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Veröffentlicht am 06.01.2021

Eine bewegende generationenübergreifende Familiengeschichte

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
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Liebe Leserinnen, liebe Leser, lasst euch nicht von dem Titel und dem Cover des Romans in die Irre führen: Bei Alena Schröders „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ handelt es sich ...

Liebe Leserinnen, liebe Leser, lasst euch nicht von dem Titel und dem Cover des Romans in die Irre führen: Bei Alena Schröders „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ handelt es sich nicht um einen rührseligen Liebesroman, sondern um eine bewegende generationenübergreifende Familiengeschichte.

Der Roman setzt sich aus zwei Erzählsträngen zusammen: Der erste Erzählstrang spielt in der Gegenwart, der zweite in der Vergangenheit.

Im ersten Erzählstrang lernen wir die 27-jährige Hannah kennen, sie ist Studentin und promoviert im Fach Germanistik, obwohl sie eigentlich gar nicht weiß, was sie vom Leben erwartet. Seit ihre Mutter vor einigen Jahren an Krebs gestorben ist, befindet sich Hannah in einem Loch der Traurigkeit, aus dem sie, wie es ihr scheint, nur ihr Doktorvater Andreas, für den sie romantische Gefühle hegt, herauszuholen vermag. Das einzige Familienmitglied, das ihr geblieben ist, ist ihre Großmutter Evelyn, die Hannah jede Woche im Altersheim besucht. Als sie eines Tages einen Brief aus Israel auf Evelyns Tischchen entdeckt, in dem es um ein Restitutionsverfahren geht, wird Hannah schlagartig bewusst, dass sie nicht das Geringste über ihre Familie und ihre Wurzeln weiß. Die ohnehin wortkarge Evelyn will über die Vergangenheit nicht sprechen und so muss Hannah versuchen auf eigene Faust Antworten auf immer drängender werdende Fragen zu finden. Nur ein übereifriger Geschichtsstudent, Jörg, steht ihr dabei zur Seite.

Der zweite Erzählstrang beginnt 1923 als die neunzehjährige Senta den ehemaligen Fliegerpiloten Ulrich kennenlernt und ungewollt schwanger wird. Senta und Ulrich heiraten, doch Senta ist nicht glücklich als Ehefrau und Mutter. Nach drei Jahren unglücklicher Ehe lassen die beiden sich scheiden, ihre gemeinsame Tochter Evelyn bleibt bei Ulrich und seiner Schwester Trude. Senta geht nach Berlin, wo ihre beste Freundin Lotte bereits seit drei Jahren lebt, und baut sich eine neue Existenz auf. Zunächst als Schreibkraft und dann als Journalistin lernt sie den Redakteur Julius Goldmann kennen, mit dem sie in zweiter Ehe glücklich wird. Doch ihnen stehen harte Zeiten bevor, als die Nationalsozialisten an die Macht kommen. Den beiden gelingt es rechtzeitig das Land zu verlassen, doch Itzig, Julius‘ Vater, der einen Kunsthandel betreibt, möchte bis zum Ende nicht wahrhaben, was noch bevorsteht.

Alena Schröder ist dem breiten Publikum bereits durch einige Sachbücher bekannt, „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ ist allerdings ihr erstes fiktionales Buch. Dass die Autorin hier mit einem fiktionalen Werk debütiert, mag man kaum glauben, so ausgefeilt ist die literarische Struktur des Romans, so einwandfrei und überzeugend die Figurenzeichnung und deren Innenleben. Ob wir nun in Hannahs, Evelyns, Jörgs, Andreas‘ oder in Sentas, Ulrichs, Trudes, Lottes, Julius‘ oder Itzigs Innenleben eintauchen – jede der Figuren nimmt uns für sich ein. Mag man ihre Beweggründe auch nicht alle nachvollziehen, Verständnis und Empathie empfindet man für jede der Figuren. Obwohl die Autorin ein fiktionales Werk mit „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ geschaffen hat, liest sich der Roman wie eine wahrhafte Familiengeschichte. Was es mit dem Titel auf sich hat, erfährt man auf Seite 90 des Buches. Es ist Sentas Beschreibung eines Bildes von Vermeer, das ihr Schwiegervater ihr schenkte und das sie, zusammen mit den vielen anderen Werken, die die Nationalsozialisten Itzig wegnahmen, wiederzuerlangen versucht. Wie ein roter Faden zieht sich dieses Bild durch die Romangeschichte, es hält die einzelnen Stränge jedoch nur locker zusammen, denn der Kunstraub und das Resitutionsverfahren sind nur der Rahmen für eine Geschichte, die viel Wichtigeres sagen möchte.

Und uns allen eine Botschaft mit auf den Weg gibt: „Vertrauen Sie dem Schicksal. Und folgen Sie den Spuren, aber vergessen Sie nicht, dabei selbst welche zu hinterlassen.“

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Veröffentlicht am 04.11.2020

Eindringliches Porträt einer Generation

Ada
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„Niemand sprach. Weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte, war nichts geschehen. Aber ihre dumpfe Angst, es könnte sich wiederholen, erinnerte sie daran, dass da noch etwas war. Diese Angst wurde ...

„Niemand sprach. Weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte, war nichts geschehen. Aber ihre dumpfe Angst, es könnte sich wiederholen, erinnerte sie daran, dass da noch etwas war. Diese Angst wurde zu unserer Mitgift. Auf der Suche nach einem Ventil schleppten wir sie mit uns herum. Unsere Dichtungen waren defekt. Was in uns kochte, schoss eines Tages nach allen Seiten aus uns heraus.“

Als in Berlin die Mauer fällt, ist Ada vierundvierzig Jahre alt, sie hat seit mehreren Jahren ihre Eltern und ihren jüngeren Bruder nicht gesehen. Sie hadert mit ihrer Geschichte, der Vergangenheit ihrer Eltern, über die sie kaum etwas weiß, und mit ihrer eigenen Identität. Sie entscheidet sich schließlich, einen Psychiater aufzusuchen, dem sie ihre Geschichte erzählt. Wir, die Leser, dürfen mitlauschen. Ada beginnt mit ihren ältesten Erinnerungen, die sie im Alter von zwei Jahren hat. Mit ihrer Mutter, Sala, lebt sie in Buenos Aires. Erst im Jahr 1954, als Ada neun Jahre alt ist, kehren beide nach Deutschland zurück. Dort wird sie einem Mann namens Otto vorgestellt, verschwommen erinnert sie sich auch an einen Hannes. Sala und Otto heiraten, bekommen drei Jahre später einen Jungen, der von allen Sputnik genannt wird. Turbulente Jahre folgen, in denen Ada gegen die Eltern, den Staat, die gesellschaftlichen Verhältnisse aufbegehrt; Jahre, die sie u. a. nach Paris und Woodstock führen.

„Ada“ ist eine Art Autofiktion und der Folgeband von „Der Apfelbaum“. Die Eltern des Autors sind real, Adas jüngerer Bruder Sputnik ist der Autor selbst. Die Figur der Ada ist dagegen fiktiv. Christian Berkel hat einen älteren Bruder, aber keine Schwester. Wie der Autor in einem Interview begründet, habe er sich für eine weibliche Ich-Erzählerin entschieden, weil er „eine Mutter-Tochter-Beziehung für die komplexeste und spannungsreichste Beziehung innerhalb einer Familienstruktur halte“. Wer „Ada“ gelesen hat, wird dem unweigerlich zustimmen. Die Geschichte hätte mit einem männlichen Protagonisten nicht funktioniert. Viele Ebenen wären dabei verloren gegangen.

Christian Berkel tritt in „Ada“ als hervorragender Schriftsteller hervor. Wie er zunächst in die kindliche Psyche eintaucht, ist geradezu entwaffnend echt und treffend: So lernen wir zunächst das Kind kennen, das über eine scharfe Beobachtungsgabe und starkes Empfinden verfügt, dem aber oftmals das tiefere Verständnis für die Geschehnisse fehlt. Die auf diese Weise unweigerlich entstandenen Leerstellen werden von der erwachsenen Ada im Nachhinein auch nicht ausgefüllt, sodass deren Interpretation dem Leser überlassen wird. Ada schildert drastische Situationen und das Gefühl des Verlassenseins. Bereits in dieser Zeit fühlt sie sich von ihrer Mutter oftmals nicht akzeptiert und leidet sehr unter den Trennungen: In Argentinien gibt Sala ihre Tochter in einem Kloster ab und auch später in Deutschland verlässt sie die Familie für mehrere Wochen. Ada fühlt sich weder geliebt noch ernstgenommen. Sie hat ja kaum Vergleichsmöglichkeiten und weiß deshalb nicht, dass in allen Familien geschwiegen wird, erst recht in Bezug auf die Kinder, die man mit der eigenen Vergangenheit nicht belasten will. Auch untereinander reden die Eltern nicht von ihren Erlebnissen. Sala, die aufgrund ihrer halbjüdischen Herkunft in einem Konzentrationslager in Frankreich interniert war, aus dem es ihr gelang zu fliehen, spricht nicht über ihre Erlebnisse. Und Otto, der Frontarzt und mehrere Jahre in russischer Gefangenschaft war, spricht nicht über seine Erlebnisse. Ada kann ihr Schweigen nicht nachvollziehen, denn sie fühlt sich ihrer Herkunft beraubt, die sie für ihr gutes Recht hält. Auch hadert sie mit der Frage, wer ihr leiblicher Vater ist: Ist es tatsächlich Otto oder vielleicht doch Hannes? Immer wieder bedrängt sie ihre Mutter mit der Frage, muss letzendlich aber mit der Ungewissheit darüber weiterleben. Aus Antworten und Erzählungen von ihrem Großvater in Weimar, von ihrer Großtante in Paris und einer alten Freundin ihrer Mutter setzt sich Ada Stück für Stück ein Bild zusammen, das jedoch lückenhaft bleibt. Mit dem Heranwachsen erweitert sich Adas Horizont, doch sie leidet weiterhin an dem Schweigen ihrer Eltern. Nichts lässt sie ungenutzt, um gegen das Leben der Elterngeneration und die Politik des Schweigens aufzubegehren: Von Studentenaufständen über die freie Liebe bis hin zum Drogenrausch – nichts lässt Ada unversucht, um der drückenden Vergangenheit der Eltern zu entfliehen. Doch während sie am Anfang noch hilflos an der Oberfläche kratzt, gelangt sie mit der Zeit zu einem immer tiefer werdenden Verständnis der Dinge.

Christian Berkel hat mich mit „Ada“ so sehr begeistern können, dass ich den Vorgängerband unbedingt nachholen möchte und auch den Folgeband nicht verpassen werde. Er hat in seinem Roman nicht nur ein umfangreiches Zeitbild von Mauerbau bis Mauerfall gezeichnet, sondern auch ein bewegendes Einzelschicksal eines der Nachkriegsgeneration angehörenden Individuums geschildert. Die weibliche Stimme hat der Autor dabei so authentisch eingefangen, dass man während der Lektüre immer wieder vergisst, dass es ein Mann ist, der hinter dem Geschriebenen steht. Der Schreibstil ist mal nüchtern und ungeschönt und dann wieder voller Poesie und literarischer Schönheit – aber stets sehr eindringlich!

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Veröffentlicht am 16.10.2020

Lyrik, das Meer und die Selbsterkenntnis

Unter uns das Meer
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„Ich fragte mich im Stillen, ob der Mensch, der ich in den vergangenen Jahren geworden war, wirklich ich war oder nicht bloß das Ergebnis meiner mich deformierenden Geschichte. Aber auf See gab es nichts, ...

„Ich fragte mich im Stillen, ob der Mensch, der ich in den vergangenen Jahren geworden war, wirklich ich war oder nicht bloß das Ergebnis meiner mich deformierenden Geschichte. Aber auf See gab es nichts, was mich davon hätte abhalten können, die Frage zu beantworten. Nichts stand der Selbsterkenntnis im Weg. Es gab immer noch mehr und noch mehr Horizont, leer in jeder Richtung, ein Fehlen jeglicher Einmischung, ein Ausblick ohne jede Vermittlung – reines, beängstigendes Bei-Sich-Sein.“

Das Leben von Juliet und Michael ist irgendwie festgefahren, sie haben sich kaum mehr etwas zu sagen, wissen nicht einmal mehr mit Bestimmtheit zu sagen, ob sie noch Liebe füreinander empfinden. Es scheint, als ob nur noch ihre beiden Kinder, Sybil und George, die Ehe zusammenhalten. Bis Michael eines Tages mit dem waghalsigen Plan aufkommt, einen einjährigen Segeltörn zu starten. Ohne zu wissen, was die Zukunft bringt, brechen die vier in eine abenteuerliche Reise auf, die ein jähes, tragisches Ende nimmt.

Amity Gaige hat ihren Roman „Unter uns das Meer“ (im Original „Sea Wife“) als eine Art Zwiegespräch aufgebaut. Auf der einen Seite haben wir Michaels Logbuch, das aber auch einen tiefen Einblick in sein Seelenleben gewährt und somit mehr Tage- als Logbuch ist, und auf der anderen Seite Juliets gegenwärtige Gedanken, Erlebnisse und Reflexionen sowie Erinnerungen an die gemeinsame Segelfahrt. Das Ergebnis ist eine hochkomplexe Studie einer Ehe. Lässt Juliet zunächst die Zeit ihrer Depressionen, die sie nach der Geburt ihrer Kinder heimgesucht haben, Revue passieren und liegt das Gewicht zunächst auf den Missverständnissen und den – oftmals politischen – Streitgesprächen zwischen den Eheleuten, so verlagert sich das Gewicht im Laufe der Handlung zunehmends zugunsten der Dinge, die Michael und Juliet zusammenhalten und nicht zuletzt erkennen lassen, dass es doch reine Liebe ist, die sie füreinander empfinden. Doch bis dahin ist es ein langer Weg: Den Gezeiten gleich durchleben beide die Höhen und Tiefen ihrer Beziehung, wobei immer wieder neue Dinge zum Vorschein kommen, die ein vielschichtiges Beziehungsgeflecht entstehen lassen.

Juliet sieht sich als Poetin. Obwohl sie nicht selbst schreibt, liebt sie die Poesie und schätzt ihre therapierende und seelsorgerische Wirkung. Nicht umsonst schreibt sie ihre unvollendet gebliebene Dissertation zu der Dichterin Anne Sexton, die „Confessional Poetry“ betrieb. Die Passagen, in denen Juliet über Sextons Lyrik und deren Leben reflektiert – sowie die im Anhang zitierten Auszüge aus ihrer Doktorarbeit – sind meine liebsten Stellen in dem Roman. Davon hätte ich persönlich noch viel mehr lesen können. Unerbittlich kratzt sie an den gesellschaftlichen Fassaden und bringt Dinge ans Licht, die der Mensch natürlicherweise zu verbergen versucht. So verwundert es auch nicht, dass Juliet und Michael oftmals aneinandergeraten, denn Indifferenz ist der starken Protagonistin ein Graus. Verwundern wird auch nicht, dass Lesersympathien wohl eher bei Juliet liegen werden. Doch auch die siebenjährige Sybil kommt in dem Roman einige Male zu Wort. Ihre Gedanken berühren sehr und lassen das Herz des Lesers oftmals vor Mitgefühl überlaufen – so rein, direkt und kindlich unverfälscht sind die ihr gewidmeten Romanpassagen. Auch hierfür ziehe ich voller Bewunderung und Hochachtung meinen Hut vor der Autorin.

„Unter uns das Meer“ ist ein äußerst vielschichtiger Roman, der nicht nur drei Familienmitglieder auf authentische Weise zu Wort kommen lässt und ein in sich stimmiges psychologisches Familienbild zeichnet, sondern auch viele Fragen in den Raum wirft, mit denen sich jeder Leser auf seine eigene Art auseinandersetzen wird. Es ist ein Roman, der niemanden indifferenziert zurücklässt. Der Roman ist wie die Geschichte selbst: Eine Art Katharsis mit einem hoffnungsvollen, versöhnlichen Ende.

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Veröffentlicht am 27.09.2020

Ein Kochbuch der besonderen Art

Wien by NENI
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Wer das Kochbuch „Tel Aviv“ kennt, ist mit der Familie Molcho, ihren bemerkenswerten Rezepten und ihrer außergewöhnlichen Buchgestaltung vertraut. Während in „Tel Aviv“ die israelische Küche im Zentrum ...

Wer das Kochbuch „Tel Aviv“ kennt, ist mit der Familie Molcho, ihren bemerkenswerten Rezepten und ihrer außergewöhnlichen Buchgestaltung vertraut. Während in „Tel Aviv“ die israelische Küche im Zentrum stand, wendet sich die Familie Molcho in ihrem neuen Kochbuch ihrer Wahlheimat Wien zu: Haya und Samy Molcho sowie ihre vier Söhne gewähren uns zunächst Einblick in ihr eigenes Leben, um uns dann ihre liebsten Menschen und Orte vorzustellen – natürlich dreht sich dabei alles um gutes (und ethisch vertretbares) Essen.

„Wien by NENI“ kommt in einer sehr edlen Aufmachung einher – wie ein Coffe Table Book. Die in dem Buch enthaltenen atemberaubend schönen Fotos stammen von Nuriel Molcho, Hayas ältestem Sohn. Das Akronym NENI stetzt sich übrigens aus den Anfangsbuchstaben der Namen der vier Molcho-Söhne zusammen: Nuriel, Elior, Nadiv und Ilan.

Zunächst gibt es auch einige Rezepte der Molcho-Familie, dann folgen jedoch Porträts befreundeter Gastronomen in Wien, die die Familienmitglieder ganz besonders schätzen. Die Porträts sind sehr interessant und ansprechend. Man staunt über die unterschiedlichen Werdegänge und oftmals äußerst verschlungenen Lebenspfade. Ohne Ausnahme sind alle vorgestellten Personen so sympathisch, dass man sich wünscht, man würde sie ebenfalls persönlich kennen – auf jeden Fall möchte man sobald wie möglich nach Wien reisen, um in das ein oder andere vorgestellte Restaurant einzukehren und die erlesenen Speisen zu genießen.

Einstweilen kann man sich die Wartezeit mit dem Nachkochen der Speisen verkürzen, die in dem Kochbuch vorgestellt werden: Fünf bis sieben Gerichte verrät jeder Gastronom aus seinem Repertoire. Die meisten Rezepte sind raffiniert und aufwendig, es finden sich jedoch auch einfache Rezepte von traditionellen österreichischen Gerichten, wie Apfelstrudel und Marillenknödel. Alles in allem ist „Wien by NENI“ ein ansprechendes, inspirierendes und überzeugendes Kochbuch der besonderen Art. Etwas ungünstig ist lediglich manchmal die Farbkombination von Text und Hintergrund gewählt, so dass sich das Lesen der Texte stellenweise etwas schwierig gestaltet.

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Veröffentlicht am 05.09.2020

Ein gelungener Mix!

Sila's Orientküche
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Viele Menschen mögen die türkische Küche – nicht umsonst gibt es hierzulande so viele Dönerbuden und türkische Lebensmittelläden. Ich selbst gehöre auch zu ihnen. Oftmals reicht mir ein ofenfrisches Fladenbrot ...

Viele Menschen mögen die türkische Küche – nicht umsonst gibt es hierzulande so viele Dönerbuden und türkische Lebensmittelläden. Ich selbst gehöre auch zu ihnen. Oftmals reicht mir ein ofenfrisches Fladenbrot mit frisch aus der Salzlake entnommenem Fetakäse und ich bin vollkommen glücklich. Während meiner Schulzeit war ich öfters bei meiner damals besten türkischen Freundin zu Besuch – immer wenn ein Referat oder eine Klassenarbeit anstand – und natürlich habe ich dann auch jedesmal von den traditionellen Gerichten, die es bei ihr gab, profitiert. Ihre Mutter stand gefühlt die ganze Zeit in der Küche – und sie machte es gerne! Schnell stellte ich fest, dass das Essen für sie und ihre Familie mehr war als reine Nahrungsaufnahme – es ist auch ein Liebesbeweis und ein Geschenk, das man mit Familie und Freunden teilen möchte.

Und so ist es auch bei der Schauspielerin Sila Sahin. „Die Freude am gemeinsamen Essen ist Teil meines Lebens, meiner Kultur und meiner ganzen Person“, schreibt sie in ihrem Buch „Sila‘s Orientküche“. Als Tochter türkischer Eltern, die in Berlin geboren ist, ist sie sowohl mit türkischem als auch deutschem Essen großgeworden. Das spiegelt sich auch in ihrem Kochbuch wider: So findet man sowohl die Rezepte ihrer Mutter als auch neu interpretierte Klassiker der mitteleuropäischen Küche darin. Da ihr Ehemann Vegetarier und sie Mutter zweier Kinder ist, sind in ihr Repertoire zudem vegetarische und kindergerechte Gerichte miteingeflossen. Als Frau, die die Geselligkeit liebt, legt sie uns auch eine Bandbreite an Rezepten vor, die für die große Tafel geeignet sind. Auch Gerichte für ein romantisches Dinner zu zweit finden sich in Silas Kochbuch. „Meine Küche ist ein Spiegel meiner Seele“, schreibt sie. „Sie ist so vielfältig wie die unterschiedlichen Menschen und verschiedenen Orte in meinem Leben. Und sie ist so überraschend wie viele Begegnungen und Erfahrungen, die ich bisher machen durfte.“

Zunächst nimmt sie den Leser bei der Hand und zeigt ihm ihren Vorratsschrank: In dem finden sich unter anderem Bulgur, Yufkateig, Paprikamark, Joghurt und allerhand Nüsse und Saaten – alles Zutaten, die in der Türkei gewärtschätzt und oft in der orientalischen Küche Verwendung finden. Im zweiten Schritt macht Sila uns mit den wichtigsten Kräutern und Gewürzen der orientalischen Küche bekannt. Mit frischen Kräutern wird nicht gespart und Gewürze wie Pul biber (eine Gewürzmischung die aus grob gemahlenen Paprikaschoten besteht) oder Sumach (das aus den getrockneten Früchten des Färberbaums besteht) geben den Gerichten den letzten Pfiff. Am Ende des Buches findet sich ein übersichtliches alphabetisch geordnetes Register, in dem man direkt nach dem Namen der Gerichte oder von den Zutaten ausgehend nach passenden Gerichten suchen kann. Die Fotos zu den Gerichten sind äußerst ansprechend. Aufgelockert wird das Kochbuch zudem von Fotos der Autorin und kurzen Texten, in denen sie Einblick in ihr Leben und die Beschaffenheit der von ihr präsentierten Mahlzeiten gewährt.

Mein persönliches Highlight sind die vegetarischen Gerichte. Wenn man einen Döner mit vielfältigem Gemüse und einer nahrhaften Soße hat – wer vermisst da noch das Dönerfleisch? Oder wer könnte zu gefüllten Auberginen, Linsenköfte oder einem Bulgur-Pilz-Pilaw nein sagen? Ich jedenfalls nicht und würde sie bei weitem fleischhaltigen Gerichten vorziehen. Auch die Suppen – hier habe ich nun endlich das perfekte Rezept für eine fruchtige Tomatensuppe gefunden, nach dem ich so lange gesucht habe! Die scharfe Möhren-Orangen-Suppe wird ebenfalls definitiv in mein Suppenrepertoire aufgenommen. Ein weiteres großes Highlight für mich, die Baklava heiß und innig liebt, sind natürlich die Baklava Style Pancakes – ein himmlischsüßer Traum, den ich mir jederzeit selbst schnell zubereiten kann!

Wer sich schon immer mal gewünscht hat, einige der türkischen Gerichte, die er aus der Gastronomie kennt, selbst nachkochen zu können oder wer Abwechslung in der Küche liebt, dem kann ich „Sila‘s Orientküche“ nur wärmstens ans Herz legen. Ich bin jedenfalls sehr froh darüber, dass es in meinem Bücherregal mit den (nur ausgwählten!) Kochbüchern steht.

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