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Veröffentlicht am 30.11.2020

Gelungene Fortsetzung in einer bizarren Tour de force

Ich bin Harrow
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Der Science-Fantasy-Roman "Ich bin Harrow" (Harrow the Ninth) von Tamsyn Muir ist die Fortsetzung von "Ich bin Gideon" (Gideon the Ninth) und Band 2 der Locked-Tomb-Trilogie.

Worum es geht

Harrowhark ...

Der Science-Fantasy-Roman "Ich bin Harrow" (Harrow the Ninth) von Tamsyn Muir ist die Fortsetzung von "Ich bin Gideon" (Gideon the Ninth) und Band 2 der Locked-Tomb-Trilogie.

Worum es geht

Harrowhark "Harrow" Nonagesimus ist nach den dramatischen Ereignissen in Canaan-Haus zum Lyctor aufgestiegen und findet sich an Bord des imperialen Flaggschiffs wieder. Doch anders als Ianthe hat sie keinen vollen Zugriff auf ihre Fähigkeiten und wird von Erinnerungen verfolgt, in denen Ortus Nigenad ihr Erster Kavalier ist. Außerdem hat sie scheinbar, ohne es zu wissen, eine Reihe von Briefen geschrieben, die an sie selbst adressiert sind und in denen sie sich für alle Eventualitäten Handlungsanweisungen gibt und sich verbietet, nach der Lösung des Rätsels zu forschen. Nach und nach erfährt sie mehr über einen Krieg, den der Imperator/Gott, den seine alten Kampfgefährten nur John nennen, seit Jahrtausenden gegen sogenannte Resurrection Beasts führt. Die drei verbliebenen alten Lyctoren sollen nun die beiden neuen auf einer von den Neun Häusern weit entfernten Raumstation für die kommende Auseinandersetzung ausbilden. Dabei zeigt sich, dass einer der drei, Ortus the First, Harrow nach dem Leben trachtet, und Cytheria möglicherweise doch nicht so tot ist wie angenommen. Alle außer Gott scheinen Harrow zu hassen. Es wird deutlich, dass die verschlossene Grabkammer, die das Neunte Haus bewacht, eine besondere Bedeutung hat.

Kritik

Wer geglaubt hat, Gideon Nav sei mit ihrem beschränkten Wissen über ihre Welt eine unzuverlässige Erzählerin gewesen, der muss lernen, dass Harrow noch um Längen unzuverlässiger ist. In ihren Erinnerungen an die vorangegangenen Geschehnisse, die in der dritten Person erzählt werden, taucht Gideon nicht auf und die Abläufe sind anders als wir sie gelesen haben. Parallel dazu wird die gegenwärtige Geschichte in der zweiten Person geschildert (so gesehen müsste der Roman eigentlich "Du bist Harrow" heißen), was per se schon einmal ungewöhnlich und gewöhnungsbedürftig ist. Gleichzeitig nährt die Autorin aber die Zweifel, ob die Dinge tatsächlich so sind, wie sie erscheinen, oder ob Harrow einfach den Verstand verloren hat. Der Wechsel der Erzählperspektiven stellt sich letztlich als eleganter Kunstgriff heraus, der am Ende perfekten Sinn ergibt. Aber bis dahin fragt man sich, ob man vielleicht in einem Paralleluniversum gelandet ist.

Tamsyn Muirs Sprache ist gewohnt eloquent und witzig, wenn auch Gideons schnoddriger Tonfall weitgehend fehlt. Dabei ist das Setting mindestens genauso düster wie im ersten Band. Der Roman taucht tief in die Seele seiner Titelfigur ein. Harrow ist etwas Besonderes: eine Getriebene, begabt, ehrgeizig, intelligent, sensibel und paranoid. Wo Gideon für Abenteuerlust, Lockerheit und Spaß stand, ist Harrow ein wandelndes seelisches Trauma voller Schuldgefühle. Die Wandlung zum quasi unsterblichen Lyctor hat sie geschwächt und verletzlich zurückgelassen. Aber auch komplett wahnsinnig?

Die Beziehungen zwischen Imperator/Gott John und seinen Weggefährten untereinander gleichen denen einer dysfunktionalen Familie, geprägt durch ein seit zehntausend Jahren währendes Zusammensein. Unter der Oberfläche brodeln alte Konflikte, Eifersüchteleien und Animositäten. Harrow betrachten sie im Grunde als Kind.

Der Tonfall der Romane unterscheidet sich grundlegend. War Gideons Humor das Resultat ihrer großspurigen Respektlosigkeit, Unbedarftheit und eines zur Schau getragenen Zynismus, so stammt Harrows Humor eher aus dem Umstand, dass sie ein genialer, nerdiger, aber zickiger Teenager ist. Es fällt leichter, die offene, polternde Gideon zu mögen als die verschlossene, grübelnde Harrowhark. Abgesehen davon darf man nicht vergessen, dass sie nicht nur ein begabter Necromancer, sondern letztlich auch eine Nonne ist. Doch auch wenn Harrow witzig sein kann, ist ihre Geschichte nicht so warmherzig wie Gideons, sondern ungleich trauriger, geht es doch vorrangig um Kummer und Verlust.

Muir verwendet unzählige Tricks, um den Leser zu verwirren: durcheinander gebrachte Zeitebenen, Perspektivwechsel, Geschichtsrevisionismus, Halluzinationen, untersützt durch die klaustrophobische Erzählweise in der zweite Person für Harrows Zeit nach der Transformation, während sie angeblich trainiert, um Gott und das Universum vor super bösen Weltraumgeistern zu schützen. Erst zum Schluss kommt eine offenbarende erste Person, sobald Harrows Wahnsinn sich aufzulösen beginnt. Gleichzeitig liefert Muir wiederum eine überraschende Wendung in Form einer unerwarteten Enthüllung. Einige Fragen werden beantwortet, aber längst nicht alle.

Ich mochte Harrow trotz ihrer spröden und manchmal grausamen Art bereits im ersten Band. Diese Sympathie hat sich nur verstärkt.

Fazit

"Ich bin Harrow" ist ein fesselndes und gleichzeitig verwirrendes Leseabenteuer. Das Buch ist ein unterhaltsames Durcheinander und ich habe es sehr genossen. Es ist eine Geschichte über ein Überlebensschuld-Syndrom. Aber es ist trotzdem auch ein Chaos, und ich bin mir nicht sicher, ob der Abschlussband "Ich bin Alecto" (Alecto the Ninth) weniger chaotisch wird. Die Frage, ob Gideons Tod am Ende von "Ich bin Gideon" endgültig ist, bleibt offen.

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Veröffentlicht am 27.10.2020

Der neue Eschbach überzeugt

Eines Menschen Flügel
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Andreas Eschbachs Roman "Eines Menschen Flügel" ist mit 1.257 Seiten ein echter Wälzer und eine der mit größter Spannung erwarteten Neuerscheinungen des Buchherbstes 2020. Nach eigenen Angaben hat der ...

Andreas Eschbachs Roman "Eines Menschen Flügel" ist mit 1.257 Seiten ein echter Wälzer und eine der mit größter Spannung erwarteten Neuerscheinungen des Buchherbstes 2020. Nach eigenen Angaben hat der Autor 20 Jahre an diesem Buch gearbeitet. Es bietet eine Mischung aus Science Fiction und Fantasy-Elementen.

Worum es geht

In ferner Zukunft wohnen auf einem wilden Planeten Menschen als Jäger und Sammler, die durch gentechnische Manipulation mit Flügeln ausgestattet sind, in großen Nestbäumen und scheinbar paradiesischer Harmonie. Ihre Welt ist wenig technisiert, ein Großteil ihres Lebens spielt sich im Flug ab, weil auf dem Boden eine undefinierbare, tödliche Gefahr in Form des Margor lauert. Deshalb hatten ihre Vorfahren, die 1062 Jahre zuvor mit Raumschiffen hierher gelangt waren, diesen ungewöhnlichen Weg gewählt, um zu überleben. Über den Menschen bildet eine undurchdringliche Wolkenschicht die Grenze zum Himmel, wobei niemand genau weiß, was sich dahinter verbirgt. Es kursieren nur Gerüchte, von denen der junge Owen so fasziniert ist, dass er das Geheimnis lüften und die sagenhaften Sterne sehen will, von denen die Menschen in grauer Vorzeit gekommen sind. Deshalb trainiert er so lange, bis er der beste und ausdauerndste Flieger wird. Er kann immer höher steigen, doch seine Sehnsucht nach den Sternen hat unangenehme Konsequenzen − nicht nur für ihn sondern auch für seine Nachkommen. Denn der Höhenflug birgt Gefahren. Außerdem wollen einige ihrer Art um jeden Preis die alte Ordnung aufrecht erhalten. Die Ahnen haben nämlich auch die Großen Bücher hinterlassen, eine Art Regelwerk, das durch Gebote und Verbote festlegt, wie die Gesellschaft leben soll und zu führen ist.

Kritik

Geflügelte Menschen sind keine Neuschöpfung. Es gab sie schon bei Flash Gordon oder in Form des Comic-Helden Hawkman. Und die Idee, dem Himmel nicht zu nah zu kommen, erinnert an die altgriechische Icarus-Sage, deren tragischer Held mit seinen selbst gebastelten Flügeln zu dicht an die Sonne fliegt und in den Tod stürzt. Ungeachtet dessen hat Andreas Eschbach in "Eines Menschen Flügel" mit viel Liebe zum Detail eine fantastische mit jeder Menge Sense of Wonder Welt erschaffen. Diese wirkt auf den ersten Blick eher wie ein klassischer Fantasy-Kosmos. Doch immer wieder klingen Hinweise an, die die Handlung dann doch eher in ein Science-Fiction-Setting verorten: So ist die Flugfähigkeit eine Art künstliche Umweltanpassung, die durch Integration von Falkengenen erzielt wurde. Die überlieferten Regeln der Ahnen bestimmen jedoch, dass die Menschen keine Maschinen mehr bauen dürfen. Was genau dazu führte, dass man den Schritt in die Lüfte machte, ist eines der Geheimnisse der Geschichte. Protagonist Owen glaubt jedenfalls, dass die Menschheit eines Tages zu den Sternen zurückkehren wird.

In wechselnder Perspektive geschrieben folgt ein Handlungstrang Owens Sohn Oris auf seiner Reise um den Planeten, bei der er die unterschiedlichsten Stämme und Clans kennenlernt. Dabei kommen verschiedene Personen zu Wort, die das Geschehen nach und nach beleuchten. Eschbachs Sprache und Erzählstil sind dabei gewohnt lebendig und daher flüssig zu lesen. Sein Worldbuildung ist in sich schlüssig, facettenreich und komplex. Wie so oft reißt er dabei ernste Themen an, in diesem Fall Aspekte wie Umweltschutz oder Manipulation durch Populismus und Intrigen. Eine seiner Stärken sind auch hier packende Dialoge und die Schilderung menschlichen Beziehungen. Die Vielzahl an Personen und Subplots kann etwas verwirren, doch sind die Charaktere liebevoll gestaltet und als Leser folgt man ihnen gern. An einigen Stellen hätte man sich vielleicht etwas mehr Hintergrundinformationen gewünscht, beispielsweise zum Margor. Andererseits ist der Roman mit seinen über 1.200 Seiten bereits sehr lang. Tatsächlich wünscht man sich an ein paar Stellen, in denen Wiederholungen auftauchen, der Autor hätte vielleicht ein paar noch gekürzt. Langeweile entwickelt sich jedoch nicht, dazu ist die beschriebene Welt zu faszinierend.

Fazit

Insgesamt ist "Eines Menschen Flügel" ein großartiges Buch für lange Herbstabende. Ich kann es uneingeschränkt empfehlen. Daher gilt mein Dank dem Lübbe-Verlag und NetGalley, dass ich es lesen durfte.

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Veröffentlicht am 26.10.2020

Magisches Abenteuer

Diebe der Nacht
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"Diebe der Nacht" von Thilo Corzilius ist ein bei Klett-Kotta erschienener Fantasy-Roman mit Elementen des Steampunk.

Worum es geht
Hauptfigur ist der junge Glin, der einer Gruppe fahrender Schauspieler ...

"Diebe der Nacht" von Thilo Corzilius ist ein bei Klett-Kotta erschienener Fantasy-Roman mit Elementen des Steampunk.

Worum es geht
Hauptfigur ist der junge Glin, der einer Gruppe fahrender Schauspieler eines mechanischen Theaters angehört, die sich Herbstgänger nennt. Sie führen selbst ausgedachte Theaterstücke auf, die ihre Publikum auch mit chemischen und mechanischen Spezialeffekten unterhalten. Doch das Theaterensemble ist nur eine Fassade, die dazu dient Raubzüge zu tarnen, denn in Wirklichkeit sind die Herbstgänger Meisterdiebe und Trickbetrüger und haben schon manch einen spektakulären Coup gelandet. Und so planen sie, als das Theater in der sagenhaften Lagunenstadt Mosmerano gastiert, in Wirklichkeit einen Kunstraub. Sie wollen ein mysteriöses Gemälde, das offiziell gar nicht existiert, aus dem Tresor des Erzherzogs stehlen. Jedes Mitglied der Theatergesellschaft hat neben der Schauspielerei besondere Fähigkeiten, die ihnen sowohl auf der Bühne als auch bei ihren Einbrüchen nützlich sind: Es gibt Akrobaten, Mechanisten, Chemistiker und Kämpfer. Glin, der Ziehsohn des Ensemblegründers und -leiters Talmo, ist als Gehirn der Truppe für die minutiöse Planung zuständig. Als jedoch bei einer Vorstellung jemand aus Talmos Vergangenheit aufkreuzt, der skrupelloser Magier Aurinius von Veelyn, stehen die Herbstgänger plötzlich zwischen den Fronten und müssen all ihr Geschick aufbieten, um inmitten einer politischen Intrige um uralte Zauberkünste einerseits Vergeltung zu üben, andererseits mit heiler Haut davon zu kommen und trotzdem noch ihren Raub durchzuziehen und so Profit zu schlagen.

Kritik
Obwohl der Ort der Handlung, Mosmerano, ganz offensichtlich Venedig nachempfunden ist, hat Thilo Corzilius hier einen fantastischen Kosmos erschaffen, den er "Ruhende Welt" nennt und zu der auch ganz eigene Religionen mit Göttern, eine andere Zeitrechnung, Sprache und natürlichen Länder gehören. Das ganze ist detailreich, atmosphärisch dicht und fesselnd beschrieben. Protagonist Glin steht jedoch nicht allein im Mittelpunkt, sondern auch den anderen Figuren wird genügend Raum gelassen, sich zu entwickeln. Da wären vor allem die anderen Mitglieder der Herbstgänger: neben Glins Adoptivvater und Mechanist Talmo Melisma der erfindungsreiche Chemistiker Shalimo, die Schaupieldiva Madeire, die im Umgang mit Schwertern und Messern begabte Kriegerin Yrrein, der nie um einen Scherz oder derben Fluch verlegene Priester Falk und die Akrobatin und affengleiche Kletterkünstlerin Sira. Sie alle spielen in diesem fesselnden Abenteuer eine Rolle und sind so skurril geschildert, dass man als Leser schnell den Einstieg findet und sie ins Herz schließt. Während anfangs alles nach Plan zu lauen scheint, entwickeln sich rasch ungeahnte Schwierigkeiten bis hin zu einer Katastrophe, die im Laufe der mit zahlreichen überraschenden Wendungen gespickten Handlung wächst und schließlich die gesamte Welt bedroht.

Bis auf ein paar Rückblenden linear erzählt wird die abwechslungsreiche Geschichte von einem personalen Erzähler, der wechselnden Figuren folgt. Corzilius' flüssiger Schreibstil ist modern und angenehm zu lesen. Actionlastige Passagen wechseln sich mit traurigen, humorvollen und geheimnisvollen Szenen ab, so dass sich ein durchgehender Spannungsbogen ergibt, der auch unterhaltsame Nebenhandlungen enthält, beispielsweise wir die Herbstgänger wie sie mit List einen Maler dazu bringen ein bestimmtes Gemälde zu erstellen oder wie sie in einem Bordell Unterschlupf finden. Durch die Rückblenden, in denen vor allem die Vorgeschichte der Charaktere beleuchtet wird, gewinnen die Figuren an Tiefe und werden für den Leser greifbarer, ihr Handeln nachvollziehbarer. Am Ende wartet dann ein wieder actionreicher, aber auch emotionaler Showdown, wobei Abschluss Raum für eine mögliche Fortsetzung lässt.

Fazit
Insgesamt ist "Diebe der Nacht" ein höchst gelungener, abenteuerlicher Fantasy-Roman mit viel Magie und Steampunk-Elementen, der packend erzählt ist. Für mich ein Lesehighlight des Jahres 2020!

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Veröffentlicht am 23.09.2020

Verdienter Gewinner des Locus-Awards

Ich bin Gideon
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Ich habe das Buch im englischen Original gelesen, kann also zur Qualität der deutschen Übersetzung nichts sagen.

Der Science-Fantasy-Roman "Gideon the Ninth" ist der erste veröffentlichte Roman der ...




Ich habe das Buch im englischen Original gelesen, kann also zur Qualität der deutschen Übersetzung nichts sagen.

Der Science-Fantasy-Roman "Gideon the Ninth" ist der erste veröffentlichte Roman der neuseeländischen Autorin Tamsyn Muir und Auftakt zur Locked-Tomb-Trilogie. Im englischsprachichen Raum wurde das Buch mit den Schlagworten "lesbische Nekromanten im All" beworben, was den Inhalt nur unzureichend beschreibt, denn Nekromanten stehen zwar im Mittelpunkt des Geschehens, aber Homosexualität spielt allenfalls eine Nebenrolle und der wesentliche Handlungsort ist nicht das Weltall.

Tamsyn Muir hat für "Gideon the Ninth" den Locus-Award für den besten Erstlingsroman 2019 gewonnen.

Worum es geht
Als die 18-jährige Waise Gideon Nav versucht, von dem Planeten zu fliehen, der vom Neunten Haus kontrolliert wird und wo sie in Leibeigenschaft aufgewachsen ist, wird ihr Vorhaben von der Thronerbin des Neunten Hauses, Harrowhark "Harrow" Nonagesimus, vereitelt. Sie überredet Gideon, als ihr Oberster Kavalier zu dienen und sie bei Harrows Bestreben zu unterstützen, Lyktor des Imperators zu werden. Im Gegenzug verspricht sie Gideon die Freiheit. Obwohl fortschrittliche Technologie vorhanden ist, kämpfen Kavaliere mit einem Rapier und einer ergänzenden Nebenhandwaffe wie beispielsweise einem Dolch. Harrow und Gideon reisen zum Planeten, der vom Ersten Haus regiert wird, wo sie zusammen mit den Erben und Kavalieren der anderen Häuser ein heruntergekommenes Herrenhaus erkunden, das als Canaan-Haus bekannt ist. Bei ihrer Erforschung von Canaan-Haus entdecken sie alte Experimente und müssen Aufgaben lösen, die mächtige nekromantische Methoden enthüllen. Nach einer Reihe unerklärlicher Todesfälle greifen die verbleibenden Häuser zu Bestechung, Erpressung und wechselnden Allianzen, um zu überleben.

Kritik
Tamsyn Muir wirft ihre Leser ohne weitschweifige Erklärungen in eine geheimnisvolle Welt, die eine faszinierende Mischung aus Science-Fiction- und Fantasy-Elementen ist. Noch dazu greift sie zu einer personalen Erzählerin (Gideon), die insofern unzuverlässig ist, als dass sie selbst nur wenig über die Hintergründe des Geschehens weiß. Gleichzeitig jongliert die Autorin mit einer Vielzahl von Figuren mit nicht immer leicht zu merkenden Namen, so dass man leicht die Übersicht verlieren könnte, gäbe es nicht am Anfang ein Auflistung, zu der man immer mal wieder zurückblättern kann. Das kann irritieren, aber der lockere Schreibstil, der zwischen teils historischen Begriffen und einer schnodderigen Sprache changiert, und der immer wieder durchblitzende Humor in dem ansonsten düsteren Setting lassen einen trotzdem leicht durchhalten. Nach und nach erfährt man dann mehr über die Zusammenhänge und die Figuren. Ungefähr ab der Mitte entwickelt sich die Geschichte dann zu einer Art klassischem Whodunit-Krimi mit einer Variation des "Und dann gab's keines mehr" Themas. Ab hier gewinnt der Roman zunehmend an Tempo.

Dass Gideon auf Frauen steht, wird an mehreren Stellen deutlich, ohne dass dies in irgendeiner Weise näher diskutiert wird oder für die Geschichte von besonderer Bedeutung wäre. Mit Harrowhark verbindet sie eine über Jahre gewachsene Hassliebe, die dazu führt, dass die beiden sich seit ihrer Kindheit regelmäßig gegenseitig provozieren und quälen. Gleichzeitig steht Gideon unverrückbar treu zu ihrer Nekromantin, ob aus Eigennutz oder aus Vertrautheit ist lange unklar. Beide Charaktere durchlaufen im Zuge der Handlung eine innere wie äußere Entwicklung. Überhaupt sind Gideon und Harrow zwei der interessantesten Romanfiguren seit langem: starke, selbstbewusste, vielschichtige, intelligente Heldinnen, die auf den ersten Blick nicht unbedingt sympathisch wirken, aber unter ihrer harten Schale eine anrührende Verletzlichkeit verbergen. Während Harrowhark eher ein übersinnlicher Nerd ist, verfügt Gideon über Instinkt und Bauerschläue. Beide sind mir schnell ans Herz gewachsen, so dass das Ende eine ziemliche Überraschung war, die ich an dieser Stelle natürlich nicht verraten möchte.

Fazit

"Giden the Ninth" ist kein Buch, dass man nebenbei schnell durchliest, sondern bedarf einer gewissen Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich wird man sogar bei der Lektüre der Fortsetzung(en) nochmals darauf zurückgreifen und Dinge nachschlagen, wenn Passagen plötzlich in neuem Licht erscheinen. Aber wer durchhält, wird mit einer fesselnden Geschichte, außergewöhnlichem Worldbuidung und jeder Menge Sense of Wonder belohnt.

Ich freue mich schon auf "Harrow the Ninth".

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Veröffentlicht am 19.09.2020

Bitterböse Satire

Das Palais muss brennen
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Vorab vielen Dank an den Verlag Kiepenheuer & Witsch sowie NetGalleyDE, dass ich dieses Buch für eine ehrliche Rezension vorab lesen durfte.

"Das Palais muss brennen" ist das Romandebüt der österreichischen ...

Vorab vielen Dank an den Verlag Kiepenheuer & Witsch sowie NetGalleyDE, dass ich dieses Buch für eine ehrliche Rezension vorab lesen durfte.

"Das Palais muss brennen" ist das Romandebüt der österreichischen Autorin Mercedes Spannnagel, die für ihre Texte schon mehrfach ausgezeichnet wurde. Mit knapp unter 200 Seiten eher ein literarischer Snack als ein episches Werk.

Worum es geht
Im Mittelpunkt der bitterbösen Geschichte steht Luise, deren Mutter die rechtskonservative Bundespräsidentin Österreichs ist und mit der sie sich im Dauerclinch befindet. Sie lässt kaum eine Gelegenheit aus, ihre Mutter zu provozieren: Sei es, dass sie sich als Kontrast zu deren neun edlen Windhunden einen Mops zulegt, den sie Marx tauft, oder eine High-Society-Jagdgesellschaft dadurch torpediert, dass sie deren Waffen im Swimmingpool versenkt. Auch politisch lehnt Luise die Partei ihrer Mutter ab, möchte am liebsten die amtierende Regierung durch eine Kunstaktion mit ihrer Schwester Yara zum Wiener Opernball stürzen. Doch es läuft nicht ganz so wie geplant.

Kritik
Die Thematik des erstarkenden Rechtspopulismus in Europa ist brandaktuell. Der Roman zeichnet am Beispiel der österreichischen Republik scharfzüngig das realistische Bild einer tief gespaltenen Gesellschaft. Dabei ist "Das Palais muss brennen" aber keine todernste Politdystopie, sondern eine rasante, witzige Satire über Widerstand im Spannungsfeld zwischen post-pubertärer Rebellion und politischer Opposition. Mit frischer Sprache erzählt Mercedes Spannagel, wie eine vordergründig auf Moral und Ordnung pochende, darunter aber korrupte rechte Elite von ihren eigenen Kindern gestürzt werden kann. Das ist nicht nur unterhaltsam, sondern regt auch zum Nachdenken an. So manchem realen Politiker würde man ein Tochter wie Luisa wünschen.

Fazit
Klare Kaufempfehlung!

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