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Veröffentlicht am 27.05.2021

Außergewöhnlicher Krimi

Die zweite Schwester
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Wenn im Internet eine Hetzjagd auf ein Mädchen angezettelt wird. Wenn hunderte Menschen sich an dieser digitalen Hetzjagd beteiligen. Wenn besagtes Mädchen in letzter Konsequenz den Freitod wählt. Wer ...

Wenn im Internet eine Hetzjagd auf ein Mädchen angezettelt wird. Wenn hunderte Menschen sich an dieser digitalen Hetzjagd beteiligen. Wenn besagtes Mädchen in letzter Konsequenz den Freitod wählt. Wer trägt dann die Schuld? Und was steckt hinter diesem perfiden Spiel?

Chan Ho-Kei hat mit „Die zweite Schwester“ einen Kriminalroman geschaffen, der von der ersten bis zur letzten Seite an unseren Vorstellungen von Moral und Gerechtigkeit rüttelt.
Der Autor erzählt eine bis ins letzte Detail durchdachte Geschichte, die uns Leser immer wieder an der Nase herumführt und überrascht. Zu keiner Zeit lässt er sich in die Karten schauen und baut so bereits im Prolog eine Spannung auf, die sich auf hohem Niveau durch das gesamte Buch zieht.

Ungewöhnlich, und man sollte meinen ein garantierter Spannungskiller, ist, dass bereits zur Hälfte klar wird, wer der wahre Schuldige ist. Nicht aber in diesem Roman. Ganz im Gegenteil: Da an dieser Stelle nach wie vor die eigentlichen Motive weiter im Dunkeln liegen, entwickelt sich „Die zweite Schwester“ spätestens jetzt zu einem Pageturner der Extraklasse.

Auch sämtliche Figuren kommen wohl durchdacht, realistisch und glaubwürdig daher. Dabei schafft Chan Ho-Kei mit Nga-Yee und N ein Figurenpaar, das durchweg für eine gewisse Dramatik sowie für Unterhaltung sorgt. Während Nga-Yee für meinen Geschmack teilweise zu naiv und gutgläubig ist, ist N der perfekte Gegenpart und Antiheld. Immer wieder fühlte ich mich an Stieg Larssons Lisbeth Salander erinnert, obwohl N noch mal ein ganz anderes Kaliber ist. Trotz seiner schroffen Art, die so einige Male Grenzen überschreitet, war ich Fan der ersten Stunde. Für mich hat N der Handlung einen unglaublichen Drive gegeben.

Neben dem eigentlichen Kriminalfall vermittelt Chan Ho-Kei die nötigen IT-Kenntnisse, um die Geschehnisse um Nga-Yee, ihre Schwester Siu-Man und N zu verstehen. In gut dosierten und leicht erklärten Sequenzen schildert er auf erschreckende Weise, welche Möglichkeiten und Schlupflöcher das World Wide Web mit dem nötigen Know-how bietet.

Der Autor versteht es, intelligent mit Sprache zu spielen. Er hat ein Gefühl dafür, wann es nötig ist, zwischen den Perspektiven zu wechseln, Spannung und Humor einzusetzen und punktgenau die nötigen Details zu liefern, um seine Leser bei Laune zu halten.
Schlussendlich fügen sich alle einzelnen Fäden zu einem in sich schlüssigen Gesamtbild zusammen.

Persönliches Fazit: Chan Ho-Kai versteht sein Handwerk und erzählt seine Geschichte auf einem wirklich hohen Niveau. „Die zweite Schwester“ ist für mich schon jetzt eines meiner Lesehighlights 2021! Wer Settings abseits des Mainstreams sucht und sich gern mit der Hackerszene auseinandersetzt, sollte unbedingt zu diesem Kriminalroman greifen.

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Veröffentlicht am 22.05.2021

Gelungene Adaption!

1984 (Graphic Novel)
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George Orwells 1948 erschienener Roman »1984« schildert als Dystopie die düstere Vision eines totalitären Überwachungs- und Präventionsstaates. Ort der Handlung ist London, die wichtigste Stadt von Landefeld ...

George Orwells 1948 erschienener Roman »1984« schildert als Dystopie die düstere Vision eines totalitären Überwachungs- und Präventionsstaates. Ort der Handlung ist London, die wichtigste Stadt von Landefeld Eins, dem früheren England, das jetzt ein Teil von Ozeanien ist. Eine beängstigende Welt, die von Paranoia dominiert wird. Dort begegnen wir dem Angestellten Winston Smith, der der äußeren Partei angehört und für das Ministerium für Wahrheit arbeitet. Seine Aufgabe ist es, Nachrichten und Informationen rückwirkend so zu verändern, wie es sein Arbeitgeber verlangt. So schreibt er beispielsweise ältere Zeitungsartikel um, damit sie der Gegenwart bzw. der vorgegebenen Wahrheit angepasst werden. Das, was die Partei gegenwärtig sagt, muss sie de facto auch schon in der Vergangenheit gesagt haben.

Doch Winston ist nicht wie andere, nicht wie die Parteiführer und erst recht nicht wie jene, die sich diesem totalitären System nur allzu gern beugen. Er will etwas dagegen unternehmen. Rebellieren. Doch jeder Schritt, jeder Gedanke und jede Gesichtsregung wird von »Big Brother« mittels Telebildschirmen überwacht. Sogar in ihren Wohnungen sind die Menschen nicht allein. Und so muss Winston sich vorerst bedeckt halten, darf zumindest äußerlich nicht auffallen, während in seinem Inneren ein größer werdendes Feuer lodert. Mich haben seine Willenskraft und insbesondere die rebellischen Züge auf eine Weise beeindruckt, die ich kaum in Worte fassen kann. Mir war bisher nur als Zuschauerin von einer RTL Show bekannt, was hinter der Aussage »Big Brother is watching you« steckt, aber versetze ich mich in Winstons Lage, finde ich diese allumfassende Kontrolle und Überwachung überhaupt nicht mehr spannend und unterhaltsam. Ganz im Gegenteil. Sie ist erschreckend, einnehmend und absolut nicht mit den Grundrechten, wie wir sie heute kennen, vertretbar. Der springende Punkt allerdings ist, dass uns niemand garantieren kann, wie unsere Zukunft aussehen wird. Keiner kann voraussagen, dass es diese Grundrechte auch in 30 Jahren noch geben wird. Oder in 300. Dass wir nicht eines Tages in einem System feststecken, das uns jede Form von Privatsphäre und Meinungsbildung untersagt.

Das Buch ist in drei Kapitel eingeteilt, von denen mir das letzte am besten gefiel. In diesem geht es u.a. darum, wie viel Einfluss etwas oder jemand auf einen haben kann, wenn Zeit keine Rolle mehr spielt. Wenn man oft genug hört, man soll etwas glauben, dann glaubt man es irgendwann. Mich hat das sehr berührt und nachdenklich gestimmt. Wer die Geschichte bereits kennt, wird wissen, warum mir folgende Gleichung daher nicht mehr aus dem Kopf geht: 2 + 2 = 5.

»Freiheit bedeutet die Freiheit, zu sagen, dass zwei und zwei vier ist.«

Die Graphic Novel vom Splitter Verlag greift die ursprüngliche Storyline auf und verpasst ihr einen düsteren Touch, der passend gewählt wurde. Ob man bei den Illustrationen bewusst auf eine minimalistische Form- und Farbgebung gesetzt hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Für mich wirkte es allerdings so, als hätte man das Wesentliche fokussieren und widerspiegeln wollen. Und das hat meiner Meinung nach hervorragend funktioniert.

Persönliches Fazit: Mit »1984« schuf Orwell einen zeitlosen Klassiker und eines der einflussreichsten, meistgelesenen Bücher des 20. Jahrhunderts. Die Graphic Novel aus dem Splitter Verlag hat Literatur und Kunst auf großartige Weise miteinander verbunden.

»Wenn Sie ein Bild von der Zukunft haben wollen, so stellen Sie sich einen Stiefel vor, der auf ein Gesicht tritt. Unaufhörlich.« George Orwell

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Veröffentlicht am 18.05.2021

Wahnsinnig berührend

Die Telefonzelle am Ende der Welt
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Eines Tages erfährt Radiomoderatorin Yui von einem Zuhörer, dass es eine ganz besondere Telefonzelle am Hang des Kujirayama in Ôtsuchi, an der Küste Nordostjapans, gibt. Seit dem Tsunami im März 2011, ...

Eines Tages erfährt Radiomoderatorin Yui von einem Zuhörer, dass es eine ganz besondere Telefonzelle am Hang des Kujirayama in Ôtsuchi, an der Küste Nordostjapans, gibt. Seit dem Tsunami im März 2011, durch den auch Yui selbst schwere Verluste erlitt, reisen viele Trauernde hin, um den Stimmen der Vergangenheit zu lauschen. Und genau in diesem Moment, während ich verzweifelt überlege, welche Worte dem gerecht werden, was ich gelesen habe, kommen mir Tränen.

Yui ist mir sofort ans Herz gewachsen. Was ihr widerfahren ist, wünsche ich wirklich niemandem. Ihre tragische Geschichte hat mich so manche Emotion durchleben lassen, sodass Yui mir nach alldem wie eine gute Freundin vorkommt. Eine, die ich beschützen möchte und der ich alles erdenklich Gute dieser Welt wünsche. Denn das hat sie verdient.

Auch die andere Figur in diesem wundervollen Roman konnte sich in mein Herz schleichen: Takeshi. Ein Arzt, den Yui in Bell Gardia kennenlernt. Dem magischen Ort, der die Telefonzelle beherbergt. Dort treffen sie aufeinander und finden den Halt, den sie so lange und dringend gesucht haben.

Die Autorin hat einen wahnsinnig bildgewaltigen, fesselnden Stil, dass man ihren Worten nicht entkommt. Man wird sogartig hinfortgetrieben, von Welle zu Welle gespült, in die Unendlichkeit der Tiefe gezerrt und zurück an die Oberfläche geschubst, wo warme Sonnenstrahlen tröstend auf einen warten. Manchmal jedoch verliert sie sich in ihren Erzählungen und Beschreibungen, sodass diese besondere Anziehungskraft etwas nachlässt.

Und immer wieder habe ich mich gefragt, was ich tun würde, wenn solch ein Ort für mich erreichbar wäre. Würde ich mit jenen sprechen wollen, die mich verlassen mussten? Wäre ein "Ich vermisse dich" zu wenig der Worte? Und wie würde ich damit klarkommen, wenn ich aufgrund vieler anderer Trauernden nicht dazu käme, den Stimmen der Vergangenheit zu lauschen?

Persönliches Fazit: Selten habe ich so viel nach Beenden eines Buches über dieses nachgedacht wie es hier der Fall war. Es hat mich enorm berührt, mir Licht gegeben, wo Dunkelheit war, mich träumen und wünschen lassen und wird mich womöglich nie mehr loslassen. Eine poetische Geschichte über einen magischen Ort, den es tatsächlich gibt. Bitte lesen!

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Veröffentlicht am 10.05.2021

Fantasy-Highlight 2021

Mr. Parnassus’ Heim für magisch Begabte
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Linus Baker ist ein Mann in den mittleren Jahren, arbeitet seit längster Zeit für die BBMM, die Behörde für die Betreuung magischer Minderjähriger. Die Behörde sorgt dafür, dass alle Kinder mit besonderen ...

Linus Baker ist ein Mann in den mittleren Jahren, arbeitet seit längster Zeit für die BBMM, die Behörde für die Betreuung magischer Minderjähriger. Die Behörde sorgt dafür, dass alle Kinder mit besonderen Fähigkeiten registriert und überwacht werden. Klingt natürlich erst einmal nicht schlecht, doch ist Kontrolle via System in Ordnung? Viele Mitarbeiter dieser Behörde sehen leider nicht den Menschen selbst hinter all dem magischen Gedöns. Das hat mir sehr gut an Linus gefallen. Er ist zwar systemtreu, handelt strikt nach den Vorgaben und Verordnungen, vergisst dabei jedoch nicht, dass es auch nur Kinder sind, die menschlich behandelt werden möchten. Er war mir direkt sympathisch und ich fand es großartig, dass der Charakter im Laufe des Buches wachsen durfte.

Auch die anderen Protagonisten habe ich sehr in mein Herz geschlossen, vor allem die Kinder, die in Mr. Parnassus' Heim leben. Hier hat mich besonders Talia überrascht. Sie ist aufgeschlossen, frech, aber auch liebenswürdig, sehr weise für ihr junges Alter. Der Autor hat wirklich eine wundervolle Welt geschaffen, mit ausgereiften und großartigen Figuren. Am liebsten würde ich jeden erwähnen, denn verdient hätten es alle.

Der Schreibstil hat mir auch sehr gut gefallen. Ich habe kaum gemerkt, wie schnell ich von Seite zu Seite gesprungen bin. Das Buch lässt sich flüssig und leicht lesen. Neue Begriffe werden gut und ausführlich erklärt. Die Spannung ist von Anfang an da und folgt stringent einem roten Faden. Auch wenn anfangs nicht viel passiert, so wird der Leser dennoch motiviert, das Buch nicht fallen zu lassen. Man möchte einfach wissen, wie es weitergeht.

Persönliches Fazit: Ein rundum gelungenes Buch. Zwar weist es Gemeinsamkeiten mit bereits bekannten Filmen und Büchern auf, jedoch hat der Autor das Thema sehr gut umgesetzt und auch ausreichend Neues mit eingebracht. Für Fantasy-Fans ein absolutes Must Read, aber auch für Leser, die gern überrascht werden möchten. Ich empfehle das Buch von Herzen weiter.

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Veröffentlicht am 10.05.2021

Sehr interessanter Blick hinter die Kulissen

Die Queen
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Fast jedes Mädchen hat sich schon einmal gewünscht, Prinzessin zu sein. Queen Elizabeth lebt diesen Traum seit nunmehr 70 Jahren: als Königin des britischen Empire ist sie nicht nur die älteste, sondern ...

Fast jedes Mädchen hat sich schon einmal gewünscht, Prinzessin zu sein. Queen Elizabeth lebt diesen Traum seit nunmehr 70 Jahren: als Königin des britischen Empire ist sie nicht nur die älteste, sondern auch die Königin mit der längsten Amtszeit. Zum 95. Geburtstag der Queen erschien nun diese Biografie.

Sie erscheint stets unnahbar, dennoch ist sie auch nur ein Mensch. Der Leser begleitet die Königin durch die Kindheit und Jugend, erlebt Meilensteine wie ihre Krönung oder ihre Hochzeit. Garniert wird das Ganze mit Fotos, von denen ich persönlich gerne mehr gehabt hätte (wenn ich schon einen Blick hinter die Kulissen werfen darf, kann ich gar nicht genug bekommen).

Die Journalistin Paola Calvetti trägt mit ihrem unaufgeregten Schreibstil dazu bei, dass die Queen trotz der persönlichen Einblicke ihre Größe bewahrt. Gut, bei einem Buch dieser Länge dürfte klar sein, dass vieles nur angerissen wird und die Biografie auch nicht aufschließend ist.

Hier noch eine kleine Anekdote: Für die Krönung übte die Queen, indem sie einen Sack Kartoffeln auf dem Kopf balancierte. „Man kann nicht hinunterschauen, um die Rede zu lesen. Man muss die Rede hochhalten.“

Persönliches Fazit: Eine Empfehlung an alle LeserInnen, die schon immer etwas mehr über die berühmte Monarchin wissen wollten.

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