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Veröffentlicht am 01.11.2020

Was ein kanadischer Winter und die Corona-Krise gemeinsam haben...

Das Gewicht von Schnee
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Tiefer Winter in der kanadischen Provinz.
Unaufhörlich fallender Schnee.
Stromausfall im ganzen Land.
Ein Dorf, das von der Außenwelt abgeschnitten wird.
Endzeitstimmung.
Ein schwerer Autounfall.
Eine ...

Tiefer Winter in der kanadischen Provinz.
Unaufhörlich fallender Schnee.
Stromausfall im ganzen Land.
Ein Dorf, das von der Außenwelt abgeschnitten wird.
Endzeitstimmung.
Ein schwerer Autounfall.
Eine Notoperation, in der die Beine des Verletzten nur notdürftig zusammengeflickt werden.

Die Dorfgemeinschaft beschließt, dass der ältere, ebenfalls im Dorf gestrandete Matthias, in seiner Hütte das Unfallopfer pflegen soll, bis der Schnee schmilzt.
Matthias willigt nur deshalb ein, weil er im Gegenzug mit Lebensmitteln versorgt wird und weil ihm ein Platz im einzigen Bus versprochen wird, der im Frühjahr Richtung Stadt aufbricht.

Bis zur Schneeschmelze vergehen Monate.
Lebensnotwendiges, Nahrung, Medikamente und Holz, wird knapper.

Die Spannung zwischen den beiden ungleichen und wortkargen Männern, die dazu gezwungen sind, auf wenigen Quadratmetern zusammenzuleben, steigt zunehmend.
Misstrauisches und argwöhnisches Beäugen, zunehmendes Vertrauen, Mitgefühl, Hilfbereitschaft, Feindseligkeit, Gereiztheit, Aggression, Hass... das Gefühlschaos ist trotz zeitvertreibendem Schachspiel spürbar.

In dem Raum, den sich die beiden teilen, spielt sich letztlich ein Psychothriller ab.
Die Emotionen schwelen und gären und die beiden Männer sind miteinander ans Haus gefesselt und voneinander abhängig.
Sie müssen einander aushalten.

Eine Parallele zur aktuellen Corona-Krise, in der sich genau das nicht selten abspielt?
Tragödien zwischen Menschen und in Familien, die für lange Zeit auf engstem Raum miteinander zurechtkommen müssen, weil die Umstände es fordern...

Ich kann nachvollziehen, dass dieser zweite Roman des kanadischen Autors Christian Guay-Poliquin mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet wurde.

Es ist ein intensiver, dichter, anschaulicher und eindrücklicher Roman, ein schmerzhaft schönes Stück Literatur.
Mit wenigen Worten und einer klaren, präzisen und zugleich poetischen, fast lyrischen Sprache erschafft der Autor klare Bilder.

Er zeigt eindrücklich sowohl die Schönheit, als auch die Grausamkeit der Natur und vermittelt die Atmosphäre wunderbar.
Man spürt Verlangsamung, Langeweile und Spannung in der Hütte.
Aber auch die vom Kamin ausgehende Wärme, die im Kontrast zu der draußen wütenden Kälte und Naturgewalt herrscht.
„Das Gewicht von Schnee“ ist ein berührender, psychologisch tiefgründiger und stimmiger und raffinierter Roman...gleichermaßen verzaubernd und verstörend wie hypnotisch und aufrüttelnd.

Beeindruckend und lesenswert!

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Veröffentlicht am 31.10.2020

Mutig, provokant und wichtig!

Artur Lanz
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Die betagte Charlotte Winter hat erst im Alter angefangen, Geschichten zu schreiben.
Auf einer Parkbank lernt sie eines Tages den 50-jährigen Physiker Artur Lanz kennen.
Sie erfährt, dass Artur gerade ...

Die betagte Charlotte Winter hat erst im Alter angefangen, Geschichten zu schreiben.
Auf einer Parkbank lernt sie eines Tages den 50-jährigen Physiker Artur Lanz kennen.
Sie erfährt, dass Artur gerade vor einem Scherbenhaufen steht, der ihn in eine seelische Krise katapultiert hat:
Er hat seine Frau, seinen Hund und seine körperliche Unversehrtheit verloren.
Die waghalsige Rettung des geliebten Haustiers, das auf einem Rapsfeld von seiner Leine stranguliert zu werden drohte, löste in ihm, der von seiner für die Artus-Legende schwärmenden Mutter nach dem heldenhaften Anführer der Ritter der Tafelrunde benannt wurde, zwar erstmals das Gefühl aus, heroisch gehandelt zu haben, zog aber auch die Scheidung von seiner Frau nach sich.

In den folgenden, mehr oder weniger zufälligen Begegnungen zwischen Artur und Charlotte kristallisiert sich in ihren Gesprächen aufgrund der Geschichte zu seinem Namen, seiner Heldentat und seines Schicksals ein Thema heraus, das Charlotte in ihren künftigen Erzählungen verarbeiten will:
Mut, Heldentum und Männlichkeit.

Plötzlich stehen Fragen bzw. Hypothesen im Raum.
Wurden viele Männer umerzogen? Verweichlicht? Verweiblicht?
Ein Rollenwechsel vom Patriarch und Ernährer zum feigen Weichling?
Ist Artur nicht das Beispiel schlechthin für einen Mann, dessen männliche, starke und mutige Seite sich in Empfindsamkeit, Feinheit und Anpassung/Unterwerfung aufgelöst hat?
Was ist mit denen, die sich dieser Umerziehung wiederseht haben, z. B. Rocker, denen Charlotte aufgrund ihrer Widerständigkeit zunehmend Sympathie entgegenbringt?

Und dann kommt es zu einer Situation, in der Artur seine abtrainierte Männlichkeit unter Beweis stellen und seinem heldenhaften Vornamen gerecht werden kann:
Sein Freund und Arbeitskollege Gerald gerät aufgrund fragwürdiger politischer Äußerungen in Konflikt mit Kollegen und Vorgesetzten.

Charlotte interessiert sich für Arturs frisch entdeckte Lust zum Heldentum und erlebt mit, wie er sich nun zwischen Mut und Feigheit entscheiden muss.
Wird Artur seinem Freund beistehen?
Wie wird er diesen inneren Konflikt lösen?

Rückgrat, Mannhaftigkeit und Heroismus oder das Motto der drei Affen: „nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“ im Sinne von mangelnder Zivilcourage und bedingungslose Loyalität?
Positionierung oder Unterordnung?
(Meinungs-)Freiheit, Mut zur eigenen Meinung und zum
Aussprechen unbequemer Wahrheiten oder Anpassung und Unterwerfung?
...weitere Fragen und Themen stehen im Raum.

Eine hochinteressante Thematik, die natürlich nicht nur Männer betrifft!
Sie spielt in meiner täglichen Arbeit als Psychoanalytikerin eine immens bedeutsame Rolle.
Es ist eine Thematik, die sowohl im gesellschaftlichen als auch im individuellen Bereich überaus bedeutsam ist.
Es ist eine Polarität, über die es sich nachzudenken lohnt!

Es macht großen Spaß, Monika Maron zu folgen, die, gelassen, sprachlich brillant, literarisch versiert, tiefgründig und mit spitzer Feder basale Themen aufgreift und dem Leser provokant und auf ironisch-abgeklärte Weise den Mitläufer- und Duckmäuser-„Typen“ vor Augen hält, der sich anpassungsbereit und widerspruchslos dem Mainstream, der Mode und den Normen unterwirft, sich selbst als fortschrittlich betrachtet und dabei jedem Andersdenkenden und jeder Veränderung eine Absage erteilt.
Die Autorin zeigt aber auch, dass sich das ändern lässt und dass es nicht in Stein gemeißelt ist.

Monika Maron hält eben diesen Ja-Sagern den Spiegel vor und genau deshalb war von vornherein klar, dass sie mit ihrem Buch eine sehr ambivalente Reaktion auslösen wird.
Sie legt einen Finger in die Wunde der gegenwärtigen Gesellschaft, spricht unangenehme Themen an und sticht damit in ein Wespennest.

Monika Maron bringt Heikles zur Sprache und erlaubt sich eine eigene Meinung.
Sie erzählt scheinbar mühelos und mit einem Feingefühl für Machtstrukturen und totalitäre Tendenzen präzise und mit Elan und Leichtigkeit.

Sie beschreibt, was sie beobachtet und erlebt (hat) und sie motiviert indirekt, subtil und unaufdringlich zum Nachdenken, erhebt aber nicht den moralisierenden Zeigefinger und schlägt keinen besserwisserischen und missionarischen Ton an.
Prisen von Boshaftigkeit und Provokation sind genauso enthalten wie Portionen von Witz und Ironie.

Ich möchte dieses mutige, ehrliche und offene Buch allen offenen und kritischen Geistern als inspirierende Lektüre empfehlen.

Mit unverstelltem, analytischem und kritischem Blick greift sie Gedanken und Fragen auf, mit denen es sich zu beschäftigen lohnt, weil sie hochaktuell, brisant und am Puls der Zeit sind.

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Veröffentlicht am 30.10.2020

Mehr als eine coming-of-age-Geschichte

Die Gespenster von Demmin
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Kindheit und Jugend zwischen den Gespenstern der Vergangenheit.
Im Großen und im Kleinen.

Die Hansestadt Demmin in Mecklenburg-Vorpommern ist ein Ort mit einer erschütternden und grauenhaften Geschichte: ...

Kindheit und Jugend zwischen den Gespenstern der Vergangenheit.
Im Großen und im Kleinen.

Die Hansestadt Demmin in Mecklenburg-Vorpommern ist ein Ort mit einer erschütternden und grauenhaften Geschichte:
Aus Angst vor Gräueltaten und Racheaktionen der einmarschierenden Roten Armee nahmen sich im Mai 1945 Hunderte von Einwohnern und Flüchtlingen das Leben.
Sie erhängten oder ertränkten sich, nahmen Gift oder erschossen sich. Es waren überwiegend Frauen, die, unfassbarerweise, ihre Kinder mit in den Tod nahmen.
Dieser Massensuizid von Demmin erlangte traurige Bekanntheit als einer der größten überhaupt in der deutschen Geschichte.

Wir begleiten in dem Debutroman von Verena Kessler zwei Frauen, die in eben dieser geschichtsträchtigen Stadt leben und die entgegengesetzte Bewegungsrichtungen einschlagen: Rein ins Leben, raus aus dem Leben.
Beide Prozesse haben es in sich und sind nicht ganz leicht zu meistern.

Die 15-jährige Larissa Schramm, auf eigenen dringenden Wunsch hin Larry genannt, will nach dem Schulabschluss raus in die Welt und Kriegsreporterin werden.
Sie jobbt auf dem örtlichen Friedhof, um ihr Taschengeld aufzubessern. Vordergründig wirkt sie lässig, rotzig, unbekümmert und sorglos, manchmal auch altklug, aber nach einem Blick hinter die Kulissen erkennt man eine Last, die auf ihren Schultern ruht und ihre Ursache in einem traurigen und schweren familiären Verlust hat.
Larry hat nicht nur diesen außergewöhnlichen Nebenjob, bei dem sie Gräber pflegt, sondern auch ein eigenartiges Hobby:
Sie trainiert bis zur Erschöpfung, um sich auf ihren bereits oben genannten Traumberuf, Kriegsreporterin, vorzubereiten und dafür abzuhärten.
Sie hat sich ein ganz persönliches Survivaltraining zusammengestellt. In dessen Kontext kommt es schon mal zu waghalsigen Selbstversuchen und skurrilen Übungen wie Kopfüber-im-Baum hängen, stundenlangem Auf-dem-Stuhl stehen oder Probeliegen auf dem Friedhof.

Die zweite Protagonistin ist ihre Nachbarin Frau Dohlberg, eine alte Frau, die damals, im Mai 1945, als kleines Mädchen im Fluß Peene fast den Tod durch Ertrinken erlitten hätte, und der jetzt ein Umzug ins Seniorenheim bevorsteht.
Beim Entrümpeln und Aussortieren ihrer Habseligkeiten wird sie mit tragischen und aufwühlenden Erinnerungen an das Kriegsende in Demmin konfrontiert.

Bestimmt hätten Larry und Frau Dohlberg, für die der Tod eine Art Lebensbegleiter ist, sich viel zu erzählen, aber leider gehen die Begegnungen nie über ein freundliches Grüßen oder Winken hinaus.
Zu einem tiefgründigen Austausch kommt es nie.
Beide Frauen machen ihre Angelegenheiten und Sorgen stets mit sich selbst aus.

„Die Gespenster von Demmin“ ist ein beeindruckender, berührender und unterhaltsamer Debütroman, der sich mit wichtigen Themen beschäftigt.
Indem sie die düsteren Geschehnisse, die 1945 in Demmin stattfanden bravourös, fesselnd und geschickt mit der Gegenwart verwebt, beleuchtet Verena Kessler transgenerationale Prozesse und den Einfluss, den die Geschichte auf die Gegenwart hat.

Gleichzeitig ist der Roman eine klassische coming-of-age-Geschichte mit den typischen Themen einer Heranwachsenden, seien es Liebesgefühle, Gefühle von Haltlosigkeit, innere und äußere Konflikte mit den geschiedenen Eltern, z. B. mit der alleinerziehenden Mutter, die die Männer wie ihre Socken wechselt, bzw. Hals über Kopf den neuen Freund einziehen lässt.
Die emotionale Achterbahn der Pubertät!

Es geht aber auch um existentielle Themen wie den Verlust geliebter Menschen, Tod, Trauer und Einsamkeit.
Und auch um Lebensmut, Tapferkeit, Freundschaften und um die erste Liebe.
Es geht um die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen und um die Möglichkeit, sie zu überwinden. Und eine große Rolle spielt der Themenkomplex Schein oder Sein, so tun als ob, Verleugnen und Verdrängen... und zwar auf familiärer, als auch auf gesellschaftlicher Ebene.

Verena Kessler erzählt ruhig und unaufgeregt und schreibt eindrücklich, feinfühlig und eindringlich.
Trotz der ernsthaften Thematik und tiefgründigen Dimension ist der Roman leicht und flüssig zu lesen. Auch der Humor kommt nicht zu kurz. Amüsante Szenarien und ein zeitweise heiterer Unterton lockern auf und schaffen ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Düsterkeit, Traurigkeit, Tiefgründigkeit, Hoffnung, Warmherzigkeit, Leichtfüßigkeit und Humor.

Die Protagonisten werden von Verena Kessler eindrücklich und authentisch gezeichnet und der interessante Plot wird kurzweilig erzählt. So entsteht eine Geschichte, die in Erinnerung bleibt und nachhallt.

Es gefällt mir, wie die Autorin unaufdringlich auf Parallelen hinweist und zeigt, dass sich das Kleine im Großen spiegelt oder wie das Große im Kleinen abgebildet werden kann.
Da sind die Toten vom Mai 1945 und dort ist der verstorbene Bruder.
Da ist eine Stadt, die mit ihrer schrecklichen Vergangenheit zurechtkommen muss und dort ist eine Familie, die einen tragischen Tod überwinden und verarbeiten muss.
Da wird tabuisiert und dort wird geschwiegen.

Die 1988 geborene Autorin schlägt eine Brücke, schafft eine Verbindung und stellt Zusammenhänge her. Hut ab!

Ihr Debutroman war für mich schon deshalb lesenswert, weil ich von einer geschichtlichen Begebenheit erfuhr, die mir bis dato unbekannt war. Ich schätze es sehr, durch Lektüre meinen Horizont zu erweitern und das ist hier eindeutig geschehen.
Zwar, aufgrund von scheinbar mangelndem Interesses der künftigen Kriegsreporterin Larry, nicht in erster Linie, in Gänze und auf direktem Weg durch den Roman selbst, aber auf jeden Fall indirekt, indem die damaligen Geschehnisse am Ende des zweiten Weltkrieges erwähnt, gestreift und thematisiert wurden, und ich dann mit großem Interesse weiter recherchiert habe.

Der atmosphärische und kluge Roman überzeugte mich.
Er ist weniger eine literarische Aufarbeitung der damaligen furchtbaren Ereignisse, als ein fesselnder Adoleszenzroman, der klug komponiert ist, der Vergangenheit und Gegenwart geschickt verknüpft, der bedeutsame Themen anspricht und der einen Anstoß für tiefergründige Beschäftigung gibt, weil er neugierig macht.

Es war für mich nicht einfach, das Buch zwischendurch beiseite zu legen, nachdem ich mit der Lektüre begonnen habe.
Ein echter Pageturner, den ich sehr gerne weiterempfehle!

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Veröffentlicht am 25.10.2020

Eine Perle!

Was der Fluss erzählt
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Selten hat mich ein Roman derart positiv überrascht.
Neugierig machten mich bereits das farbenfrohe, verspielte und verträumte Cover und der geheimnisvolle Titel.
„Was der Fluss erzählt“ löste vor allem ...

Selten hat mich ein Roman derart positiv überrascht.
Neugierig machten mich bereits das farbenfrohe, verspielte und verträumte Cover und der geheimnisvolle Titel.
„Was der Fluss erzählt“ löste vor allem eine Assoziation bei mir aus:
Während man so vor sich hin döst ziehen Geschichten wie Schiffe auf einem Fluß vor dem geistigen Auge vorüber.

Ich stellte mich auf einen unterhaltsamen Roman ein, bei dem es sich gut abschalten und entspannen lässt.

Und jetzt komme ich zu der oben erwähnten positiven Überraschung: der Roman ist weit mehr als ein vergnüglicher Zeitvertreib, er ist eine Perle, die einen besonderen Platz in meinem Bücherregal bekommt.

Nun aber kurz zum Inhalt:
Die Geschichte spielt Ende des 19. Jahrhunderts in einer ländlichen Gegend Englands, genauer: in Radcot an der Themse.
In diesem Ort gibt es, wie in allen Orten ein Wirtshaus.
„Swan“ heißt es und eine Besonderheit hat es:
In der uralten und traditionellen Gaststube treffen sich die Bewohner nicht nur, um bei einigen Gläschen Cider oder Bier zu plaudern, sondern um sich Geschichten zu erzählen.

Eines Nachts, als draußen ein Unwetter tobt, betritt ein schwer verletzter Mann das Lokal.
In seinen Armen trägt er ein lebloses Mädchen.
Und jetzt wird es interessant, spannend und rätselhaft:
Obwohl eine Krankenschwester ihren Tod festgestellt hat, ist das Kind nach einigen Stunden (wieder) am Leben.
Es schlägt die Augen auf.
Es atmet.
Es bewegt sich.

Wer ist das Mädchen, das nicht spricht?
Wer ist der Mann, der es aus der Themse fischte?
Was ist da passiert?
Gibt es einen Zusammenhang zu der Entführung der Tochter der Vaughans vor 2 Jahren?

Plötzlich steht alles im Raum: Mythen, Legenden, Sagen, Aberglaube, Zauberei, Wunder... aber eigentlich zählt für das bereits aufgeklärte England doch die Wissenschaft?

Diane Setterfield führt den Leser schelmisch, geschickt und leichtfüßig aufs mystische Glatteis, um ihm dann letztlich doch klarzumachen, dass er sich auf realem Boden befindet.
Sie spielt mit der Fantasie und mit dem Realitätsbewusstsein des Lesers und bringt ihn dazu, sich zu wundern und zu staunen.

Ich empfehle diesen inhaltlich bezaubernden und sprachlich wunderschönen Roman, der wie ein Märchen beginnt, all denjenigen Lesern sehr gerne, die sich in eine literarisch anspruchsvolle Welt voller Poesie fallen lassen möchten.

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Veröffentlicht am 24.10.2020

Spannend, aktuell und literarisch ansprechend.

Der Mann im Strom
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Hinrichs, ein hochgewachsener dürrer Mann mit dünnem Haar und rissigen Händen, ist gut über 50 und alleinerziehender Vater seines Sohnes Timm und seiner 19-jährigen schwangeren Tochter Lena.
Als seine ...

Hinrichs, ein hochgewachsener dürrer Mann mit dünnem Haar und rissigen Händen, ist gut über 50 und alleinerziehender Vater seines Sohnes Timm und seiner 19-jährigen schwangeren Tochter Lena.
Als seine Firma Konkurs geht, verliert er seine körperlich und seelisch herausfordernde und belastende, sowie gefährliche Arbeit als Bergungstaucher im Hamburger Hafenbecken, der er bereits seit ca. 20 Jahren nachgeht.

Gut über 50 und arbeitslos.
Das könnte problematisch werden!

Deshalb fälscht Hinrichs sein Tauchertagebuch und seine Arbeitsdokumente.
Er macht sich 10 Jahre jünger, um seine Chancen auf eine neue Stelle zu erhöhen.
Und es klappt!
In Windeseile bekommt er eine neue Anstellung beim Bergungsunternehmen Iversen.

Dieses Problem wäre gelöst, aber ein anderes steht schon vor der Tür.
Da Hinrichs den Freund seiner Tochter abweist und gegen deren Heirat ist, geht Lena verärgert und grußlos.
Und nun nimmt das Drama erstmal seinen Lauf.
Eine Suche.
Ein Streit.
Eine Trennung.
Ein Suizidversuch.
Eine Erpressung.
Eine Bedrohung.
Ein blutender und weinender Timm.
Ein besorgter Vater.

Klingt spannend?
Ist spannend!

Siegfried Lenz erzählt souverän und nüchtern, einerseits unaufgeregt und andererseits eindringlich und beleuchtet dabei detailliert die inneren Konflikte seiner Protagonisten, deren Charaktere er in all ihrer Komplexität darstellt.

Obwohl der Roman bereits 1957 erstmals erschien und in den 50-er Jahren spielt, ist er brandaktuell, was die gesellschaftlichen, sozialen, familiären und individuellen Themen anbelangt.

Ich empfehle diesen beeindruckenden und unbedingt lesenswerten Roman sehr gerne weiter. Er hat mich sprachlich überzeugt und inhaltlich in seinen Bann gezogen.


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