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Veröffentlicht am 29.01.2021

Herausragend strukturiert

Das Verschwinden der Erde
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Lange habe ich überlegt, ob ich diesem faszinierendem Werk vier oder fünf Sterne gebe. Die Art und Weise, wie der Stoff konstruiert wurde, ist wirklich außergewöhnlich. Ein bisschen fühlte ich mich an ...

Lange habe ich überlegt, ob ich diesem faszinierendem Werk vier oder fünf Sterne gebe. Die Art und Weise, wie der Stoff konstruiert wurde, ist wirklich außergewöhnlich. Ein bisschen fühlte ich mich an Episodenfilme erinnert. Hier steht jedes Kapitel für einen Monat des Jahres. Eigentlich ist jedes Kapitel auch eine kleine Kurzgeschichte, die überwiegend für sich allein stehen kann, und mich jedes Mal schnell in den Bann gezogen hat. Das muss der Autorin erstmal jemand nachmachen.

Aber Moment mal - eigentlich bin ich doch kein Fan von Episodenfilmen. Und dies ist es auch, warum ich mich letztendlich für vier Sterne entschieden habe, obwohl nur wenige meiner Bücher ebenso viele Klebezettelchen mit zitierwürdigen Sätzen enthalten. Hauptfiguren der einzelnen Kapitel tauchen durchaus in späteren Kapitel noch als Nebenfiguren auf. Da mich einige aber wirklich sehr interessierten, blieb ich an der einen oder anderen Stelle seltsam unbefriedigt, weil ich ihrer Geschichte gar nicht oder kaum weiter folgen durfte. Also etwa so, als hätte man einem Esel die Möhre vor die Nase gehalten und weggezogen.

Auslöser der Handlung ist die rätselhafte Entführung zweier Mädchen auf der sibirischen Halbinsel Kamtschatka, die das Leben der Protagonisten auf die eine oder andere Weise beeinflusst. Hier von einem literarischen Thriller zu sprechen, wie die Los Angeles Review of Books, wird dem außergewöhnlichen Roman aber nicht gerecht und weckt falsche Erwartungen. Die Autorin selbst spricht in einem Interview davon, es ginge hier vorwiegend um einen Roman um Gewalt gegen Frauen. Diese Einschätzung teile ich nicht völlig, denn glücklicherweile ist diese Gewalt sehr subtil und eher in der Rolle der Frau in einer noch immer männerdominierten Gesellschaft zu finden. Aber ein Roman der Frauen ist es gewiss. Außerdem habe ich einiges über die indigene Bevölkerung Sibierens erfahren, was mich gleichfalls fasziniert hat.

Ein vielschichtiger Roman, an den ich mich noch lange erinnern werde.


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Veröffentlicht am 10.01.2021

Einfach mal abtauchen

Wonderlands
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In "Wonderlands" lässt die Herausgeberin ein wahres Feuerwerk der phantastischen Literatur der vorangegangenen Jahrtausenden zünden. In kurzen Essays beginnt es mit den alten Mythen und Legenden wie dem ...

In "Wonderlands" lässt die Herausgeberin ein wahres Feuerwerk der phantastischen Literatur der vorangegangenen Jahrtausenden zünden. In kurzen Essays beginnt es mit den alten Mythen und Legenden wie dem Gilgamesch-Epos, Tausendundeiner Nacht und König Arthur, führt weiter ins Zeitalter der Wissenschaft und Romantik, geht über ins Goldene Zeitalter der Fantasy und die neue Weltordnung im 20. Jahrhundert und schließt mit dem Computerzeitalter. Dabei werden nicht nur reine Fantasy-Schöpfungen vorgestellt, sondern auch dystopische und solche der Science Fiction.

Nach einer kurzen Einleitung geht es sofort in medias res. Eine Vielzahl an Professoren und Professorinnen, journalistisch Tätigen sowie Literaturkriterinnen und Literaturkritikern stellt die Werke vor, unter denen sich selbst für mich als Kennerin der Materie einige wenige unbekannte befanden. Jedes Essay wird abgerundet durch ein Foto der Originalausgabe, des Verfassers und Illustrationen aus dem jeweiligen Buch oder der späteren Verfilmung.

Trotz der ansonsten eng beschriebenen Seiten blieb das Buch für mich durchgängig faszinierend, was schon eine kleine Meisterleistung darstellt. Etwas schade fand ich aber, dass der Leser nicht erfährt, wonach entschieden wurde, welche Werke es ins Buch geschafft haben. Handelt es sich um solche, die die Herausgeberin für die mit dem meisten Einfluss hält oder für die literarisch wertvollsten? Jeder wird wohl zwangsläufig Bücher vermissen, die der eigenen Meinung nach dann zwingend hineingehört hätten. In meinem Fall wären das zweifellos die Michael Endes (wie man überhaupt deutschsprachige Autoren fast vergebens sucht) und die Wüstenplanet-Reihe. Dass Autorinnen in der absoluten Minderheit sind, versteht sich angesichts des geschichtlichen Hintergrundes leider von selbst. Gerade deswegen hätte man hier aber dann bei Darstellung der zeitgenössischen Literatur dort einen größeren Fokus hinlegen können.
Auch wenn die Werke nicht nur aufgezählt, sondern mit Verfasser, Inhalt und Einfluss dargestellt werden, fehlen mir außerdem zusammenfassende Erläuterungen über die Entwicklung der phantastischen Literatur durch Beschreibung etwa gemeinsamer Merkmale, Erläuterung der wirklich zahlreichen Subgenres usw. Dies tat dem Lesevergnügen aber keinen Abbruch.

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Veröffentlicht am 08.01.2021

Geschwätziger Originaltitel

Die gefährliche Mrs. Miller
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Vorab gesagt: Hier finde ich den deutschen Titel ausnahmsweise einmal passender, denn der Originaltitel verrät einfach zu viel.

Phoebe Millers Ehe steht eigentlich vor dem Aus, was ihr sehr wohl klar ...

Vorab gesagt: Hier finde ich den deutschen Titel ausnahmsweise einmal passender, denn der Originaltitel verrät einfach zu viel.

Phoebe Millers Ehe steht eigentlich vor dem Aus, was ihr sehr wohl klar ist. Ihr Mann Wyatt möchte unbedingt Kinder. Phoebe dagegen hat derzeit kein Ziel im Leben. Durch das Erbe ihres äußerst schwierigen, berühmt-berüchtigten Vaters ist sie superreich und ertränkt ihre innere Leere in Alkohol. Als immer wieder ein Kurierfahrzeug vor ihrer Villa parkt, ist sie dennoch beunruhigt. Außerdem wecken die neuen Nachbarn sie aus ihrem Dahindämmern, vor allem deren äußerst attraktiver Sohn Jake, der natürlich viel jünger ist als Phoebe. Bevor Phoebe dem Rätsel ihres offensichtlichen Beobachters im Auto auf den Grund gehen kann, überschlagen sich die Ereignisse...

Dieser erste Teil des Buches hat mir ausnehmend gut gefallen. Die Autorin wartet dann mit einer gelungenen Wende auf, die allerdings gleichzeitig die Schwäche des Buches darstellt. Zum einen geht damit ein Perspektivwechsel einher. Als Leserin hatte ich mich an Phoebe gewöhnt, die zwar alles andere als eine Sympathieträgerin ist, mich aber dennoch fasziniert hat. Diese Fazination hat mit Beginn des zweiten Teils kontinuierlich abgenommen, zumal die Geschichte zum Teil unglaubwürdig wird und die eingestreuten Internezzi nun manchmal eher verwirren als Spannung erzeugen. Zum Ende hin wurde die Geschichte auch zumindest für mich trotz weiterem Twist etwas vorhersehbar.

Fazit: Eine eigentlich lohnende Story, die im zweiten Teil leider Potential verschenkt.

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Veröffentlicht am 27.12.2020

Lesestrudel

Miss Bensons Reise
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"Da kann man um die halbe Welt reisen, so viel man will: Was immer an vernichtender Traurigkeit in einem steckt, reist mit."

Dass gute Romane einen wahren Lesesog entfalten können, habe ich schon häufiger ...

"Da kann man um die halbe Welt reisen, so viel man will: Was immer an vernichtender Traurigkeit in einem steckt, reist mit."

Dass gute Romane einen wahren Lesesog entfalten können, habe ich schon häufiger erlebt. Dass eine Geschichte aber quasi einen Lesestrudel erzeugt, der mich förmlich mitreisst, kommt seltener vor. Doch so erging es mir mit diesem ungewöhnlichen Buch.

Margery Benson ist eine in der Kindheit durch den Tod ihrer Familie traumatisierte Lehrerin, die in ihrem eigenen Leben dauerhaft auf der Zuschauerbank Platz genommen hat. Als ein Ereignis sie regelrecht wachrüttelt, will sie einen letzten Versuch unternehmen, den Traum ihrer Jugend doch noch zu verwirklichen. Ausgerechnet den bisher unentdeckten, mystischen goldenen Käfer von Neukaledonien will sie finden, dessen Zeichnung ihr ihr Vatert einst in einem Buch zeigte. Dass in den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts eine Frau allein eine solche Forschungsreise antritt, ist ausgeschlossen. Und so sucht Margery per Zeitungsannonce eine Begleitung. Auf diese Weise gerät sie nicht nur an das schrille Plappermaul Enid Pretty, sondern auch an den Kriegsveteran Mundic, der Margery allerdings Angst einjagt. Und so muss sich Margery schließlich äußerst genervt mit Enids Gesellschaft abfinden. Per Schiff begeben sich die beiden auf die gefahrvolle Reise nach Neukaledonien, nichtahnend, dass sich der abgewiesene Mundic erbost an ihre Fersen geheftet hat...

Der Roman bezieht seine Dynamik über weite Strecken aus der Begegnung der beiden Frauen, die kaum unterschiedlicher sein könnten, und ihren herrlichen Dialogen, die die Seiten nur so dahinfliegen lassen. Hinzu kommt die farbige Schilderung der Inselexotik und der überaus gelungene Einblick in Mundics Kopf. Dieser ist durch die Gefangenschaft in einem Lager während des zweiten Weltkrieges schwer beeinträchtigt. Eine einfühlsamere Schilderung, die gleichzeitig Angst und Betroffenheit weckt, ist mir selten begegnet.

Lebensträume und Freundschaft spielen hier eine große Rolle und wecken tiefe Gefühle. Das Ende wirkt dann leider wie ein kalte Dusche. Nicht weil ich mir einen Friede Freude Eierkuchen Abschluss gewünscht hätte. Vielmehr wird das Ende hastig heruntererzählt und dann um einen später spielenden Nachklapp mit holzhammerartiger Botschaft ergänzt. Zu allem Überfluss folgt dann ein Interview der Autorin mit ihren Protagonisten, das angesichts des Ausgangs des Romans nicht nur befremdlich wirkt, sondern auch noch ein verwirrendes Licht auf diesen wirft. Was sich die Autorin dabei gedacht hat, kann ich mir nicht erklären. Dies kostet den ansonsten überzeugenden Romanleider einen Stern Abzug.


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Veröffentlicht am 20.12.2020

Kein Märchenwald

Der Mädchenwald
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Traue niemandem, schon gar nicht dem Erzähler. Diese bekannte Thriller-Konzept wird hier sehr raffiniert auf die Spitze getrieben. Ich-Erzähler Elijah lebt mit seinen Eltern sehr abgeschieden ...

Traue niemandem, schon gar nicht dem Erzähler. Diese bekannte Thriller-Konzept wird hier sehr raffiniert auf die Spitze getrieben. Ich-Erzähler Elijah lebt mit seinen Eltern sehr abgeschieden in einem Wald, in dem anscheinend fuchtbare Dinge geschehen. "Mädchenwald", nennt ihn Elijah, denn das junge Schachgenie Elissa, das er dort im dunklen Keller eines Abbruchhauses angekettet findet, ist anscheinend nicht das erste Mädchen, dem dieses Schicksal widerfährt. Und auch der Knöchelchen-See und Zauber-Annie, wie Elijah die Frau aus der nahen Wohnwagensiedlung nennt, verheißen nichts Gutes.
Die Geschichte wechselt zwischen Elijah und Elissa. Letztere Perspektive wird jedoch in der 3. Person berichtet, so dass man zunächst zu Elijah eine größere Nähe aufbaut. Obwohl man sehr bald bemerkt, dass an Elijah einiges äußerst seltsam zu sein scheint. Hinzu kommt noch Ermittlerin Mairead, die bei der Polizei den Entführungsfall Elissa leitet und verzweifelt spürt, dass ihr die Zeit davon läuft, je länger der geheimnisvolle Entführer, den Elissa nur den Ghul nennt, das Mädchen in seiner Gewalt hat...

Der Thriller bleibt tatsächlich durchgehend spannend und wartet mit mehreren Twists auf, von denen mich jedoch der erste leider kaum überrascht hat. Sehr gut gefallen haben mir die düsteren Märchenanklänge und Elissa, die ein ungewöhnliches, wenn auch in ihrer Stärke wohl kaum realistisches Entführungsopfer darstellt. Trotzdem habe ich nicht nägelkauend mitgefiebert, weil mir die Protagonisten wohl doch ein wenig fern blieben.

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