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heinoko

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.02.2017

Wörterbeschützer

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster
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Dieser Titel, dieser wunderbare, geniale Titel! Allein dafür liebte ich das Buch sofort, als ich es in Händen hielt, obwohl ich noch keine Zeile gelesen hatte. Und sofort hatte ich die Assoziation, dass ...

Dieser Titel, dieser wunderbare, geniale Titel! Allein dafür liebte ich das Buch sofort, als ich es in Händen hielt, obwohl ich noch keine Zeile gelesen hatte. Und sofort hatte ich die Assoziation, dass ein Mensch gestorben ist und jemand das Fenster öffnet, um die Seele fort zu lassen...

Fred, ein dicklicher, stiller Mann bekommt seinen ersten Auftrag als ehrenamtlicher Sterbebegleiter, und zwar bei Karla, einer sehr eigenwilligen, selbstbestimmten Frau mit Pankreaskrebs, die es Fred alles andere als leicht macht, schon gar nicht, seinem eigenen Anspruch an sich gerecht zu werden. Und dann ist da noch Phil, der fast 14-jährige Sohn von Fred. Phil ist ein in sich gekehrter Junge, ein „Wörterbeschützer“, der auf seinem Computer ein Wörterkrankenhaus angelegt hat für Wörter, die z. B. isoliert werden sollten oder einer Operation bedürfen. Phil, der Gedichte schreibt und wenig anfangen kann mit dem Leben um sich herum. Er bekommt von Karla eine besondere Aufgabe zugewiesen.
Und so finden sich rund um Karla Menschen zusammen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zwischen den vorgestellten Personen entsteht ein Beziehungsgeflecht, eine ganz vorsichtige Dynamik, die jeden Beteiligten seinen eigenen Weg finden lässt auf eine sehr leise, sehr feine Weise. Am Schnittpunkt Leben/Tod sind Hilflosigkeit und Weisheit so nah beieinander wie nie sonst.

Die Autorin berührt mich tief. Was für eine großartige Beobachtungsgabe, was für eine geniale Fähigkeit, mit einfachen Worten einfache Geschehnisse zu beschreiben und diese damit in eine andere Bedeutsamkeit zu überführen. Feinfühlig, sensibel und dabei mit ganz leisen Worten, sozusagen mit ganz leiser Stimme eine Geschichte erzählend, die tiefer nicht gehen könnte.

Veröffentlicht am 14.02.2017

Regen, Treppen, Mord und Bosheit

Ein gutes Alibi
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Nein, zur Feindin möchte ich die Autorin nicht haben! Dazu jedoch später mehr.
Natürlich regnet es bereits zu Beginn der Geschichte heftig. Was wäre ein Wuppertal-Krimi ohne Regen. Beyenburg, ein idyllisches ...

Nein, zur Feindin möchte ich die Autorin nicht haben! Dazu jedoch später mehr.
Natürlich regnet es bereits zu Beginn der Geschichte heftig. Was wäre ein Wuppertal-Krimi ohne Regen. Beyenburg, ein idyllisches Örtchen mit Kloster und Stausee, am äußersten östlichen Rand von Wuppertal gelegen, bietet das malerische Umfeld für eine ganz und gar nicht malerische Geschichte: In der Grundschule von Beyenburg wird der Schulleiter Karl Goebel in seinem Büro tot aufgefunden. Kriminalkommissar Kantner nimmt die Ermittlungen auf, und das Buch bevölkert sich zusehends mehr und mehr mit möglichen Verdächtigen, die sehr detailreich mit all ihren persönlichen Unzulänglichkeiten geschildert werden. Dann wird eine zweite Leiche gefunden, eine Kollegin von Karl Goebel. Es wird immer verwirrender. Das Buch mäandert sich, in kurze Kapitel zerschnitten, geschickt durch die Geschichte. Alle Beteiligten lügen, an jeder Ecke meint der Leser, den Schlüssel zur Lösung aller Dinge gefunden zu haben, um dann doch feststellen zu müssen, dass er in die Irre geführt wurde. Mit viel Spannung setzt man die Kapitelschnippsel zusammen und muss tatsächlich bis zum Ende lesen, bis auch das letzte Puzzleteilchen eingesetzt werden kann.
Die Autorin schafft es, trotz der Komplexität der Handlung stets den Spannungsbogen bis zum Ende gleichmäßig hoch zu halten, auch wenn der Leser mitunter verwirrt ist bei der Fülle der vorkommenden Personen. Sie schreibt sehr lebendig, zeichnet farbig und eindrücklich die Geschehnisse. Auch der Humor kommt nicht zu kurz, jedenfalls der ganz spezielle raue Wuppertaler Humor. Besonders schön finde ich persönlich, dass es alle beschriebenen Orte genau so gibt. Krimis mit Lokalkolorit haben stets einen besonderen Charme.
Tja, und jetzt komme ich wieder zum Anfang zurück: Als Leser sucht man in jedem Buch Identifikationsfiguren, denen man sich mit Sympathie nähern möchte. Daniela Schwaner jedoch beschreibt ihre Personen allesamt bloßstellend, auf ihre negativen Seiten reduziert, mit einem geradezu sezierenden Blick, so dass man mit den handelnden Personen fast Mitleid haben möchte und sich fragt, welche versteckten Aggressionen in der Autorin stecken. Hoffentlich genug, um noch so manchen weiteren guten Krimi zu schreiben…

Veröffentlicht am 13.02.2017

Großartig

Weit weg ist anders
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Das Cover verrät eigentlich nur den eigenwilligen Titel. Mit dem Bus oder mit der Landschaftsilhouette assoziiert man Reisen. Aber was da wirklich im Buch auf den Leser wartet, verrät das Titelbild in ...

Das Cover verrät eigentlich nur den eigenwilligen Titel. Mit dem Bus oder mit der Landschaftsilhouette assoziiert man Reisen. Aber was da wirklich im Buch auf den Leser wartet, verrät das Titelbild in keinster Weise!
Das Buch beginnt in quälender, langsam intensiver Schmerzhaftigkeit. Edith, 70, ist im Flur ihrer Wohnung gestürzt und liegt bewegungsunfähig auf dem Boden. Stunden? Tage? Gedanken kommen und gehen…Der Briefträger rettet ihr letztlich das Leben.
Edith Scholz ist auch in der Reha eine in ihrer Einsamkeit gefangene Frau, die nur aggressive Abwehr kennt, misstrauisch und grob ist. Sie lernt Frau Jacobi, ihre Zimmernachbarin, kennen, die sich nicht abschrecken lässt und nach und nach bewegen sich zwei verzweifelte Menschen aufeinander zu.
Vom ersten Satz an war ich gefangen in der Welt einer älteren Frau, einer Frau, die sich ihrem Leben ergeben hat, die sich ihrer Isolation ergeben hat. Und die ihre Einsamkeit mit allen ihr zur Verfügung stehenden Waffen verteidigt. Woher nur hat die Autorin diese grandiose Gabe, sich so vollkommen einfühlen zu können, in die Welt der 70- bis 80-Jährigen, einer Welt, in der sich der Horizont gefährlich schnell verengt, in der Angst, insbesondere uneingestandene Angst, eine lebensbestimmende Rolle spielt. Was für eine großartige Sprache, so eindrucksvoll, schlichte Beobachtungen, die ins Herz treffen. Ganz, ganz stark!

Veröffentlicht am 11.02.2017

Keep calm and carry on

Perfect Girl - Nur du kennst die Wahrheit
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Der Rücken des festlich gekleideten Mädchens an der Tastatur eines Flügels und der Titel "Perfect Girl" lassen nicht im mindesten erahnen, was sich hinter den Buchdeckeln verbirgt.

Die 14-jährige, musikalisch ...

Der Rücken des festlich gekleideten Mädchens an der Tastatur eines Flügels und der Titel "Perfect Girl" lassen nicht im mindesten erahnen, was sich hinter den Buchdeckeln verbirgt.

Die 14-jährige, musikalisch hochbegabte Zoe verursacht einen grauenhaften Autounfall mit 3 Toten, wird dafür in Jugendarrest genommen. Die Ehe ihrer Eltern zerbricht daran. 3 Jahre später hat die Mutter von Zoe einen anderen Mann geheiratet, ein weiteres Töchterchen geboren, sie leben zusammen mit Zoe an einem anderen Ort. Niemand weiß von dem Unfall, von Zoe's Schuld. Sie leben das perfekte "zweite Leben", bis Zoe zusammen mit ihrem Stiefbruder ein Konzert gibt...

Ich bin restlos fasziniert von der Erzählweise der Autorin. Sie schreibt, nein, sie be-schreibt so intensiv, so bildhaft, so fein beobachtend, dass man als Leser gar nicht anders kann, als eine Fülle innerer Bilder zu entwickeln. Und die Autorin weiß, wovon sie schreibt, wenn sie z. B. die Minuten der inneren Anspannung vor Beginn eines Klavierkonzerts beschreibt. Geniale Beschreibungen finde ich, wie z. B. "Wangen wie Kalksteinplatten", oder "die Denkmütze aufsetzen". Die Protagonisten erhalten jeweils ihre eigene Stimme, erzählen aus ihrer Warte, aus ihrer Perspektive, erhalten ihr eigenes Forum. Diese kurzen Kapitel sind wie Pixel, die erst am Ende des Buches die Sicht freigeben auf das Gesamtbild. Und so bleibt die Spannung von Anfang bis Ende auf gleich hohem Niveau.

Einfach nur großartig!

Veröffentlicht am 06.02.2017

Bayerischer Humor

Fastenopfer
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Es ist Fastenzeit in Bayern. Kaum jemand nimmt das Fastengebot so ernst wie die Haushälterin von Monsignore Hirlinger, die ihren Dienstherrn mit ihrer Low Carb Diät an die Grenzen seiner Leidensfähigkeit ...

Es ist Fastenzeit in Bayern. Kaum jemand nimmt das Fastengebot so ernst wie die Haushälterin von Monsignore Hirlinger, die ihren Dienstherrn mit ihrer Low Carb Diät an die Grenzen seiner Leidensfähigkeit bringt. Und da ist noch der Fingernägel kauende Kommissar Kramer, der am Aschermittwoch-Morgen die attraktive Staatsanwältin in seinem Bett vorfindet, ohne sich an irgend etwas erinnern zu können. Aber da ist auch eine Leiche. Erstochen liegt der Verwalter des "Tilly-Benefiziums" in der Altöttinger Kapelladministration. Und so nimmt die Geschichte ihren Lauf. Eine Reihe von schrägen bayerischen Vögeln taucht auf, legt Spuren, und Kommissar Kramer gerät in immer größere Verwirrnis...

Ganz grundsätzlich: Das Buch zu lesen, bringt Spaß. Da ich aus Bayern komme, habe ich beim Lesen heimatliche Gefühle, denn die Art und Weise der handelnden Personen ist wirklich sehr bayerisch, d. h. etwas hinterkünftig, ohne Eile, mit urigem Humor gesegnet. Dass mundartlich angehauchte Konversation eingestreut ist, gefällt mir gut und passt perfekt zu den vorgestellten Protagonisten. Die einzelnen Handlungsstränge fügen sich erst gegen Ende des Buches logisch zusammen, sodass man mit Spannung bei der Sache bleibt. Manchmal allerdings findet man ein wenig zuviel bemühten Witz, ein bisschen viel Hauruck-Humor, aber das Überzeichnen schadet letztlich dem guten Gesamteindruck nicht.

Das Buch kommt mir vor wie ein Glas Weißbier, auf das man richtig Lust hat - süffig. Und wenn das Glas leer ist, war's das. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.