Profilbild von Webervogel

Webervogel

Lesejury Star
online

Webervogel ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Webervogel über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.10.2020

Themenbedingt etwas lahm

Die große Pause
0

Comedian Bastian Bielendorfer hat mit „Die große Pause“ ein mit kleinen Kritzeleien originell gestaltetes „Corona-Tagebuch“ veröffentlicht. Es beginnt im März, Bielendorfer tritt noch in Dieter Nuhrs Kabarettsendung ...

Comedian Bastian Bielendorfer hat mit „Die große Pause“ ein mit kleinen Kritzeleien originell gestaltetes „Corona-Tagebuch“ veröffentlicht. Es beginnt im März, Bielendorfer tritt noch in Dieter Nuhrs Kabarettsendung auf, sagt sein wenige Tage später stattfindendes Gastspiel in der Hauptstadt dann allerdings aufgrund der unüberschaubaren Lage bereits ab. Die nächsten Wochen verbringt der Wahlkölner mit Frau, Schwiegermutter und Mops vor allem in den eigenen vier Wänden und schildert in seinem Buch Anekdoten aus dieser Zeit. Bielendorfer wirkt dabei sympathisch und warmherzig, die Episoden sind unterhaltsam. Allerdings auch etwas langweilig. Aber wen wundert das? Aufregend und abwechslungsreich war dieses Frühjahr für viele nicht. Und so schreibt Bielendorfer von Home Office, Video-Telefonaten, Einkäufen (mit leichten Hamster-Tendenzen) und Spaziergängen, gewürzt mit ein paar Geschichten aus dem familiären Nähkästchen und kleinen zwischenmenschlichen Reibereien. Nur das Treffen mit einer Unbekannten im Park, die dann noch auf die Lage in den Pflegeheimen zu sprechen kommt, wirkte auf mich überkonstruiert.

Spannung kommt leider keine auf. Angesichts der beschriebenen Situation kann man Bielendorfer das kaum zum Vorwurf machen, aber ein Pageturner ist „Die große Pause“ wirklich nicht. Dass der Künstler seine Bühnen-Zwangspause zum Schreiben genutzt hat, ist verständlich. Dass er ein Händchen für amüsante Beobachtungen hat, unbestritten. Zudem ist es sicher schwierig, ein Buch zu einem Thema zu schreiben, das noch nicht ausgestanden ist – noch dazu ein Tagebuch, das Einblicke in einen eingeschränkten Alltag zeigen, aber sicher auch nicht alles Persönliche enthüllen soll. Und so liest sich „Die große Pause“ alles in allem etwas lahm. Ich hätte mir zumindest noch ein paar Reflektionen zur pandemiegebeutelten Veranstaltungsbranche gewünscht, ein paar Ideen für die Zukunft, irgendein Thema mit Biss, bei dem Bielendorfer sich klar positioniert.
Und so vergebe ich nur drei Sterne für „Die große Pause“ plus – gedanklich – viele Sympathiepunkte an den Autor, den man nach seinem sehr persönlichen Epilog am liebsten in den Arm nehmen würde.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.09.2020

Nicht mein Humor

Tagebuch einer furchtbar langweiligen Ehefrau
0

Die Kanadierin Marie-Renée Lavoie erzählt im „Tagebuch einer furchtbar langweiligen Ehefrau“ von Diane, die im Alter von 48 Jahren von ihrem Mann verlassen wird, was für sie völlig überraschend kommt. ...

Die Kanadierin Marie-Renée Lavoie erzählt im „Tagebuch einer furchtbar langweiligen Ehefrau“ von Diane, die im Alter von 48 Jahren von ihrem Mann verlassen wird, was für sie völlig überraschend kommt. Das Leben verlief doch in so klaren, bequemen Bahnen: Die Kinder sind aus dem Haus und die Silberhochzeit steht an – die der untreue Gatte (ja, natürlich steckt eine andere, weitaus jüngere Frau hinter der Trennung) auch gerne noch feiern möchte, „denn das erwarten alle und sie haben es verdient“. Wie rücksichtsvoll! Jacques bittet seine Noch-Ehefrau, über diesen Vorschlag nachzudenken. Diane tut das auch, legt sich dann ein Facebook-Profil an, schickt Freundschaftsanfragen an alle Menschen, die sich auch nur entfernt kennt und verkündet dann nicht nur ihre Trennung, sondern auch den Silberhochzeitsfeier-Vorschlag ihres Mannes.

Schon diese kurze Passage zeigt, dass Diane offensichtlich nicht ganz so berechenbar und selbstlos ist, wie von ihrem Umfeld angenommen. Aber wer ist sie eigentlich – ohne Jacques? Dieser Roman erzählt vom Versuch einer Frau, ihr Leben neu in die Hand zu nehmen. In Tagebuchform wird die Verarbeitung einer Trennung geschildert und alle sie begleitenden Emotionen: Verzweiflung, Trauer, Trotz, kleine Rachen und Absurditäten inklusive.

Das hätte anrührend und lustig sein können, war es aber leider nicht im erwarteten Maße. Mein Problem: Diane blieb mir irgendwie fremd. Ihre Aktionen fand ich meist leicht übertrieben, nicht wirklich nachvollziehbar und ein gewisses Fremdschäm-Potential hatten sie auch. Außerdem kokettierte sie mir deutlich zu oft damit, dass sie ja ach so langweilig sei. Der Humor dieses Romans war leider einfach nicht meiner.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.08.2020

Im Gedankenkarussell gefangen

Der letzte Satz
0

Robert Seethaler nimmt die Lesenden in „Der letzte Satz“ mit an Bord eines Passagierschiffes. Der berühmte Komponist Gustav Mahler und seine Familie reisen mit der „Amerika“ von New York nach Europa, doch ...

Robert Seethaler nimmt die Lesenden in „Der letzte Satz“ mit an Bord eines Passagierschiffes. Der berühmte Komponist Gustav Mahler und seine Familie reisen mit der „Amerika“ von New York nach Europa, doch weder seine Frau Alma noch die gemeinsame Tochter Anna treten in Erscheinung, während Mahler an Deck sitzt und dort seinen Gedanken nachhängt. Sein einziger Besucher ist ein Schiffsjunge, der dafür sorgen soll, dass es dem Herrn Direktor an nichts fehlt. Doch Mahler fehlt es an vielem: Sein Körper lässt ihn mehr und mehr im Stich, er ahnt den nahenden Tod und quält sich mit dem Gedanken an all die unvollendete Musik, die er noch erschaffen wollte. Auch seine Frau fehlt ihm – die Mahlers stecken in einer tiefen Ehekrise. Er vermisst seine ältere, verstorbene Tochter. Der Kranke lässt einschneidende Erlebnisse seines Lebens Revue passieren, während er Himmel und Wellen beobachtet und wartet – auf die Ankunft des Schiffes oder das Ende seines Lebens? Vermutlich auf beides.

„Der letzte Satz“ liest sich fast wie ein einziger „stream of consciousness“; er besteht aus Mahlers unzusammenhängend treibenden Gedanken. Und so ist man dem Genie zwar sehr nahe, muss das Sortieren und Zuordnen der Eindrücke und Anekdoten aber komplett selbst übernehmen. Wenn man sich schon mal mit Mahlers Biografie beschäftigt hat, hilft das sicher.

Sprachlich ist der Roman elegant: Mahlers Empfinden und seine Detailbeobachtungen werden in poetische Sätze gepackt. Wehmut und Fatalismus durchziehen die Kapitel, ab und zu kommt eine gewisse Bittersüße dazu. Das Buch bietet einen Einblick in das Seelenleben des Komponisten, wie es gewesen sein könnte. Gepackt hat mich das Ganze jedoch nicht. Während der Lektüre ist man nicht im Geschehen, sondern hängt im Gedankenkarussell der Hauptfigur fest. Dieses streift viele Themen, geht aber selten in die Tiefe – eine logische Konsequenz des gewählten Erzählstils. Es führte jedoch dazu, dass ich beim Lesen seltsam unbeteiligt blieb. Das Buch hat mich einfach kaltgelassen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 13.03.2020

Faszinierender Gin, schwacher Krimi

Der Gin des Lebens
0

Dass „Der Gin des Lebens“ ein Buch für Gin-Liebhaber ist, sieht man auf den ersten Blick: Am Cover, am Titel, an den Exkursen zum Thema Gin, die extra auf grauen Seiten gedruckt sind und dadurch sofort ...

Dass „Der Gin des Lebens“ ein Buch für Gin-Liebhaber ist, sieht man auf den ersten Blick: Am Cover, am Titel, an den Exkursen zum Thema Gin, die extra auf grauen Seiten gedruckt sind und dadurch sofort erblättert werden können. Ich mag Gin, hatte mir aber noch nie über seine Aromen Gedanken gemacht (und keine Ahnung, dass diese „Botanicals“ heißen). Was für eine Kunst Gin-Herstellung sein kann, war mir völlig neu. Alles rund ums Thema fand ich super erklärt und spannend zu lesen. Dieses Buch feiert den Gin: Jedem Kapitel sind ein Zitat zum Thema Alkohol und die Illustration eines „Botanicals“ vorangestellt, hinten finden sich neben einem Glossar auch noch Gin-Rezepte.
Außerdem ist „Der Gin des Lebens“ mit viel Herz für den Handlungsort Plymouth geschrieben, der sehr pittoresk geschildert wird. Die Schauplätze sind in eine Karte eingetragen, die sich sowohl in der vorderen als auch in der hinteren Coverklappe verbirgt. Für die liebevolle Gestaltung würde ich diesem Buch fünf von fünf Punkten geben.

Für die Geschichte allerdings nicht. Ich hatte die Leseprobe gelesen und war auf einen Krimi gefasst, in dem mehr gemenschelt als ermittelt wird. Und es menschelte dann auch sehr: Da hätten wir Cathy, die in Plymouth ein gemütliches Bed & Breakfast betreibt, mit viel Herz, schrulligen, aber liebenswertesten Stammgästen und einem verwunschenen Garten. Und sie ist Single – wie Bene, ein Deutscher, der auf den Spuren seines verstorbenen Vaters nach Plymouth reist. Klingt fast ein bisschen nach Rosamunde Pilcher, trotz des erstochenen Obdachlosen in Cathys Garten. Die Rollen sind außerdem klar verteilt: Es gibt die Guten und die Bösen, mehrdimensional sind nur wenige Charaktere.
Die Handlung entwickelt sich dann komplett hanebüchen. Mir erschienen viele Stränge nicht ansatzweise zu Ende gedacht, die Figuren reagierten oft sehr unlogisch auf Ereignisse und das hat mir das Buch doch ziemlich verdorben. Zum Thema Gin war also alles super, der Krimi an sich jedoch sehr enttäuschend. Aber vielleicht war es auch mein Fehler, vielleicht hätte ich mir zur Lektüre einfach einen Dry Martini mixen sollen und dann alles gnädiger beurteilt?

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Geschichte
  • Figuren
Veröffentlicht am 23.08.2019

Vom schweren Ende und den skurrilen Anekdoten auf dem Weg dorthin

Otto
0

Auf dem Buchrücken wird angekündigt, dass „Dana von Suffrin erzählt, was es für zwei Töchter bedeutet, wenn ein starrköpfiger jüdischer Patriarch mit siebenbürgischen Wurzeln zum Pflegefall wird.“ Und ...

Auf dem Buchrücken wird angekündigt, dass „Dana von Suffrin erzählt, was es für zwei Töchter bedeutet, wenn ein starrköpfiger jüdischer Patriarch mit siebenbürgischen Wurzeln zum Pflegefall wird.“ Und vielleicht rührt daher mein Problem mit diesem Buch: Ich dachte, dass es in diesem Roman um die Töchter gehen würde. Stattdessen ist „Otto“ eine Rückschau auf das bewegte Leben des gleichnamigen Patriarchen, aus der Sicht seiner Lieblingstochter Timna beschrieben. Timna und ihre Schwester Babi kümmern sich intensiv um den fast 80-Jährigen, der dem Tod zum Erstaunen aller Ärzte immer wieder von der Schippe springt. Zwischen Besuchen, Telefonaten mit den polnischen Pflegekräften und äußerst kurzen Einblicken in ihr Leben außerhalb der Sorge um ihren Vater lässt Timna die Familiengeschichte Revue passieren: Ottos Leben in Rumänien, Österreich, Israel und Deutschland, seine unglücklichen Ehen, der eher lieblose Umgang mit den Töchtern. Erzählt werden in lakonischem Tonfall, ohne große Emotionen vor allem skurrile Anekdoten, die eher willkürlich aneinandergereiht scheinen. Zwischen den Zeilen lässt sich herauslesen, dass Timna und Babi an ihrem Vater hängen und ihn so akzeptieren, wie er ist, mit allen Macken und Unzulänglichkeiten.

Beide Töchter haben jedoch auch Probleme, unterschiedlicher Art und unabhängig vom betreuungsintensiven Vater. Diese werden durchaus erwähnt, aber weder hergeleitet noch gelöst, und das hat mich gestört. Timna und Babi sind in diesem Roman nicht viel mehr als ihren Vater bis zum Ende begleitende Statisten, was insbesondere Ich-Erzählerin Timna nicht gerecht wird. Ich hätte ihre Geschichte gerne gehört, doch in „Otto“ wird nur Ottos geschildert. Relativ am Ende sagt er zu seiner Lieblingstochter: „Das Leben ist so schwer, wenn es aufhört, Timna, und so schön, wenn es anfängt.“ Der Fokus dieses Buches liegt klar auf dem schweren Ende. Auch wenn von Suffrin ihren „Otto“ sehr lebendig schildert und ich den Roman in einem Rutsch durchgelesen habe, war mir das zu wenig.

Ich habe dieses Buch als Rezensionsexemplar erhalten.