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Veröffentlicht am 20.10.2020

Wenn die Fiktion von der Realität überholt wird

Die Krieger
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Schaut man dieser Tage nach Frankreich, wird einem bewusst, dass die Thematik dieses Romans aktueller nicht sein könnte:

1984 geht die Münchner Diskothek Liverpool in Flammen auf. Ein Brandanschlag, der ...

Schaut man dieser Tage nach Frankreich, wird einem bewusst, dass die Thematik dieses Romans aktueller nicht sein könnte:

1984 geht die Münchner Diskothek Liverpool in Flammen auf. Ein Brandanschlag, der die ermittelnde Polizei vermuten lässt, dass ein Revierkampf im Rotlichtmilieu der der Auslöser ist. Bis ein Bekennerschreiben auftaucht, das eine Verbindung zu verschiedenen ungeklärten Verbrechen in Oberitalien vermuten lässt. Noch ist das bloße Spekulation, findet man unter den Opfern doch neben einer Prostituierten nicht nur Drogenabhängige und Dealer sondern auch Mönche und Priester. Soweit die – reale – Ausgangssituation in Martin Maurers „Die Krieger“.

Die Ermittlungen in München laufen auf Hochtouren, jedem Hinweis wird nachgegangen. Und so ist es auch selbstverständlich, dass ein Beamter zu den Kollegen nach Mailand geschickt werden muss. Es trifft den Neuzugang aus Berlin, Kommissar Nick Marzek, und da dieser des Italienischen nicht kundig ist, darf/muss ihn Graziella Altieri, Putzfrau im Kommissariat, begleiten und als Übersetzerin fungieren. Je mehr sich die beiden in die Fallakten der italienischen Kollegen vertiefen, desto mehr festigt sich der Eindruck, dass die Taten nicht das Werk „einfacher“ Krimineller sind, sondern einen politisch-ideologischen Hintergrund haben.

Obwohl in der Zwischenzeit fast vierzig Jahre vergangen sind, ist die Thematik dieses Romans erschreckend aktuell, wenn man sich die Motive der Täter anschaut, Sie sind er Überzeugung, dass sie als Handlanger des göttlichen Willens agieren, wenn sie, beide geprägt durch ihre katholisch-fundamentalistische Überzeugung, ihre Verbrechen begehen und ihre Bekennerschreiben mit Nazi-Symbolen (Runen, Hakenkreuzen etc.) und dem Spruch „Gott mit uns“ signieren.

Ein lesenswerter Roman mit einer komplexen Story, die die Aufmerksamkeit des Lesers fordert. Und da der Autor nahe an den Tatsachen bleibt, empfehle ich, zum besseren Verständnis, sich parallel dazu über die „Gruppe Ludwig“ zu informieren, um die Zusammenhänge besser verstehen zu können.

Veröffentlicht am 29.09.2020

Typische Hornby Love-Story, aber kein Brexit-Roman

Just Like You
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Um es gleich vorweg zu nehmen, für mich ist „Just like you“ nur sehr bedingt ein Brexit-Roman. Die Handlung ist zeitlich zwar rund um das Referendum angesiedelt, aber das Thema wird nur oberflächlich und ...

Um es gleich vorweg zu nehmen, für mich ist „Just like you“ nur sehr bedingt ein Brexit-Roman. Die Handlung ist zeitlich zwar rund um das Referendum angesiedelt, aber das Thema wird nur oberflächlich und lediglich in knappen Bemerkungen innerhalb der Gespräche der Protagonisten angeritzt, meist nur auf die Frage nach dem Wahlverhalten reduziert. Nur in einem kurzen Wortwechsel merkt man bei Josephs Vater die Hoffnung, die dieser mit dem Verlassen der EU verknüpft. Wobei er allerdings auch nur die Ausländer raus-Parolen nachbetet, die die Leaver im Vorfeld verbreitet haben.

Lucy (42, Lehrerin, Mutter zweier Kinder, getrennt lebend, weiß und links-liberal) trifft Joseph (22, Aushilfsverkäufer und Hobby-DJ, ungebunden, schwarz und eher unpolitisch) in dem Fleischerladen, in dem er hinter der Theke steht. Beide sind eher zurückhalten, nur bedingt auf Partnersuche, und dann sind ja da noch die unterschiedlichen Lebenswelten und nicht zuletzt der große Altersunterschied. Aber dennoch kommen sie ins Gespräch, nähern sich vorsichtig an und verlieben sich ineinander. Trennen sich und kommen wieder zusammen. Und das war’s dann auch schon.

So, und damit wäre auch das Genre geklärt, dem dieser Roman zuzurechnen ist. „Just like you“ ist eine Love Story, allerdings in der für Hornby typischen Form mit Augenzwinkern erzählt. Mitten aus dem Alltag, ohne pseudoromantischen Schmus, dafür mit jeder Menge Bedenken und Soll-ich oder Soll-ich-nicht auf beiden Seiten.

Aber leider bleibt der Autor doch sehr an der Oberfläche. Er beschreibt zwar das Leben in Lucys trendigem Viertel Islington, verliert sich aber in Äußerlichkeiten und umschifft die problematischen Aspekte, die sich aus der Verbindung der beiden Protagonisten ergeben. Meine Erwartungen wurden zwar nur teilweise erfüllt, aber alles in allem war es doch eine unterhaltsame, leichte Lektüre für zwischendurch, die gerne gelesen habe.

Veröffentlicht am 23.09.2020

Zwei Leben im Kalten Krieg

Kinder ihrer Zeit
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Ostpreußen im Januar 1945, das Ende des Krieges ist absehbar. Die Menschen haben Angst, sind verunsichert, denn die russischen Truppen sind auf dem Vormarsch. Viele entscheiden sich dazu, ihre Heimat zu ...

Ostpreußen im Januar 1945, das Ende des Krieges ist absehbar. Die Menschen haben Angst, sind verunsichert, denn die russischen Truppen sind auf dem Vormarsch. Viele entscheiden sich dazu, ihre Heimat zu verlassen, die Flucht ins Ungewisse anzutreten. So auch Rosa, die sich mit ihren beiden Kindern Alice und Emma auf den Weg gen Westen macht, nicht ahnend, dass die Mädchen unterwegs durch ein tragisches Ereignis auseinandergerissen werden…

Anhand zweier Einzelschicksale richtet Claire Winter unseren Blick einmal mehr auf das Leben in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, ein Thema, das momentan in der Belletristik über die Maßen präsent ist. Auf der einen Seite Emma, die es mit ihrer Mutter nach Westberlin schafft und dort aufwächst, auf der anderen Seite Alice, deren Sozialisation von den „typisch sozialistischen Erziehungszielen“ geprägt ist und die sich zu einer strammen Kommunistin entwickelt. Als die beiden sich nach einigen Jahren wiederfinden, treten diese Unterschiede deutlich zutage.

Natürlich bietet das Nachkriegs-Berlin in der Zeit bis zum Mauerbau die ideale Kulisse für diese Vorlage. Hier West, da Ost, die Mauer zwar noch nicht errichtet, aber durch die Aufteilung in Zonen durchaus im Alltag für die Bewohner bereits spürbar. Die entsprechende Propaganda der verschiedenen Seiten zeigt ihre Auswirkungen, es ist die Hoch-Zeit des Kalten Krieges, in der alle Geheimdienste ihre Agenten im Sinne der Informationsbeschaffung möglichst wirkungsvoll platzieren. Und so bleibt es nicht aus, dass Bespitzelungen „im Dienst der guten Sache“ auch innerhalb von Familien gang und gäbe sind.

Okay, Claire Winter ist kein John le Careé, aber das diese Erwartungshaltung hat ihre Klientel auch nicht. Ihr Schwerpunkt ist die emotionale Sichtweise, sie fragt hier danach, was diese äußeren Bedingungen mit Menschen machen, die durch Blutsbande miteinander verbunden sind. Klar, daraus resultiert jede Menge persönliches Drama, Politik kommt nur am Rande vor und ist dann doch eher von den gängigen Klischees geprägt. Das ist in Ordnung, denn dieser Roman ist ein Schmöker und will in erster Linie unterhalten. Aber vielleicht weckt die Geschichte der beiden Schwestern das Interesse für diese spannende Zeit. Ich würde es mir wünschen.

Veröffentlicht am 15.09.2020

Urlaubslektüre mit gesellschaftskritischen Untertönen

Das Manuskript
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In „Das Manuskript“ wird die Geschichte um die Bewohner von Camino Island, der fiktiven Insel vor Floridas Küste, fortgeschrieben, und beschert uns ein Wiedersehen mit alten Bekannten, die wir bereits ...

In „Das Manuskript“ wird die Geschichte um die Bewohner von Camino Island, der fiktiven Insel vor Floridas Küste, fortgeschrieben, und beschert uns ein Wiedersehen mit alten Bekannten, die wir bereits aus dem Vorgänger kennen.

Camino liegt genau auf der Zugbahn eines immens heftigen Hurrikans. Ein Teil der Bewohner ergreift die Flucht, andere bleiben vor Ort. So unter anderem auch Bruce Cable, Buchhändler mit Leib und Seele und ein Lebemann, wie er im sprichwörtlichen Buche steht. Als der Hurrikan auf Land trifft, hinterlässt er eine Spur der Verwüstung und fordert etliche Todesopfer. Auch Nelson Kerr, Anwalt und Autor, wird tot aufgefunden. Aber wurde er wirklich ein Opfer des Wirbelsturms? Die Polizei ist jedenfalls davon überzeugt, aber seine Verletzungen sind nicht eindeutig, und so beginnen Bruce und seine Freunde Nick und Bob, später auch noch die Schwester des Opfers, auf eigene Faust herumzuschnüffeln. Offenbar hat Nelsons Tod etwas mit dem Inhalt seines USB-Sticks zu tun…

Um es gleich vorweg zu nehmen, mit dem, was wir üblicherweise von Grishams Thrillern gewohnt sind, hat die Camino-Reihe wenig zu tun. Natürlich kann er schreiben und einen Plot entwickeln, das steht außer Frage, greift aber in diesem Roman leider erst in der zweiten Hälfte. Bis dahin sind wir Gast auf einer langweiligen Dinnerparty, interessierte Zuschauer des Weather Channel und begleiten die Helfer bei den Aufräumaktionen nach dem Sturm. Alles sehr langatmig und betulich. Der zweite Teil allerdings entschädigt für das Durchhalten, denn hier zieht zum einen das Tempo deutlich an, zum anderen greift Grisham ein brisantes Thema auf, das nicht nur, mir aber gerade in Florida, wenn man sich die Altersstruktur anschaut, besonders relevant scheint.

„Das Manuskript“ führt uns nicht in die Untiefen des amerikanischen Rechtssystems, sondern ist eher eine Urlaubslektüre mit gesellschaftskritischen Untertönen. Kann man lesen.

Veröffentlicht am 14.09.2020

Englisches Buddy-Movie in Romanform

Mord in Highgate
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ichard Pryce, Scheidungsanwalt der Reichen und Schönen, kommt so zu Tode, wie er gelebt hat. Für ihn ist das Beste nur gut genug, und so verlässt er die Welt, den Schädel eingeschlagen mit einem hochpreisigen ...

ichard Pryce, Scheidungsanwalt der Reichen und Schönen, kommt so zu Tode, wie er gelebt hat. Für ihn ist das Beste nur gut genug, und so verlässt er die Welt, den Schädel eingeschlagen mit einem hochpreisigen 82er Château Lafite Rothschild. Aber Pryce war Abstinenzler, und was hat die an die Wand geschmierte Zahl 182 zu bedeuten? Scotland Yard steht vor einem Rätsel, und so soll es einmal mehr der Ex-DI Hawthorne richten, der natürlich umgehend seinen „persönlichen Schreiber“ Horowitz hinzuzieht. Warum? Nun ja, Hawthornes Erfolge sollen natürlich der Nachwelt überliefert werden, und diese Aufgabe hat er Horowitz übertragen.

Dass ein Autor sich selbst zur Hauptfigur seines Romans macht, kommt selten vor. Bei Krimis kenne ich es nur von Arthur Conan Doyle und dem ersten Band der Hawthorne/Horowitz-Reihe „Ein perfider Plan“. Und wie bereits bei dem Vorgänger funktioniert es auch hier sehr gut, ist äußerst amüsant. Vor allem dann, wenn in Horowitz‘ Kommentaren der typisch britische Humor aufblitzt und den Leser damit bestens unterhält. Aber auch die entlarvenden Informationen zum Literaturbetrieb, die der Autor natürlich aus erster Hand und eigenem Erleben hat, sind höchst vergnüglich zu lesen. Als Kriminalroman funktioniert die Story ebenfalls, denn die Anzahl der Verdächtigen und Motive nimmt ab der Mitte rasant zu.

„Mord in Highgate“ ist ein Buddy-Movie in Romanform, der sich an den Klassikern der englischen Kriminalliteratur, allen voran Sir Arthur Conan Doyle, orientiert. Wie dessen Sherlock Holmes ist auch Hawthorne ein Meister der Deduktion und kann mit seinen Beobachtungen und Schlussfolgerungen nicht nur seinen Sidekick Horowitz sondern auch den Leser immer wieder verblüffen. Am Ende ist der Fall gelöst, aber wie in jeder guten Krimireihe deckt der Autor nicht alle Karten auf. Und so müssen wir uns wohl bis zu dem dritten Fall des Duos Hawthorne/Horowitz gedulden.