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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.11.2021

Schön, aber ein bisschen zu "glatt"

Das geheime Leben des Albert Entwistle
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Albert steht kurz vor der Rente. Sein ganzes Leben lang hat er bei der Post gearbeitet und Briefe zugestellt, und doch ist er ein sehr in sich gekehrter Mensch. Bis seine Katze stirbt und ihm nun plötzlich ...

Albert steht kurz vor der Rente. Sein ganzes Leben lang hat er bei der Post gearbeitet und Briefe zugestellt, und doch ist er ein sehr in sich gekehrter Mensch. Bis seine Katze stirbt und ihm nun plötzlich klar wird: Er möchte nicht den lieben langen Tag alleine zuhause verbringen, und das für den Rest seines Lebens. Doch Albert hat nie geheiratet, wirkliche Freunde hat er nicht und auch auf der Arbeit ist er meist eher für sich geblieben. Als ihm bewusst wird, wie einsam er ist, beschließt Albert, das zu ändern. Und das nicht nur, indem er sich an den Unterhaltungen seiner Arbeitskollegen beteiligt, sondern vor allem auch, indem er sich auf die Suche nach seiner Jugendliebe macht - George.

Im Zentrum des Romans steht das Coming-Out eines Mannes, der in seiner Jugend bestraft wurde für die Liebe zu einem Mann, und der sich deshalb immer weiter vor der Welt, aber auch vor seinen eigenen Gefühlen verschlossen hat. Aus Angst musste Albert sich sein Leben lang versteckt halten und so fällt es ihm nun schwer, alte und festgefahrene Strukturen zu durchbrechen. Doch Albert ist ein stärkerer Charakter, als er selbst vielleicht weiß, und so macht er im Laufe des Romans eine wirklich schöne Entwicklung durch.

Was mir ein bisschen gefehlt hat sind die Hindernisse auf der Suche Alberts. Rückblickend werden immer wieder Szenen aus seiner Jugend und der gemeinsamen Zeit mit George eingeschoben, in denen sehr gut spürbar wird, wie verzweifelt und hilflos die beiden jungen Männer ob des irrationalen Hasses anderer Menschen waren. Eine ähnlich ausgearbeitete Darstellung hätte ich mir auch für den Gegenwarts-Handlungsstrang gewünscht, stattdessen läuft hier alles recht glatt ab.

Davon abgesehen bietet der Roman aber gute Unterhaltung und setzt ein wichtiges Thema schön um!

Veröffentlicht am 23.09.2021

Hätte besser sein können

Schmetterling aus Staub
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Mika wächst behütet in einer Welt auf, in der die Menschen glücklich sind. Alle sind entspannt und zufrieden, denn sie sind Harmonier. So hat es zumindest der Test entschieden, dem sie alle sich mit 8 ...

Mika wächst behütet in einer Welt auf, in der die Menschen glücklich sind. Alle sind entspannt und zufrieden, denn sie sind Harmonier. So hat es zumindest der Test entschieden, dem sie alle sich mit 8 Jahren unterziehen mussten und der die Menschen in Harmonie-, Macht-, Ehrgeiz- und Risikomenschen einteilt. Jede der vier Gruppen hat eine eigene Stadt, in der alles perfekt auf die jeweilige Persönlichkeit abgestimmt ist: Job, Erziehung, sogar die Nahrung und das Freizeitangebot. Wird bei einem Kind ein anderer Persönlichkeitstyp festgestellt als bei seinen Eltern, dann wird es einfach dem Testergebnis entsprechend in eine andere Stadt einsortiert. Mika selbst hat alles daran gesetzt, damit ihr das nicht passiert, denn schon früh hat sie festgestellt, dass sie so harmoniebesessen eigentlich gar nicht ist. Aber wer will schon aus seiner Familie gerissen werden? Also lebt sie Tag für Tag, Jahr für Jahr in Seelenheide und bekommt immer mehr das Gefühl, da nicht hinzugehören. Bis eines Nachts plötzlich ein Risikojunge auf ihrer Gartenmauer sitzt, der das System stürzen möchte.

Der Einstieg hat mir sehr gut gefallen und mich ein wenig an "Hüter der Erinnerung" von Lois Lowy erinnert. Auch die Grundidee hinter der Story fand ich toll und so kam ich anfangs wirklich gut zurecht. Mit der Zeit hat mich dann jedoch die Protagonistin Mika zusehends genervt; ihre charakterliche Entwicklung vollzieht sich wenn überhaupt nur sehr langsam, sie ist häufig sehr ängstlich und weinerlich und wirkt eher passiv und weltfremd. Viel spannender fand ich da die Nebenfigur Janna, ein Machtmädchen, das hin- und hergerissen ist zwischen seinem Drang, andere zu befehligen, und seinem innerlichsten Wunsch nach Liebe, Wertschätzung und Geborgenheit. Mit ihr im Fokus hätte ich die Geschichte viel mehr genossen. Dazu kommen hin und wieder einige Punkte, die nicht direkt Logikfehler in dem Sinne darstellen, die aber deutlich detaillierter hätten ausgearbeitet werden müssen, um wirklich Sinn zu ergeben.

Ich bin also etwas zwiegespalten, was ich von diesem Buch halten soll. Für "zwischendurch" ist es allemal gut, vollkommen überzeugen konnte es mich aber nicht!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.09.2021

Tatsächlich ein recht langatmiger Tag

Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García
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Pedro ist Postbote auf Lanzarote. Doch schon lange besteht seine Hauptaufgabe nicht mehr im Austragen von Briefen, sondern vielmehr im Verteilen von Werbeprospekten, da kaum mehr jemand echte Korrespondenzen ...

Pedro ist Postbote auf Lanzarote. Doch schon lange besteht seine Hauptaufgabe nicht mehr im Austragen von Briefen, sondern vielmehr im Verteilen von Werbeprospekten, da kaum mehr jemand echte Korrespondenzen per Post führt. Um dennoch seinen Job behalten zu können, muss er den Schein wahren und mit seiner Dienst-Honda monatlich eine gewisse Streckenzahl zurücklegen, die er jedoch kaum erreichen würde, wenn er nur seinen normalen Arbeitsweg beim Postaustragen damit zurücklegen würde. Und so fährt er regelmäßig mehrmals die Woche zu seinem zig Kilometer entfernt gelegenen Lieblingscafé, holt seinen Sohn Miguel von der Schule ab und ist auch sonst recht viel mit ihm unterwegs. Doch dann trennt sich Pedros Freundin und Mutter seines Sohnes von ihm und zieht mit dem Kind fort. Pedro ist am Boden zerstört und fsst erst wieder Hoffnung, als er auf Amado, einen Flüchtling, trifft. Gemeinsam mit ihm und seinem Freund Tenaro setzt Pedro nun alles daran, Miguel wiederzusehen.

Während Pedro mit der zunehmenden Digitalisierung und dem Verlust seines Sohnes kämpft, erfährt man nebenbei eine ganze Menge über die Geschichte der Insel, die schön in die Geschichte eingeflochten sind. Pedro und die anderen Figuren waren mir sympathisch, hätten aber durchaus noch tiefgründiger gestaltet werden können. Das Gefühl, dass sie wirklich individuelle Persönlichkeiten sind, hatte ich beim Lesen nicht - sie waren mir insgesamt einfach zu flach.

So schnell ich am Anfang des Buches in die Geschichte hineingefunden habe, so schnell wurde meine Lesebegeisterung dann auch wieder ausgebremst: Ich fand die Geschichte über weite Strecken viel zu langatmig und ohne erkennbaren Spannungsbogen, viele Ereignisse erschienen mir wahlweise irrelevant für den Fortlauf der Geschichte oder waren merkwürdig überspitzt dargestellt. Für meinen Geschmack hätte hier deutlich gekürzt werden können. So fiel es mir leider recht schwer, wirklich dranzubleiben, weil die Geschichte so gemütlich vor sich hingedümpelt ist ohne je wirklich an Fahrt aufzunehmen.

Fazit: Eine nette, sommerliche Lektüre für zwischendurch, aber die Tiefe und das entscheidende Etwas haben mir definitiv gefehlt.

Veröffentlicht am 01.08.2021

Nichtssagend

Wir für uns
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Eines Tages stellt Josie fest, dass sie wider Erwarten schwanger ist. Zu diesem Zeitpunkt ist sie jedoch bereits 41, womit die Wahrscheinlichkeit erhöht ist, ein Kind mit Trisomie auf die Welt zu bringen, ...

Eines Tages stellt Josie fest, dass sie wider Erwarten schwanger ist. Zu diesem Zeitpunkt ist sie jedoch bereits 41, womit die Wahrscheinlichkeit erhöht ist, ein Kind mit Trisomie auf die Welt zu bringen, und außerdem in einer Beziehung mit einem verheirateten Mann. Bengt, der mit seiner Frau bereits zwei Kinder hat und kein weiteres möchte, drängt Josie dazu, das Baby abzutreiben, und Josie beginnt sich zu fragen, was ihr im Leben wichtiger ist - der Mann, mit dem sie seit Jahren heimlich zusammen ist, oder das Kind, das in ihr heranwächst und möglicherweise eine Behinderung hat?

Parallel dazu muss Kathi den Tod ihres Mannes Werner verkraften. Die beiden standen kurz vor ihrer goldenen Hochzeit und haben ein halbes Leben miteinander verbracht, und doch stellt Kathi nach seinem Tod fest, dass sie den Mann an ihrer Seite nicht so gut kannte, wie sie immer geglaubt hat. Gleichzeitig ist da auch noch die Sache mit ihrem Sohn, der zwar eine Partnerin hat, ihr jedoch keine Hoffnung auf baldigen Nachwuchs gibt...

Josie und Kathi lernen sich durch einen Zufall kennen und entwickeln schon bald eine Freundschaft zueinander, aus der sie beide Kraft schöpfen.

Ich habe eine Weile gebraucht, um in den Roman hineinzufinden, und auch dann hatte er für mich noch einige Längen. Mit den beiden Protagonistinnen bin ich nicht recht warm geworden, ich habe zwar das Dilemma, in dem sie sich jeweils befinden, nachvollziehen können, sie blieben mir aber beide dennoch fremd und zu flach in ihrer Persönlichkeit.

Mein größter Kritikpunkt ist, dass zwar viele sehr wichtige und interessante Themen angesprochen werden - Trisomie 21 und der Umgang damit, Abtreibung, Trauer, Homosexualität - , keines davon jedoch wirklich überzeugend umgesetzt wird. Anfangs wirkte der Roman noch relativ vielversprechend, aber irgendwann hatte ich das Gefühl, dass die Autorin eigentlich gar nicht weiß, wohin sie will und was sie dem Leser sagen möchte, und daher ihren anfangs vergleichsweise klaren Standpunkt zu einem mehr oder weniger nichtssagenden Ende fortgeführt hat. Das hat mich leider enttäuscht, da so auch der gesamte Roman auf mich nichtssagend wirkt.

Gut lesen lässt er sich, und als lockere Lektüre für zwischendurch ist er allemal geeignet, ich hatte mir aber einfach mehr erhofft.

Veröffentlicht am 30.07.2021

Zwiegespalten

Der Windhof
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Nach dem Tod ihres Mannes David stürzt Mel in ein tiefes Loch. Sie kannte David seit der Schulzeit, nie war sie mit einem anderen Mann zusammen, nie konnte sie sich jemandem so öffnen wie ihm. Ihr restliches ...

Nach dem Tod ihres Mannes David stürzt Mel in ein tiefes Loch. Sie kannte David seit der Schulzeit, nie war sie mit einem anderen Mann zusammen, nie konnte sie sich jemandem so öffnen wie ihm. Ihr restliches Leben will sie mit niemand anderem verbringen. Und so sitzt sie Tag für Tag in ihrer Wohnung, während draußen das Leben ohne sie weitergeht. Aber was macht das schon? Sie kann sich ohnehin nicht vorstellen, jemals einfach so weitermachen zu können, ohne David. So ist sie auch alles andere als begeistert, als sie erfährt, dass sie für einige Wochen in den Westerwald zu ihrer Großmutter Lene reisen muss, die sich das Bein gebrochen hat und nun ans Bett gefesselt ist. Lene, vor der sie als Kind immer schon Angst hatte, mit deren Hof sie hauptsächlich schlechte Erinnerungen verbindet. Doch alles kommt anders als gedacht, entpuppt sich Lene doch schon bald als gar nicht so unfreundlich und ihre Vergangenheit als unglaublich spannend. Und dann ist da auch noch Noah, der Arzt des kleinen Örtchens, der die bettlägerige Lene regelmäßig besucht und zu dem sie sich wider Willen irgendwie hingezogen fühlt...

Es gibt zwei Handlungsstränge, der erste beschäftigt sich mit Mel und ihrer Trauerbewältigung auf dem Windhof im Westerwald, der zweite spielt um 1930 herum am selben Ort und stellt Lene in den Mittelpunkt. Sie wird gegen ihren Willen verheiratet und taucht in eine Welt ein, die komplett neu für sie ist, und als wäre das Leben nicht schon hart genug, sieht sie sich plötzlich konfrontiert mit den antisemitischen und rassistischen Strömungen, die sich in jener Zeit in der Bevölkerung manifestieren. Auch Lene selbst gerät dabei mehr als einmal in große Gefahr.

Zunächst möchte ich gerne den Schreibstil positiv hervorheben, damit kam ich sehr gut zurecht; man kann sich die beschriebenen Szenen sehr gut vor Augen rufen, kommt beim Lesen schnell voran, ohne das Gfühl zu haben, dass es zu sehr ins Triviale abdriftet. Ich konnte oft viele Kapitel am Stück lesen, ohne das Buch beiseitelegen zu müssen (oder wollen).

Ebenso wie die Handlung zweigeteilt ist, war jedoch auch ich beim Lesen immer etwas zwiegespalten: Während mir der Handlungsstrang um Lene wirklich sehr gut gefallen hat, konnte ich mit der Gegenwart Mels nur wenig anfangen. Je weiter ich im Buch kam, desto mehr hat mich Mel als Protagonistin angestrengt, mit ihrer in Selbstmitleid badenden Persönlichkeit kam ich einfach nicht zurecht, für mich hat sie sich selbst viel zu sehr in den Mittelpunkt gestellt und zu wenig auf ihr Umfeld geachtet. Dass Lene in ihrer Vergangenheit genau gegenteilig unglaublich viel für andere riskiert und ihr eigenes Wohl unter das anderer Menschen gestellt hat, hat diesen Kontrast nochmal betont, und irgendwann habe ich festgestellt, dass ich beim Lesen der Mel-Kapitel eigentlich nur noch ständg darauf gewartet habe, wieder etwas aus Lenes Sicht zu lesen. Mels (wohl auch recht vorhersehbares...) Schicksal hat mich eigentlich kaum interessiert, wohingegen ich den Vergangenheitsstrang mit großer Spannung gelesen habe. Die historischen Hintergründe sind gut recherchiert und glaubhaft beschrieben.

So war es ein ständiges Hin-und-Her bei mir, das sich dann am Ende irgendwie bei 3 Sternen eingependelt hat. Als rein historischer Roman hätte das Buch in meinen Augen sicher noch viel mehr Potenzial gehabt!