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Veröffentlicht am 24.08.2021

Das beste Tennismatch aller Zeiten – eine Farce?

Julius oder die Schönheit des Spiels
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Julius ist ein Sportsmann, ein Kämpfer, aber auch ein guter Verlierer. Julius ist zwar ein fiktionaler Name und Charakter, aber eng angelehnt an den in den 1920er/30er Jahren sehr populären Tennisspieler ...

Julius ist ein Sportsmann, ein Kämpfer, aber auch ein guter Verlierer. Julius ist zwar ein fiktionaler Name und Charakter, aber eng angelehnt an den in den 1920er/30er Jahren sehr populären Tennisspieler Gottfried von Cramm. Cramm war bekannt dafür, äußerst fair mit seinen Gegnern umzugehen und lieber „schönes Tennis“ zu spielen als zu gewinnen. Doch nicht nur auf dem Platz war er ein Ehrenmann. Er unterstützte Freunde völlig unabhängig von Herkunft, Religion oder sexueller Identität und war damit im Nationalsozialismus schnell den Machthabern im Dorn im Auge. Er trat nie in die NSDAP ein und versuchte sich immer aus dem politischen Minenfeld herauszuhalten.

Aus dieser Konstellation – und der Tatsache, dass von Cramm tatsächlich im Jahr 1938 unter merkwürdigen Umständen festgenommen wurde – entwirft Tom Saller ein Szenario, das einerseits fast unglaublich klingt, andererseits so gut zu dem ehrenwerten Sportler passt, dass man versucht ist, es genau so glauben zu wollen. Was, wenn Julius (Gottfried) das „beste Tennismatch aller Zeiten“ gar nicht wirklich verlor? Was, wenn er das Spiel beeinflusste – aufgrund eines ominösen Anrufs, den er kurz vor dem Spiel entgegennahm?

Was in der ersten Hälfte noch wie ein Coming of age- Roman wirkt und mitunter ein wenig träge daherkommt, wird in der zweiten Hälfte immer spannender. Als die Hintergründe des mysteriösen Anrufs schließlich offenbar werden, habe ich nach Luft geschnappt – und konnte Julius plötzlich so gut verstehen. Tom Saller hat vor allem im letzten Drittel ein immens beeindruckendes Buch geschaffen, das mit vielen Aha-Effekten aufwartet.

Ich selbst muss zugeben, dass ich zu blöd war alle Hinweise zu erkennen. Dass es sich bei der in Berlin kennengelernten Freundin Lena um Marlene Dietrich handelte, wurde mir leider erst mit dem Nachwort bewusst. Seinen Freund Erich jedoch habe ich gleich „erkannt“.

Ich ziehe meinen Hut vor der Komposition dieses Buches, das mit vielen historischen Grundlagen, aber doch auch einer ordentlichen Portion Fantasie aus einem interessanten Stück Sportgeschichte eine noch viel spannendere Geschichte mit viel Empathie, Toleranz und Geradlinigkeit zaubert.

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Veröffentlicht am 04.08.2021

Die Wildnis vor der Haustür

Wo die wilden Tiere wohnen
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Karsten Nitsch ist für ein Leben mit und in der Natur gemacht. Das wird immer wieder deutlich, wenn man sein Buch liest. In diesem hat er Anekdoten aus seinem Leben als Naturführer in der Lausitz zusammengetragen. ...

Karsten Nitsch ist für ein Leben mit und in der Natur gemacht. Das wird immer wieder deutlich, wenn man sein Buch liest. In diesem hat er Anekdoten aus seinem Leben als Naturführer in der Lausitz zusammengetragen.

Er berichtet von Wolfsbegegnungen und anderen Tierbeobachtungen, von der Handaufzucht verwaister Vögel und der Natur im Lauf der Jahreszeiten – und überall wird seine Verbundenheit zur Natur deutlich.

Als Leser folgt man ihm in die Stille der Lausitz, in die Teichlandschaften, die Flussauen, die Tagebau-Folgelandschaft. Einerseits vermittelt er in diesem kompakten Buch interessante Fakten zur Natur in seiner Heimat, andererseits bieten 4 kurze Kapitel mit Übungen zum Nachmachen in Schüler-/Studenten- oder auch Erwachsenengruppen die Möglichkeit, spielerisch das Naturerlebnis zu intensivieren. Diese Übungen kann man auch als Familie mit den Kindern machen, um ihnen die Natur und ihre Vielfalt näher zu bringen.

Auch ich habe viel gelernt beim Lesen dieses Buches. So weiß ich jetzt zum Beispiel, wie eine Blauracke aussieht und dass der Ruf eines Wiedehopfes wie ein sehr preiswerter Wecker klingt. Ich weiß, warum es wahrscheinlicher ist, einem Jungwolf zu begegnen als einem älteren Tier – und wie man sich in so einem Fall am besten verhält.

In einigen Kapiteln werden auch rührende – und zum Teil sehr witzige - Tiergeschichten erzählt. Zweimal hat Karsten Nitsch Jungvögel aufgenommen. Einmal hat er ein Gänseei auf Drängen der Kinder ausgebrütet (und den Prägungseffekt seines Anblicks bei der frisch geschlüpften Frieda unterschätzt) und einmal bot er einer Nebelkrähe namens Max ein Zuhause. Max schießt mit seinen Aktionen echt den Vogel ab – er ist eine Intelligenzbestie, die bald schon im ganzen Dorf als Meisterdieb bekannt ist. Egal ob er Zigaretten für den „Vogelpapa“ klaut oder bei der Nachbarin die frisch aufgehängte Wäsche wieder „abnimmt“ – mit Max ist immer was los. Ein herrliches Kapitel und für mich das Highlight des Buches!

Ich hatte den Eindruck, dass der Schreibfluss zu Beginn des Buches noch nicht so ganz entstanden war (es ging für meine Begriffe ein wenig steif und holprig los), aber im Laufe des Buches wurden die Beschreibungen immer bildhafter und nahbarer, so dass sich schließlich ein leicht lesbares und interessantes Sachbuch entfaltete.

Ich empfehle dieses Buch allen, die ihre Naturverbundenheit stärken und die etwas über die Lausitz und ihre Bewohner lernen möchten. Wer sein Bewusstsein für Tiere, Pflanzen und Naturschutz erweitern will, ist bei diesem Buch goldrichtig. Die 4 jahreszeitlichen Praxisübungen runden das Werk ab und machen Lust auf „Draußensein“!

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Veröffentlicht am 14.07.2021

Genremix aus Sachbuch und biografischer Erzählung

Pfoten vom Tisch!
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Hape Kerkeling ist bekennender Katzenfan und hat einiges an Erfahrung mit den felligen Mitbewohnern aufzuweisen. Seit seiner Kindheit war er regelmäßig „Katzenpapa“ und bot Fellnasen ein Zuhause.

 

Von ...


Hape Kerkeling ist bekennender Katzenfan und hat einiges an Erfahrung mit den felligen Mitbewohnern aufzuweisen. Seit seiner Kindheit war er regelmäßig „Katzenpapa“ und bot Fellnasen ein Zuhause.

 

Von seinen Erlebnissen berichtet er in „Pfoten vom Tisch!“ Mal lustig, mal traurig, mal launig – die ganze Bandbreite dessen, was man mit Katzen erleben kann, wird abgedeckt. Auch schwierige Themen klammert er nicht aus. Die Entscheidung, ob und wann man ein Tier von seinen Qualen erlösen sollte, beschreibt er einfühlsam, aber auch realitätsnah. Und so, dass man sich hinterher als Leserin/Hörerin nicht unwohl damit fühlt.

 

Bei seinen Katzenerlebnissen habe ich oft schmunzeln müssen und auch immer wieder einmal gedacht „Genau wie meiner!“ – aber das wird wohl allen Katzenbesitzern so gehen.

 

Aufgrund Hape’s stimmlicher Veränderungsmöglichkeiten geraten die Anekdoten sehr kurzweilig und das waren auch die Parts, die ich am meisten genossen habe.

 

Zusätzlich soll das Buch aber wohl auch ein Leitfaden für Neu-Katzenbesitzer (oder solche, die es werden wollen) sein. So gibt er beispielsweise Tipps für die Auswahl eines passenden Kätzchens, zur Gestaltung von Wohnung oder Grundstück sowie zur medizinischen Versorgung. Das war für mich als „alten Hasen“ natürlich nichts Neues. Diese Teile umfassten die üblichen Hinweise und an diesen Stellen hatte das Hörbuch für mich dann so seine Längen. Ich hätte diese Teile gern zugunsten weiterer Katzenanekdoten gekürzt gesehen. Aber das Konzept war wohl ein anderes.

 

Dennoch spricht die Liebe zu seinen Samtpfoten aus jedem Kapitel dieses Buches und so ist es für Liebhaber von Katzengeschichten eine willkommene und unterhaltsame Ergänzung ihrer Bibliothek und ich empfehle es gern weiter.

 
 

 

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Veröffentlicht am 30.06.2021

Licht- und Schattenseiten des Ruhms

Miss Hollywood - Mary Pickford und das Jahr der Liebe
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Man kann sich kaum vorstellen, dass es mittlerweile schon über 100 Jahre her ist, seit die ersten Filme die Leinwand erobert haben. Und mit der Filmindustrie wurden die ersten Stars geboren. Einer davon ...

Man kann sich kaum vorstellen, dass es mittlerweile schon über 100 Jahre her ist, seit die ersten Filme die Leinwand erobert haben. Und mit der Filmindustrie wurden die ersten Stars geboren. Einer davon war Mary Pickford (ein Künstlername, denn ihr bürgerlicher Name Gladys Smith war wohl irgendwie nicht glamourös genug). Sie war neben Charlie Chaplin und Douglas Fairbanks DIE Größe im Stummfilmgeschäft und die bestbezahlte Schauspielerin ihrer Zeit. Mit Gagen von bis zu 10.000 Dollar pro Woche (!) – was auch heute noch ein stolzer Lohn wäre – schwelgte sie im Luxus. Doch so ein Leben hat auch Schattenseiten.

 

Und die beleuchtet Emily Walton in ihrem Buch über die Stummfilmlegende. Denn Mary war nicht von ungefähr so erfolgreich. Hinter ihr stand ihre strenge und zuweilen sehr übergriffige Mutter  Charlotte, die die Karriere ihrer Tochter lenkte.

Besonders problematisch wird es, als die verheiratete Mary sich in den ebenfalls verheirateten Douglas Fairbanks verliebt und eine Affäre mit ihm beginnt. Für beide ist es in diesem Moment die große Liebe, allerdings ist es im Amerika um 1920 nicht leicht, freie Bahn für die neue Beziehung zu schaffen. Scheidungen sind äußerst selten und kostspielig – im Falle der berühmten Schauspieler sind sie auch mit einem kolossalen Imageschaden verbunden.

 

Mary war immer „everybodys darling“ und versucht die Affäre mit Douglas sehr diskret zu handhaben. Aber die Presse bekommt natürlich irgendwann Wind davon und das war auch früher schon ein Haifischbecken – die Beziehung kommt ans Licht. Die beiden Noch-Ehepartner von Mary und Douglas tun ihr Übriges, um sie zu denunzieren und ihr Image zu zerstören. Eine schwierige Zeit für Mary, die sie auch ihre Filmverträge kostet. Doch die geschäftstüchtige Mary tut sich mit anderen Größen ihrer Branche zusammen und gründet mit ihnen den unabhängigen Filmvertrieb „united artists“.

 

Marys Weg wird in diesem Buch mit dem Fokus auf ihrer Beziehung zu Douglas Fairbanks beleuchtet. Als Leser bekommt man einen spannenden Einblick in die Stummfilmära und die Art der Filmproduktion damals. Das hätte ich mir aber noch etwas ausführlicher gewünscht. Wenn z. B. davon die Rede ist, dass Fotos mit Weichzeichner bearbeitet wurden, dann hätte ich gern erfahren, wie das mit den damaligen „Werkzeugen“ funktioniert hat, denn ich kann mir das irgendwie zu diesem Zeitpunkt gar nicht vorstellen.

 

Gefehlt hat mir auch ein wenig Marys „Vorgeschichte“. Ich habe bis zum Schluss nicht verstanden, was der Grund für ihre erste Ehe (mit Owen Moore) war, denn im Buch wird er als gewalttätiger Alkoholiker dargestellt und Mary bezeichnet die Ehe mit ihm von Anfang an als Fehler. Aber es muss ja einen Grund (und vielleicht auch mal Liebe) gegeben haben, sonst hätten sie ja nicht geheiratet… Da habe ich entweder etwas überlesen oder es wurde tatsächlich nicht thematisiert.

 

Dennoch ist es ein Roman zum Dahinschmelzen… die Aufbruchsstimmung in den frühen Jahren Hollywoods werden zum Leben erweckt und man bekommt einen Eindruck davon, wie es war, zum damaligen Zeitpunkt ein Star zu sein (gar nicht mal soviel anders als heute!). Die Autorin zeichnet das Bild einer Frau, die versucht ihr Leben selbst zu bestimmen und sich aus den Konventionen ihrer Zeit zu befreien – mit den Mitteln, die sie als Star ihrer Zeit hat. Emily Walton zeigt aber auch die Schattenseiten des Ruhms, die heute wie damals die Macht haben, Menschen zu zerstören. Ein lesenswerter Roman!

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Veröffentlicht am 22.04.2021

Huldas Weg geht weiter

Fräulein Gold: Der Himmel über der Stadt
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Also mit Hulda Gold würde ich ja gerne mal einen Kaffee trinken gehen im Berlin der 1920er Jahre. Im Café Winter sitzen, die Damen mit ihrem Bubikopf und den nur noch knielangen Kleidern beobachten, mir ...

Also mit Hulda Gold würde ich ja gerne mal einen Kaffee trinken gehen im Berlin der 1920er Jahre. Im Café Winter sitzen, die Damen mit ihrem Bubikopf und den nur noch knielangen Kleidern beobachten, mir von Hulda ihren Alltag in der Frauenklink schildern lassen… sie ist wirklich eine Hauptfigur, die man sich als Freundin wünscht.

 

Umso spannender ist es auch, ihren Weg zu verfolgen, zu sehen, wie sie sich weiterentwickelt, wie sie ihre beruflichen Ambitionen, aber auch ihre private Situation hinterfragt. In diesem Teil der Reihe hat Hulda nämlich gleich zwei Baustellen: zum einen beginnt sie ihre neue Stelle als Hebamme in der Frauenklinik und hat damit zu kämpfen, dass sie nur noch für „Vor- und Nacharbeiten“ zuständig ist. Die Begleitung der Geburt ist dem diensthabenden Arzt vorbehalten, und da es sich um ein Lehrkrankenhaus handelt, stehen immer noch diverse Studenten um die Gebärende herum und fachsimpeln. Ein Zustand, der für Hulda mehr als gewöhnungsbedürftig ist, nachdem sie jahrelang als freie Hebamme gearbeitet hat. Mit ihrem Detailwissen kommt sie nach und nach einigen Ungereimtheiten auf die Spur, die im Krankenhaus vor sich gehen.

 

Zum anderen ist ihre Beziehung zu dem Kriminalkommissar Karl North immer noch nicht in geregelte Bahnen gekommen und Hulda sehnt sich einerseits nach einer stabileren Beziehung, andererseits weiß sie nicht, ob Karl der richtige dafür ist. Als sie in der Klinik einen der Assistenzärzte näher kennenlernt, wird sie in ein ziemliches Gefühlschaos gestürzt.

 

Diese beiden Handlungsstränge tragen den Roman und wie schon in den Vorgänger-Bänden, versteht es Anne Stern, die Leser*innen mitten hinein zu ziehen in die Geschichte. Sie schreibt detailliert und bildet die Gefühlswelt ihrer Figuren so ab, dass man sich ganz nah fühlt.

 

Aus meiner Sicht aber blieb dadurch die Handlung und das Tempo des Romans ein wenig auf der Strecke. Der im ersten Drittel angedeutete Kriminalfall (Achtung – könnte jetzt ein kleiner Spoiler sein!) spielt letztlich leider nur eine sehr untergeordnete Rolle und wird zum Schluss recht unspektakulär aufgelöst. Dabei hatte ich mich doch wieder auf eine gemeinsame Ermittlung von Karl und Hulda gefreut! Aber diesmal gibt es keine beruflichen Berührungspunkte. Huldas Weg führt eben scheinbar in eine andere Richtung…

 

Auch die Nebenhandlung um Bert hätte ich mir ein wenig intensiver gewünscht. Nach einigen sehr interessanten Szenen, die viel Spannung versprechen, wird sie erst am Ende des Buches wieder aufgegriffen und auf wenigen Seiten zu einem Ende geführt - auch das fand ich ein wenig schade.

 

Und so bin ich diesmal ein klitzekleines bisschen enttäuscht (aber nur, weil ich die beiden vorigen Romane so überwältigend gut fand!).

 

Huldas dritter Einsatz ist und bleibt ein toller Roman, den man aufgrund ihres neuen Lebensabschnitts in der Klinik auch gut ohne Vorkenntnis der beiden anderen Bücher lesen kann. Und wie bereits geschildert punktet insbesondere Anne Sterns wunderbare bildhafte Erzählweise. Leseempfehlung!

 

P.S. Es wird auch noch einen 4. Band mit Hulda geben – im Herbst erscheint „Die Stunde der Frauen“!

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