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Veröffentlicht am 16.08.2017

Fair-trade Drogen?

Die Lieferantin
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London im Jahre 2019: Nach dem Brexit ist das englische Wirtschaftsystem in Schieflage geraten, die Stimmung schlägt in Richtung „England den Engländern“ aus, und rassistische Extremisten in den rotweiblauen ...

London im Jahre 2019: Nach dem Brexit ist das englische Wirtschaftsystem in Schieflage geraten, die Stimmung schlägt in Richtung „England den Engländern“ aus, und rassistische Extremisten in den rotweiblauen Farben des Union Jacks tragen die Gewalt auf die Straße und gehen gegen „Ausländer“ vor. In dieser leicht dystopischen Zukunft entwickelt Ellie ein herausragendes Geschäftsmodell im Drogenhandel: Sie liefert im Darknet bestellten feinsten Stoff per Drohne - schnell, sauber und zu fairen Preisen. Das kann der alteingesessenen Rauschgiftkamarilla nicht genehm sein: Sie macht Jagd auf „die Neue“ und kreist Ellie langsam ein. Auslöser der Jagd ist der Tod Gonzos, eines Laufburschen einer der Mafiafamilien: Eher aus Versehen wird er, als er wieder auf eigene Rechnung seine Kühe melken will, von einem Gastronomen getötet und stilecht einbetoniert, der einfach nicht mehr zahlen kann.

Die Stärke des Romans ist der ausgeklügelte Was-passiert-dann-Aufbau der Handlung: Ausgehend von Gonzos Good-bye-Vorstellung entwickelt sich eine Kaskade von Folgehandlungen, die in einem politisch heißen Straßenkampf und einer Regierungskrise mündet. Auf der Ebene der handelnden Personen spitzt sich die Konkurrenz zwischen Ellie und den Mafiaclans zu, Ellies Kontakte werden eingeschüchtert und sogar ermordet, die Mafiosi ergreifen immer härtere Methoden, die sogar vor der Bedrohung von Kindern nicht halt macht.

Ebenfalls gelungen ist das politische Panorama, das die Autorin für die Zeit nach dem Brexit entwirft: Die aufgeladene Atmosphäre, die sozialen Spannungen, der aufgestaute Rassismus, die hektischen Politmanöver der herrschenden Nomenklatura können so oder so ähnlich erwartet werden. In einem solchen „Conservative Turn“ ist eine Kampagne zur absoluten Verdrängung von Drogen aus der Legalität, d.h. eine harsche Law-and-Order-Repression sehr gut denkbar. Der „Druxit“, der Streetworker wie Mafiosi gleichermaßen umtreibt, ist ein gelungenes Instrument, einerseits die Handlung zu motivieren, andererseits das dystopische Panorama zu dynamisieren.

Was heißt eigentlich Druxit? Dass ich erst nach etwa einhundert Seiten auf die Lösung kam, hat nicht nur mit meiner Begriffsstutzigkeit zu tun, sondern auch mit der Tendenz der Autorin, vieles im Unausgesprochenen zu lassen. Der Leser kann nicht ahnen, dass Ellie nicht nur ein geldgeiler Drogenboss ist, die mittels überlegener Technik die archaischen Schlägertypen der Mafia aus dem Geschäft drängen will, sondern vor allem handelt, um den Streetworkern ihre Arbeit zu finanzieren, der Anti-Druxit-Kampagne Geldmittel zu verschaffen und schließlich ihr Gewissen zu beruhigen, auf dem der Drogentod ihre Bruders lastet.

Langsam schält ich die Motivation hinter „der Lieferantin“ heraus, und siehe da: Der tote Bruder ist unschuldig in Not geraten, auf die schiefe Bahn gekommen und schließlich an schlechtem Zeug verreckt. Auch bei anderen Sympathieträgern des Romans ist der Tenor „unschuldig in Not geraten“; oder der Lieferant der Lieferantin ist ein Polizeispitzel, der an Leute, die er sympathisch findet, astreinen Stoff liefert, ohne die Behörde zu informieren. Das ist so platt wie fragwürdig. Denn es scheint, dass diese Hintergründe notwendig sind, um Ellies illegales Geschäft zu einer Art „Fair-trade-Drogenhandel“ zu gestalten, der irgendwie nicht so schlimm ist. Wie Robin Hood trägt Ellie ihre Gewinne ja auch in gemeinnützige Kampagnen und bereichert sich nicht selbst (ihre Zwischenhändler tun es allerdings). Über allem schwebt der politische Grundgedanke, es sei „nicht Sache der Regierung, erwachsenen Menschen vorzuschreiben, was sie mit ihren eigenen Körpern anstellten.“ (S. 56) Ellie versteigt sich sogar zu der agitatorischen Phrase, es gehe nicht ums dicke Geld, sondern „um die Sache. Um die Freiheit. Darum, dass erwachsene Menschen zugestanden werde, Entscheidungen für sich zu treffen, nachdem sie sich informiert hatten und wussten, welche Risiken sie eingingen.“ (S. 56)

Das ist freilich eine politische Gretchenfrage, mit der auch steht und fällt, ob man die Protagonistin des Romans annimmt oder ablehnt. Wenn man nicht für die Legalisierung von Drogen ist, hat man seine Schwierigkeiten, mit Ellie mitzufiebern.

Diese Grundfrage schwächt meinen Leseeindruck erheblich, hinzu kommen die oben erwähnten verkürzten Darstellungen oder verspäteten Erläuterungen, die einem die Annäherung an andere Figuren erschweren, weil sie blass oder schablonenhaft bleiben, um nicht das böse Wort Klischee zu verwenden.

Alles in allem also ordentliche Unterhaltung mit Brexitwürze und einer tollen Handlungskaskade, aber gewiss nicht jedermanns Sache.

Ach ja: „Druxit“ = Drugs + Exit.

Veröffentlicht am 07.02.2023

Leila, die Tochter Josefs

Sibir
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Zweimal kommen Deutsche aus den Weiten des sowjetischen Großreiches nach Deutschland, nachdem sie als „Feinde“ während der stalinistischen Säuberungen und während des Zweiten Weltkrieges zwangsweise aus ...

Zweimal kommen Deutsche aus den Weiten des sowjetischen Großreiches nach Deutschland, nachdem sie als „Feinde“ während der stalinistischen Säuberungen und während des Zweiten Weltkrieges zwangsweise aus ihrer Heimat ins Nirgendwo umgesiedelt worden waren: 1955 kommt die erste Gruppe nach den Verhandlungen Adenauers in Moskau mit den letzten Kriegsgefangenen, 1990 die zweite Gruppe als sogenannte „Spätaussiedler“, nachdem der Eiserne Vorhang gefallen und das Sowjetreich zerbrochen ist.

Das ist der historische Hintergrund für Barbara Janeschs Familienroman, in dem es vor allem um den Vater Josef Ambacher geht, der alle historischen Stationen der Völkerverschiebung mitmacht: als Kind von der Weichsel nach Kasachstan vertrieben, 1955 als Jugendlicher nach Deutschlandgekommen und 1990 mit den restlichen Rückkehrern konfrontiert.

Es wäre ein besserer Roman geworden, wenn die Autorin hier den Kontrast eingezeichnet hätte, in der bemerkenswerten Biographie Josefs und in seinem spannungsreichen Charakter, der zwischen empathischer Mittlerfunktion für seine Mitmenschen bei gleichzeitiger Scheu vor zu viel Begegnung und Nähe changiert und weshalb weder das eine noch das andere gut kann. Begründet wird dies in der Entwurzelungserfahrung und der stets gefährdeten menschlichen Bindung im Stalinismus. Nur die Geschichten bleiben, die ihm zugetragen werden und die er wiedergeben kann.

Der erzählerische Kontrast im Roman wird aber aufgebaut, indem Josef die Coming-of-Age-Erfahrung seiner Tochter Leila gegenübergestellt wird, die „auch eine schwere Kindheit“ gehabt habe, wie sie ihrer Tante einmal entgegenschleudert. Die Kindheiten von Josef und Leila sind aber beim besten Willen nicht gut vergleichbar, auch wenn hier – durchaus nachvollziehbar – die generationsübergreifenden Entwurzelungstraumata, die Fremdheitsgefühle und die Identitätsstörungen zwischen „deutschsein“, „russischsein“ oder „garnichtssein“ verhandelt werden. Was Leila für schwerwiegende Erfahrungen am ach so gebeutelten „Rand der Stadt“ macht, der mit dem „Rand der Gesellschaft“ gleichgesetzt werden soll, ist im Grunde genommen der Rede nicht wert: Es sind Erfahrungen, die Nachkommen von deutschen Tätern, deutschen Opfern, Bayern in der Lüneburger Heide oder Holsteinern im Schwarzwald auch machen könnten. Dass es weniger mit der gestörten Identität der Eltern und deren Schicksal zusammenhängt, dass Leila „Resopaltische, Sperrholztüren, Linoleumböden“ als Kennzeichen einer randständigen Gruppe wahrnimmt, als vielmehr mit dem Einkommen der Eltern und vor allem dem Jahrzehnt, in dem das alles passiert (den 1970ern), kommt der Autorin offenbar nicht in den Sinn. Ich habe mich beim Lesen oft gefragt: Wo ist das Besondere, das Mitteilenswerte der Geschichte Leilas? Das bisschen Vergangenheitsbewältigung in der Reibung mit den Kriegserlebnissen der Eltern habe ich bei Böll und Wolfgang Leonhard schon oft und besser gelesen. Die Identitätskrise als Entwurzelter hat bei Katja Petrowskaja viel mehr Wucht und Tiefe. Und wie das mit dem Verschicken in die Weiten des russischen Großreichs und der Willkür des Stalinismus ist, erfährt man eindringlicher in Pristawkins „Schlief ein goldenes Wölkchen“ und umfassender in Leonhards „Die Revolution entlässt ihre Kinder“.

Dennoch ist Josefs Kindheitserfahrung in Kasachstan stark erzählt, fesselnd und lehrreich. Hier lebt Josef, der Geschichtensammler, in der Erzählung. Die Ereignisse werden in der dritten Person mit Josef als Handlungscharakter erzählt und sind deshalb sehr lebendig. Die Steppe und die Kälte sowohl des Winters als auch der Nachbarn lassen einen echt frösteln. In diesem Teil des Romans ist auch der Erzählstrang Leilas stärker, ihr Ausbrechen aus ihrem kindlichen Resopaltrauma und ihre Furcht vor dem verrenteten SS-Mann Tartter ein starkes Stück Erwachsnewerden.

Die ersten hundert Seiten des Romans sind es nicht. Woran liegt das? George R.R. Martin hätte auf jeder Seite ausrufen können: „Show, don’t tell!“, denn Janesch quält sich durch die Situationsbeschreibungen von Josef und Leila. Der Unterscheid zum späteren, stärkeren Teil des Buches, erschließt sich aus dem Unterscheid zwischen dem „Bericht über einen Mann, der eine Geschichte erzählen kann“, zu einem „Mann, der eine Geschichte erlebt“. Vor allem aber quälen die bisweilen fast pathetischen Daseinsklagen über das schwere Schicksal der in Deutschland als Rückkehrerkind geborenen Leila.

Unter dem Strich eine Enttäuschung. Überladen durch den Befreiungskomplex, mit dem die Autorin sich offenbar ihre eigene Geschichte vom Leib schreiben wollte.

Über Josefs Innenleben hätte ich gern viel mehr gelesen. Was bleibt, ist der Schrecken, den das einzelne Wort „Sibir“ auslöst. Selbst wenn es sich dabei um Kasachstan und nicht um Sibirien handelt.

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Veröffentlicht am 19.04.2022

Dafür statt fünf nur drei von Omas gefüllten Teigtaschen

Schallplattensommer
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Alina Bronsky hat eine Erzählnische gefunden, in der ihr keiner etwas vormacht: Großmütter und ihre Nachkommen. Diesmal ist es mehr die junge Maserati, um die sich eine Sommergeschichte entwickelt, weniger ...

Alina Bronsky hat eine Erzählnische gefunden, in der ihr keiner etwas vormacht: Großmütter und ihre Nachkommen. Diesmal ist es mehr die junge Maserati, um die sich eine Sommergeschichte entwickelt, weniger die Oma, auch wenn es diese freilich gibt: In ihrem Imbiss schuftet die sechzehnjährige Maserati, weil sie den Dämonen ihrer Vergangenheit entfliehen will und wegen ihres schwierigen Charakters eben nicht anders kann. Maserati ist störrisch, dickköpfig, selbstgerecht – und verletzt. Alles ganz normal also, auch wenn „ganz normal“ nicht so gut klingt.

Die Coming-of-Age-Geschichte, die hier erzählt wird, ist allerdings ganz normal, auch wenn die Mutter Maseratis, aus deren Fehltritten der ganze Konflikt der drei Frauengenerationen der Familie entspringt, nicht stinknormal ist: Sie ist irgendeine große Berühmtheit.

„Irgendeine“ und „ganz normal“ sind also das Level dieser Sommergeschichte, in die noch zwei unterschiedlich geratene Cousins (Casoar und Theo) mit jeweils eigenen, irgendwelchen und stinknormalen Problemen hinzustoßen und die Ménage-à-trois komplettieren, die es in Sommergeschichten braucht.

Die Spannung des Romans wird durch die Erzählweise erzeugt: Während die Figuren nämlich die ganze Zeit wissen, w3elche Probleme sie haben und warum sie so oder so auf bestimmte Situationen reagieren, wird und als Leser die Information bis nach der Hälfte des Buches vorenthalten. Klar war ich gespannt, was es mit Maseratis Mutter und ihrem selbstgewählten Rufnamen auf sich hat, Aber genauso klar ist: ich will als Leser doch nicht künstlich unwissend gehalten werden. Das funktioniert nur auf der Figurenebene: Wenn konsequent aus Maseratis Sicht erzählt wird, dann haben sie und ich als Leser die ganze Zeit keinen Schimmer, welchen bekannten Papa Caspar besitzt, bis er es uns beiden erzählt. Ich muss mir also nicht dumm vorkommen. Wenn aber aus Maseratis Sicht erzählt wird, wie sie sich mit ihrer Oma um die alten Geschichten zankt, dann stehe ich absichtlich uninformiert daneben. Das finde ich blöd; in Unterhaltungen wende ich mich in solchen Augenblicken ab und gehe.

Glücklicherweise hat Bronsky eine schöne und unterhaltsame Erzählstimme, die mich bei der Stange hielt. So lang ist der Roman auch wieder nicht (wie keiner der Autorin), und außerdem wartete ich freilich auf die großmütterlichen Ungeheuerlichkeiten, für die Bronsky sich bekannt gemacht hat. Tonfall und Lektüre erinnern an vorherige Werk der Autorin, und die ließen sich ebenfalls gut lesen, waren allerdings besser konstruiert als dieser Band.

Diesmal nur drei von fünf von Omas gefüllten Teigtaschen.

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Veröffentlicht am 20.04.2021

Iren sind menschlich

Der Abstinent
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Die Geschichte Irlands ist eine Geschichte des Kampfes der Iren mit den Engländern und der Iren gegen die Iren. Ian McGuires kriminalistisch angestrichener Roman springt mitten in diesen Konflikt – wenn ...

Die Geschichte Irlands ist eine Geschichte des Kampfes der Iren mit den Engländern und der Iren gegen die Iren. Ian McGuires kriminalistisch angestrichener Roman springt mitten in diesen Konflikt – wenn auch nicht in Irland, sondern in Manchester. Dort werden drei „Fenians“ aufgeknüpft, irische Untergrundkämpfer, die einen englischen Polizisten umgebracht haben. Dass danach erst recht eine Gewalt wie Pesthauch in den Straßen liegt, ist offenkundig – und McGuires gelingt es wunderbar, diese Stimmung zu vermitteln. Die Handlung spielt also auf einem Pulverfass, zu dem eine Lunte führt, die nur noch angezündet werden muss. Die Handlung: Der irisch-stämmige Polizist James O’Connor soll für die Polizei von Manchester die „Fenians“ im Auge behalten und weitere Gewaltakte verhindern. Die „Fenians“ ihrerseits planen genau diese Gewaltakte und importieren den Spezialisten Stephen Doyle aus Amerika: Ein Profi soll es richten. Das Jäger-und-Gejagte-Spiel umspannt die besseren drei Viertel des Romans und macht auch deshalb Spaß, weil McGuire gleich von Anfang die Rollenverteilung dem Zufall überlässt: Jäger und Gejagter sind O’Connor und Doyle jederzeit beides.

McGuire hat sich für Manchester 1867 als Handlungsort entscheiden, weil sich in den historischen Unruhen zwei topaktuelle Themen wiederfinden: Nationalismus und Terrorismus, wie er im Interview betont. Die Ambivalenz des „Terror“-Begriffs ist ihm gelungen – ursprünglich die Gewaltakte des Staates gegen die Bevölkerung bezeichnend, heute eher die Gewalt von politischen Gruppen gegen den Staat und die Bevölkerung. Auch die Handlung in „Der Abstinent“ ist flott, stimmig und spannend, bis sich nach drei Vierteln die Erzähl- und Stoßrichtung der Handlung ändert, politischer wird und weniger polizeilich. Vom Ende schweige ich hier besser – die Frage, „ob solche Teufelskreise [von Opfer und Gewalt] durchbrochen werden“, wie McGuire seine Motivation im Interview beschreibt, beantwortet er (leider).

Während Setting, Sprache, Stimmung und Handlung überzeugen (mit den o.g. Abstrichen), überzeugen die Hauptfiguren leider nicht. Sie bleiben auf rätselhafte Weise nur „Typen“ und werden keine „Protagonisten“, wie mein Deutschlehrer zu unterscheiden wusste: Typen repräsentieren nur einzelne Charaktermerkmale, Protagonisten sind vielschichtig. Mir erschein das besonders deutlich im Titel, der zwar Bezug nimmt auf die Bemühungen O’Connors, trocken zu bleiben, seinen Alkoholismus aber nur schlecht mit Person, Motivation und Handlung verbindet, obwohl – gute Idee – O’Connors Rückfall einen wichtigen Angelpunkt des Romans darstellt und den Weg „nach unten“ einläutet. Dass O’Connor zwischen den Stühlen sitzt – den Iren ist er Verräter, den Engländern immer nur Ire –, ist McGuire gut gelungen.

Fazit? Kann man lesen, aber besser liest man McGuires „Nordwasser“ – das ist nämlich wirklich genial

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Veröffentlicht am 20.04.2021

Roman nach Erfolgsrezept für Kurzgegartes

Die dritte Frau
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Wolfram Fleischhauer ist zu bewundern, mit welcher Chuzpe er diesen Aufguss seines Romans „Die Purpurlinie“ serviert. Der Autor eben dieser Purpurlinie (Wolfram Fleischhauer in echt), der nie namentlich ...

Wolfram Fleischhauer ist zu bewundern, mit welcher Chuzpe er diesen Aufguss seines Romans „Die Purpurlinie“ serviert. Der Autor eben dieser Purpurlinie (Wolfram Fleischhauer in echt), der nie namentlich genannte Autor-in-der Geschichte, puzzelt erneut am historischen Stoff seines Erstlingswerkes herum, nämlich der Amouren des französischen Königs Henri IV. und seiner nacheinander von eben diesem verlassenen Mätressen Gabrielle d'Estrées und Henriette de Balzac d'Entragues.
Das Rezept für das Funktionieren dieses Romans legt er selbst dar (S. 76 ff.): Der historische Roman sei tot, im Moment liefen nur Thriller, aber „in der Gegenwart bitte sehr, sonst ist es aussichtslos“. Der Held dürfe kein Male sein: „Warum keine Malerin? […] Weibliche Hauptfigur. […] Und eine starke Liebesgeschichte, nicht mehr als hunderttausend Wörter.“ Der Tipp der Lektorin in der Geschichte (eine „lector in fabula“ namens Moran, Anagramm zu Roman, haha!) ist „eine moderne Rahmengeschichte um die Sache“ herum. Außerdem brauche es „eine starke Frauenfigur“. Später (S. 166 f.) sinnieren die starke Frauenfigur Camille Balzac und der Autor-in-der-Geschichte darüber, „ein Roman ohne Liebesgeschichte ist eigentlich kaum vorstellbar sei. Sehr ironisch betont der Autor-in-.der-Geschichte, er gehöre nicht zu den Schriftstellern, die ihr eben in Literatur verwandelten.
Das stimmt freilich. Vermutlich. Auch wenn viele äußere Merkmale des Autors-in-der Geschichte dem wahren Wolfram Fleischhauer ähneln, sollte man sie bitte keinesfalls verwechseln. Ist also sehr ironisch, wie auch der Exkurs über Roland Barthes‘ angesprochenen „Tod des Autors“ (S. 131) – wieder im Gespräch mi der Lektorin Moran, die allesamt als metatextliche Betrachtungen zum allgemeinen Literaturbetrieb amüsant zu lesen sind. Überdies offenbart sich Fleischhauer hier in ironischer Brechung als süffisanter Kommentator seiner selbst.
Am Schluss (S. 262 f.) widmet sich der Autor (in-der-Geschichte?) der Frage, wie sich Text, Autor und Wahrheit zusammenfinden können – und ob es überhaupt klappen kann. Kann sich der Autor Fleischhauer seinen Figuren nähern, oder ist er unfähig, „eine wahrhaftige Beziehung zu einem anderen Menschen einzugehen, eine andere Wirklichkeit als seine eigene leben zu können“? Ist also der ganze Roman „Die dritte Frau“ eine Therapie des beziehungsgestörten Autors(in-der-Geschichte)? Oder eine notwendige Geldbeschaffungsmaßnahme?
Ich weiß es nicht, ich finde allerdings, dass Fleischhauer uns eine Menge exquisiter Zutaten zu einem tollen Roman präsentiert und auch super erzählt (etwa die Gleichnisse zum Autor-Figuren-Wahrheit-Problem in Form eines Nachtfalters, der durch eine Lichtkuppel nicht hindurch kann, weile er die Barriere als solche nicht erkennt; oder die Verletzung des Auges, was den Autor zum Halb-Sehenden macht).
Aber er täuscht nicht darüber hinweg, dass die ganze Stoffmenge für den historischen Roman, die vielen Textschnipsel, die Faksimiles im Buch, die vielen Überlegungen über Henriette, Gabrielle und Henri IV. letztlich nur Würzmittel sind und halbgares Vehikel für eine ebenso halbgare Liebesgeschichte sind, die beiläufig ins Ziel geführt werden. Lediglich Camille Balzac ist eine durch und durch faszinierende Figur, deren rätselhafte Handlungen Spannung bis zum Schluss erzeugen: die dritte Frau nämlich.
Fleischhauer ist zurück in sein Archiv gegangen, aus dem er schon „Die Purpurlinie“ mit offenem Ende gezogen hat, um erneut keine Antworten zu geben. Da der Roman aber wahrscheinlich die von der Lektorin Moran empfohlene Zahl von hunderttausend Wörtern nicht übersteigt, bleibt die Lektüre kurzweilig genug.

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