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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.09.2020

Untere und unterhaltsam.

Was uns verbindet
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In dem Cover kann man sich verlieren. Gleichzeitig zeigt und verbirgt es etwas. Man sieht Figuren und dass ein Junge seiner große Schwester oder Mama etwas zeigen will.
Er zieht an ihren Arm, scheint ...

In dem Cover kann man sich verlieren. Gleichzeitig zeigt und verbirgt es etwas. Man sieht Figuren und dass ein Junge seiner große Schwester oder Mama etwas zeigen will.
Er zieht an ihren Arm, scheint aufgeregt und neugierig zu sein.
Der Vordergrund wirkt lebendig.
Er birgt Spannung und Ungeduld.

Im Hintergrund sind Personen, die das ruhige Meer betrachten.
Das Meer, das zwar ruhig aussehen, aber sehr gefährlich sein kann und unbezähmbar ist.

Die Menschen sind nur Schattenfiguren. Man kann ihr Verhalten erkennen - stilles Beobachten, ein sich Sträuben und ein ungeduldiges hinter sich her Ziehen - , aber ihre Mimik und damit das, was sie denken und fühlen, ist verborgen.

Es ist ein geheimnisvolles und aussagekräftiges Titelbild, das neugierig macht.
Sind diese Menschen im Vordergrund und Hintergrund miteinander verbunden?
Wenn ja, dann auf welche Weise? Welche Geschichte steckt hinter diesen Menschen?

Wir lernen den vordergründig gewöhnlichen und unspektakulären Alltag einer Familie mit multikulturellem Hintergrund kennen.
Es ist die Familie Oleander.
Es sind die Eltern Jaya und Keith sowie deren beiden Kinder Karina und Prem.

Hinter den Kulissen zeigt sich ein furchtbares Ereignis:
der Tod des jüngsten Familienmitglieds Prem.

Dieser Verlust ist für den Rest der Familie eine einschneidende und dramatische Zäsur, die alles durcheinander wirbelt.
Ein Schicksalsschlag, der zerstörerische Macht hat.

Gowda erzählt davon, wie sich die restlichen Familienmitglieder zunächst voneinander entfernen, schließlich schrittweise vom Leid lösen und auf eine hoffnungsvolle Zukunft hin bewegen, in der sie sich aufgrund eines neuen Unglücks wieder begegnen.

Es sind individuelle Wege und es ist gleichzeitig ein gemeinsamer Weg. Wege, die anstrengend sind und viel Kraft erfordern.
Es geht dabei natürlich um den individuell unterschiedlichen Umgang mit Verlust, Trauer und Schuldgefühlen, aber auch um die bedingungslose Akzeptanz von Tatsachen und Entwicklungen sowie um Toleranz.

Der Fokus wird abwechselnd auf die verschiedenen Protagonisten gerichtet, wodurch wir die Figuren gut kennenlernen. Es entsteht ein authentisches, lebendiges und vielschichtiges Bild von ihnen.

Die Perspektivenwechsel und die Zeitsprünge sorgen für ein kurzweiliges und abwechslungsreiches Leseerlebnis. Die flüssige und feinfühlige Schreibweise und die einfache Sprache machen „Was uns verbindet“ zu einem unterhaltsamen Roman, durch dessen Seiten man gespannt fliegt, nachdem man ins Buch hineingefunden hat.

Ich empfehle ihn gern weiter.

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Veröffentlicht am 23.09.2020

Schonungslose Desillusionierung!

Das lügenhafte Leben der Erwachsenen
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Nachdem ich bereits die neapolitanische Saga mit Genuss verschlungen habe, war klar, dass ich „Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ lesen „muss“.
Und ich wurde nicht enttäuscht! Schon die Vorfreude auf ...

Nachdem ich bereits die neapolitanische Saga mit Genuss verschlungen habe, war klar, dass ich „Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ lesen „muss“.
Und ich wurde nicht enttäuscht! Schon die Vorfreude auf die erneute Reise nach Neapel, jetzt ins Neapel der 1990-er Jahre, war es wert, zu dem Buch zu greifen.

Erstaunlich, aber durchaus nachvollziehbar, was eine Bemerkung und eine Tante alles auslösen und bewirken können!

Giovanna wächst wohlbehütet in einer gesitteten und kultivierten Familie der Mittelschicht auf.
Mit 13 Jahren hört sie ihren Vater sagen, dass sie hässlich sei und ihrer Tante Vittoria immer ähnlicher werde.
Ihr Selbstbild gerät ins Wanken.

Schockiert und neugierig beschließt sie, die bis dato von der Familie verleugnete Tante kennenzulernen.
Das Mädchen ist gleichermaßen fasziniert und verstört von ihrer schillernden, leidenschaftlichen und schamlosen Tante und von dem ihr bis dahin völlig unbekannten und schlüpfrigen, vulgären, dreckigen und ungebildeten Neapel.

Ihre Kindheit endet, die heile Welt bricht zusammen und die Augen werden ihr geöffnet, denn nach und nach stößt sie auf Geheimnisse, Ungereimtheiten, Halbwahrheiten und Lügen.

Giovanna fängt an zu zweifeln, zu hinterfragen, zu spionieren und ... zu lügen, zu demütigen und zu manipulieren.
Sie wird erwachsen.

Dass ihr geliebter Vater, den sie bis dahin als zuverlässig und ehrlich erlebt hat, seine Herkunft aus niedrigem sozialem Milieu verleugnet (hat), hinterlässt sie sprachlos und dass ihre Mutter eine Affäre mit einem Freund der Familie hat, schockiert sie.
Zu entdecken, dass die Erwachsenen sowohl die Wahrheit, als auch ihre Mitmenschen manipulieren und belügen, verstört sie zutiefst.
Ihre bisher so heile und geordnete Welt droht einzustürzen.
Das tadellose Fundament bekommt Risse.
Die makellose Fassade beginnt zu bröckeln und ihr Urvertrauen in die Eltern wird erschüttert.

Es ist spannend und unterhaltsam, Giovanna auf ihrem Weg durch die Pubertät zu begleiten, ihr Innenleben kennenzulernen und ihre Reise ins Erwachsenenleben zu verfolgen.

Die Autorin beobachtet genau und seziert bis ins kleinste Detail. Was sie dabei entdeckt, beschreibt sie prägnant und unfassbar bildhaft.

Die Charaktere werden in all ihrer Vielschichtigkeit, Komplexität und Zerrissenheit gezeigt. Sie haben Ecken und Kanten und wirken dadurch authentisch und lebendig.
Die Atmosphäre der jeweiligen Szenen wird von Elena Ferrante derart spürbar vermittelt, dass ich nur den Hut ziehen kann.
Es ist faszinierend, wie Ferrante es schafft, tiefe und stimmige Einblicke in die Seele einer Pubertierenden zu gewähren.
Ist es Erinnerung?
Ist es Empathie?
Egal... es ist einfach grandios!

Elena Ferrante schreibt gewohnt feinfühlig, berührend, eindrucksvoll und realistisch, aber - ebenfalls gewohnt-, niemals kitschig, rührselig, platt oder klischeehaft.

Das Werk ist kurzweilig, hallt nach und stößt Gedanken an.
Ist unsere erwachsene Welt tatsächlich so schräg, unehrlich und verlogen?
Sehen uns unsere Kinder tatsächlich so, wie Giovanna das erlebt?
Das wäre entsetzlich und man müsste sich schämen.

Ich möchte den beeindruckenden Roman, gleichermaßen Familiengeschichte wie Milieustudie, der ums Erwachsenwerden, um Einsamkeit, um Neuorientierung und noch vieles mehr geht, ohne wenn und aber empfehlen.
Er hat mir äußerst vergnügliche Lesestunden beschert.

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Veröffentlicht am 23.09.2020

Vollbremsung im Leben

Hamster im hinteren Stromgebiet
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Ich habe bereits die vier Vorgänger seiner autobiographischen Romanfolge gelesen und deshalb war es keine Frage: „Hamster im hinteren Stromgebiet“ musste gelesen werden.
Und ich wurde nicht enttäuscht!

In ...

Ich habe bereits die vier Vorgänger seiner autobiographischen Romanfolge gelesen und deshalb war es keine Frage: „Hamster im hinteren Stromgebiet“ musste gelesen werden.
Und ich wurde nicht enttäuscht!

In diesem Roman erzählt der Schauspieler von der einschneidenden existenziellen Erfahrung, die er mit erst 51 Jahren aufgrund eines Schlaganfalls, den er augenzwinkernd, verharmlosend und verniedlichend „Schlagerl“ nennt, macht.
Er verarbeite diesen furchtbaren Schicksalsschlag, der ihn ohne Vorwarnung aus dem Leben reißt, indem er darüber schreibt

Zunächst warten wir zusammen mit Joachim Meyerhoff und seiner Familie auf den Krankenwagen. Die Wartezeit überbrücken wir, indem wir detailliert über seine Empfindungen und von manchen Erinnerungen und Geschichten lesen.
Dann endlich kommt der Krankenwagen.
Dann endlich kommen wir mit Joachim Meyerhoff in der Stroke-Unit in Wien an.

Mit gewohnt treffenden und humorvollen Formulierungen und gewohnt erfrischend, leicht und lebendig erzählt Meyerhoff nun von der schweren und bedrohlichen Zeit auf der Intensivstation und von seinem Kampf gegen die Ängste.

Die chronologisch geschilderten konkreten und äußeren Geschehnisse rund um Erkrankung und Klinik und Ernsthaftigkeit und Schwere werden dabei von seinem assoziativen Gedankenstrom unterbrochen, den er willentlich einleitet, um seine Ängste in Schach zu halten.

So erfahren wir z. B. von einer Reise mit seinem Bruder nach Norwegen, von einem Tripp durch den Senegal oder von einem Zoobesuch mit seinem jüngsten Sohn.

Es ist schlicht unfassbar und brillant, wie er ein solch einschneidendes und lebensbedrohliches Erlebnis auf eine derart leichte und humorvolle Weise, die den Ernst der Lage nie verkennt, zu erzählen vermag.
Das ist große Kunst.
Gleichzeitig ist es natürlich kein Geheimnis, dass Humor eine bedeutsame und hilfreiche Strategie zur Verarbeitung schwieriger Geschehnisse ist.
Diese Strategie beherrscht Joachim Meyerhoff par excellence.

Er ist ein begnadeter Erzähler, der mit seinem einzigartigen Schreibstil, mit seinem unnachahmlichen Erzählton, mit großartigen Metaphern und mit schonungsloser Ehrlichkeit aus einer persönlichen drastischen Situation das Beste macht und sich nicht unterkriegen lässt.

Ich empfehle diesen bewegenden, dramatischen, amüsanten und unterhaltsamen Roman aus ganzem Herzen!

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Veröffentlicht am 22.09.2020

Ein unglaublich schön gestaltetes, interessantes und unterhaltsames Buch!

Die zitternde Welt
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Wie originell ist dieses Cover!?!
Ein auf dem Kopf stehender Baum, der Früchte trägt ... vor einem feuerroten Himmel.

Meine Assoziationen dazu waren:
Etwas Altes vergeht.
Fruchtbarkeit.
Etwas Neues ...

Wie originell ist dieses Cover!?!
Ein auf dem Kopf stehender Baum, der Früchte trägt ... vor einem feuerroten Himmel.

Meine Assoziationen dazu waren:
Etwas Altes vergeht.
Fruchtbarkeit.
Etwas Neues entsteht.
Bedrohung und Gefahr.
Bereits das Cover machte mich extrem neugierig.

Die hochschwangere, wagemutige, wissbegierige und lebensfrohe Maria begibt sich 1896 auf den Weg von Österreich nach Anatolien, um dort ihren Freund Wilhelm, einen Eisenbahningenieur, zu finden, der sich dorthin begeben hat, um beim Aufbau der Bagdadbahn, die Konya mit Bagdad verbinden soll, zu helfen.

Sie schaffen sich gemeinsam ein zu Hause, bekommen drei Kinder, deren Muttersprache türkisch und nicht deutsch sein wird, und heiraten, nachdem sie recht lange in wilder Ehe gelebt haben.
Die Welt ist in Ordnung.
Das Leben fühlt sich leicht und lebenswert an.
Dass ihr viertes Kind, Traudl, nicht überlebt, müssen und können sie letztlich verkraften.

Die lebenshungrige, akkurate und zuverlässige Maria, die in ihrer Wahlheimat tief verwurzelt ist, gibt dem Alltag Struktur und ihrer Familie Halt.
Sie ist eine eigensinnige und fortschrittlich denkende Frau, die sich weder Konventionen noch dem Willen ihres Mannes unterwirft. Konflikte und Diskussionen sind vorprogrammiert, aber das Paar, die Familie meistert alle Schwierigkeiten gut.

Dann kommt der erste Weltkrieg!
Plötzlich werden Herkunft, Geburtsort und politische Grenzen bedeutsam.
Hans und Erich sollen schließlich, da im wehrpflichtigen Alter und im osmanischen Reich geboren, auch für selbiges kämpfen.
Die Welt gerät aus den Fugen.
Das Leben der Familie wird unruhig. Alles gerät ins Wanken.
Der Boden beginnt zu zittern.
Alles verdreht sich.
Alles steht Kopf.
Nachvollziehbarer Weise wollen die Eltern verhindern, dass ihre Kinder in den Kampf ziehen müssen.
Es gelingt Ihnen.
Der Preis: die Familie wird zerrissen. Die Wege der Familienangehörigen trennen sich und sie entwickeln sich in unterschiedliche Richtungen.

Am Ende, nach einigen Schicksalsschlägen, stehen wir nicht mehr einer wagemutigen, wissbegierigen und lebensfrohen jungen Maria, sondern einer verbitterten, verhärmten und boshaften alten Frau gegenüber, deren Familie in alle Winde verstreut bzw. tot ist und die einsehen muss, dass trotz Beharrlichkeit nicht alle Pläne und Wünsche umgesetzt werden können.
Wo sind Kampfgeist, Lebenshunger und Lebensfreude geblieben?

Wie es dazu kam und was alles dazwischen passiert ist, erzählt Tanja Paar auf packende, anschauliche nachvollziehbare Art und Weise.
Durch den fesselnden Plot, die lebendigen Dialoge, amüsanten Diskussionen und interessanten geschichtlichen Hintergründe, gelingt es der Autorin scheinbar mühelos, aus diesem Roman einen Pageturner zu machen.

Sie beschreibt die Charaktere in ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit. Sie haben Ecken und Kanten, wodurch sie authentisch erscheinen.

Durch Paars bildhafte Sprache kann man sich die Szenerie lebhaft vorstellen. Man hat den Eindruck, Maria auf ihrer Reise zu begleiten und am Alltag der Familie in der Türkei teilzuhaben.

Wenige eingestreute Briefe sorgen wie ein I-Tüpfelchen für noch mehr Abwechslung, weil sie den bisherigen Lauf der Dinge unterbrechen.

Und ein weiteres I-Tüpfelchen ist die Karte am Ende des Buches, auf der man den Weg Marias von Österreich nach Anatolien nachvollziehen kann.

Die Geschichte und das Schicksal dieser Familie wird unaufgeregt, eindrucksvoll und lebensnah erzählt. Trotz des ruhigen Tons der Lektüre liegt eine gewisse Spannung in ihr.

Es macht Spaß, in die orientalische Welt einzutauchen und das Leben der Protagonisten zu begleiten.
Darüber hinaus war es für mich sehr interessant, etwas über die Bagdadbahn zu erfahren, von der ich bis dato nichts wusste.

Ich empfehle diesen außerordentlich schön gestalteten, inhaltlich packenden, eindringlich erzählten und kurzweiligen Roman, der von eine Familie handelt, die Umwälzungen ertragen und Kriege aushalten muss, sehr gerne weiter!

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Veröffentlicht am 20.09.2020

Ein bewegender Roman, der die Augen öffnet und wunderbar unterhält.

Die Sommer
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Gleich vorneweg:
„Die Sommer“ ist für mich ein Highlight.
Es ist ein ergreifendes, den Horizont erweiterndes und unterhaltsames Werk.

Leyla hat eine deutsche Mutter und ihr Vater ist jesidischer Kurde.

Über ...

Gleich vorneweg:
„Die Sommer“ ist für mich ein Highlight.
Es ist ein ergreifendes, den Horizont erweiterndes und unterhaltsames Werk.

Leyla hat eine deutsche Mutter und ihr Vater ist jesidischer Kurde.

Über das Jahr hinweg lebt sie bei ihren Eltern in München, wo sie in einem Gymnasium die Schulbank drückt.

„Die Sommer“ ihrer Kindheit und Jugend verbringt sie bei ihren Verwandten väterlicherseits in einem abgeschiedenen jesidischen Dorf im syrisch-türkischen Grenzgebiet.

Leyla lebt ZWISCHEN bzw. IN zwei Welten und Kulturen.

Egal, wo Leyla gerade ist,
räumlich ist sie weit entfernt vom jeweils anderen vertrauten Ort, emotional ist sie jedoch immer sowohl hier als auch dort.
Es ist ein gefühlsmäßiger Spagat, dem Leyla ausgesetzt ist.

Das Nebeneinander von Sorglosigkeit und Sicherheit auf der einen Seite und Angst vor Vertreibung und tödlicher Gefahr auf der anderen Seite, ist verstörend und beunruhigend.

Einerseits lebt sie mit ihren unbeschwerten, unbefangenen und ahnungslosen deutschen Freunden zusammen und andererseits liest sie über das vom syrischen Präsidenten Assad vernichtete Aleppo, über die vom IS ermordeten Jesiden und erlebt in ihren Ferien hautnah mit, dass die Bewohner des Dorfes auf gepackten Koffern sitzen, weil sie immer wieder flüchten müssen, bzw. Angst haben, vertrieben zu werden.

Es ist äußerst interessant, in die Familiengeschichte einzutauchen, Leyla kennenzulernen und mehr über den Alltag in diesem gefährlichen Gebiet und über die politischen Gegebenheiten und Hintergründe zu erfahren.

Leylas Vater flüchtete vor Jahren unter dramatischen Umständen nach Deutschland und heiratete dort eine schwäbische Krankenschwester.
Zusammen mit der gemeinsamen Tochter Leyla verbringt das Paar die Sommer in Vaters Heimat.

Leyla gelingt es, aus diesen heißen und eintönigen Wochen und diesem einfachen Leben das Beste zu machen. Und nicht nur das! Sie empfindet das Dorf und die Verwandten zunehmend als zweite Heimat.

Zu lesen, wie Leyla es anstellt, sich in diesem ganz anderen Alltag wohl zu fühlen und wie ihre rast- und ruhelose Großmutter sie unter ihre Fittiche nimmt, um ihr vom Kochen bis zum Beten alles Wesentliche beizubringen, ist ein Genuss!

Leyla hilft im Haushalt und auf dem Hof und verbringt Zeit mit ihrer Cousine Zozan.

Die Autorin erschuf beeindruckende Charaktere und überrascht mit starken Dialogen.
Sie beschreibt die Handlungsorte und Personen so bildhaft, dass man meint, selbst unter dem nächtlichen Sternenhimmel zu sitzen oder die flirrende Tageshitze zu spüren, vor der man hinter den Mauern der Häuser Schutz sucht.

Mit den Jahren entsteht und wächst in Leyla eine innere Ambivalenz.
Die gefühlte und erlebte Diskrepanz zwischen der archaischen und traditionellen syrischen Welt und der modernen und strukturierten deutschen Welt löst nachvollziehbar innere Spannungen und Gefühle von Zerrissenheit aus.
Und dabei geht es nicht nur darum, dass die syrische Großmutter sie bald unter die Haube bringen will, sie selbst aber lesen, einen Beruf erlernen oder studieren will.

Fragen nach Heimat, Zugehörigkeit und Identität drängen sich ihr auf. Fragen, mit denen sie sich allein gelassen fühlt.

Die 1993 geborene Ronya Othmann hat mit „Die Sommer“ einen ergreifenden und hochaktuellen Debutroman geschrieben, der dem interessierten Leser die Augen öffnet.

In abwechselnd wütendem, wuchtigem, melancholischem und zartem Ton erzählt sie gekonnt und souverän eine gleichermaßen erschütternde und wunderschöne jesidisch-kurdisch-deutsche Familiengeschichte vor dem Hintergrund von politischen Unruhen, Krieg, Zerrissenheit und Zerstörung.
Sie schreibt feinfühlig über Herkunft und Heimat, driftet dabei aber nie ins Kitschige oder Rührselige ab.

Im Gegenteil: Sie schreibt klar und schnörkellos, bringt auf den Punkt, was sie sagen will.
Sie beschreibt und erzählt. Sie wird niemals belehrend oder wertend.

Ich empfehle diesen intensiven und eindrucksvollen Roman sehr gerne weiter. Er erlaubt einen Blick über den Horizont und lässt den Leser in eine fremde Welt eintauchen.
Man erhält tiefe Einblicke und gewinnt neue Einsichten.

„Die Sommer“ ist eine Geschichte, die nachdenklich stimmt, nachhallt und bestens unterhält.

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