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Sadie

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.05.2019

Ein in jeglicher Hinsicht tolles Leserlebnis!

Sadie
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Erzählt wird die Geschichte von Sadie, einer 19-jährige Ausreißerin, die nach dem Mann sucht, den sie für den Mörder ihrer kleinen Schwester hält. Sadie hat Maddie, ihre kleine Schwester, mehr oder weniger ...

Erzählt wird die Geschichte von Sadie, einer 19-jährige Ausreißerin, die nach dem Mann sucht, den sie für den Mörder ihrer kleinen Schwester hält. Sadie hat Maddie, ihre kleine Schwester, mehr oder weniger aufgezogen, die Mutter konnte diese Rolle aufgrund ihres lockeren Lebensstils und ihrer Drogensucht nicht ausfüllen. Nun ist Sadie auf der Jagd, getrieben von Wut und Rachedurst. Sie hat eigene Probleme, mit denen sie zurecht kommen muss, da sie aufgrund ihrer komplizierten Familienverhältnisse und ihres Stotterns selbst eine Außenseiterin ist.

In einem parallelen Handlungsstrang versucht der Journalist und Podcaster West McCray, Sadie zu finden und die Gründe für ihr Verschwinden aufzuklären. Was er entdeckt (und was Sadie uns erzählt) ist weit mehr, es ist eine dunkle Geschichte, ein schreckliches Schicksal.

Die Schreibe ist exzellent. Tolles Storytelling, gute Charakterisierungen und spannende Cliffhanger - gerade letzteres kann auch gründliche schief gehen, wenn sie zu viel, zu offensichtlich, zu gimmick-artig sind. Hier sind sie perfekt gesetzt, teils sehr subtil und eigentlich nur für den jeweils erzählenden Charakter von Belang - was die Spekulation auf die darauf folgenden möglichen Reaktionen umso spannender macht.

Die Erzählstimmen sind auch gut gewählt. Es gibt zum einen Sadie, die mit ihrer wütenden, kompromisslosen Stimme die Story vorantreibt. Wes ist immer ein paar Schritte hinterher, doch seine Teile sind weit mehr als reine Nacherzählungen, sie bieten auch immer neue Perspektiven und geben der Geschichte so eine neue Richtung.

Ein Beispiel: Sadie trifft Person X, nutzt diese, um Infos zu erhalten, um den Mann zu finden, den sie jagt. Wes trifft die gleiche Person Monate später und erfährt einen weiteren Teil der Geschichte, wie die Person das Zusammentreffen mit Sadie erlebt hat und was bisher geschah.

Eine rundum empfehlenswerte Mystergeschichte!

Veröffentlicht am 14.05.2019

Gut erklärter Erfahrungsbericht

Geh mir weg mit deiner Lösung
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Dieses Büchlein ist ein sehr gutes Beispiel für Qualität > Quantität: Yvonne Reip braucht nur knapp 90 Seiten, um die Krankheit Depression mit ihren verschiedenen Facetten und den Umgang damit für Nichtbetroffene ...

Dieses Büchlein ist ein sehr gutes Beispiel für Qualität > Quantität: Yvonne Reip braucht nur knapp 90 Seiten, um die Krankheit Depression mit ihren verschiedenen Facetten und den Umgang damit für Nichtbetroffene verständlicher zu machen. Und gut geschrieben ist das Ganze obendrein.

Natürlich kann sie nur für sich (und ich nur für mich) sprechen, aber das betont sie auch stets: Es ist "ihre" Version der Krankheit, jede verläuft etwas anders. Für mich war diese persönliche Krankheitsgeschichte sehr, sehr aufschlussreich und hat mich besser informiert als so manch längeres "Profi"Werk zu dem Thema - sowohl was die Gefühle direkt Betroffener angeht, als auch den Umgang seitens Angehöriger mit Erkrankten. Das habe so "treffend" und nachvollziehbar bislang noch nicht gelesen und viele wertvolle Tipps und Denkanstöße erhalten.

Danke an Yvonne Reip für ihre Offenheit - mir hat sie damit sehr geholfen und mir vieles klarer gemacht.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Sehr lesenwert!

In besserer Gesellschaft
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Laura Wiesböck hat hier ein unglaublich interessantes, lesenswertes und äußerst unterhaltsames - ich möchte sagen: geradezu launiges - aktuelles soziologisches Buch geschrieben. Grob gesagt geht es darum, ...

Laura Wiesböck hat hier ein unglaublich interessantes, lesenswertes und äußerst unterhaltsames - ich möchte sagen: geradezu launiges - aktuelles soziologisches Buch geschrieben. Grob gesagt geht es darum, wie sich Menschen voneinander abgrenzen, um sich besser zu fühlen, bezogen auf acht unterschiedliche Bereiche (z.B. Arbeit, Politik, Konsum), die in jeweils zwei Unterkapiteln bestimmte Blickwinkel betrachten. Bevor ich näher auf mein Leseempfinden eingehen, möchte ich nochmals betonen, wie toll das geschrieben ist: Sachlich und wissenschaftlich fundiert, dabei aber sehr nahbar und "einfach", und das ist nicht abwertend gemeint - das Buch hat einfach unheimlich viel Spaß gemacht, was ein toller Bonus war.

Bei vielen Kapiteln habe ich Frau Wiesböck eifrig zugestimmt - sie trifft an vielen Stellen sehr gute Punkte, vor allem bei den Themen Geschlecht, Armut und Einwanderung bin ich ganz nah bei ihr. Andere Stellen haben mir neue Denkansätze offenbart, das fing gleich mit dem Auftakt "Arbeit" und dem Unterkapitel "Do what you love" an - ist das denn wirklich so erstrebenswert, sein allerliebstes zum Broterwerb zu machen, dadurch den "regulären" Feierabend zu verlieren und, sollte das Projekt scheitern, mit dem, was man liebt, eine Bruchlandung zu erleiden? Wäre nicht "Do what you do and turn it into a passion" empfehlenswerter? Total spannender Ansatz, den ich unter diesem Aspekt noch nie betrachtet habe. Außerdem: Frau Wiesböck zeigt, wie Neoliberalismus die Leidenschaft versklaven kann und den Blick weg von der Gemeinschaft wendet, z.B.:

Der individuelle Fokus auf die bestmögliche Entfaltung der eigenen Persönlichkeit geht auf Kosten des gemeinschaftlichen Engagements. Soziale Probleme werden zu persönlichen Fragen nach Selbstsorge und dem guten Leben. [...] Oder allgemein formuliert nach den Worten von Byung-Chul Han: "Burnout und Revolution schließen sich aus."

Quasi die 2000er Version von "Brot und Spiele". Anstatt als unterbezahlte Freelancerin gegen das System zu rebellieren, wird nach Feierabend der Yokakurs besucht, um abzuschalten. Im Kapitel "Arbeitslosigkeit" wird dieser Ansatz weiter aufgegriffen: Der Status wird als persönliches Versagen des Individuums, nicht als allgemeiner Fehler im System erkannt. Und die Abgrenzung wirkt hier nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Schicht, etwa wenn sich sozial Schwache gegenseitig voneinander abgrenzen, anstatt gemeinschaftlich für Besserung zu sorgen. Trash-TV-Formate und Boulevardmedien, die entsprechende Klischees bedienen, befördern diese Haltung weiter.

Einzig beim Kapitel "Konsum" habe ich an mehreren Stellen die Stirn runzeln müssen. Ganz selbstreflektiv betrachtet kann ich nicht sagen, ob die Ablehnung aus grundsätzlicher Überzeugung rührt oder eher daher, dass ich mich selbst etwas zu sehr angesprochen gefühlt habe. Denn auch ich habe mich bewusst einem möglichst nachhaltigem, ökologischem Lebensstil verschrieben. Frau Wiesböck sagt, dass dieses "Mindset" durchaus zu Selbstgerechtigkeit führen kann - indem man sich anderen, die sich z.B. kein Bioobst leisten können (oder wollen), moralisch überlegen fühlt. Da kann ich mich nicht ganz frei von sprechen, allerdings bin ich auch keine dogmatische Predigerin, sondern habe eher die Erfahrung gemacht, dass ich im ersten Schritt zur Rechenschaft gezogen werde und mir der moralische Vorwurf im weiteren Verlauf des Gesprächs gemacht wird.

Alles in allem also ein Buch, dem ich zu großen Teilen zustimme, das mich in neue Denkrichtungen gebracht hat, zum Schauen über den eigenen Tellerrand einlädt und das obendrein sehr unterhaltsam war - das hat volle fünf Sterne verdient, denn ich habe sehr gerne und mit viel Freude gelesen. So unterhaltsam kann Soziologie sein!

Veröffentlicht am 04.09.2020

Gesellschaftliche relevante Themen, die weh tun, das Ganze innovativ erzählt

Serpentinen
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Ein düsteres, sehr bedrückendes, teils geradzu ängstigendes Buch: Depression, Suizid(gedanken), Trauma, Alkoholsucht - die grobe Themenauswahl fungiert hier schon als Triggerwarnung.

Der Erzähler reist ...

Ein düsteres, sehr bedrückendes, teils geradzu ängstigendes Buch: Depression, Suizid(gedanken), Trauma, Alkoholsucht - die grobe Themenauswahl fungiert hier schon als Triggerwarnung.

Der Erzähler reist mit seinem jungen Sohn zurück in seine Heimat. Dort lauern natürlich an jeder Ecke Erinnerungen - für den Erzähler sind diese meist qualvoll und schmerzhaft, denn seine Vergangenheit wird von "unaussprechlichen" Tragödien geprägt. Sowohl Vater als auch Groß- und Urgroßvater haben sich umgebracht, die Umstände wurden danach jeweils totgeschwiegen. Nun ist der Erzähler selbst in dem Alter, in dem seine Ahnen meist schon aufgegeben hatten - und er weiß nicht, ob er stark genug ist, dem Schicksal zu entfliehen und seinen Sohn davor zu beschützen.

Bov Bjerg erzählt die Geschichte in Fragmenten - die Serpentinen sind nicht nur die kurvigen Straßen der Schwäbischen Alb, sondern auch die Erinnerungsverläufe, Wiederentdeckungen, Reminiszenzen. Außerdem wabert, je nach Alkoholspiegel, das Bewusstsein des Erzählers hin und her ("Reich mir mal noch ein Bier rüber"). Neben den bereits erwähnten Themen - intergenerationelles Trauma, versinnbildlicht durch Depression und Suizid - spielt auch Klassismus eine Rolle. Der Erzähler, mittlerweile studierter Soziologe, traut seinem eigenen Bildungsweg nicht; zu hoch hinaus ist er, der einfache Arbeiterjunge, gekommen, merkt das denn keiner?

Kurzum: Gesellschaftliche relevante Themen, die weh tun, das Ganze innovativ erzählt. Was mir hier besonders gefallen hat, ist die Darstellung der Krankheit Depression. Das Thema hält ja immer mehr Einzug, nicht nur im Sachbuch, und ist natürlich, wie die Krankheit selbst auch sehr unterschiedlich empfunden wird und "wirkt", auf verschiedene Weise darstellbar. Bov Bjerg wählt hier den steinigsten Weg. Sein Charakter steckt ganz tief drin in der Depression, seine Gedankenwelt sind von Suizidgedanken und dem Nachdenken über den (familiären) Suizid bestimmt, und auch die Zukunftsgedanken sind überwiegend düster bis grausam. Das ist schwere, harte Kost, auf die sich sicher nicht jeder Leserin einlassen will, was verständlich ist. Ich lobe Berg für seinen Mut, die dunklen Seiten der Krankheit so böse und direkt "nackt" zu zeigen - das zu lesen ist teils sehr ungenehm, aber manchmal nötig.

Veröffentlicht am 04.09.2020

Ein tolles Buch, das mich sehr positiv überrascht hat.

Der Halbbart
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Ein Buch, das im Jahr 1313 in der heutigen Schweiz spielt (inklusive helevetischen Begriffen), erzählt von einem Jungen, und davon 688 Seiten? Ich gebe es zu, so richtig viel Bock hatte ich anfangs nicht ...

Ein Buch, das im Jahr 1313 in der heutigen Schweiz spielt (inklusive helevetischen Begriffen), erzählt von einem Jungen, und davon 688 Seiten? Ich gebe es zu, so richtig viel Bock hatte ich anfangs nicht auf den Halbbart. Aber schon nach wenigen Seiten war ich quasi schockverliebt in Sebi: Selten so einen tollen, einnehmenden, sympathischen Protagonisten/Erzähler erlebt! Und schwupps, das Buch las sich quasi von selbst. Das ist große Erzählkunst in 83 Kapiteln à 8 Seiten, die Charles Lewinsky hier abliefert.

Sebi, Dreh- und Angelpunkt der Geschichte und Erzählung, ist ein Junge auf der Schwelle zum Erwachsenen, der nicht so recht weiß, was er will - oder kann. Als jüngster von drei Brüdern (in bester Märchenmanier ist der Älteste Geni weise und "gut", der mittlere Poli ein Unruhestifter) fällt es ihm nicht leicht, seinen Platz zu finden. Und so steckt er meist in der Rolle des Beobachters und Kommentators fest - für die Leserschaft ein echter Glücksfall, denn Sebi ist das, was man wohl landläufig "bauernschlau" nennt. Er hat ein Gespür für Menschen und Situationen und blickt schnell, was Sache ist. Diese clevere Auffassungsgabe ist ihm selbst aber gar nicht richtig bewusst, sodass er seine Beobachtungen und Überlegungen nie überheblich, sondern stets lakonisch-nonchalant, fast nebenbei schildert - was ihn umso glaubwürdiger und sympathischer macht.

Der titelgebende Halbbart läutet mit seinem Erscheinen den Beginn der Erzählung ein. Er ist ein mysteriöser Fremder, der aufgrund seines verunstalteten Äußeren (augenscheinliche Brandnarben) sein Pseudonym erhält. Die, die ihm nahestehen, - und da gehört Sebi schnell dazu - erfahren von seinem Schicksal und dem Antisemitismus, der ihn zum Flüchtigen machte.

Das Buch selbst ist ein Bildungsroman, Sebis Coming of Age, wenn man so will. Vor allem ist es aber eine große Liebeserklärung an die Fabulierkunst. Sebi erzählt vom Leben im Dorf (und da passiert eine Menge, wir sind mitten im Marchenstreit, die Hintergründe werden im Buch geschildert) und von vielen anderen Geschichten, die er gehört hat. Das Erzählen wird für ihn selbst immer wichtiger, bis hin zur wahren Bestimmung.

Viel historisches bla bla bla? Nicht nur, denn viele Themen im "Halbbart" sind gerade heute aktueller denn je. Denn Sebi merkt, was Geschichten in den falschen Händen oder ihr Erzählen mit falschen Absichten ausrichten können: Fake News, Medienmanipulation und Geschichtsrevision lassen grüßen. In dieser Hinsicht funktionieren die mittelalterlichen Mechanismen heute noch genauso "gut"...

Ein tolles Buch, das mich sehr positiv überrascht hat.