franny wild und frei, zog die Natur und Vögel den Menschen vor, war beinahe selbst einer von ihnen; ein Zugvogel. Als die letzten Seeschwalben allmählich zu verschwinden beginnen, beschließt die Ornithologin ihnen zu folgen, und findet sich inmitten der ungewöhnlichen Crew der Sanghani, einem der letzten Fischerboote, wieder. Den Naturgewalten der weiten Meere ausgeliefert, sind nur die Vögel ihr Kompass und leiten sie, doch vor ihrer Vergangenheit kann Franny nicht fliehen. Auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit, ihren Ängsten und auf der Suche nach Erlösung wird ihre letzte Reise zum Überlebenskampf.

Mit einfühlsamen Worten und intensiven Gefühlen beschreibt die Autorin die tragische Geschichte der jungen Franny Stone. In verschiedenen Zeitebenen folgt man der jungen Frau, die früh ihre Eltern verloren hat und bei ihrer Großmutter in Australien aufwachsen musste. Auf der Suche nach ihrer Herkunft kehrt sie sich Jahre später zurück nach Irland um nach ihrer verschollenen Mutter zu suchen, und trifft dort auf den Ornithologen und Professor Niall Lynch, den sie kurz darauf heiratet; für ihn begibt sie sich schließlich auch auf die letzte Reise der Seeschwalben, mit einem klaren Ziel vor Augen. Die humorvolle Beschreibung der exzentrische Fischercrew bringt ein nie dagewesenes Licht in Frannys Zerrissenheit, und beschert der Geschichte ein abwechslungsreiches Erzähltempo. Zwischen den Zeilen, fast schon beiläufig, spricht die Autorin intensive Themen an; ohne plakativ zu wirken werden die Emotionen fühlbar, erwischen den Leser aus dem Hinterhalt. Für all den Schmerz, die Gefühle von Verlust, Vereinsamung, Hoffnung findet McConaghy die richtigen Worte zur rechten Zeit, und hat damit ein großartiges Buch geschaffen, das mich wirklich beeindruckt und meinen Erfahrungsschatz bereichert hat.

Vielen Dank an den Fischer-Verlag!

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Veröffentlicht am 11.10.2020

Traumhaft schön!

Träum schön
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Je älter ich werde, desto überzeugter bin ich, dass Freundschaft da ist, was unserem Leben Sinn verleiht: Zeit miteinander zu verbringen, einander achtsam zugewandt sein.

In Träum schön entführt uns Kathryn ...

Je älter ich werde, desto überzeugter bin ich, dass Freundschaft da ist, was unserem Leben Sinn verleiht: Zeit miteinander zu verbringen, einander achtsam zugewandt sein.

In Träum schön entführt uns Kathryn Nicolai mit wunderschönen Einschlafgeschichten in eine Traumstadt mit einer Bücherei, einem Kino, einem Bauernmarkt - alltägliche Orten, an denen zauberhafte Dinge geschehen. Auf verschiedenen Spaziergängen, die liebevoll von Léa Le Pivert illustriert wurden, erzählt sie kurze, gemütliche Geschichten, die den Leser zur Ruhe bringen, erden, seine Mitte finden lassen. Mit durchweg friedlichen, sympathischen Worten erzeugt sie wohlige Bilder, die direkt zum Träumen und Wegschlummern einladen.

Doch Schlaf ist ein unglaublich individuelles Konstrukt: Während manche nur das Bett berühren müssen und schon entschlafen sind, werden wieder andere von Gedanken gefangen, die sie bewegen und nicht loslassen, machen geruhsamen Schlaf undenkbar. Zur optimalen Vorbereitung gibt die Autorin Tipps zur Schlafroutine und Selbstreflexion, leitet zu Meditationen und Atemübungen an und verführt mit Wohlfühlrezepten zum Nachkochen.

Die Geschichten und die erzeugten Bilder, Assoziationen, Gefühle, die die Autorin mit dem Leser teilt, haben mir allesamt sehr gefallen und für eine kleine Auszeit genau im richtigen Moment gesorgt. Ein wunderbares Buch für kalte Tage und wann immer man einen Augenblick zum Durchatmen braucht.

Vielen Dank an den Wunderraum-Verlag!

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Veröffentlicht am 03.09.2020

Grandioses Debüt!

Das Rauschen der Nacht
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Die Zeit ist gnadenlos. Sie geht über alles hinweg, alles wird unter ihr gleich.
Das Rauschen der Nacht ist der Debütroman von André Hille. Anhand von Jonas und Birte, einem jungen Paar mit zwei Kindern ...

Die Zeit ist gnadenlos. Sie geht über alles hinweg, alles wird unter ihr gleich.
Das Rauschen der Nacht ist der Debütroman von André Hille. Anhand von Jonas und Birte, einem jungen Paar mit zwei Kindern und Eigenheim in Norddeutschland, hat er ein realistisches Porträt der heutigen Mittdreißiger-Generation herausgearbeitet. Beide sind in der Stadt großgeworden und suchen nun auf dem Land Abstand vom Großstadttrubel. Während Birte nach der Geburt der Kinder als freie Journalistin arbeitet, ist Jonas Teilhaber eines Start-Ups. Eigentlich müssten sie glücklich sein, haben sie sich doch ein stabiles Umfeld geschaffen, doch es treten immer mehr Schäden am neugebauten Haus auf und in Jonas‘ Start-Up-Unternehmen kriselt es. Zudem erscheint es Jonas, als lebten er und Birte sich immer weiter auseinander, und zum Gefühl der Versagensangst kommen Verlustängste und Panik vor all den Erwartungen, die an ihn als Vater, Unternehmer und Sohn gestellt werden.
Mit einer empathischen Feinfühligkeit hat André Hille vielschichtige emotionale Charaktere geschaffen, mit denen man sich gut identifizieren kann. Sein Schreibstil zeugt von grandiosem sprachlichen und situativen Bewusstsein und erschafft eine lebendige und fesselnde Geschichte. Der Protagonist Jonas ist das Abbild eines modernen Familienvaters, dessen Zufriedenheit von Sorgen überschattet wird und in einer Abwärtsspirale aus Angst, Verzweiflung und Verlust endet. Die emotionale Tiefe, mit der Hille seinen Lebensalltag beschreibt, hat mich bewegt und begeistert ob der Imminenz seiner jeweiligen Aufgaben und Schicksale.
Der Roman hat mich zutiefst bewegt und nachhaltig beeindruckt und ich konnte einige wichtige Aspekte für mich daraus ziehen. Ein grandioses Debüt und definitiv ein Jahreshighlight!

Vielen Dank an Random House für das Rezensionsexemplar.

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