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Veröffentlicht am 21.07.2021

Ein feiner "Rural Noir"

Unbarmherziges Land
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Im Zentrum der Handlung steht Mick Hardin, ein Militärpolizist, der auf Anraten seiner Schwester Linda zurück in seine Heimat, das östliche Kentucky, kommt, um private Angelegenheiten zu klären. Seine ...

Im Zentrum der Handlung steht Mick Hardin, ein Militärpolizist, der auf Anraten seiner Schwester Linda zurück in seine Heimat, das östliche Kentucky, kommt, um private Angelegenheiten zu klären. Seine Frau hatte eine Affäre, und nun ist sie schwanger. Von ihm oder ihrem Liebhaber, wer weiß? Aber noch bevor die klärende Aussprache stattfindet, wird er von Linda, die der erste weibliche Sheriff des Countys ist, um Hilfe in einem Mordfall gebeten. Ein alter Mann hat beim Ginseng sammeln in den Hügeln eine weibliche Leiche entdeckt. Unfall oder Mord, schnelle Aufklärung ist gefordert, ehe die Dinge außer Kontrolle geraten, denn im Hinterland von Kentucky ticken die Uhren anders.

„Unbarmherziges Land“ kommt im Gewand eines Thrillers daher und kann mit sämtlichen Attributen des Genres aufwarten, aber gegenüber dem Setting sind diese absolut zweitrangig und machen nicht die Qualität dieses Buches aus. Offutt ist mit der Gegend vertraut, seine Naturbeschreibungen sind mehr als bloße Dekoration, denn sie vermitteln ein Gefühl dafür, wie die Abgeschiedenheit sich auf das Leben der Menschen auswirkt. Wenn man Elmore Leonards „Raylan“ (literarische Vorlage für „Justified“) kennt, hat man schon eine ungefähre Vorstellung, was einem erwartet. In den Hügeln sind Familienbande wichtiger als Recht und Gesetz, das alttestamentarische Auge um Auge bestimmt das Handeln. Mick ist damit vertraut, er ist hier aufgewachsen, kennt die Bräuche, weiß, wen er wie ansprechen muss, um an Informationen zu gelangen, um die Hintergründe des Todesfalls aufzuklären und zu verhindern, dass die Sache aus dem Ruder läuft. Ein feiner „Rural Noir“, der hoffentlich in Serie geht!

Veröffentlicht am 19.07.2021

Zwischen Beharren und Aufbruch

Ein frommer Mörder
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McIlvanney? Da war doch was. Richtig, William McIlvanney, oft als Vater des schottischen „Noir“ bezeichnet. Ihm verdanken wir die drei Klassiker mit Jack Laidlaw, dem grüblerischen Detective der Glasgower ...

McIlvanney? Da war doch was. Richtig, William McIlvanney, oft als Vater des schottischen „Noir“ bezeichnet. Ihm verdanken wir die drei Klassiker mit Jack Laidlaw, dem grüblerischen Detective der Glasgower Polizei, ohne den Ian Rankin sich nach eigener Aussage wohl nicht diesem Genre zugewandt hätte. Warum? Weil dessen Kriminalromane soziale Missstände thematisieren, ein realistisches Bild einer Gesellschaft im Umbruch zeichnen. Es sind große Fussstapfen, in die Liam McIlvanney tritt, aber er meistert diese Herausforderung mit Bravour und wird 2018 mit dem „Bloody Scotland Prize“ seinen Kriminalroman ausgezeichnet, der sich sehr lose an den Bible John Fall anlehnt.

Ende der sechziger Jahre treibt ein Serienmörder, genannt „der Quäker“, in Glasgow sein Unwesen. Drei junge Frauen sind ihm schon zum Opfer gefallen, erwürgt und wie Müll in einem der vielen Abbruchhäuser entsorgt. Und obwohl mit Hochdruck ermittelt wird, tappt die Polizei im Dunkeln.

Drei Mordopfer ohne Gemeinsamkeiten. Der Täter, von dem nur eine rudimentäre Beschreibung vorliegt. Die Sondereinheit, im Trüben fischend. Und mittendrin, zwischen allen Stühlen, der von den Kollegen misstrauisch beäugte katholische Highlander Duncan McCormack, nach Glasgow geschickt, um die festgefahrenen Ermittlungen zu bewerten und den Fall möglichst unspektakulär zu einem Abschluss zu bringen. Nicht zu vergessen ein zweiter Handlungsstrang, in dessen Zentrum ein Safeknacker steht, der als Bauernopfer herhalten soll.

"Ein frommer Mörder" ist eine Story von düsterer Brillanz, die so überhaupt nichts mit den Serienmörder-Krimis weniger begabter Autoren gemeinsam hat, was vor allem aus der allgegenwärtigen Präsenz Glasgows resultiert. Eine Stadt, die sich verändert, in der alte Mietskasernen abgerissen und neue Hochhäuser gebaut werden. Eine Stadt, in der alles beim Alten bleibt, in der das organisierte Verbrechen Allianzen schmiedet und die Fäden zieht. Eine Stadt im Wandel zwischen Beharren und Aufbruch. Nachdrückliche Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 14.07.2021

Montreal, 12 Tage im Juli

Durch die Tore des Todes
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Ein Kopf im Müllcontainer, und das erst der Anfang. Jede Menge Leichen in Montreal, verteilt über die gesamte Stadt. Den Fällen gemeinsam ist das Graffito eines mörderischen Weihnachtsmanns am Fundort ...

Ein Kopf im Müllcontainer, und das erst der Anfang. Jede Menge Leichen in Montreal, verteilt über die gesamte Stadt. Den Fällen gemeinsam ist das Graffito eines mörderischen Weihnachtsmanns am Fundort und ein Hinweis auf den nächsten Mord samt Tatwaffe. Ein irrer Serientäter, den es auf nachdrückliche Anweisung des Polizeipräsidenten schnellstens zu stoppen gilt. Spätestens dann, als der Kopf eines hochrangigen Polizisten in einem Müllcontainer gefunden wird. Der kommissarische Leiter der Abteilung für Schwerverbrechen Sergent-Détective Victor Lessard und seine Kollegin Jacinthe Taillon werden mit den Ermittlungen betraut. Ein Täter, der das Katz-und-Maus Spiel in Perfektion beherrscht, unterschiedliche Tatwerkzeuge, Mordopfer ohne Gemeinsamkeiten und Verbindung. Ein Killer mit Mission? Ein heikler Fall, der die Ermittler fordert, denn es geraten auch Polizeikollegen in den Kreis der Verdächtigen. Alles nicht so einfach für Lessard und seine Teamkollegen, die samt und sonders detailliert charakterisiert und so sympathisch sind, dass man sie gerne während ihrer zwölftägigen Ermittlung begleitet.

Die Erzählstruktur des Thrillers ist ungewöhnlich und verdient Aufmerksamkeit. Michaud arbeitet sich rückwärts von Kapitel 48 vor, die Nummer 1 lesen wir erst auf Seite 382, an- und abschließend schiebt er noch drei kurze Kapitel nach. „Durch die Tore des Todes“ ist trotz der komplexen Story ein spannender Pageturner, der den Leser an den Seiten kleben lässt, was bei Thrillern, die die mühsame Polizeiarbeit in den Mittelpunkt stellen, nicht immer der Fall ist. Der Autor hat jederzeit Kontrolle über den Plot, behält den Überblick, verzettelt sich nicht in Nebensächlichkeiten sondern treibt die Handlung Seite um Seite mit jeder Menge unerwarteter Wendungen voran.

Eine Reihe, die ich mit Sicherheit weiter verfolgen werde. Der dritte Band „In die Fluten der Dunkelheit“ erscheint am 01.09.21. Ich freue mich darauf.

Veröffentlicht am 06.07.2021

Eine alte Konservierungsmethode erobert die Küchen

Magic Fermentation
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Einfrieren, Einkochen, Dörren - es gibt zahlreiche Methoden, um die Haltbarkeit von Nahrungsmittel zu verlängern. Aber kaum eine ist so effektiv wie das Fermentieren, hat dies doch im Gegensatz zu den ...

Einfrieren, Einkochen, Dörren - es gibt zahlreiche Methoden, um die Haltbarkeit von Nahrungsmittel zu verlängern. Aber kaum eine ist so effektiv wie das Fermentieren, hat dies doch im Gegensatz zu den vorgenannten nicht zu unterschätzende Vorteile hinsichtlich des gesundheitlichen Nutzens. Fermentierte Nahrungsmittel sind bekömmlicher, erhöhen den Gehalt an Vitamin C und B sowie die Bioverfügbarkeit der Mineralien, haben durch die Milchsäurebakterien einen positiven Einfluss auf die Darmflora und stärken das Immunsystem. Durch den Fermentationsvorgang verlängert sich die Haltbarkeit immens, Nährwert und Textur verändert sich, und last but not least entwickelt sich ein Geschmack, der mit den anderen Methoden definitiv nicht zu erreichen ist und mittlerweile auch in der Spitzengastronomie geschätzt wird.

Nach der 40-seitigen „Blubber-Basics“ Einleitung geht es gleich mit den „Wilden“ in die Vollen: Gemüse, Kräuter, Früchte und Würzsaucen, alles ist vertreten. Und natürlich dürfen Sauerkraut und Kimchi nicht fehlen. Die „Kultivierten“ legen den Schwerpunkt nicht nur auf Milchfermente und Getränke wie Kefir, Kombucha und Kwas sondern zeigen auch, wie man aus Hülsenfrüchten Miso, Tofu und Tempeh herstellen kann. Aber auch Sauerteig und Essig haben in diesem Kapitel ihren Platz. Abschließend dann das Kapitel mit den „Verrückten“, experimentelle Kombinationen der Autoren, die mal mehr und mal weniger gelungen erscheinen. Bei jeder dieser Untergruppen gibt es übrigens leckere Rezeptvorschläge für Mahlzeiten, in denen man die fermentierten Produkte einsetzen kann.

Im Anhang findet man die Pannenhilfe, ein ausführliches Glossar und Register sowie weiterführende Literaturhinweise und hilfreiche Bezugsquellen für Gefäße und ausgefallene Zutaten.

„Magic Fermentation“ ist sowohl für Einsteiger als auch Fortgeschrittene geeignet und bietet mit seiner Vielzahl von Tipps und Rezepten fundierte Informationen und Hilfestellungen für all diejenigen, die sich an dieser Konservierungsmethode versuchen möchten oder bereits von ihr überzeugt sind.

Veröffentlicht am 22.06.2021

Über Leben

English Monsters
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Britische Internate sind schlechter als ihr Ruf. Sie haben zwar den Anspruch, die künftige Elite der Upper Class zu erziehen, aber wenn man in der jüngeren Vergangenheit die Artikel der englischen Presse ...

Britische Internate sind schlechter als ihr Ruf. Sie haben zwar den Anspruch, die künftige Elite der Upper Class zu erziehen, aber wenn man in der jüngeren Vergangenheit die Artikel der englischen Presse verfolgt hat, stellt man schnell fest, dass viele Kinder dort ein unsägliches Martyrium erdulden mussten.

So auch Max Denyer, der, als die unbeschwerten Kindheitstage bei den Großeltern vorbei sind und seine abwesenden Eltern die Erziehung in die Hände des Lehrpersonals der Schule auf dem Hügel legen, den Übergriffen der „English Monsters“ ausgesetzt sein wird. Dort geht es weniger um das Vermitteln von Fähigkeiten und das Formen der Persönlichkeit, sondern vielmehr um deren Auslöschung, das Brechen des Willens. Psychische und physische Gewalt ist Usus, Unterdrückung, an der Tagesordnung, und obwohl wir das Jahr 1986 schreiben, ist das an den Privatschulen noch immer erlaubt. Die Lehrer agieren allesamt in einem rechtsfreien Raum und nutzen das weidlich aus, ganz gleich, ob sie wie „Crimble“ sanftmütig erscheinen oder ihre Brutalität offen ausleben. Und der tatterige Schulleiter? Lässt seinem Kollegium freie Hand und setzt selbst gerne die Reitpeitsche ein. Insbesondere die Übergriffe des Geschichtslehrers „Weapons“ Davis machen nicht nur Max das Leben zur Hölle. Der Alltag schweißt zusammen, geteiltes Leid ist halbes Leid. In Simon und Luke findet er nicht nur Leidensgenossen sondern auch eine Freundschaft, die die Zeit überdauert. Aber dennoch gibt es Dinge, über die sie schweigen. Bis ins Erwachsenenleben hinein.

Ein aufwühlender Roman, brutal und zärtlich zugleich, über ein menschenverachtendes Erziehungssystem, das auf Unterdrückung fußt und dessen traumatisierende Auswirkungen die Generationen überdauern. Aus dem Führungspersönlichkeiten in Politik und Wirtschaft hervorgehen, die einem eklatanten Mangel an Einfühlungsvermögen, an Empathie für ihre Mitmenschen haben.

1998 wurde die Prügelstrafe an Privatschulen in England und Wales abgeschafft, in Schottland 2000 und in Nordirland 2003.