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Veröffentlicht am 03.11.2020

Demontage einer scheinbar idyllischen Vorzeigefamilie

Kleine Feuer überall
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Wie im Erstlingswerk "Was ich Euch nicht erzählte", beginnt auch Celeste Ngs zweiter Roman mit dem Ende der Geschichte: Das Haus der Familie Richardson im feinen Vorort Shaker Heights steht in Flammen. ...

Wie im Erstlingswerk "Was ich Euch nicht erzählte", beginnt auch Celeste Ngs zweiter Roman mit dem Ende der Geschichte: Das Haus der Familie Richardson im feinen Vorort Shaker Heights steht in Flammen. Hilfslos muss Elena Richardson zusehen, wie ihr Lebenstraum von einer perfekten Familie in einem perfekten Haus in Rauch aufgeht.

Der Autorin ist erneut ein absolut fesselnder Roman gelungen. Mit feiner Beobachtungsgabe zeichnet sie das Bild einer amerikanischen Familie und deren Umfeld und beleuchtet gleichzeitig zahlreiche gesellschaftliche Probleme. Auf nicht einmal 400 Seiten erwachen so viele Charaktere zum Leben, werden so viele Verwicklungen und Verstrickungen entwirrt, das man es gar nicht glauben kann.

Im Zentrum des Romans steht Elena, die mit Anwaltsehemann und ihren vier Kindern ein sorgenfreies Leben führt. Bis die neuen Mieter ihres Zweithauses in die Familie Richardson eingesogen werden. Die Künstlerin Mia und ihre Tochter Pearl sind das komplette Gegenteil der durchorganisierten Richardsons. Sie ziehen ständig um und ihr gesamtes Leben passt in ein Auto. Was zunächst nur wie das Aufeinanderprallen zweier unterschiedlicher Lebensformen aussieht, entpuppt sich als tiefgehende Kollision von zwei Frauen und ihrer Auffassung von Glück, Gerechtigkeit und Mutterliebe.

Die Geschichte liest sich sehr kurzweilig und spannend und man verfolgt atemlos, wie sich die Handlung langsam aber unausweichlich auf das Feuer zubewegt. Die unterschiedlichen Lebenswege der Protagonistinnen werden in Rückblenden erzählt. Dadurch werden im Nachhinein viele Verhaltensweisen (vor allem von Mia) deutlich.

Die Charaktere haben mir sehr gut gefallen. Bei der Fülle an Figuren sind die Männer etwas abgeschlagen, allerdings stehen die Mütter auch im Zentrum der Geschichte. Mutterliebe und Geschwisterdynamik sind die ausschlaggebenden Kräfte für alle Handlungen. Trotz der relativen Kürze des Romans sind die wichtigen Charaktere wunderbar nachvollziehbar gezeichnet.

Der Schreibstil liest sich sehr angenehm. Die Autorin versteht es, Stimmungen wiederzugeben und Kleinigkeiten mit großer Symbolwirkung zu beschreiben, dennoch bleibt sie auf das Wesentliche beschränkt.

Die Geschichte mit ihren vielen Geheimnissen und Verwicklungen hat mir sehr gut gefallen und ich vergebe fünf Sterne.

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Veröffentlicht am 27.08.2020

Schicksal zweier Schwestern im Berlin der Nachkriegszeit

Kinder ihrer Zeit
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"Kinder ihrer Zeit" war mein erstes Buch von Claire Winter, die mir bisher als Autorin nicht bekannt war. Das Buch hat mich absolut überzeugt, sowohl inhaltlich als auch vom Schreibstil. Ich freue mich, ...

"Kinder ihrer Zeit" war mein erstes Buch von Claire Winter, die mir bisher als Autorin nicht bekannt war. Das Buch hat mich absolut überzeugt, sowohl inhaltlich als auch vom Schreibstil. Ich freue mich, eine neue Autorin entdeckt zu haben, deren bisher erschienene Bücher ich ebenfalls lesen werde.

Rosa Lichtenberg flüchtet im Winter 1945 vor den näher kommenden Russen mit ihren elfjährigen Zwillingstöchtern Emma und Alice aus Ostpreußen. Auf dieser Flucht verliert die Mutter eines ihrer Kinder und plagt sich noch Jahre später mit Vorwürfen. In Berlin finden Rosa und Emma eine neue Bleibe und führen ein bescheidenes Leben. Erst als die Zwillinge über 20 Jahre alt sind, begegnen sie sich wieder: In Berlin, das in einen Ost- und Westsektor geteilt ist. Wie die zwei Teile der Stadt sind auch die jungen Frauen grundverschieden. Eine vertrauensvolle Beziehung ist schwer möglich, da beide von den Idealen ihres Landes überzeugt sind. Zwischen dem überbordenden Angebot im Westen und dem Mangel im Osten pendeln Emma und Alice hin und her, ebenso wie zwischen den verschiedenen Mächten und Geheimdiensten.

Claire Winter hat einen wirklich wunderbaren, anspruchsvollen Schmöker geschrieben, in den man völlig versinken und einer spannenden und emotionalen Geschichte folgen kann. Mit der Stadt Berlin zwischen Kriegsende und Mauerbau hat sie einen immens dramatischen und aufregenden Handlungsort gefunden. Die fesselnde Geschichte von Emma und Alice, Max und Julius (natürlich gibt es auch gut aussehende Männer in der Handlung) besticht durch die vielen Details, unerwarteten Wendungen und die Einbettung in historische Fakten. Dabei lesen sich die Fakten nicht minder faszinierend wie die überaus ausgefeilte fiktionale Geschichte.

Man fühlt sich teilweise wie im Schleudergang, wenn wieder das nächste Ereignis auf die jungen Leute hereinbricht oder wenn sich wieder ein Hindernis in den Weg stellt.

Die Autorin hat einen sehr angenehmen Schreibstil, der sich leicht und schnell lesen läßt. Weder ist er zu blumig, noch zu anspruchsvoll. Er tritt zugunsten der Handlung in den Hintergrund; das hatte für mich teilweise den Effekt, als würde ich einen Film anschauen.

Vor allem Emma ist ein sympathischer Charakter, der mir sehr gefallen hat. Max und Julius sind durch ihren jeweiligen Lebenslauf ebenfalls Figuren, mit denen man absolut mitleiden und -fiebern kann. Auch die Bösewichte sind sehr gut gelungen, denn denen wünscht man die Pest an den Hals. Bei einzelnen Nebenfiguren hätte ich mir am Ende noch einen kleinen Ausblick gewünscht, um zu erfahren, was aus ihnen geworden ist.

Die Kapitel haben eine angenehme Länge und die größeren Abschnitte, die etwa jeweils 100 Seiten umfassen, enden stets mit einer brisanten Entwicklung.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Die fiktive, ereignisreiche Geschichte der Zwillinge war wunderbar in die Geschichte des geteilten Berlin, seiner überaus schwierigen politischen Situation und der allgemeinen Stimmung zwischen Ost und West eingebettet. Man merkt dem Roman die sehr aufwendige Recherchearbeit an. Sehr kenntnisreich und verständlich werden diese politischen Ereignisse durch die Autorin vermittelt.

Ich kann das Buch sehr empfehlen. Es liest sich leicht und flott, trotz der schweren Themen Flucht, Kriegsende, Unrechtsstaat und Spionage.

"Kinder ihrer Zeit" erhält fünf Sterne.




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Veröffentlicht am 27.08.2020

Mit wilder Freude gegen das K

Wilde Freude
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K wie Krebs steht auf der Krankenakte von Jeanne, einer sympathischen Buchhändlerin aus Paris. Plötzlich sitzt auch sie im Warteraum vor der Chemotherapie, voller Angst, Zweifel und Einsamkeit. Und gerade ...

K wie Krebs steht auf der Krankenakte von Jeanne, einer sympathischen Buchhändlerin aus Paris. Plötzlich sitzt auch sie im Warteraum vor der Chemotherapie, voller Angst, Zweifel und Einsamkeit. Und gerade hier trifft sie auf die Frauen, die ihrem Leben in der Krankheit eine neue Richtung geben. Verlassen von ihrem Mann und bereits mit schwerem seelischen Gepäck auf dem Rücken macht Jeanne sich auf, um für das Leben zu kämpfen. Was sie schließlich dazu bringt, mit den drei anderen Frauen einen Überfall auf einen Juwelier zu planen, sei hier noch nicht verraten.
Ein wirklich großartiges Buch hat Sorj Chalandon geschrieben. Das Thema Krebserkrankung wird aus der Sicht von Jeanne so unmittelbar geschildert, mit so vielen Empfindungen, Gedanken und Ängsten im Verlauf der Geschichte, dass ich nicht glauben konnte, dass hier ein männlicher Autor gewirkt hat.
Mich haben die Geschichte und auch der Schreibstil sehr beeindruckt. Man leidet mit Jeanne und auch den anderen Frauen und muss sich doch fragen, wie man selbst reagiert, wenn das Thema Krebs plötzlich im Raum steht. Starrt man selbst eine Frau ohne Haare im Bus an oder sieht mitleidsvoll hinüber? Trotz aller Traurigkeit ist das Buch nicht traurig. Es verbreitet vielmehr eine Stimmung, um nach vorn zu schauen, weiterzumachen, dem Leben entgegen zu schwimmen. 
Die Geschichte lebt von der Handlung und den Gesprächen. Hier verwendet der Autor oft anstelle der wörtlichen, die indirekte Rede. Er läßt Jeanne im Konjunktiv erzählen, was die anderen gesagt haben. So fallen viele Anführungszeichen und Begleitsätze (Er sagte:) weg, das erleichtert das Lesen. Außerdem wird durch die indirekte Rede noch eine Art Filter über die Sätze gelegt, denn dies alles kommt nun aus Jeannes Mund, die es zuerst gehört hat und es nun wiedergibt. Es gibt wenige lange Sätze oder gar verschachtelte, meist sind es kürzere Sätze. Klare Sätze, ohne Schnickschnack. 
Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Es ist emotional, einfühlsam und erzählt eine aussergewöhnliche Geschichte, die stellenweise Krimielemente bietet. Es liest sich leicht, trotz des schweren Grundthemas und vermittelt, dass es sich lohnt, sich sein Schicksal wieder zurückzuholen. 
Ich vergebe fünf Sterne und eine klare Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 13.08.2020

Amüsante Geschichte aus der Kunstwelt

Ein Mann der Kunst
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Ein verschrobener Künstler, ein Museums-Förderverein und eine Busreise. Aus diesen Komponenten hat der Autor Kristof Magnusson ein höchst amüsantes Buch gemacht, das mich prima unterhalten hat.

Da sitzt ...

Ein verschrobener Künstler, ein Museums-Förderverein und eine Busreise. Aus diesen Komponenten hat der Autor Kristof Magnusson ein höchst amüsantes Buch gemacht, das mich prima unterhalten hat.

Da sitzt der Architekt Constantin Marx plötzlich für seine Mutter in einer Sitzung, in der es um eine Millionenförderung für einen Museumsanbau geht, dabei plagen ihn ganz andere Sorgen.
Der Architekt wird als die eher bodenständige Figur eingeführt, die etwas "Reelles", nämlich Häuser erschafft, die sich mit Handwerkern und Terminen rumplagen und es den Bauherren auch noch recht und billig machen muss.
Demgegenüber schildert der Autor die Kunstszene mit Förderverein, enthusiastischem Vorstand (Ingeborg, die Mutter des Architekten), Museumsleitung und den potentiellen politischen Geldgebern aus Frankfurt und Berlin - es geht um 20 Millionen Euro - schon fast satirisch überzeichnet.
Der Museumsanbau soll einem einzelnen Künstler gewidmet werden, dem menschenscheuen KD Pratz, der sich auf eine Burg am Rhein zurückgezogen hat. Der Museums-Förderverein ist sich jedoch noch uneins und die Zweifler sollen mit einem exklusiven Besuch auf der Burg ins Boot geholt werden. Der Reisebus bringt die Kunstfreunde in den lieblichen Rheingau und - man ahnt es bereits - nichts läuft wie geplant.


Magnusson schreibt flott, witzig und kenntnisreich. Er läßt viele reale Namen aus der Kunstszene und aus dem täglichen Leben einfließen. Die Kunstszene wird hier aufs Korn genommen, in der Prestige und eigene Vorteile an erster Stelle stehen. Der Autor hat mit Constantin, dem Ich-Erzäher, eine sympathische Figur geschaffen, die wir nun auf dem Weg zum Künstler begleiten dürfen. Aber auch alle anderen Charakter vom Museumsdirektor bis zu den reichen Kunstfreunden aller Couleur sind wunderbar "gezeichnet". Es macht einfach Spaß, der Entwicklung der Handlung zu folgen.

Das Buch hat mich zuerst wegen des wirklich schönen, etwas altmodisch anmutenden Covers angesprochen. Die Geschichte hat mir sehr gut gefallen und sie steckt voller schöner Sprachmomente und famosem Sprachwitz.
Dem Mann der Kunst gebe ich fünf Sterne und eine klare Leseempfehlung - auch für Kunstmuffel!

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Veröffentlicht am 24.07.2020

Jugendbuch mit Sogwirkung

After the Fire - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2021
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Will Hill hat mit seinem Jugendroman „After the fire“ ein tief trauriges, aufrüttelndes und sehr spannendes Buch vorgelegt. Mich hat die Geschichte gefangen genommen. Ab der Hälfte konnte ich nicht mehr ...

Will Hill hat mit seinem Jugendroman „After the fire“ ein tief trauriges, aufrüttelndes und sehr spannendes Buch vorgelegt. Mich hat die Geschichte gefangen genommen. Ab der Hälfte konnte ich nicht mehr aufhören und habe es bis spät in die Nacht hinein zu Ende lesen müssen.

Die Geschichte setzt mit dem titelgebenden Feuer ein. Die geschilderte Situation mit Schüssen, Lärm, Feuer, Panzern und Toten läßt rasch darauf schließen, dass offenbar staatliche Organe die Siedlung eines Propheten namens Father John angreifen und die Bewohner sich heftig wehren. Die Ich-Erzählerin kann dank eines Generalschlüssels eingesperrte Kinder vor den Flammen retten, wird aber selbst verletzt. Mit ihrem Erwachen im Krankenhaus und der Verlegung in die geschlossene Abteilung eines Municipal Center beginnt nun die Handlung in der Gegenwart.
Dr. Robert Hernandez, Leiter einer universitären Kinderpsychiatrie, und FBI-Agent Carlyle wollen der verstörten siebzehnjährigen Moonbeam helfen und gleichzeitig erfahren, was sich auf dem Gelände der „Legion“ in der Wüste von Texas abgespielt hat.
In kurzen Kapiteln, die mit „Davor“ und „Danach“ betitelt sind, springt die Handlung zwischen den Gesprächen in der Klinik und den Berichten Moonbeams über die Ereignisse in der Basis vor dem Feuer hin und her.

Der Autor schildert die Geschehnisse konsequent aus der Sicht des Mädchens. Er läßt uns an ihren Gedanken, Zweifeln und Ängsten teilhaben. Ihre inneren Kämpfe, die sie gegen den übermächtigen Father John und seine Weltsicht bestreitet, lassen erahnen, welche Macht der „Prophet“ über seine Gemeinde hatte. Wie Mooenbeams erste Zweifel sich Bahn brechen und sie ganz langsam Vertrauen zu Hernandez und Carlyle entwickelt, wird sehr eindrücklich geschildert. Hills Schreibstil ist mitreißend. Er läßt ein intelligentes, emphatisches und sympathisches Mädchen sprechen und erweckt es so zum Leben.

Moonbeams Leben in der Gemeinschaft von Father John setzt sich im Laufe der Geschichte aus lauter Puzzelstückchen zusammen und läßt die Leser erschüttert zurück. Hill nennt die Ereignisse in Waco, Texas, aus dem Jahr 1993 als Impuls für den vorliegenden Roman. Wer sich noch an die Belagerung des Geländes der Sekte und dessen Erstürmung erinnern kann, wird Parallelen finden. Der Autor versucht, Antworten zu finden, wie es zu einem solchen Ereignis kommen kann.
Die Beschreibung der Verhältnisse innerhalb des fiktiven Geländes der „Legion“ sind dramatisch und bestürzend. Das geschilderte seelische und körperliche Leid nimmt die Leser mit. Es ist stellenweise ein wirklich tief trauriges Buch, das auch wütend macht. Die Figur der Moonbeam versöhnt aber, trotz aller Widrigkeiten, die sie aushalten muss.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Es ist unglaublich spannend und emotional. Das Thema ist extrem interessant und die Umsetzung meines Erachtens sehr gut gelungen und auch für junge Leser verständlich vermittelt. Der Roman wird offiziell ab 14 empfohlen, ich würde 16 für angemessener halten. Der Inhalt wirkt noch lange nach und ist eher nichts für empfindliche junge Leser. Noch eine Anmerkung zum Cover: Es ist nicht nur farblich sehr auffällig und thematisch hervorragend gestaltet, sondern auch haptisch etwas ganz Besonderes.
„After the fire“ erhält fünf Sterne und eine klare Leseempfehlung.

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