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Veröffentlicht am 07.03.2021

Rührendes Jugend-Abenteuer

Der große Sommer
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Friedrich, gern auch Frieder genannt, ist ein ganz normaler 16-Jähriger mit schulischen Problemen. Da er durchzufallen droht, soll er die Sommerferien beim Großvater verbringen und nicht mit der Familie ...

Friedrich, gern auch Frieder genannt, ist ein ganz normaler 16-Jähriger mit schulischen Problemen. Da er durchzufallen droht, soll er die Sommerferien beim Großvater verbringen und nicht mit der Familie in den Urlaub fahren. Der Großvater, ein Gelehrter, stocksteif, stets diszipliniert, sich an Regeln haltend. Entsprechend groß ist Frieders Vorfreude. Glücklicherweise ist noch die Oma da.

Doch auch der Großvater ist kein Unmensch, vormittags soll Frieder lernen, nachmittags hat er frei. Sogar einen Ferienjob zum Aufbessern seines Taschengeldes bietet der Großvater seinem Enkel an. So verbringt Frieder noch ganz viel Zeit mit seiner ebenfalls zu Hause gebliebenen Schwester Alma, seinem besten Freund Johann und mit Beate, die ihm seit der Mutprobe im Schwimmbad nicht mehr aus dem Kopf geht.

Der Autor zeichnet ein interessantes Beziehungsgeflecht innerhalb der Clique, stattet die Charaktere mit einer differenzierten Basiskonstitution in Sprachgebrauch und Emotionalität aus. Gleichzeitig müssen sich alle Vier mit ihrer jeweils anders unperfekten Vaterfigur auseinandersetzen. Alma habe ich eher als Friedrichs beste Freundin wahrgenommen, denn als Schwester. Die beiden sind ein Herz und eine Seele, von außen betrachtet wirken sie eher als Pärchen. Johann ist für mich so eine Art Impulsgeber für allerlei, nicht immer legale Abenteuer, die die Freunde auf dem Weg ins Erwachsenwerden erleben. Dabei ist er nicht unbedingt der Ideengeber, sondern mehr der Treiber, dass sie ihre Vorhaben tatsächlich umsetzen. So gehen die Freunde manches Risiko ein, testen Grenzen aus. Beate ist Frieders erste Liebe. Sie hat ihn im Schwimmbad dermaßen beeindruckt, dass er sie unbedingt näher kennen lernen muss. Natürlich ist diese erste Annäherung an das andere Geschlecht mit Stolpersteinen gespickt.

„Der große Sommer“ war eine ganz wunderbare Geschichte für mich. Die Beschreibung des Erwachsenwerdens hat mich stark an meine eigene Zeit mit 16 erinnert. Jedes Ziel war mit dem Fahrrad erreichbar, das Leben fand draußen statt. Auch der Zeitgeist der frühen Achtzigerjahre ist sehr schön eingefangen. Der (ängstliche) Respekt gegenüber Erwachsenen, insbesondere gegenüber den Männern beispielsweise, ist so heute nicht mehr üblich. Das Rauchen wie Essen und Trinken kennen wir auch fast schon nicht mehr. Dazu Ewald Arenz‘ zeitgemäße Sprache gespickt mit damals gebräuchlichen Sprüchen.

So wird aus dieser Geschichte mit Tiefgang auch ein Lese-Erlebnis, das einen Auflachen lässt. Ich genoss diesen Roman meist schmunzelnd über die Unbedarftheiten der Jugendlichen. Hier empfand ich manches Vorhersehbares als überhaupt nicht störend, weil aus der Brille des Erwachsenen natürlich klar ist, was schiefgehen kann. Da wäre es enttäuschend und unglaubwürdig, wenn es dann nicht so wäre. Zeitweise ging mir „Der große Sommer“ aber auch mächtig ans Herz. Gerade so konnte ich, sich anbahnende Tränen zurück drängen.

Eine tolle Geschichte, die ich gern weiterempfehle.

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Veröffentlicht am 13.02.2021

Abenteuer und erste schüchterne Liebe in einem

Elchtage
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Von dem sehr einladend wirkenden Cover habe ich mich - ähnlich wie ein Elch durch Futter - regelrecht anlocken lassen. Der sich streicheln lassende Elch ist zutraulich und kuschelig, einfach nur schön. ...

Von dem sehr einladend wirkenden Cover habe ich mich - ähnlich wie ein Elch durch Futter - regelrecht anlocken lassen. Der sich streicheln lassende Elch ist zutraulich und kuschelig, einfach nur schön. Die Sternchen an seinem Hals ein echtes Highlight. Dazu kommt diese wohlige Stimmung durch den Lichteinfall, wo sich der Buchtitel im Wasser spiegelt. So ein wunderbares Buch muss man einfach lesen.

Johanna ist das Mädchen auf dem Bild. Obwohl sie sich über die Sommerferien nicht verändert hat, gehört sie danach irgendwie nicht mehr dazu. Ihre beste Freundin Sandra möchte jetzt lieber ihre Zeit mit den beliebten Mädchen der Klasse verbringen. Johanna sei ihr zu langweilig geworden, behauptet sie. So verbringt die Naturfreundin nun allein ihre Freizeit in der einstmals gemeinsamen Hütte im Wald. Doch wirklich allein bleibt sie nur kurz. Eines Tages spazieren nämlich Elche an ihrer Hütte entlang, sie kommen sogar ganz dicht an sie heran, lassen sich Füttern und Streicheln. Doch diese Zutraulichkeit bringt die Elche in Gefahr. Die Jagdsaison beginnt.

Als merkwürdige Dinge im Wald vorgehen, ist Johanna mittendrin im Abenteuer. Neue Leute treten in ihr Leben ein, darunter auch ein interessanter Junge. In kurzen Kapiteln führt Malin Klingenberg die Leserinnen durch die Geschichte. Sie nimmt die Leserinnen mit in die Wildnis, regt zum Nachdenken hinsichtlich Tierwohl und Umweltschutz an, ohne dabei oberlehrerhaft zu wirken. Darüber hinaus beschreibt die Autorin sehr einfühlsam erste, vielleicht irritierende Gefühle gegenüber jemanden, der nicht zur Familie gehört. Sie erzählt von den allerersten Schritten auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Sprachlich bewegt sie sich auf einem ansprechenden Niveau, das gleichzeitig fordert, aber nicht überfordert. Ich empfinde es für die empfohlene Altersgruppe ab 11 Jahre sehr gut geeignet.

Mir hat ganz besonders das Einfühlungsvermögen der Autorin gefallen. Etwas märchenhaft verpackt, spricht Malin Klingenberg Themen an, die die angesprochene Altersgruppe eigentlich zum Wegrennen findet. Durch das Setting entsteht eine gewisse Wohlfühlatmosphäre, die öffnet und aushalten lässt. Elchtage ist ein sehr schöner Jugendroman, den ich gern weiterempfehle.

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Veröffentlicht am 31.01.2021

Das Leben mit und in der Spielzeugmanufaktur

Wo wir Kinder waren
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Der in zwei Zeitebenen erzählte Roman beginnt mit der Internet-Auktion zu einer historischen Puppe von 1910, die von Albert Langbein selbst bemalt wurde. Er, der 1898 die Spielzeugmanufaktur Langbein gegründet ...

Der in zwei Zeitebenen erzählte Roman beginnt mit der Internet-Auktion zu einer historischen Puppe von 1910, die von Albert Langbein selbst bemalt wurde. Er, der 1898 die Spielzeugmanufaktur Langbein gegründet hatte. Nun konkurrieren die Cousinen Eva und Iris im Bieterwettstreit um die Puppe, treiben den Preis sinnlos in die Höhe. Die beiden zerstrittenen Nachfahren der Langbeins sind von Neid und Missgunst geprägt, keine guten Voraussetzungen, um das alte Stammhaus ihrer Familie gemeinsam mit ihrem Cousin Jan zu entrümpeln.

So beginnt die Aktion zunächst als Tortur aus gegeneinander gerichteten Spitzen und Lästereien, weil jeder nur die Schwächen der Anderen sieht. Trotzdem nehmen sich die drei Raum für Raum vor, räumen alles aus. Dabei stolpern sie immer wieder über Erinnerungsstücke. Während der Verhandlungen darüber, was weggeworfen, verkauft oder aufgehoben werden soll, tauchen sie in die Vergangenheit ein.

Ganz automatisch nehmen die Drei die Leserinnen mit auf ihre Erinnerungsreise. Gern habe ich die Sonneberger Spielzeugmacher bei ihren Vorbereitungen für die Weltausstellung beobachtet, habe mit Erstaunen und Bewunderung die Heimarbeiterinnen und ihre Kinder bis spät am Abend an Puppenteilen werkeln sehen. Dann kamen die beiden großen Kriege und schließlich die schrittweise Zwangsenteignung. Jedes Ereignis brachte den Langbeins neue Herausforderungen, die Kati Naumann in berührender Weise schildert. Der ganze Roman unterliegt somit einer gewissen Melancholie, der jedoch stets auch ein Fünkchen Hoffnung innewohnt.

Am besten gefallen hat mir die Erinnerung an sich. Die Gute Stube mit der schweren dunklen Kredenz darin kenne ich noch, auch ein Küchensofa und die unglaubliche Sparsamkeit, als es den Leuten eigentlich schon wieder viel besser ging. Die Botengänge, wo einfach die Kinder geschickt worden, hatte ich schon fast vergessen. Darüberhinaus zauberten mir die Spontanbesuche der Nachbarn, die dann zum Unzeitpunkt Sitzefleisch entwickeln konnten, ein Lächeln ins Gesicht.

Zudem mochte ich die Ausarbeitung der Charaktere sowie deren Beziehungen untereinander. Von jedem hatte ich eine bildliche Vorstellung zu Statur, Kleidungsstil und Gesichtszügen. Ich hatte den Eindruck, sämtliche Gefühlsregungen der Protagonist*innen direkt vor mir zu sehen. Angetan war ich von der nie abreißenden Zuneigung, die lange Zeit das Zusammenleben bestimmt hatte. Selbst in den widrigsten Zeiten hatten sie sich wenigstens gegenseitig.

„Wo wir Kinder waren“ war für mich insgesamt noch bedrückender als „Was uns erinnern lässt“. Dieser erste Erinnerungsroman hatte in meiner Wahrnehmung mehr Leichtigkeit. Das habe ich hier ein wenig vermisst. Letztlich hat die etwas düstere Atmosphäre mein Lesevergnügen aber nicht eingeschränkt. Schön fand ich die Verbindung zwischen beiden über den Ausflug in die Sommerfrische ins Hotel Waldeshöh am Rennsteig.

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Veröffentlicht am 17.01.2021

Streitbar par excellence

Hingabe
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Das Setting ist ein sehr traditionell anmutendes galizisches Dorf. Die raue, stets alkoholisierte Männerwelt bestimmt das Leben auf dem Land. Zu den Mahlzeiten trifft Man(n) sich bei Álvaro in der Kneipe, ...

Das Setting ist ein sehr traditionell anmutendes galizisches Dorf. Die raue, stets alkoholisierte Männerwelt bestimmt das Leben auf dem Land. Zu den Mahlzeiten trifft Man(n) sich bei Álvaro in der Kneipe, regelt seine Probleme mit der Faust. Erst abends nach der Arbeit kehrt man heim. Frauen dagegen führen ein Leben im Hintergrund, treten kaum in Erscheinung.

Auf ihrem Weg zum Meer kommt Suiza in diese für sie unwirtliche Gegend. Die Männer halten dem Atem an. Mit ihren rotblonden Haaren, ihrem blaßen Teint, ihrer Zartheit verdreht Suiza, ohne es zu wollen, sofort allen den Kopf. Der Großbauer Tomás kann sich überhaupt nicht bremsen. Er fragt nicht, er flirtet nicht, er nimmt sie einfach. Die Gewalt, die dabei im Spiel ist, stößt mich ab. Gleichzeitig ist die Geschichte wie ein Sog. Ich kann nicht ganz einordnen, woran das liegt, vermutlich weil Suiza nicht bei erster Gelegenheit wegrennt. Was lässt sie bei ihm bleiben, obwohl sie doch ans Meer wollte?

Im weiteren Verlauf nähern sich Tomás und Suiza einander an, ein gewisser Ausgleich findet statt. Trotzdem verharrt Tomás in seiner patriarchalen Welt und ordnet Suiza in diese ein. Auch die Gewalt beim Sex bleibt erhalten. Selbst in Situationen, wo Suiza ihn zu sexuellen Handlungen animiert, bestimmt Tomás auf brutale Weise das Geschehen. Suiza lässt es geschehen, scheint sogar Gefallen daran zu finden.

Es ist eine amour fou. Wie ein Drogensüchtiger ist Tomás darauf angewiesen, seine unbändige Lust auszuleben, seine Gier nach ihr zu stillen. Suiza gibt sich Tomás körperlich hin, ist häuslich, tut alles, um ihrem Mann zu dienen. Sie betet ihn förmlich an. Ist es eine Liebe, die unterschiedliche Schwerpunkte setzt, die emanzipierte Erwartungen ignoriert oder ist es ein Abhängigkeitsverhältnis? Das muss letztlich jede(r) Leser*in selbst entscheiden.

Wenngleich ich manch beschriebene Handlung ablehne, hat mir der Roman selbst doch sehr gut gefallen. Die durchgehend geschürte Hoffnung auf ein anderes Ansehen Suiza’s im Dorf und ihre Besserstellung in der Beziehung zu Tomás hatten eine äußerst anziehende Wirkung auf mich. Ergänzt wird das Vergnügen durch eine ganz wunderbar bildhafte Sprache, die sich sogar den einzelnen Blättern des Waldes widmet.

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Veröffentlicht am 30.12.2020

Mein bisher spannendster Fall von Nyström und Forss

Die Taten der Toten
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Seit dreißig Jahren ist der Mord am streitbaren Regierungschef, Olof Palme, ein nationales Trauma für Schweden. Der größte Kriminalfall der schwedischen Geschichte konnte trotz unzähliger Hinweise und ...

Seit dreißig Jahren ist der Mord am streitbaren Regierungschef, Olof Palme, ein nationales Trauma für Schweden. Der größte Kriminalfall der schwedischen Geschichte konnte trotz unzähliger Hinweise und Ermittlungsakten nicht geklärt werden. Nun haben die bereits aus den vorherigen Fällen bekannten Ermittlerinnen Nyström und Forss eine Spur aufgetan. Da es für ihren Anfangsverdacht noch keine belastbaren Beweise gibt, ermitteln sie unter dem Radar. Schweren Herzens zieht Nyström alle Kollegen ihres Teams in die Sache mit hinein.

Schnell wird deutlich, dass nicht alle Kollegen mit gleichem Elan an den Fall herangehen. Je nach Herkunft und gesammelter Lebenserfahrung gibt es Palme-Fans unter ihnen wie auch Kritiker. Damit spiegeln sie so ungefähr auch die Haltung in der schwedischen Gesellschaft wider. Denn obwohl Olof Palme allgemein recht beliebt war, hatte er ebenso erbitterte Gegner.

Als Leser wechseln wir zwischen den Ermittlern hin und her, beobachten mal die beiden Hauptpersonen Nyström und Forss, aber auch Delgado, Hultin und den sehr sympathischen Knutsson. Lasse Knutsson war zwar auch bei den anderen Fällen, die ich kenne, mit dabei, mir bisher allerdings noch nie so positiv ins Auge gefallen.
Durch das wechselseitige Beobachten lernen wir nicht nur die jeweilige politische Einstellung der Ermittler kennen, wir haben auch einen gewissen Ermittlungsvorsprung, weil wir die Einzelergebnisse schon miteinander kombinieren können. Etwas vermisst habe ich dieses Mal die Rechtsmedizinerin Ann-Vivika Kimsel, die nur kurz in die Handlung eintritt.

Natürlich ist es auch dieses Mal wieder richtig spannend. Die Spannung ist fast sofort da, steigt ein paar Kapitel steil an und bleibt dann bis zum Schluss auf ihrem hohen Niveau. Kein Hänger zwischendurch, keine Zeit zum Durchatmen. Vielleicht liegt es an der Mischung aus realen Ereignissen und Fiktion. So erscheint der ganze Fall extrem glaubwürdig. Möglicherweise ist die Ermittlung insgesamt noch gefährlicher, auf jeden Fall politisch brisant.

Mir hat dieser Fall bisher am besten gefallen. Die nachvollziehbaren realen Anteile erschienen mir hervorragend recherchiert. Etwas überrascht war ich von Ingrid Nyström und vom Ende. „Die Taten der Toten“ lässt mich begeistert zurück. Gern empfehle ich diesen Krimi weiter.

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