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Veröffentlicht am 15.10.2020

Der Frauenflüsterer

Willst du Blumen, kauf dir welche
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„Wieso hast du dein Herz eigentlich in Stacheldraht gewickelt?“ (S. 182)
Nach vielen Jahren in der Großstadt mit Aushilfsjobs und unglücklichen Beziehungen ist Lena in die Kleinstadt zu ihrer Tante Hilde ...

„Wieso hast du dein Herz eigentlich in Stacheldraht gewickelt?“ (S. 182)
Nach vielen Jahren in der Großstadt mit Aushilfsjobs und unglücklichen Beziehungen ist Lena in die Kleinstadt zu ihrer Tante Hilde zurückgezogen und aus deren veraltetem Modeladen eine zauberhafte Buchhandlung gemacht.
Eine der ersten Lesungen hält der smarte Erfolgsautor Benjamin Floros mit seinem Buch über den ultimativen Algorithmus für die Liebe per Online-Dating. Während ihm die anwesenden Damen allesamt zu Füßen liegen, geben Lena und Tante Hilde ordentlich Kontra. „Du machst dein Geld mit den Sehnsüchten wehrloser Frauen.“ (S. 63) Am Ende wettet Benjamin mit Lena, dass er mit seinem System den perfekten Partner für sie findet. Kurz darauf findet sich Lena in den Wirren des Online-Datings wieder, gecoacht von ihrem „Erzfeind“ Benjamin. „… deine Auffassung von einer Beziehung ist also so etwas wie eine arrangierte Vernunftehe?“ (S. 220)

Ich habe schon einige Bücher von Ellen Berg gelesen, weil ich ihren humorvollen Stil und ihre leicht überspitze Darstellung der Dinge sehr mag. Auch „Willst du Blumen, kauf dir welche“ hat mich wieder von der ersten Seite an sehr gut unterhalten und ich habe mich köstlich amüsiert – vor allem über die Wort- und Jane-Austen-Zitat-Gefechte von Lena und Benjamin. Obwohl die beide sehr verschieden sind, eint sie nämlich die Liebe zu den Büchern der Autorin.

Mit ihren Protagonisten hat Ellen Berg meinen Nerv voll getroffen. Lena sieht aus wie ein Mauerblümchen, nie zurechtgemacht, die Pullis drei Nummern zu groß und immer ein Buch vor der Nase. Sie hat mit der Liebe abgeschlossen, denn „Für die meisten Männer ist sie einfach zu schlau.“ (S. 30). Benjamin hingegen könnte als Model Kariere machen und hat ein sehr einnehmendes Wesen. Die Frauen fliegen auf ihn und er hält sie nicht davon ab – er scheint selbst der beste Kunde seiner Dating-App-Formel zu sein. Er hat mich übrigens am meisten überrascht, denn er ist zwar überheblich, aber auch offen und ehrlich – und er kann eigene Fehler einsehen und zugeben. Mit Lenas bester Freundin Michelle hingegen hatte ich so meine Probleme. Die Lehrerin und alleinerziehende Mutter zweier Kinder verhält sich oft wie ein hirnloser Teenager und steigert sich in Eifersüchteleien rein. Auch ihr Schmink- und Modestil als Youtube war nicht immer wirklich passend für ihr Alter.
Die heimlichen Stars des Buches aber sind Tante Hilde mit ihren unmodernen Kleidern und ewigen Löckchen („Zähne raus, Lockenwickler rein und ab ins Bett.“ (S. 258)), so eine süße, liebevolle und um ihre Nichte besorgte Tante bräuchte jede Frau, und Lenas Kater Dewey, der sie außer zu den Dates fast überallhin begleitet.

Apropos Dates. Ich habe ja selber einiges erlebt und von Freundinnen gehört, aber Lenas Date-Partner haben echt den Vogel abgeschossen. Dass auf den Plattformen die Wahrheit oft beschönigt und zurechtgebogen wird ist ja klar, aber Ellen Berg hat das zur Belustigung der Leser auf die Spitze getrieben. Ich war sehr froh, längst verheiratet und damit vom Markt zu sein. Ich hätte an Lenas Stelle viel eher kapituliert und dem einen oder anderen Mann ordentlich die Meinung gegeigt (oder ihm seinen Drink über den Kopf gekippt).

Und obwohl das Buch am Ende genauso ausgegangen ist, wie ich es von Beginn an erwartet hatte, hat es mir super gefallen. Hier passt einfach alles. 5 Sterne und meine Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 12.10.2020

„Wir Thalheims halten zusammen.“

Weihnachten am Ku'damm
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Vorweihnachtszeit 1946: Der Hungerwinter hat Deutschland fest im Griff. Berlin ist in vier Besatzungszonen aufgeteilt und die beiden älteren Thalheim-Schwestern Rike und Silvi träumen vom Wirtschaftsaufschwung ...

Vorweihnachtszeit 1946: Der Hungerwinter hat Deutschland fest im Griff. Berlin ist in vier Besatzungszonen aufgeteilt und die beiden älteren Thalheim-Schwestern Rike und Silvi träumen vom Wirtschaftsaufschwung und der Liebe, nur Flori, das Nesthäkchen, träumt von einem Tannenbaum und einem Fest, wie es früher war.
Eines Tages kommt ein halbverhungerter Junge in Rikes kleinen Modeladen und aus Mitleid gibt sie ihm etwas zu Essen. Als sie ihn wenig später unterkühlt und vor Fieber glühend auf der Straße findet, nimmt sie ihn kurzerhand mit nach Hause – auf Einen mehr kommt es in der vollen Wohnung der Thalheims nun auch nicht mehr an. Mit ihm hoffen jetzt 2 Kinder auf ein Weihnachtswunder und die Erwachsenen geben alles, um es ihnen zu ermöglichen.

Ich habe mich sehr über das Wiederlesen mit Familie Thalheim gefreut und dass ihre eigentlich bereits auserzählte Geschichte durch diese Weihnachtsepisode ergänzt wurde.
Brigitte Riebe schreibt sehr gefühlvoll über den Zusammenhalt der Familie in dieser besonders schweren Zeit, dass sie sich, obwohl sie selber kaum etwas haben, trotzdem um die kümmern, denen es noch schlechter geht, ihr kaum vorhandenes Essen teilen und einen kleinen Jungen aufnehmen, der krank ist und zur Zeit keine Familie hat.
Dabei zeigt sich wieder, dass die Thalheim-Schwestern echte Kämpferinnen und sehr erfinderisch sind. Silvi singt im Britischen Offizierskasino für die einzige noch brauchbare Währung, Zigaretten, um damit auf dem Schwarzmarkt dringend benötigte Lebensmittel kaufen zu können. Rike verkauft in ihrem provisorischen Lädchen gegenüber der Ruine des ehemaligen Thalheims die Trümmer-Mode, die ihre Halbschwester Miri näht und träumt dabei, das Modekaufhaus bald wieder zu eröffnen. Und nebenbei versuchen alle, ein schönes Weihnachten inkl. Baum zu organisieren.

„Weihnachten am Ku'damm“ ist ein Buch voller Nächstenliebe und Hoffnung – auf Weihnachten mit der ganzen Familie (Oskar ist immer noch in russischer Kriegsgefangenschaft), auf bessere Zeiten, die große Liebe und eine friedvolle Zukunft.

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Veröffentlicht am 12.10.2020

Eine grandiose Fortsetzung

Fräulein Gold: Scheunenkinder
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„Ich weiß nicht, wovon sie sprechen. Hier gab es nie einen Jungen …“ (S. 153) Hebamme Hulda Gold ist entsetzt, vor zwei Tagen hat sie im Scheunenviertel einem gesunden Jungen auf die Welt geholfen und ...

„Ich weiß nicht, wovon sie sprechen. Hier gab es nie einen Jungen …“ (S. 153) Hebamme Hulda Gold ist entsetzt, vor zwei Tagen hat sie im Scheunenviertel einem gesunden Jungen auf die Welt geholfen und als sie jetzt nach ihm sehen will, ist er verschwunden und seine Mutter sieht verzweifelt aus, widerspricht ihrer Schwiegermutter aber nicht. „Angst ist der Stoff, aus dem die ganze Familie Rothmann gemacht ist.“ (S. 149) Hulda hat sofort den Rabbi in Verdacht, der das Kind als erster in der Welt willkommen geheißen hat – er hatte etwas Kaltes an sich. Sie hört sich in der Nachbarschaft um, kommt aber nicht weiter. Auch ihr Freund Karl, der Kriminalkommissar, hat keine Zeit sie zu unterstützen. Er jagt nach einem grausigen Fund gerade eine Bande Kinderhändler.

„Scheunenkinder“ ist der zweite Band mit Fräulein Gold und obwohl er weniger Krimi ist als der erste, hat er mich von Anfang bis Ende gefesselt. Autorin Anne Stern versteht es meisterliche, die damalige Zeit lebendig werden zu lassen, die Nöte und Sorgen ihrer Protagonisten eindringlich zu schildern. Und davon haben sie 1923 viele. Die Welt taumelt dem Abgrund entgegen, ein Ei kostet plötzlich Billionen, das Geld ist jeden Tag weniger wert und dann gibt es gar keins mehr, bis endlich die Rentenmark kommt. Die Lage in Berlin wird gerade für Juden immer gefährlicher, die Hyperinflation reizt die Menschen, sie suchen die Schuldigen für das Dilemma – die „Goldjuden“. Der Sturm auf das Scheunenviertel beginnt und Hulda ist mittendrin.

Hulda muss sich erstmalig mit ihrer Herkunft auseinandersetzen. Sie ist durch ihre Geburt Jüdin, aber die Religion wurde schon in ihrem Elternhaus nicht praktiziert. „Und sie, Hulda, war eine Weltenwanderin, stets dazwischen, niemals mittendrin.“ (S. 74) Zudem stößt sie beruflich immer öfter an ihre Grenzen, beneidet die Ärzte und Hebammen in den Kliniken, die besser ausgerüstet sind und mehr dürfen als sie. Aber gibt sie nicht auf und legt sich weiterhin mit dem zuständigen Frauenarzt des Viertels an.
Auch die Situation mit Karl ist noch ungeklärt. Sie sind irgendwie ein Paar und wollen sich doch nicht binden. „Karl war kein Fels in der Brandung und kein Mann zum Heiraten.“ (S. 68) Hulda hängt an ihrer Freiheit und er hat das Gefühl, ihrer nicht Wert zu sein. „Karl fühlte sich wie ein amputierter Mensch. Äußerlich besaß er alle Gliedmaßen, aber man hatte ihm stattdessen etwas aus seinem Innersten entfernt, hatte ihm die Herzensbindung zu seiner Mutter, ja zu jedem menschlichen Wesen abgeschnitten, und nichts konnte diesen Schnitt je wieder flicken.“ (S. 168) Er flüchtet sich in Depressionen und Alkohol, ohne den er inzwischen kaum noch einen Tag übersteht. Doch trotz dieser Fehler ist er ein liebenswerter Mensch und ich hoffe weiterhin, dass aus ihm und Hulda noch ein richtiges Paar wird.
Das hoffen auch Huldas Wirtin, Frau Wunderlich, und Kioskbesitzer Bert, der ihr ein väterlicher Freund geworden ist. Ich mag Frau Wunderlich immer mehr, diese polternde Frau mit dem Herz am rechten Fleck, die sich wirklich um sie und die aktuelle Situation sorgt. „Aber am Ende sind wir doch alle Menschen, oder?“ (S. 130) Genau wie Bert, dessen Bildung Hulda (und mich) immer wieder überrascht. Auch sein Geheimnis wird langsam gelüftet, auch für ihn wird es immer gefährlicher.

Anne Stern hat sich mit dem Scheunenviertel einen Schmelztiegel der Kulturen und Konfessionen als Handlungsort ausgesucht. Die Bewohner gehören zum Bodensatz der Gesellschaft, zu den Ärmsten der Armen. Tamar, die junge Mutter, hat es besonders schlimm getroffen. Sie lebt als Christin unter Juden, wird von der Schwiegermutter nicht akzeptiert, weil sie nicht konvertieren will. Und aus Liebe zu ihrem Mann nimmt sie alles hin. „Ich kann es mir nicht leisten, mich nach Freiheit zu sehnen. Ich darf nicht zu sehr an meinem Halsband zerren, sonst erwürgt es mich.“ (S. 158)

Anne Sterns sehr poetischer Schreibstil hat mich wieder begeistert. „Die Stadt verschluckte das Licht, würgte es hinunter zwischen den hohen Mauern der rußgeschwärzten Fassaden und ließ es nicht mehr frei.“ (S. 24). Ich bin immer noch hin und weg. 5 Sterne und meine Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 04.10.2020

Wer hier nicht lacht, hat keinen Humor!

Waidmannsruh
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„Der war und blieb ein gemeines, rücksichtsloses, gefühlloses Riesenarschloch. Der würde sich nie ändern.“ (S. 10) denken die anderen Jäger über Aufsichtsjäger Sepp Flattacher, aber dafür herrscht Sepps ...

„Der war und blieb ein gemeines, rücksichtsloses, gefühlloses Riesenarschloch. Der würde sich nie ändern.“ (S. 10) denken die anderen Jäger über Aufsichtsjäger Sepp Flattacher, aber dafür herrscht Sepps Revier auch Zucht und Ordnung! Zumindest, bis es unter zwei Jägern Streit um den Abschuss eines Einserhirsches geht, dem Prunkstück der Jagdsaison. Stundenlang hat Vinzenz Hinteregger in eisiger Kälte auf dem Hochsitz ausgeharrt, doch dann ist ihm Walther Liebetegger einfach dazwischen gegrätscht. Bei der jährlichen Hegeschau rächt sich Vinzenz öffentlich, der Streit eskaliert, auch dank ordentlich Alkohol, und letztendlich muss sogar die Polizei eingreifen. Kurz darauf ist einer der Kontrahenten tot und der andere dringend tatverdächtig. Für die Polizei ist klar, dass ers der andere Streithammel gewesen sein muss, doch Sepp sieht das anders, dabei hat er diesmal eigentlich gar keine Lust zu ermitteln. Doch ausgerechnet sein Nachbar Belten, die Nervensäge, hat Blut geleckt und langweilt sich: „Was haben wir denn Besseres zu tun? Sollen wir auf unsere alten Tage am warmen Ofen sitzen, Däumchen drehen und aufs Sterben warten?“ (S. 177)

„Waidmannsruh“ ist bereits der 5. Band um den Aufsichtsjäger Sepp Flattacher und auch wenn man ihn theoretisch ohne Vorkenntnisse verstehen würde, empfehle ich unbedingt auch Teil 1 bis 4 – Euch würde sonst was entgehen. Autorin Alexandra Bleyer hat einen unvergleichlichen Humor, herrlich trocken und oft bitterböse – einfach genial. Außerdem sind mir die Protagonisten der Reihe inzwischen ans Herz gewachsen.
Sepp ist ein alter Grantler, der mit niemandem kann (und will), aber heimlich in Irmi, die Obfrau des Jagdvereins verliebt ist. Als ewiger Junggeselle hat er allerdings keine Ahnung, wie er sich ihr erklären soll. Ich leide schon eine ganz Weile mit ihm und hoffe, dass aus den Beiden was wird. Irmi kann nämlich hinter seine raue Schale sehen und mag ihn trotz allem ganz gern – und würde ihn sich garantiert zurechtstutzen. „Mit der Irmi konnte man schon Pferde stehlen. Und Verbrecher stellen.“ (S. 141)
Nachbar Belten, Sepps ehemaliger Intimfeind, hofft, dass aus ihnen doch noch echte Freunde werden. Außerdem findet er es spannend, im Leben anderer Leute rumzukramen und drängt Sepp regelrecht in die Ermittlungen. Dabei sind sie sich über ihre Methoden nicht immer einig und bekommen sich ordentlich in die Haare. „Entschuldigen Sie, aber Sie sind hier bei der Polizei und nicht bei einer Paartherapie.“ (S. 197) Nur bei einem sind sie sich einig, der Verdächtige ist zu doof und feige für einen Mord.

Auch auf der Polizeiinspektion herrscht dicke Luft. Postenkommandant Georg Treichel ist auf Diät, ständig hungrig und auf der Such nach Essen und dadurch noch cholerischer als sonst. Martins Kollegin Kerstin hat Liebeskummer und ruft sogar nachts bei ihm an – was seiner Freundin Betti natürlich nicht behagt. Außerdem macht ein sehr geschickter Dieb die Runde durch die umliegenden Hotels und ihnen das Leben schwer.
Da kommt ihnen der Unfall des Jägers – so sieht es nämlich lange aus – mehr als ungelegen. Aber die Ungereimtheiten und vor allem die Einmischungen von Sepp und Belten bringen dann doch einige sehr interessanten Fakten zu Tage.

Alexandra Bleyer hat sich wieder einmal selbst übertroffen. Der Krimi ist sehr lustig, trotzdem extrem spannend, wartet mit einem filmreifen Showdown und einem fiesen Cliffhanger auf, der dann zum Glück doch noch aufgeklärt wird. Es gibt wieder jede Menge Tatverdächtige und Motive und man kann herrlich miträtseln.

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Veröffentlicht am 01.10.2020

Jede Nacht ein neues Lied

White Christmas – Das Lied der weißen Weihnacht
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„Ich kennen niemanden, der so wenig Schlaf braucht und ständig dermaßen unter Strom steht wie du.“ (S. 14)
Weihnachten 1937. Irving Berlin ist einer der erfolgreichsten Jazz-Komponisten seiner Zeit. Es ...

„Ich kennen niemanden, der so wenig Schlaf braucht und ständig dermaßen unter Strom steht wie du.“ (S. 14)
Weihnachten 1937. Irving Berlin ist einer der erfolgreichsten Jazz-Komponisten seiner Zeit. Es erinnert kaum noch etwas an sein jüngeres Ich Izzy Baline, den Zeitungsjungen, singenden Kellner und Sohn russisch-jüdischer Einwanderer. Und obwohl er Jude ist, macht ihn Weihnachten immer besonders sentimental. Er verbindet mit diesem Tag eine seiner glücklichsten Erinnerungen, aber auch seinen größten Verlust. Bisher hat er das Fest immer im Kreis seiner Familie verbracht, doch dieses Jahr dreht er fern von ihnen in LA einen Film – seinen Film. „Alexander`s Ragtime Band“ basiert seinem Leben. Die Dreharbeiten laufen schon und neben bekannten Songs will Irving auch neue beisteuern. Also komponiert er jede Nacht neue Lieder und gerade weil in Hollywood Hochsommer ist, sehnt er sich nach weißen Weihnachten in New York …

Ich hatte bis zu diesem Buch noch nie von Irving Berlin gehört, obwohl ich viele seiner Lieder kenne, wie ich beim Lesen festgestellt habe. Die Autorin Michelle Marly lässt Irving in Rückblicken von seinem Aufstieg erzählen, zeigt seine Arbeitsweise und lässt spannende und amüsante Anekdoten über sein Leben einfließen. So hat er z.B. nie Notenlesen gelernt und sich ein spezielles Klavier anfertigen lassen, bei dem die weißen Tasten weggelassen wurden, weil er auch das Spielen nie richtig gelernt hat. Außerdem notiert er sich überall Ideen für seine Lieder – zur Not auch auf den Manschetten seiner Hemden. Das alles macht ihn sehr menschlich und extrem nahbar.

„White Christmas – das Lied der weißen Weihnacht“ ist die wahre und berührende Geschichte der großen Liebe zwischen Irving und seiner Frau Ellin Mackay, die beinahe an ihrer Familie und den Religionsunterschieden gescheitert wäre. Ellin stammt von irischen, blaublütigen Katholiken ab, die sich in Amerika ein Imperium aufgebaut haben. Ihr Vater und ihre Großmutter wollen sie um jeden Preis mit einem passenden Mann und nicht mit einem mittellosen jüdischen Musiker verheiraten. „Du bist eine Mackay. Das ist etwas ganz anderes, als wenn du Miller oder Smith heißen würdest.“ (S. 175) Dabei ist Irving alles andere als arm.
Ellin erzählt diese dramatischen Geschehnisse aus ihrer Sicht. Ich habe bewundert, wie sie gegen die Widerstände ihrer Familie an ihm festgehalten und für ihre Liebe gekämpft hat, dass sie sich von nichts und niemandem haben trennen lassen. Ich hatte oft das Gefühl, dass sie die Stärkere der beiden ist, obwohl er 15 Jahre älter und schon ein gestandener Mann war. Mir war nicht bewusst, dass die Standesdünkel und Repressalien wegen der unterschiedlichen Religionen damals so stark waren und Ellin immer wieder auf die Gefahr der gesellschaftlichen Ausgrenzung ihrer Kinder wegen der „Mischehe“ hingewiesen wurde.

Michele Marly hat es geschafft, mich jetzt schon in Weihnachtstimmung zu versetzen. Das Buch handelt von der ewigen Sehnsucht nach weißen und damit friedlichen Weihnachten im Kreis der Familie. Es ist aber auch eine zeitlose, sentimentale, an keiner Stelle kitschige Liebesgeschichte.
Ich habe das Lesen zelebriert und mir die Irvings Lieder beim Lesen angehört, am Ende war ich richtig wehmütig.

5 Sterne und meine Leseempfehlung für dieses Herzensbuch.

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