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Veröffentlicht am 20.02.2021

3. Fall für Karen Pirie - der in die Zeit des Balkankrieges führt...

Der lange Atem der Vergangenheit
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Um die Reihe um die Ermittlerin Karen Pirie zu ergänzen, griff ich beherzt (ich bin ein Fan von Val McDermid) zu diesem 3. Band der Reihe: Es hat sich gelohnt!

Karen und Jason ("der Minzdrops") ermitteln ...

Um die Reihe um die Ermittlerin Karen Pirie zu ergänzen, griff ich beherzt (ich bin ein Fan von Val McDermid) zu diesem 3. Band der Reihe: Es hat sich gelohnt!

Karen und Jason ("der Minzdrops") ermitteln in einem Fall, der laut der Forensik in Gestalt der bekannten und symphatischen River ca. 8 Jahre zurückliegen könnte: Ein Skelett wird in einem Turm einer früheren Schule in Edinburgh gefunden, als ein Sachverständiger (mit Höhenangst^^) das reparaturbedürftige Dach inspiziert und in einem der Türmchen die Überreste eines Menschen vorfindet. Damit tritt die Abteilung für Altfälle oder Cold Cases, die Karen Pirie leitet, auf den Plan:

Wer war dieser Mensch und weshalb wurde er ermordet (im Schädel befindet sich über dem rechten Auge eine Einschussstelle)?

Dieser Frage gehen die Ermittler nach und stoßen mittels einer nicht ganz verrotteten Hotel-Eincheckkarte auf die Professorin Maggie Blake, zu der eine Verbindung eindeutig hinweist. Wie sich herausstellt, war Maggie und deren alte Freundin Tessa gemeinsam im belagerten Dubrovnik; Tessa ist Anwältin für Menschenrechte und Maggie hielt Kurse in der Universität, als der Jugoslawienkrieg begann und beide festsaßen....

Doch weiteren perfiden Morden, die mit früheren Kriegsverbrechern, die nicht in Den Haag abgeurteilt werden konnten, sondern untertauchten, in Zusammenhang stehen, sind auch Alan Macanespie und Proctor vom Justizministerium auf Anweisung ihres neuen Chefs auf der Spur: Um mehr herauszufinden, setzen sich beide mit Maggie in Verbindung. So führen also mehrere Ermittlungswege geradewegs in die Vergangenheit einiger Personen, die in der Zeit von 1990 bis 1991 Kriegsverbrechen verübten, die bis dato nicht verurteilt wurden - und jemand Selbstjustiz an ihnen verübte. Nur wer war dieser "jemand"?

Val McDermid versteht es, psychologisch tiefgründige und spannende Kriminalromane zu schreiben, Fährten zu legen und den Leser auch mal an der Nase herumzuführen. Dazwischen vermitteln aber all ihre "Fälle" auch ein Wissen, sodass man neben der rasanten und oft sehr spannenden eigentlichen Krimihandlung auch eine Menge historisches Wissen (das gut recherchiert wurde) "miteinfahren" kann: In diesem Falle Zusammenhänge des Konflikts zwischen Serben und Kroaten und dem Zerfall des ehemaligen Vielvölkerstaates Jugoslawien.

Fazit:

Wer an einem gut durchdachten, spannenden und mit psychologischer Finesse ausgearbeiteten Kriminalroman Freude hat, sollte hier zugreifen! Val McDermid hebt sich für mich mit ihren sehr authentischen, spannenden und komplexen Fällen, die sehr gut recherchiert sind, von der breiten Masse des Mainstreams ab. Ich freue mich nun auf den noch fehlenden Zwischenband - und auf einen (hoffentlich bald folgenden) neuen Fall für Karen Pirie! Von mir eine Leseempfehlung in Sachen gute Kriminalliteratur und 4,5*

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Veröffentlicht am 20.01.2021

Wenn "lahme Gäule" zu wahren Tigern werden....

Real Tigers
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Der 3. Fall Jackson Lamb's - "Real Tigers" von Mick Herron, erschien (TB,2020) im Diogenes-Verlag, Zürich und wurde aus dem Englischen von Stefanie Schäfer übersetzt.
Für mich stellt diese Reihe intelligenter ...

Der 3. Fall Jackson Lamb's - "Real Tigers" von Mick Herron, erschien (TB,2020) im Diogenes-Verlag, Zürich und wurde aus dem Englischen von Stefanie Schäfer übersetzt.
Für mich stellt diese Reihe intelligenter Agentenkrimis etwas Besonderes dar und auf 'Real Tigers' in der deutschen Übersetzung habe ich mich nach dem Genuss der beiden Vorgänger sehr gefreut: Auch hier wurde ich nicht enttäuscht, da Mick Herron einen genialen Schreibstil (und schräge Figuren) hat, die stets ein Schmunzeln und großen Lesegenuss bereithalten.

Dieses Mal stellt uns ein "Geist", der durch Slow House wandert, die "Abservierten" kurz vor. Es gibt also ein Wiedersehen mit Jackson Lamb und seinen Agenten, die allesamt etwas vermurkst haben und als "Lahme Gäule" im Slow House des Regent Park's (Hauptsitz des MI5 und Secret Service, London) outgesourcet wurden, um dort stupide und eintönige Arbeiten zu verrichten. Man hofft darauf, dass jeder Einzelne aufgibt und die Kündigung einreicht, doch davon sind (Gott sei's gedankt) die meisten weit entfernt:
Wir begegnen River Cartwright, dem Enkel des legendären David Cartwright; Catherine Standish, der Assistentin Jackson Lamb's, Roderick Ho, dem IT-Spezialisten, der jedoch kein Glück bei Frauen hat, Louisa Guy, die seit dem Tod von Min (früherer Kollege und auch Partner) einen recht zweifelhaften Lebensstil führt, Marcus Longridge (der sich bemüht, seine Spielsucht in Grenzen zu halten) und die zuweilen koksende Shirley Dander, die beiden Neuzugänge im Slow House.
Wie gewohnt malträtiert Jackson Lamb seine "Untergebenen" gerne, hält ihnen oft den Spiegel des Versagens vor; jedoch mag er es nicht, wenn einer seiner Agenten in Gefahr schwebt - und jemand nicht zum Dienst erscheint.

Was im Falle von Catherine Standish, einer trockenen Ex-Alkoholikerin, eines Morgens der Fall ist. Es sollte sich herausstellen, dass ein Ex-Liebhaber sie kurzerhand entführt hat, um (im Austausch der Agentin) an ein Dossier des Premierministers zu gelangen, das in den heiligen Archiven des Regent Parks vermutet wird: An der Hüterin dieses Archivs (eine alte Fledermaus auf Rädern namens Molly Doran, aus den früheren Krimis bestens bekannt) ist kaum ein Vorbeikommen, doch River versucht dennoch sein Glück und schleicht sich in die Katakomben ein (obwohl es den Agenten des Slow House strengstens verboten ist, den Regents Park zu betreten).
Leider ist das Eindringen Rivers nicht von Erfolg gekrönt und Nick Duffy, ebenfalls ein alter Bekannter der Serie und Chef der "Dogs", wie die Mitarbeiter des Regent Parks genannt werden, knöpft sich River vor....
Eine weitere illustre Gestalt, (die sehr viel äußerliche Ähnlichkeit mit dem derzeitigen Premierminister Englands hat) ist Peter Judd, der amtierende Innenminister sowie Ingrid Tearner (Direktorin des MI5 und aalglatt) wie auch Diana Taverner oder "Lady Di", die ihre eigenen Interessen verfolgt und ebenfalls wie ihre Vorgesetzte mit allen Wassern gewaschen ist.

Weshalb wurde Catherine entführt? Wer sind die maßgeblich Beteiligten? Was geht hinter den Kulissen des Regent Parks vor sich? Sind die Akten im Archiv, bei denen es sich teils um brisante Daten handelt, auch sicher? Wer könnte ein Interesse haben, die Personalakte des Premiers (dessen Vergangenheit mit Sicherheit glattgebügelt wurde) zu entwenden? All diesen Fragen muss sich Jackson Lamb stellen und ist wie immer nicht alleine, den Fall zu lösen: Er hat seine Slow Horses...

Der Leser verfolgt mit Spannung die Aktivitäten Jackson Lambs und seiner Agenten, wobei es in diesem Agentenkrimi um Macht geht und wie die Mächtigen sie sichern; um Verschwörungstheorien und "Graue Bücher"; um die Möglichkeiten, die eigene Position zu sichern (und nach Möglichkeit, dem jeweils Ranghöheren ans Bein zu pissen, am besten erfolgreich) und die Methoden, wie dies (am besten unter Ausschluss der Öffentlichkeit) zu bewerkstelligen ist.

Mick Herron's unvergleichlicher Schreibstil lebt von den bissigen, oft witzigen Dialogen der Slow Horses - ganz besonders von Jackson Lambs - und des alltäglichen Schlagabtauschs untereinander. Auch schwarzer Humor ist keine Seltenheit, der skurrile Handlungen (die oftmals gar nicht so unrealistisch erscheinen) noch betont.

Der spannende Showdown in der stillgelegten Fabrik klärt gegen Ende einiges und der oben erwähnte "Geist" führt den Leser wiederum durch die Büros des Slow House: Resümierend bis zu einem schnarchenden Jackson Lamb, dessen Tür nicht von einem Geist, sondern einer weiß behandschuhten Hand geöffnet wird - wobei allzu oft vergessen wird, dass sich hinter so mancher Tür tatsächlich ein Tiger verstecken kann

Fazit:

Mick Herron vertritt nach meinem Dafürhalten die hohe Kunst der intelligenten Unterhaltung in Form eines weiteren Agentenkrimis, der zum Ende hin durchaus Thrillerelemente in sich trägt, in Reinkultur.
Wer schwarzhumorige, teils sarkastische, pointierte, vor allem aber sehr intelligent geschriebene und tiefgründige Spionagekriminalromane mag, sollte diese Reihe unbedingt lesen! Am allerbesten chronologisch, wie in diesem Genre ratsam. Fans der "Slow Horses" dürften sich (wie ich) gefreut haben, dass sie letztendlich das bessere "Tiger-Team" sind! Von mir gibt es 4,5 * und eine absolute Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 06.01.2021

Schicksalstage am Fjord

Schicksalstage am Fjord
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"Schicksalstage am Fjord" von Sofie Berg erschien (Paperback, 2019) im Gmeiner Verlag, München. Die Autorin, deren Großmutter selbst Norwegerin war, verwebt hier sehr gekonnt und spannend die an ihre eigene ...

"Schicksalstage am Fjord" von Sofie Berg erschien (Paperback, 2019) im Gmeiner Verlag, München. Die Autorin, deren Großmutter selbst Norwegerin war, verwebt hier sehr gekonnt und spannend die an ihre eigene Familiengeschichte angelehnte Geschichte der fiktiven Familie Bakken in Trondheim, Norwegen in einer düstere Zeit: Unter der Besatzung des Nazi-Regimes im 2. Weltkrieg.

"Das Leben in Norwegen unter der deutschen Besatzung ist gefährlich, vor allem für diejenigen, die Widerstand leisten. Nach der Verhaftung von Vater und Schwager wendet sich die junge Norwegerin Ingrid Bakken hilfesuchend an ein Mitglied der norwegischen Nazipartei und wird damit für ihre Familie zur Verräterin. Ingrid bemüht sich, das Verhältnis zu ihrer Familie zu retten - und hat Erfolg. Doch dann begegnet ihr die große Liebe - in Gestalt eines deutschen Soldaten. Wird sie es wagen, ihren Gefühlen nachzugeben?"
(Quelle: Buchrückentext)

Die Besetzung Norwegens durch deutsche Truppen des Nazi-Regimes im 2. Weltkrieg begann am 4. April 1940; in den folgenden Kriegsjahren begleiten wir die Familie Kristine und Nils Bakken aus Trondheim, besonders die Hauptprotagonistin Ingrid Bakken, als 19jähriges Mädchen die Jüngste der Familie: Ihr Bruder Arne ist im Widerstand und überzeugt seinen Schwager Einar, der bereits 1941 verhaftet wurde und erst nach Wochen wieder frei kam, der Gruppe beizutreten: Die Gestapo hat ihr Hauptquartier im früheren "Missionshotel" und verfolgt jede Spur des Widerstands - dazu kommt noch die Gesinnungslage mancher Norweger, die sich in der Nazipartei "Nasjonal Samling" vereint haben und mit denen die "Jossinge", die königstreuen und loyalen, antifaschistischen Norweger nichts zu tun haben wollen, hinzu. Die Bakkens sind allesamt Jossinge - und gehören der Gewerkschaft und teils der kommunistischen Partei an. Daher hat die Familie wenig Verständnis für Ingrid, die durch eine frühere Freundin, deren Eltern der Nasjonal Samling angehören und Feste mit den Deutschen feiern, Hilfe erfährt, um ihren Vater aus der Haft zu entlassen: Ingrid hatte große Angst, dass sie ihrem Vater und auch Schwager etwas antun könnten.
Die Familie interpretiert den Kontakt zu Solveig anders: Ingrid ist von nun an eine Verräterin, die den Kontakt zu Solveig nicht unterbunden hat. Hier spielt der Stolz des Vaters eine Rolle, der von Menschen mit dieser Gesinnung keine Hilfe annehmen will.

Ingrid arbeitet in einer Konservenfabrik und da die Lebensmittelknappheit größer wird, überlegt die Familie, über den Sommer nach Selbu an der Grenze zu Schweden zu reisen, wo sie Verwandte hat und die Versorgungslage entspannter ist. Nur Ingrid soll in Trondheim bleiben - sie wird überhaupt nicht in die Reisepläne der Familie einbezogen. Und damit nimmt das Schicksal seinen Lauf:

Solveig überredet Ingrid, mit zum Tanztee zu kommen, wo auch deutsche Soldaten sind. Ihr Bruder Arne hat Ingrid davor gewarnt, sich mit dem Feind einzulassen und kann sie vor einem Übergriff des Nachbarn, der ihr Avancen macht, retten: Ragnar Mykland. Dieser trägt im weiteren Verlauf Persönlichkeitszüge von Henry Rinnan, dem Anführer der Rinnan-Bande, die als Kollaborateure der Gestapo sich in Widerstandsgruppen einschleusten und diese aufdeckten: Ihre Methoden waren dabei ebenso inhuman wie die der Nazis: Sie folterten und töteten unschuldige Norweger (Rinnan wurde 1946 zum Tode verurteilt und hingerichtet).

Angewidert von Ragnars wiederholten Annäherungsversuchen, findet Ingrid in Georg Reimers einen jungen sympathischen Mann, der sehr sanft ist und sie wiedersehen will: Doch Georg ist gebürtiger Hamburger, ein Soldat der deutschen Wehrmacht - und damit eigentlich ihr Feind!
Es ist mehr als berührend zu lesen, wie tragisch der innere Konflikt von Ingrid ist, die sich darüber bewusst ist, dass es einen Bruch mit der Familie geben würde, wenn sie diese Liebe offen leben würde. Daher blüht sie im Geheimen - und lässt sich dennoch von Krieg und Gewalt nichts befehlen: Sie ist einfach da.

Genau dies versteht Sofie Berg sehr gut, herauszuarbeiten: Aber auch die inneren Konflikte, die in der Familie durch die Verbindung von Ingrid und Georg entstehen, sind sehr bildhaft und authentisch beschrieben. Einzig die Mutter, eine sehr starke Persönlichkeit, deren oberstes Gebot ist, die Familie zusammen zu halten und keines ihrer Kinder (Astrid, die Älteste, die mit Einar verheiratet ist und 2 Söhne hat, Kjell und Per; Arne, ihren Sohn und Ingrid) zu bevorzugen: Auch nach dem "Fehltritt" von Ingrid, der doch eines Tages offenkundig wird, steht sie zu ihr, während Astrid, die durch die Inhaftierung und Deportation nach Deutschland ihres Mannes Einar die Deutschen hasst, ebenso wie ihr Vater Nils und vor allem auch ihr Bruder Arne sich von Ingrid abwenden. Erschüttert muss man lesen, dass Bruder, Schwester und der eigene Vater das Zimmer verlassen, wenn Ingrid hereinkommt. Dass sie kein Wort oder nur das Allernötigste mit ihr sprechen. Dass Ingrid auch keine Erklärungen ihrerseits abgeben kann, die anerkannt werden; etwas, dass Georg nicht dafür verantwortlich ist, dass Einar verhaftet wurde. Im Verlauf des Romans, in dem auch (1942) Hamburg dem Erdboden gleich gemacht wird, stellt sich mehr und mehr heraus, dass Georg kein überzeugter Nationalsozialist ist. Dennoch wird er als Feind von der Familie abgelehnt (ausser von Kristine, ihrer Mutter) und Ingrid wird immer klarer, dass sie sich zwischen beiden entscheiden muss....

Der historische Roman von Sofie Berg gibt einen sehr guten Einblick in eine fiktive norwegische Familie, die exemplarisch für viele stehen könnte, während der deutschen Besatzungszeit: Auch historische Ereignisse und Personen werden genannt, über die man bei Interesse anderenorts noch mehr in Erfahrung bringen kann (Quisling, Rinnan). Auch die Zeit nach der deutschen Kapitulation und das Aufatmen der vom deutschen Joch befreiten norwegischen Bevölkerung erlebt man mit Kristine und den anderen Familienangehörigen mit: Für Menschen, die in deutschen Firmen arbeiteten (Bautruppen z.B.) oder in Fabriken, war es auch nach dem Krieg sehr schwer, eine neue Anstellung zu finden. Frauen, die mit deutschen Soldaten ein Liebesverhältnis eingingen, wurden (ebenso wie in Frankreich) geschoren, verachtet, beschimpft und kamen in ein Lager: Liebe in Kriegszeiten wird von der Gesellschaft hart bestraft und viele dieser Frauen wurden zu Unrecht gedemütigt und drangsaliert. Ingrids Schrecken, als sie eine ihr bekannte Frau so sieht, kann man gut nachvollziehen.

Ingrid selbst fand ich sehr authentisch und sympathisch; die stärkste Frau im Roman ausser Ingrid selbst ist ihre Mutter Kristine, die sich wie eine Löwin vor ihre Tochter stellte und sehr souverän handelte. Weniger sympathisch war mir Astrid, Ingrid's Schwester: Ihren Hass auf die Deutschen übertrug sie gar auf ihre Söhne und ihr Verhalten Ingrid gegenüber empfand ich als bösartig und sehr gehässig. Anders Einar, ihr Mann, der stets ein gutes Verhältnis mit seiner Schwägerin Ingrid hatte! Der Vater, der sich auch sehr hart von seiner jüngsten Tochter abgewandt hatte, bekam einen Pluspunkt am Romanende: Er hatte ein ganz besonderes Geschenk für sie, was mich überaus freute.

Fazit:

Ein sehr lesenswerter, auch spannender und gut geschriebener Roman aus der Zeit der deutschen Besatzung, der sehr berührt und nachdenklich stimmt. Ich hatte eigene, persönliche Gründe, diesen Roman zu lesen und muss sagen, dass es ein erhellender (weiterer) Lichtblick für mich war, diese Zeit aus der Perspektive einer norwegischen Familie (mit)erleben zu können, der sehr authentisch wirkte. Die Großmutter der Autorin war selbst Norwegerin, wie sie im Nachwort schreibt und der Roman basiert teils auf den Aussagen und Erzählungen des Großvaters. Das Glossar, das die norwegischen Begriffe erklärt, rundet zudem diesen außergewöhnlichen Roman positiv ab.
Ich vergebe 4,5 Sterne und empfehle diesen Roman gerne uneingeschränkt weiter!

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Veröffentlicht am 27.12.2020

Weihnachtsbriefe berühmter Frauen und Männer - sehr lesenswert!

Habt alle ein schönes Fest und einen warmen Ofen!
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"Habt alle ein schönes Fest und einen warmen Ofen" - Hrsg. und kommentiert von Petra Müller und Rainer Wieland erschien Propyläen/Gruppe Ullstein Verlag 2018. Dieses wunderschöne Buch stand bereits letztes ...

"Habt alle ein schönes Fest und einen warmen Ofen" - Hrsg. und kommentiert von Petra Müller und Rainer Wieland erschien Propyläen/Gruppe Ullstein Verlag 2018. Dieses wunderschöne Buch stand bereits letztes Jahr auf meinem "Weihnachts-Leseprogramm" und in diesem - etwas anderen Jahr der Pandemie hat es mich an den Weihnachtstagen und in der Adventszeit sehr gut unterhalten.

Die Autoren haben sehr persönliche Weihnachtsbriefe an Menschen, denen die berühmten Schriftsteller, Komponisten, Märchendichter, Bildhauer und Maler nahestanden; seien es Ehefrauen oder Männer, Freunde oder Gönner, in diesem Buch literarisch brillant zusammengestellt, dass es eine Freude ist, sowohl die Briefe selbst als auch die Kommentare der AutorInnen, die ein tieferes Verständnis zu Person und Texten geben, zu lesen.

Besonders berührt haben mich die Weihnachtsbriefe an seine Kinder von J.R.R. Tolkien, der vielen FreundInnen der Fantasie als Autor des "Hobbits" und "Der Herr der Ringe" bekannt ist: Bereits die Überschrift, die dem Brief entnommen ist, zeugt von dessen Humor, Fantasie und Vorstellungskraft: "Die Nordpolspitze ist mitten entzweigebrochen und auf das Dach meines Hauses gefallen", so Tolkien. Auch Helene Hanff's Briefe aus New York, die später veröffentlicht werden sollten, haben mich sehr amüsiert (obgleich die Autorin so spartanisch lebte (1978), dass ihre Kleiderstange unter den Mänteln der vielen Gäste zum Weihnachtsessen in der winzigen Wohnung das Zeitliche segnete, was das Ende der Weihnachtspartys mit Freunden bedeutete...

Auch von Soldatenweihnachten (Franz Marc an seine Frau Maria) ist zu lesen und Heinrich Böll empfand "die militärischen Erheiterungsaktionen" am Christfest als eine Qual - und beschreibt sehr glaubwürdig, weshalb. Wir lesen vom berühmten Märchendichter Hans Christian Andersen, dass er Weihnachten oft im Schloss der Grafen von Moltke verbrachte und stets "auf fliegenden Koffern" lebte, nie sesshaft war. Als der jüngste Sohn des Grafen an Typhus starb, war das Schloss an Weihnachten ein Trauerhaus geworden und Moltke blieb "in den Mauern Kopenhagens": Sicher sehnte er sich nach dem üppigen und unterhaltsamen Fest, was in das Märchen um den kleinen Tannenbaum eingeflossen sein mochte (das ich sehr gerne mag und weshalb ich lieber seit vielen Jahren einen kleinen, künstlichen Baum mein eigen nenne, der immer wieder zum Leuchten gebracht werden kann, statt ihn bar aller Nadeln entsorgen zu müssen....

Als große (frühere) Bewunderin des intellektuellen Paares ihrer Zeit Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre habe ich mit großem Interesse deren Korrespondenz, zumindest ausschnittweise, folgen können und hatte einen Einblick in die "offene Beziehung" der beiden, die sich jedoch im Leben und wohl auch im Schreiben ein Anker waren. Der Brief Brigitte Reimanns an ihre Jugendfreundin berührte mich tief und sehr beeindruckt war ich vom nur neunjährigen Wilhelm Busch, der an seine (mit Emotionen geizenden) Eltern einen rührenden Weihnachtsbrief schrieb und sich für seine neuen Hosen bedankte (er wuchs bei seinem Onkel, einem Pfarrer auf, der ihm die Grundlagen des Zeichnens u.v.a. beibrachte). Der (zeitlebens wohl schüchterne) Chopin traf mit seinem Brief an einen Freund ebenfalls mein Herz und mit den schönsten Weihnachtsbrief fand ich im letzten der Briefreihe von Theodor Fontane an Mathilde von Rohr, mit der er offenere Worte fand als seiner Frau gegenüber und der bis ins hohe Alter trotz seinem schriftstellerischem Fleiß (und Können) mit seiner Familie oftmals in Geldnot war; am Existenzminimum lebte, bis er 70 Jahre alt war... Besonders das im Buch abgedruckte Gedicht von Fontane, das auch eine Art Lebensbilanz ist, erweckt das Gefühl, dass der berühmte Schriftsteller recht eins war mit sich selbst. Gerade an Weihnachten sicher ein eher gutes Gefühl!

Fazit:

Ein wundervoller Band mit den schönsten Weihnachtsbriefen berühmter Persönlichkeiten aus dreihundert Jahren, der nachdenklich stimmt, prächtig unterhält, den Leser die "BriefeschreiberInnen" aus einer großen Nähe entdecken lässt und vom Autorenduo Müller/Wieland in den jeweiligen Kommentaren ein interessantes, abgerundetes Bild der jeweiligen Eindrücke erhält. Ein Buch, das ich absolut weiterempfehlen möchte - ein literarischer Genuss, ganz besonders in der Advents- und Weihnachtszeit. 4,5*

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Veröffentlicht am 02.10.2020

Robinsons Tochter - unverwechselbar: Aus der Feder von Jane Gardam

Robinsons Tochter
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"Robinsons Tochter" von Jane Gardam ist im Verlag HanserBerlin (HC, 2020) erschienen und wurde (wie die Vorgänger der englischen Autorin) von Isabel Bogdan ins Deutsche übersetzt. Im Original (Crusoes ...

"Robinsons Tochter" von Jane Gardam ist im Verlag HanserBerlin (HC, 2020) erschienen und wurde (wie die Vorgänger der englischen Autorin) von Isabel Bogdan ins Deutsche übersetzt. Im Original (Crusoes Daughter) erschien der Roman bereits 1985 und ich freute mich sehr auf diesen Roman, da Jane Gardam zu meinen britischen LieblingsautorInnen zählt.

England, 1904:

Polly Flint, Hauptprotagonistin dieses wundervollen Romans, erzählt uns ihr Leben in der Ich-Form, wodurch nach und nach eine besondere Nähe zu den Gefühlen und Gedanken Pollys geschaffen wird und sie dem Leser mehr und mehr ans Herz wächst....
Als 6jähriges Mädchen wird Polly von ihrem Vater, einem Seemann, zu Aunt Mary und Aunt Frances ins "Gelbe Haus", auch Oversands genannt, von Wales aus ins nördliche England gebracht, wo sie fortan (nach vielen Pflegefamilien, ihre Mutter Emma starb, als Polly ein Jahr alt war) leben sollte. Die Tanten sind die älteren Schwestern ihrer Mutter; die weiteren Bewohner sind Charlotte und Mrs. Woods; erstere das Hausmädchen und Mrs. Woods eine alleinstehende ältere Witwe, die Polly in Französisch und etwas Deutsch unterrichten wird. Aunt Mary ist von strengem Wesen; Frances dagegen sanftmütiger und das Leben der frommen Tanten ist nicht gerade auf Kinder zugeschnitten: So gibt es für Polly in dem großen und geheimnisvollen Haus kaum Abwechslung, auch wenn die Tage (und sogar die Wochenenden, samstags wird z.B. grundsätzlich gebeichtet und Sonntag folgen die Kirchgänge) durchgetaktet sind: Sehr interessiert ist Polly jedoch an den in reicher Zahl vorkommenden Bücher im Gelben Haus und liest alles, was ihr in die Hände fällt; einige englische Klassiker wie Jane Austens Romane z.B. Doch ein Buch hat es ihr ganz besonders angetan: Daniel Defoes "Robinson Crusoe".

Im Laufe der Zeit, die sich stellenweise biografisch lesen, wird dieses Buch die "Rettungsinsel" und das Zentrum geistigen Denkens, mentaler Stärke und Kraft für Polly, denn das Leben hält allerlei für sie bereit: Selbst eher Güte als Liebe und Zuneigungsbekundungen von den Tanten erfahren, verliebt sich Polly als 16jährige erstmals in Paul Treece, einem angehenden Dichter Anfang 20, der in "Thwaite", dem Haus eines alten Freundes der Familie, zu Gast ist: Der ältere, wortkarge, aber sehr sympathische Mr. Thwaite hat sie in sein Haus eingeladen, das so anders ist als das "Gelbe Haus"; laut Lady Celia, der Schwester von Mr. Twaithe, weiß man hier nicht, wem man im Flur so über den Weg laufen könnte... Das Haus ist ein Zufluchtsort und Ort der Regeneration, wie es scheint, für (etwas versponnen anmutende) Dichter, Maler und Schriftsteller (und -innen), um die sich Celia sehr liebevoll kümmert. Mr. Thwaite dagegen bleibt eher im Hintergrund, jedoch strahlt er eine "Sanftheit, Zufriedenheit und einen Frieden aus, verbreitet in jedem Raum eine angenehme Atmosphäre" - und spricht stets eher im "Telegrammstil". Diese interessante und überaus sympathische Figur, die am Ende des Romans eine Schlüsselrolle im Leben Pollys zukommen soll, hat mich sehr fasziniert.

So trifft man Menschen, die Polly kennenlernt: Stanley, den armen Jungen, der jeden Mittwoch ins Gelbe Haus kommt und von Charlotte verköstigt wird; die Zeits - eine jüdische Familie mit deutschen Wurzeln, mit denen Polly - sie ist 16 - eine wichtige Freundschaft pflegt und in dessen Sohn Theo sie sich verliebt; der bereits genannte Paul Treece, der ebenso wie Theo Zeit im 1. Weltkrieg zu Felde ziehen müssen. Wir verfolgen die Entwicklung Pollys zu einer jungen, klugen und verletzlichen Frau, die Liebe, Enttäuschung, Verlust, Depression, aber auch wahre Freundschaft erlebt: Alice, die nach Charlotte ins Gelbe Haus als Hausmädchen arbeitet, zieht die selbst etwas "schiffbrüchig" gewordene nun über 30 Jahre alte Polly wieder an Land: Auch in dieser Situation (Polly griff etwas häufig zur Whiskyflasche) und der Wende ist "Robinsons Tochter" ihr wie immer ein literarischer Leuchtturm:

"Denn meine Befreiung lag greifbar vor mir, alles war bereitet, und ein großes Schiff wartete nur darauf, mich hinzubringen, wohin ich wollte". (S. 279)

Die Zeitgeschichte des letzten Jahrhunderts (beide Weltkriege) sind in die Handlung verwoben und ein wichtiger Einschnitt in Pollys Leben, die - selbst nur privat unterrichtet und nie selbst in einer Schule gewesen - Kinder unterrichtete (ihre Mutter Emma war eine wundervolle Lehrerin), geschieht kurz vor Ausbruch des 2. Weltkrieges: In einem Brief aus Deutschland wird Polly gebeten, zwei jüdische Mädchen, die mit einem Flüchtlingszug in London ankommen, abzuholen und sich um sie zu kümmern. So begeben sich der nun 80jährige Mr. Thwaite, Ms. Maitland (seine Haushälterin) und Polly auf die Reise nach London und wieder einmal bin ich fasziniert von dem Empathievermögen des alten Herrn: Während der Zug von Yorkshire Richtung London rollt, überlegt er, wo in Holland der Zug der Kinder jetzt sein könnte....

Eine ganz besondere, wundervoll erzählte, atmosphärisch dichte Lebensgeschichte einer Frau mit allen dramatischen Wendungen, die das Leben für sie bereithalten sollte - von ihrer Kindheit bis ins hohe Alter, die auch gesellschaftliche Veränderungen im England des 20. Jahrhunderts aufzeigt; von feiner Ironie gezeichnet und hier und da mit dem Jane Gardam so eigenen britischen trockenen Humor gewürzt, kann ich diese besondere Reise durch Polly Flints selbstbestimmte Lebenswelt sehr empfehlen. Von mir gibt es daher 4,5 Sterne und einen besonderen Platz (neben den Vorgängern) im Bücherregal!

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