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Veröffentlicht am 19.05.2021

Eine abwechslungsreich gestaltete Erzählung, die nach dem Zweiten Weltkrieg spielt

Die Buchhändlerin
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Ines Thorn nahm mich als Leserin in ihrem Roman „Die Buchhändlerin“ mit in die Nachkriegszeit ins hessische Frankfurt. Das Buch ist der erste Teil einer mehrbändigen Serie, bei der Christa Schwertfeger ...

Ines Thorn nahm mich als Leserin in ihrem Roman „Die Buchhändlerin“ mit in die Nachkriegszeit ins hessische Frankfurt. Das Buch ist der erste Teil einer mehrbändigen Serie, bei der Christa Schwertfeger die Protagonistin der Geschichte ist, der Titel nimmt Bezug auf sie. Als endlich die US-Armee die Stadt am Main Ende März 1945 befreit, ist Christa 18 Jahre alt und hat gerade ihr Notabitur bestanden. Sie träumt davon Literaturwissenschaft zu studieren, aber ihr ist bewusst, dass ihre konservativ denkende Mutter sie lieber wohlversorgt von einem Ehemann als Hausfrau und Mutter sehen würde. Ihr Vater ist noch nicht aus seinem Kriegseinsatz zurückgekehrt, sein jüngerer Bruder Martin führt die im Erdgeschoss des Mehrfamilienhauses in der Innenstadt gelegene Buchhandlung in dritter Generation weiter.

Vier Jahren vorher hat Christa erlebt, dass Martin von der Gestapo festgenommen und verurteilt wurde. Sie fühlt eine Mitschuld an diesem Umstand. Die Buchhandlung wurde schließlich enteignet, die Konfiszierung jetzt aber zurückgenommen. Christa nimmt sich der Arbeit in der Buchhandlung an, macht ihren Job sehr gerne, aber dennoch möchte sie ihren Traum vom Studium nicht aufgeben.

Ines Thorn greift in der Geschichte verschiedene Themen auf. Ihre Figuren erleben Hunger und Kälte, Leid und Not, gewinnen aber auch zunehmend an Lebensfreude. Viele Männer kehrten vom militärischen Einsatz nicht wieder, Frauen engagierten sich im Beruf, aber die Ansicht, dass sie keine Ausbildung benötigten, weil sie bald heiraten und Kinder bekommen würden, war verbreitet. Christa ist eine selbstbewusste Frau, die nach Möglichkeiten sucht, den von ihr gewünschten Weg zu gehen und Hindernisse beiseite zu räumen, auch wenn sie gelegentlich mit ihrer Art und Weise aneckt. Jedoch muss sie aufgrund der geltenden Verhaltensmuster und Konventionen auch mit einigen Rückschläge zurechtkommen. Als Leserin begleitete ich Christa bis zum Jahr 1949.

Die Autorin zeigt anhand ihrer Figuren, wie vielfältig Partnerschaften damals sein konnten und welche Schwierigkeiten es gab, die Liebe frei zu leben. Eine Buchhandlung wird zum Handlungsort mancher wichtigen Geschehnisse in diesem Roman. Man spürt das Wissen um und die Liebe zu den Büchern, die die Autorin als gelernte Buchhändlerin in die Geschichte einfließen lässt. Einen breiteren Raum gewährt sie dabei auch der Lyrik. Ines Thorn kleidet das Unternehmen und Christas beruflichen Weg in die Geschichte des Literaturbetriebs ein. Verlage nahmen nach dem Krieg ihre Tätigkeit wieder auf und es gründeten sich neue; 1949 fand die erste Buchmesse statt. Autoren und ihre Bücher, Filme und Musik vermitteln einen Eindruck der erwachenden kulturellen Vielfalt.

Ines Thorn hat mit ihrem Roman „Die Buchhändlerin“ eine abwechslungsreich gestaltete, unterhaltsame Erzählung geschrieben, die den Sound der Zeit nach dem Krieg aufgreift und auf die Welt der Bücher fokussiert. Daneben bindet sie weitere wichtige Themen ein, die die Menschen damals bewegten. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung und freue mich auf die Fortsetzung, die in den 1950ern spielen wird.

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Veröffentlicht am 05.05.2021

Zwei starke Frauen kämpfen in den 1970ern für die Gleichberechtigung

Freiflug
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Der Prolog in Christine Drews Roman „Freiflug“ beschreibt den tödlichen Unfall der gerade erst 25 Jahre alten Rita Maiburg, der ersten Linienflugkapitänin der Welt. Dieser Anfang sorgte für einen furiosen ...

Der Prolog in Christine Drews Roman „Freiflug“ beschreibt den tödlichen Unfall der gerade erst 25 Jahre alten Rita Maiburg, der ersten Linienflugkapitänin der Welt. Dieser Anfang sorgte für einen furiosen Auftakt einer sehr bewegenden Erzählung, die auf wahren Begebenheiten in Bezug auf die Pilotin und ihren gegen die Lufthansa geführten Prozess beruht. Die Autorin flicht aber auch die interessante Geschichte der fiktiven Rechtsanwältin Katharina Berner ein. Beide zeigen ihre Stärke in dem unbeirrten Weg den sie dafür gehen, ihre Träume Wirklichkeit werden zu lassen.

Mit der finanziellen Unterstützung ihrer Eltern hat Rita Maiburg Ende der 1960er Jahre ihre Privatpilotenlizenz erworben und suchte danach, sich als Berufspilotin zu verwirklichen. Nach einer kurzen Anstellung bei einem Frachtunternehmen in München bewirbt sich Rita 1974, inzwischen einige Zeit arbeitslos, bei der Lufthansa als Flugzeugführerin. Doch ihre Bewerbung wird abgelehnt, weil man grundsätzlich keine Frauen in diesem Job einstellt. Rita strebt darauf hin einen Prozess an, weil sie findet, dass die Absage nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Sie wendet sich an Katharina, die sich gerade mit einer Rechtsanwaltskanzlei in Köln selbstständig gemacht hat. Auch sie hat sich gegen manche Konvention der Zeit gestellt und unterstützt Rita dabei, ihre Rechte einzuklagen.

Zwar hat Rita in der Realität die Klage tatsächlich eingereicht und diese bildet auf die Möglichkeit, dass die beiden Protagonistinnen einander begegnen, doch der Kampf der Frauen für verschiedene Rechte in den 1970er steht in der Geschichte im Mittelpunkt. Sowohl im Leben von Katharina wie auch im Privaten von Rita baut die Autorin beispielhaft einige für die Zeit typische Themen ein und bedient so ebenfalls das eine oder andere Klischee.

Die Familien der Hauptfiguren sind gegensätzlich: Ritas Eltern sind deutlich jünger als die von Katharina, die viel jünger ist als ihre Geschwister. Obwohl Herr und Frau Maiburg Architekten sind, übt Ritas Mutter ihren Beruf nicht mehr aus, sondern kümmert sich um Haushalt und Kinder, wie es damals üblich war und dem Ehe- und Familienrecht entsprach, das aber 1977 endlich reformiert wurde. Genauso ist es bei den Berners, aber anders als bei Katharinas betuchten Eltern haben Ritas stets ein offenes Ohr für die Sorgen und Probleme ihrer Tochter. Demgegenüber wird in Katharinas Familie Vieles verschwiegen, was aber einige Geheimnisse bietet, die im Laufe des Romans gelüftet werden und zur Unterhaltung beiträgt.

Christine Drews schreibt in ihrer Erzählung auch über den Umgang mit Drogen und Drogensüchtigen sowie über die Bedeutung des Ansehens von Unternehmen in der Öffentlichkeit und der Wahrnehmung von Ereignissen durch Medien in den 1970ern. Die Handlung spielt in Köln, der Stadt in der die Autorin heute lebt. Gekonnt fügt sie in ihren Roman einiges an Lokalkolorit und auch kulturelle Details der damaligen Zeit ein. Aufgrund von kleinen Cliffhangern am Ende der Abschnitte, die zwischen den Protagonistinnen ständig wechseln, entsteht eine durchgehend hintergründig vorhandene Spannung, die den Lesefluss antreibt.

In ihrem Roman „Freiflug“ schreibt Christine Drews über zwei starke Frauen in der Verbindung einer realen mit einer fiktiven Figur, die beide für die Gleichberechtigung in den 1970er Jahren kämpfen. Aufgrund einiger Nebenhandlungen mit manchem verborgenen Detail ist die Geschichte abwechslungsreich und kurzweilig. Ebenso stimmt die Erzählung nachdenklich über das bis heute erreichte in Sachen der Emanzipation und der Dinge, die nach anzugehen sind. Gerne empfehle ich das Buch daher uneingeschränkt weiter.

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Veröffentlicht am 03.05.2021

Eine Autobiografie, die dem Leser Kamala Harris persönlich und beruflich näher bringt

Der Wahrheit verpflichtet
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In ihrem Buch „Der Wahrheit verpflichtet“ erzählt Kamela Harris, die heutige Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten ihre Geschichte bis zum Jahr 2018. Damals vertrat sie den Bundesstaat Kalifornien im ...

In ihrem Buch „Der Wahrheit verpflichtet“ erzählt Kamela Harris, die heutige Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten ihre Geschichte bis zum Jahr 2018. Damals vertrat sie den Bundesstaat Kalifornien im Senat der USA. Ihre eigenen Aufzeichnungen lassen mich als Leser an vielen privaten Momenten teilnehmen, vor allem zeigt die Autorin mir aber wie engagiert sie sich den ihr angetragenen Themen widmet. Dennoch ist es erstaunlich, wie viel Wert sie auf Familienleben und Freunde legt, dabei ist eine perfekte Zeitplanung unerlässlich.

Die Eltern von Kamala Harris sind in die USA eingewandert, ihr Vater stammt aus Jamaika, ihre Mutter hat indische Wurzeln. Obwohl beide in akademischen Berufen beschäftigt waren, haben Kamala und ihre Schwester Maya auch in bescheidenen Verhältnissen gelebt. Sicherlich hat diese Erdung auch dazu beigetragen, dass sich ihr Gerechtigkeitssinn stark ausgeprägt hat. Ihre Mutter hat sie darauf hingewiesen, dass sie sich nicht von dem einschränken lassen soll, was vorgegeben ist. Das Vertrauen ihres Umfelds in Rechtsanwälte ließ sie nach einem Bachelor in Wirtschafts- und Politikwissenschaft auf ein Jurastudium umschwenken. Entschlossen und mit klarem Ziel ging sie ihren Weg als Staatsanwältin, Bezirksstaatsanwältin und Generalstaatsanwältin, um sich dann als Senatorin zu bewerben.

Mir wurde beim Lesen bewusst, für wie viele Probleme Kamala Harris eine Lösung auf den Weg gebracht hat, stets unter vollem persönlichem Einsatz und unter Hinzugewinn weiterer Erfahrungen, die sie bei den folgenden Aktivitäten für alle sozial gewinnbringend eingebunden hat. Ihre Aktivitäten waren breit gefächert. Sie setzte sich beispielsweise für den Schutz von Hauseigentümern vor Zwangsversteigerungen ein, etablierte das Resozialisierungsprogramm „Back on Track“ für Kriminelle, kämpfte gegen Rassismus in der Strafverfolgung und entwickelte einen Plan gegen Schulverweigerung.

Neben ihren großen Erfolgen ließ sie mich aber auch an gelegentlichen Niederlagen teilnehmen, denn zum Beispiel fiel sie durch ihre erste Zulassungsprüfung zur Anwältin und nicht immer konnte sie ihre Ideen gegen Konkurrenten durchsetzen. Sie gibt sich volksnah, denn sie versteht den Wunsch ihrer Wähler, sie als Mensch kennenzulernen und sieht sich als Sprachrohr für alle, auch für diejenigen, die ihre eigene Stimme nicht erheben können. Nie vergisst sie ihre Mitstreiter zu nennen, die treu an ihrer Seite stehen und sie auf bestmögliche Weise unterstützen. Im Anhang sind zahlreichen Anmerkungen und ein Register zu finden.

Als erste Schwarze im Amt der Generalstaatsanwaltschaft und zweite Schwarze im Senat der USA ist Kamala Harris jetzt die erste Frau und erste Schwarze als Vizepräsidentin der USA. Ihre Biographie, die von einem 32-seitigen farbigen Bildteil ergänzt wird und damit weitere Einblicke in ihr Leben bietet, hat mir diese eindrucksvoll agierende Politikerin nicht nur persönlich, sondern auch beruflich auf den verschiedenen Stufen ihrer Karriere nähergebracht. In ihren Worten ist immer ihr Bemühen, um Gerechtigkeit zu spüren, die Dankbarkeit für Leitsätze ihrer verstorbenen Mutter an die sie sich bis heute orientiert, die Freude an ihrem Beruf und die Verbundenheit mit Familienmitgliedern und Freunden. Ich hoffe, dass Kamala Harris sich weiterhin ihren bisher verfolgten Werten verpflichtet und noch viel Gutes bewirken wird.

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Veröffentlicht am 23.04.2021

Mitreißender und bewegender Roman über zwei ganz unterschiedliche junge Frauen in den 1950ern

Lebenssekunden
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Im Roman „Lebenssekunden“ erzählt Katharina Fuchs das Schicksal zweier junger Frauen von 1956 bis 1961. Auf dem Cover ist in der Mitte rechts ein Straßenschild zu sehen mit der Bezeichnung „Bernauer Straße“. ...

Im Roman „Lebenssekunden“ erzählt Katharina Fuchs das Schicksal zweier junger Frauen von 1956 bis 1961. Auf dem Cover ist in der Mitte rechts ein Straßenschild zu sehen mit der Bezeichnung „Bernauer Straße“. Durch den Bau der Mauer wurde hier in den Alltag der Anwohner besonders drastisch eingegriffen, was im Buch unter anderem thematisch aufgegriffen wird. Der Titel nimmt Bezug auf die wichtigen Momente im Leben, die sich nur in einem genau passenden Augenblick in einem Foto festhalten lassen.

Angelika Stein ist eine der beiden Protagonistinnen. Sie lebt Mitte der 1950er Jahre mit ihren Eltern und drei Geschwistern in Kassel. Aufgrund ihrer schlechten Leistungen und ihrer Fehlstunden wird sie der Schule verwiesen. Insgeheim träumt sie davon, sich zur Fotografin ausbilden zu lassen, doch Lehrstellen scheinen männlichen Mitbewerbern vorbehalten zu sein. Ein tragisches Unglück schärft ihren Blick für das, was Fotografien dem Betrachter vermitteln sollten. Aufgrund glücklicher Verknüpfungen geht ihr Berufswunsch schließlich in Erfüllung.

Währenddessen wird in Ostberlin das Talent der gleichaltrigen Christine Magold als Kunstturnerin erkannt und vom Staat gefördert. Schule und Training gestalten ihren Tagesablauf. Obwohl ihr Vater republikflüchtig ist, kommt ihr Erfolg ihrer im Osten lebenden Familie zugute. Doch ihre Gesundheit leidet zunehmend unter den Bedingungen, so dass sie sich fragt, ob es im Sport eine Zukunft für sie geben wird.

Katharina Fuchs erzählt direkt aus dem Leben. Dank ihrer sehr guten Recherche verknüpft sie gekonnt Fantasie und Fakten miteinander und schafft auf diese Weise ein vorstellbares authentischen Umfeld für ihre handelnden Personen. Angelika und Christine sind eigenwillige Charaktere, die beide einen Traum vom Erfolg auf ganz unterschiedlichen Gebieten haben. Während Angelika durch ihre Tätigkeit an Erfahrung gewinnt und immer selbstsicherer wird, beginnt Christine durch äußere Einflüsse an ihrem Tun zu zweifeln.

Die Autorin schafft bei ihren Protagonistinnen nicht nur durch die verschiedenen Lebensmittelpunkte, sondern bereits aufgrund des Elternhauses ganz unterschiedliche Voraussetzungen für einen Start ins Leben. Beide spüren die damals jeweils geltenden staatlichen Regeln, die sich vor allem für Christine entscheidend auf ihr Leben auswirken. Die Handlungen ihrer Figuren begleitet Katharina Fuchs mit Begründungen und dem Offenlegen der Gefühle, was ihr durch die auktoriale Erzählweise bestens gelingt.

An der Seite von Angelika und Christine geht der Leser über viele Höhen und manches Tal, hofft und bangt und freut sich über die Erfolge. Geschickt setzt Katharina Fuchs zum Ende der Kapitel, die zwischen den beiden Frauen ständig wechseln, kleine Cliffhanger, die dadurch zum schnellen Weiterlesen auffordern.

Der Drill im Leistungssport, Fotojournalismus und die zunehmende Spaltung Deutschland in Ost und West nach dem Zweiten Weltkrieg sind die großen Themen des Romans, denen die Autorin sich einfühlsam und kompetent widmet. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung für „Lebenssekunden“, einem mitreißenden, bewegenden Roman von Katharina Fuchs.

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Veröffentlicht am 13.04.2021

Bewegender Roman auf zwei Zeitebenen mit den Themen Demenz und Rassismus nach dem Zweiten Weltkrieg

Stay away from Gretchen
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Der Roman „Stay away from Gretchen – eine unmögliche Liebe“ von Susanne Abel spielt auf zwei Zeitebenen. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Greta Monderath. Im Sommer 2015 ist sie 84 Jahre alt. Sie wird ...

Der Roman „Stay away from Gretchen – eine unmögliche Liebe“ von Susanne Abel spielt auf zwei Zeitebenen. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Greta Monderath. Im Sommer 2015 ist sie 84 Jahre alt. Sie wird zunehmend dement, aber in ihren klaren Momenten erzählt sie ihrem Sohn Tom erstmalig von ihrer Kindheit und Jugend in Ostpreußen, die jäh mit Vertreibung zu Beginn des Jahres 1945 endete. Das Ziel der Familie bei ihrer Flucht waren Verwandte in Heidelberg, welches damals von der US-Armee eingenommen war. Der Titel nimmt Bezug auf das Fraternisierungsverbot, das die militärische Führung der US-Streitkräfte erlassen hatte. In diesem Rahmen sollen sich ihre Soldaten selbstverständlich auch von den schamlosen deutschen Frauen fernhalten. Aber nicht nur deswegen ist die Liebe von Greta zum GI Robert Cooper, eine unmögliche Liebe, sondern auch weil er afroamerikanisch ist.

Tom Monderath ist ein bekannter Nachrichtenmoderator im Fernsehen. Nach einigen Jahren im Ausland ist er in seine Heimat Köln zurückgekehrt. Um seine Mutter hat er sich bisher kaum Sorgen gemacht, sie wohnt allein in der elterlichen Wohnung und versorgt sich selbst. Nachdem sie mit dem Auto einen unvorhergesehenen Ausflug gemacht hat, beginnt Tom zu ahnen, dass Greta ihm über ihren Gesundheitszustand einiges vorgeflunkert hat. Sie wird von bestimmten Dingen getriggert, die bei ihr Erinnerungen auslösen und sie dazu veranlassen, ihrem Sohn von ihrer Vergangenheit zu erzählen. Durch Zufall entdeckt Tom in einem Dokument seiner Mutter das Foto eines kleinen Mädchens mit dunkler Haut. Aufgrund seiner guten Recherchefähigkeiten erfährt er bald mehr über die Herkunft des Kinds und dessen Zusammenhang mit seiner Familie.

Durch den furiosen Start mit der Irrfahrt von Greta wurde ich als Leser in die Geschichte hineingesogen. Mit Tom hat Susanne Abel eine moderne interessante Figur geschaffen. Tom ist alleinstehend mit wechselnden Partnerschaften. Er interviewt Politiker mit Rang und Namen und berichtet täglich von den aktuellsten Ereignissen zu denen auch das Thema der syrischen Flüchtlinge gehört. Zunächst wirkte er leicht hochnäsig und genervt auf mich. Im Laufe der Erzählung wurde er mir, auch aufgrund seiner tatsächlichen Sorge und sein Kümmern um seine Mutter sympathischer, auch weil ihm sein Bild in der Öffentlichkeit zunehmend weniger wichtig wurde.

Die Autorin hat ein Händchen dafür, das Tun und Handeln ihrer Charaktere authentisch abzubilden. Dabei lässt sie bei der Erkrankung von Greta persönliche Erfahrungen einfließen. Sie verdeutlicht, dass Demenz das Schwinden der Erinnerungen der betroffenen Person mit sich bringt aber auch für die Angehörigen nicht mehr greifbar sein wird.

Susanne Abel zeigt mir einerseits mit dem Rassismus in der US-Armee und andererseits mit dem Umgang der Deutschen mit sogenannten „Brown Babys“ zwei Themen auf, die mir bisher von ihrer Bedeutung nicht bewusst waren. Bestürzt verfolgte ich die Schilderungen, die realistisch im Beispiel die tatsächlichen Begebenheiten wiedergeben. Es gelingt der Autorin, Fakten auch in einem längeren Zusammenhang anregend einzubauen.

Mit dem Buch „Stay away from Gretchen“ hat Susanne Abel einen ansprechenden, bewegenden Roman geschrieben, der eine Verbindung zwischen der heutigen Flüchtlingskrise und den Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg zieht. Mit der Rassentrennung innerhalb der US-Armee und dem Umgang mit alleinerziehenden Frauen und ihren Babys, mit der besonderen Variante von Kindern mit dunkler Hautfarbe, im Nachkriegsdeutschland bindet sie heute wenig kommunizierte, aber wichtige Themen in ihre Geschichte ein. Mich hat die ergreifende Erzählung sehr berührt und daher empfehle ich sie gerne uneingeschränkt weiter.

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