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Veröffentlicht am 28.07.2022

Hätte mehr erwartet

An den Ufern von Stellata
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Vor mehr als zweihundert Jahren lebte in dem kleinen Dorf Stellata in der Lombardei ein Mann von schwerem Gemüt, ein Einzelgänger und Träumer, der dachte, mit seinen Erfindungen großen Ruhm erlangen ...

Vor mehr als zweihundert Jahren lebte in dem kleinen Dorf Stellata in der Lombardei ein Mann von schwerem Gemüt, ein Einzelgänger und Träumer, der dachte, mit seinen Erfindungen großen Ruhm erlangen zu können. Doch immer wieder scheiterte Giacomo Casadio, wurde zum Gespött des Dorfes. Als er auf dem alljährlichen Dorffest einer der seit mehreren Monaten am Fluss lebenden zigaras begegnete, einer jungen Schönheit mit langem, schwarzem Haar und von biegsamer Gestalt, war es um ihn geschehen. Er war hingezogen und gleichzeitig eingeschüchtert von ihrer Grazie, doch die Frau bestand darauf, ihm aus der Hand zu lesen: Und sie sah in den Linien, dass er der Mann ist, auf den sie jahrelang wartete. Wenige Monate später heirateten Viollca und Giacomo entgegen dem Willen ihrer beider Familien; eine Ehe, die von Beginn an unter keinem guten Stern stand - und deren Nachkommen Generation um Generation immer wieder mit Herausforderungen zu kämpfen haben werden. Sie sind einerseits Traumtänzer, nicht ganz am Boden und der Wirklichkeit behaftet, andererseits strebsame und kluge Köpfe, unglücklich verliebte, arme wie wohlhabende Menschen. Und doch besteht die größte Aufgabe darin, weder den Kopf in den Wolken zu verlieren noch in den Fluten unterzugehen.

Voller Magie begleitet Daniela Raimondi in ihrem Debütroman "An den Ufern der Stellata" (OT: La casa sull'argine. La saga della famiglia Casadio, aus dem Italienischen von Judith Schwaab) die Geschichte der Familie Casadio, die ihren Anfang im 19. Jahrhundert findet. Leichtfüßig verbindet sie bis hin zur Neuzeit sieben Generationen miteinander, lässt jeweils den nächsten Protagonisten, dessen Schicksal im Fokus steht, sanft und fließend, wie die Stellata in ihrem Flussbett dahinwogt, in das neue Jahrzehnt hinübertreten und seine Geschichte weitertragen. Sie sind eingebettet in das jeweilige Zeitgeschehen und die örtlichen Gegebenheiten Italiens und Brasiliens, in Kriege und Aufstände, Wind und Wetter, und über allem wogt die Prophezeiung ihrer Urahnin Viollca, das wiederkehrende Symbol der Schlange und das Unheil, das sie bedeutet.

Die Sprache ist eingängig und expressiv, der jeweiligen Zeit in Ausdruck und Rhythmik angepasst. Positiv hervorzuheben ist, dass Judith Schwaab in ihrer Übersetzung das italienische Wort "zingara" beibehalten hat, um die Nennung der "Z-Wortes" zu umgehen, was abgesehen von den naheliegenden Gründen auch eine gewisse mystische Note in die Geschichte bringt. Der Verlauf der Geschichte folgt einer immer wiederkehrenden Spirale aus Geburt und einem besonderen Vorkommnis, das zum Tod oder einem Schicksalsschlag führt; über die Jahrzehnte hinweg dasselbe Lied mit kleinen Variationen und angepasster Sprache, das sich leider immer mehr hinzieht, langatmig und eintönig wird, atmosphärisch eher flache Wellen schlägt. Die meisten Charaktere sind aufgrund der doch relativ kurzen Zeit, die man sie begleitet, eher eindimensional und häufig übermäßig klischiert gezeichnet; eine Bindung oder näheres Einfühlen ist aufgrund der kurzen Abschnitte kaum möglich. Lediglich für Donata, die Mitte der 1950er Jahre lebte, konnte ich mich erwärmen. Sie strahlt eine unglaubliche Kraft und Selbstbewusstsein aus, weiß, für ihre Belange einzustehen und zu kämpfen - wenngleich ihr Leben auf tragische Weise zu Ende geht.

Ich hatte mich sehr auf den Roman gefreut, darauf, in eine große, intensive Familiengeschichte einzutauchen, die mich alles andere vergessen lassen würde, doch schnell musste ich merken, dass das Buch und ich nicht zusammenfinden würden. Das wiederkehrende Motiv aus Verdruss und Mystifizierung in Verbindung mit den blassen Charakterzeichnungen ermüdete mich schnell, mir fehlten die Ecken und Kanten, der Biss, der mich vor Erwartung und Spannung aufmerken lässt. Doch das ist nur meine Meinung.

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Veröffentlicht am 27.02.2021

Eine Idee der Zukunft und der Vergangenheit

Farm der Tiere
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„Can you understand that liberty is worth more than just ribbons?“

Die Farm der Tiere (OT: Animal Farm) von George Orwell ist bereits 1945 erschienen. Die dystophische Erzählung handelt von der Erhebung ...

„Can you understand that liberty is worth more than just ribbons?“

Die Farm der Tiere (OT: Animal Farm) von George Orwell ist bereits 1945 erschienen. Die dystophische Erzählung handelt von der Erhebung der Tiere auf einer Farm in einer englischen Grafschaft gegen ihren menschlichen Besitzer. Angeführt von dem Schwein Old Major, der verkündet, dass sie die ganze Zeit über ausgebeutet, ja gar vernachlässigt, ihrer nicht würdig behandelt wurden, planen sie, die Menschen von dem Hof zu vertreiben und von nun an für sich selbst zu sorgen, denn „zwei Beine sind schlecht, vier Beine sind gut“. Doch aus der anfänglichen Nostalgie wird schnell eine von den Schweinen, den wohl klügsten Tieren der Farm, angeführte Diktatur, die schlimmer zu werden vermag, als sie es je erlebt haben.

Vielen wird die Geschichte vermutlich aus der Schule oder dem Studium bekannt sein, ist sie doch aufgrund der möglichen und offensichtlichen Interpretationsvorlagen gesellschaftshistorisch relevant einzustufen. Mir persönlich hat die Geschichte weniger zugesagt; das lag nicht nur am Plot an sich, dessen Idee zwar wahren Ursprungs sein mag, doch ich fürchtete mich ein wenig davor. Der schwerfällige Schreibstil und die kryptischen Beschreibungen taten dann ihr übriges.

Doch hervorzuheben ist umso mehr das wunderschöne Cover dieser Neuauflage des Manesse-Verlags!

Herzlichen Dank für das Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 05.02.2021

Einfühlsame Erzählungen, aber ohne den Kick

Dieses entsetzliche Glück
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In der Kleinstadt Hollyhock in Virginia herrscht Normalität. Sie sind miteinander verbunden, sei es durch Freundschaft, durch Streit, durch Ehe oder zufällige Bekanntschaft. Gemein haben die fünfzehn Leute ...

In der Kleinstadt Hollyhock in Virginia herrscht Normalität. Sie sind miteinander verbunden, sei es durch Freundschaft, durch Streit, durch Ehe oder zufällige Bekanntschaft. Gemein haben die fünfzehn Leute alle, dass sie ein Päckchen zu tragen haben, etwas, das sie bedrückt, aber auch himmelhoch jauchzen lässt; sie haben hier einen Ort der Ruhe gefunden, sind hierher geflüchtet, beginnen ein neues Leben. Sie sind Maklerinnen, Mütter und Väter, Schriftsteller oder Verkäufer.

Annette Mingels erzählt in fünfzehn Kurzgeschichten, bei der jede dieser Personen im Mittelpunkt steht, inwiefern das Glück in ihren jeweiligen Leben abhandengekommen ist, wieso sie bedrückt sind, sich unverstanden fühlen, von der Liebe und Hoffnung verlassen. Leider sind die Geschichten teils sehr oberflächlich erzählt, fließen monoton dahin und es gibt nur an kurzen Passagen einmal eine spannende Erhebung. Oftmals sind die Erzählungen offen gehalten, was durchaus auch seinen Reiz haben kann, hier jedoch eher ein beklemmenden Gefühl hinterlässt. Der Schreibstil an sich hat mir gut gefallen, doch in Kombination mit dem Plot konnte er mich nicht vollends begeistern.

Insgesamt eine anschauliche und beklemmende Sammlung von Perspektiven, für mich jedoch leider nichts.

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Veröffentlicht am 26.10.2020

Nette Lektüre für Zwischendurch

Du wirst mein Herz verwüsten
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Wenn ich an dich denke, herrscht in mir Sommer.

Du wirst mein Herz verwüsten ist eine Sammlung von Textnachrichten, die die französische Autorin und Instagramerin Morgane Ortin auf ihrem Account @amours_solitaires ...

Wenn ich an dich denke, herrscht in mir Sommer.

Du wirst mein Herz verwüsten ist eine Sammlung von Textnachrichten, die die französische Autorin und Instagramerin Morgane Ortin auf ihrem Account @amours_solitaires zugesandt bekommen hat. Aus all diesen Textbausteinen hat sie die Geschichte zweier Menschen zusammengetragen, die sich finden, sich lieben und allen Beziehungsfragen gegenüberstehen. Gleichzeitig ist es ihr Appell an die Revolution der Liebe: mehr Ehrlichkeit und Offenheit, Kommunikation und Legitimität. Es ist ihr ein Anliegen, jedem Menschen und seiner Art zu leben und zu lieben, ohne Vorbehalte gegenüberzustehen, respektvoll zu sein.

Das Format des Buches hat mir sehr gefallen, da das Lesetempo durch die kurzen Absätze schnell ist und man dem Gesprächsverlauf einfach folgen kann. Jedoch finde ich die sprachliche Gestaltung der Textnachrichten nicht sehr realistisch, für ein solches Format viel zu hochsprachlich und formell. Auch die Liebesbekundungen sind phasenweise sehr übertrieben formuliert, kitschig und cringey, doch vereinzelt konnte ich mir auch rührende und herzliche Zitate markieren.

Insgesamt eine wirklich schöne Lektüre, die durchaus eine wichtige Message hat, jedoch auch ihre Schwächen hat.

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Veröffentlicht am 02.10.2020

Schade...

Als die Welt stehen blieb
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Für andere nützlich zu sein, von anderen gebraucht zu werden, ist fast genauso wichtig, wie sich geliebt zu fühlen.

Mit Als die Welt stehen blieb führt die norwegischen Autorin Maja Lunde uns zurück ...

Für andere nützlich zu sein, von anderen gebraucht zu werden, ist fast genauso wichtig, wie sich geliebt zu fühlen.

Mit Als die Welt stehen blieb führt die norwegischen Autorin Maja Lunde uns zurück in den März 2020, dem Beginn der Corona-Pandemie. Sie berichtet, wie sich das Zusammenleben ihrer fünfköpfigen Familie im Lockdown veränderte, wie sie ihre Tage mit Kontaktverbot und Home Schooling verbringen. Sie ist es gewohnt, über Dystopien zu schreiben, steckte gerade mitten in den Recherchen zum letzten Band ihres Klima-Quartetts - doch nun ist sie selbst Spielfigur in einer Pandemie, ähnlich wie ihre Protagonisten.

In kurzen Tagebucheinträgen berichtet Maja Lunde von den Veränderungen aufgrund des Lockdowns in Norwegen: dem Home Schooling und Home Office, dem Kontaktverbot, dem "neuen" Zusammenleben. Sie beschreibt klar ihre Gefühle und Gedanken, ihre Sorgen und Ängste und bleibt dabei aber sehr distanziert, als beschreibe sie als externer Beobachter, was sie nach außen für einen Anschein mache. Dabei wiederholt sie sich sehr oft, ärgert sich öfters über dieselben Dinge, sodass das Lesen schnell anstrengend wurde. Als zeitgeschichtlicher Bericht ist es sicher ein interessanter Einblick, betont sie auch häufig die positiven Aspekte der Pandemie bezüglich des Klimawandels und dass es ein Weckruf sein sollte, etwas zu ändern, doch das bleibt auch leider das Einzige, das ich aus der Erzählung für mich gewinnen konnte.

Vielen Dank für das Rezensionsexemplar!

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