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Veröffentlicht am 12.02.2022

Ein außergewöhnliches und magisches Jugendbuch

Bone Music
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In einem kleinen Dorf in Northumberland, am Rande der Zivilisation, wird Sylvia zusammen mit ihrer Mutter die nächsten Wochen verbringen müssen. Die Stadt fehlt ihr, ebenso wie ihre Freunde. Sie fühlt ...

In einem kleinen Dorf in Northumberland, am Rande der Zivilisation, wird Sylvia zusammen mit ihrer Mutter die nächsten Wochen verbringen müssen. Die Stadt fehlt ihr, ebenso wie ihre Freunde. Sie fühlt sich abgeschieden und nimmt die Landschaft um sie herum als leer wahr.
Doch mit Hilfe von Colin, einem Jungen aus dem Dorf und dessen Bruder Gabriel beginnt sie schon bald, die Welt und die Natur mit ganz anderen Augen zu betrachten. Da ist eine Musik, die die Landschaft erfüllt und die sie fasziniert. Alte Felsenmalereien und Totempfähle lassen Vergangenes nah erscheinen und als Sylvia schließlich zusammen mit Gabriel eine Knochenflöte aus dem Flügel eines Bussards schnitzt, verändert sich ihre Beziehung zu der Umgebung vollständig.

David Almond hat mit “Bone Music” ein besonderes Jugendbuch geschrieben. Er widmet sich einer Generation, die zwischen Klimastreiks, Zukunftsängsten und Hoffnung aufwächst. Es gelingt ihm, diese Themen, die auch Sylvia umtreiben und den Alltag ihres Stadtlebens mitbestimmen, mit philosophischen Gedanken und magischen Einschüben zu verbinden. Dabei verliert sich die Geschichte nie, bleibt inhaltlich stets nachvollziehbar und sprachlich ansprechend, stellenweise gar poetisch.

“Bone Music” stellt nicht nur für heranwachsende, sondern auch für erwachsene Leser eine bereichernde Lektüre dar.

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Veröffentlicht am 03.09.2021

Im Reich des Geldes

Das Glashotel
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Das Glashotel ist ein Hotel in der Wildnis Kanadas. Hier kommen die Reichen hin, um dem Alltag zu entfliehen und sich der Illusion hinzugeben können, dass sie von der Welt abgeschieden sind. In diesem ...

Das Glashotel ist ein Hotel in der Wildnis Kanadas. Hier kommen die Reichen hin, um dem Alltag zu entfliehen und sich der Illusion hinzugeben können, dass sie von der Welt abgeschieden sind. In diesem Hotel arbeitet auch Vincent, die Protagonistin des Romans, als Barkellnerin. Als sie eines Abends den Besitzer und Investmentbanker Jonathan Alkaitis bedient, nimmt ihr Leben eine Wende. Sie geht eine Beziehung mit Alkaitis ein, wird zu seiner “Vorzeigefrau” und betritt so eine Welt, die von Geld, Gier, Luxus und Langeweile geprägt ist.

Der Roman folgt neben Vincent und Alkaitis noch zahlreichen weiteren Charakteren. Da ist zum Beispiel Paul, Vincents Bruder, der Musiker werden möchte oder der Besitzer einer Reederei, der sein Vermögen bei Alkaitis angelegt hat. Sie alle sind miteinander verknüpft und bilden ein dichtes Netzwerk, das dem Roman seine Struktur verleiht.

“Das Glashotel” ist eine Analyse unserer Zeit und dringt in die Psyche der westlichen Gesellschaften und seiner Menschen ein. Der Roman geht der Frage nach, wie unterschiedliche Lebensgestaltungen im 21. Jahrhundert aussehen und auf welchen Wünschen und Idealen sie beruhen. Die Figuren wirken verloren, scheitern daran, ihren Platz in der Welt zu finden und bauen sich stattdessen mühselig schillernde und künstliche Fassaden auf, hinter denen sie sich verstecken können. Vincent steht stellvertretend dafür. Ihre Ehe beruht nicht auf Liebe oder Anziehung. Sie garantiert ihr lediglich ein Leben ohne finanzielle Probleme.

Der Glaube an Geld ist allgegenwärtig. Der Roman stellt dar, wozu Menschen in der Lage sind, wenn es um die Anhäufung von Reichtum und um Profit geht. Er zeigt, wie schnell sie dazu bereit sind, jegliche Moral und Werte hinter sich zu lassen. Und gleichzeitig lässt das Geld die Menschen im Roman ebenso schnell aufsteigen, wie es sie durch seinen Verlust wieder fallen lässt.

Obwohl der Roman durch seine Themen zu überzeugen vermag, wirkt er zuweilen nüchtern und schreibt dem Leser die Rolle eines unbeteiligten Zuschauers zu. Dazu tragen sicherlich auch die Sprünge zwischen Zeiten und Charakteren bei. Zusammenfassend lässt sich daher behaupten, dass der Roman zwar Schwachstellen hat und nicht während der gesamten Lektüre zu überzeugen vermag, insgesamt jedoch trotzdem lesenswert ist.

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Veröffentlicht am 30.08.2021

Eine Geschichte von Schuld, Aufarbeitung und den Verbrechen des Krieges

Fanzi
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Astrid und Franzi sind die Protagonisten der zwei Erzählstränge dieses Romans. Astrid arbeitet in der heutigen Zeit in einem Biologiezentrum und ist der Natur sehr verbunden. Franzi, ihr Großvater, lebt ...

Astrid und Franzi sind die Protagonisten der zwei Erzählstränge dieses Romans. Astrid arbeitet in der heutigen Zeit in einem Biologiezentrum und ist der Natur sehr verbunden. Franzi, ihr Großvater, lebt als Junge während der Zeit des Zweiten Weltkriegs auf einem Bauernhof. Sein Vater ist durch den Ersten Weltkrieg traumatisiert und sein Verhalten den Kindern gegenüber zeichnet sich durch Strenge aus. Die beiden Brüder müssen als Soldaten kämpfen und verlieren beide ihr Leben an der Front. Ihr Tod reißt die Familie in einen Abgrund, der durch das, was Franzis kleiner Schwester Elfi widerfährt, vertieft wird. Schuld, Trauma und Verlust lasten fortan auf Franzi.

Doch die eigentliche Protagonistin des Romans ist wohl Elfi, die indirekt immer präsent ist, auch im Titel, weil sie Franzis Namen lange Zeit nicht richtig aussprechen kann. Es ist ihre Geschichte, die erzählt wird und die stellvertretend steht für das unbeschreibliche Grauen und für die Unmenschlichlichkeit, die den Zweiten Weltkrieg auszeichnen.

Die Sinnlosigkeit des Krieges kommt immer wieder zum Ausdruck. So beschreibt ein Bruder den Krieg mit den folgenden Worten: “Das sind Bauern. Die sind wie wir. Die bestellen ihre Felder, machen ihren Wein, die haben Kühe und Schweine und Hühner, die sind genau wie wir. Und wir, wir machen alles kaputt.”

Krieg und Verlust werden in dem Roman auch auf die Natur übertragen. Das Verschwinden von Arten und der Verlust von Biodiversität werden durch Astrids Erzählstrang parallel gesetzt mit den menschlichen Verlusten während des Weltkriegs.

Daneben ist die Vergänglichkeit des Menschen im Angesicht der Natur ein Hauptthema des Romans. Doch trotz der Kürze seiner bisherigen Existenz hat er bereits unglaubliches Schrecken und Grauen erschaffen: “Es war die Spezies Mensch nicht viel mehr als ein Wimpernschlag, ein Augenaufschlagen und Staunen und Verlöschen. Die Zeit verflüssigte sich, oder sie stürzte geröllig über sie herein. Ein Wimpernschlag, und doch, und doch und doch und doch.”

Elisabeth Schmidauer schreibt in einer besonderen und poetischen Sprache, die sich durch viele Aufzählungen auszeichnet und die ihren ganz eigenen Rhythmus hat. Jedes Wort ist wohlplatziert und trägt dazu bei, dass die Geschichte sehr bildhaft wirkt und dass eine greifbare und dichte Atmosphäre entsteht. Gleichzeitig ist die Sprache stark geprägt von einem Wortfeld, das mit der Natur, den Pflanzen und Tieren zusammenhängt. Es ist dieses Zusammentreffen von Mensch, Krieg und Natur, die den Roman auf sprachlicher Ebene auszeichnet. Lediglich der Gebrauch von Majuskeln zur Hervorhebung und Betonung von Wörtern stört zuweilen den Lesefluss.

Schwere, Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit prägen die Geschichte zu gleichen Teilen. Manche Szenen sind dabei sehr berührend, zum Beispiel, wenn die Brüder nicht in den Krieg zurück wollen, aber der Vater sie dazu zwingt und die Geschichte im nächsten Moment die Ankunft des Briefträgers im Gasthaus beschreibt, der der Mutter durch seinen Blick signalisiert, dass die Brüder gefallen sind.

Schmidauer ist es gelungen, eine Geschichte über die “schwarze Welle der Schuld” zu schreiben, über Tod, Verlust, Krieg und auch über Aufarbeitung. Es ist jedoch insbesondere der Bezug zur Natur, der den Roman herausstechen lässt.

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Veröffentlicht am 14.02.2024

Geschichte, die zum Aktivwerden auffordert

Climate Action
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In der Bahn wird man als Lesender auf ein Mädchen aufmerksam. Ihr Blick ist intensiv. Als Kontrolleure einsteigen, scheint sie in Panik zu geraten, rempelt einen an und steig aus. Dann merkt man, dass ...

In der Bahn wird man als Lesender auf ein Mädchen aufmerksam. Ihr Blick ist intensiv. Als Kontrolleure einsteigen, scheint sie in Panik zu geraten, rempelt einen an und steig aus. Dann merkt man, dass man plötzlich ihm Besitz von Paulines Notizbuch ist. Sie hat es einem zugesteckt.
Zuhause fängt man an zu lesen und taucht in Paulines Geschichte ein. Vor allem in all das, was ihr in den letzten Wochen passiert ist. Denn Pauline ist zur Klimaaktivistin geworden, zusammen mit ihren Freunden Sadiq und Vic. Zunächst zerstechen sie Reifen von SUVs, dann verstecken sie Zettel in billigen T-shirts, auf denen auf die Arbeitsbedingungen und die Auswirkungen auf die Umwelt aufmerksam gemacht wird. Und schließlich widmen sie sich ganz der Firma von Vics Eltern, die ihr Geld durch Fast Fashion verdienen.

Plötzlich ist man als Lesender selbst Teil der Geschichte und muss Entscheidungen treffen: Will man Pauline und ihre Freunde in ihren Vorhaben unterstützen oder möchte man sie doch lieber an die Polizei verraten? Der zweite Teil des Buches entwickelt sich ganz individuell auf Grundlage der Entscheidungen das Lesenden.

Eine spannende Geschichte wird also mit dem eigenem Aktivwerden verbunden. Die Lesenden müssen sich damit auseinandersetzen, wie weit sie für den Klimaschutz gehen würden. Es wird ihnen kein Weg vorgegeben, alles ist möglich, aber jede Entscheidung hat natürlich auch ihre ganz eigenen Konsequenzen und führt zu einem anderen Romanende.

Kleine Abzüge gibt es dafür, dass ich “mein Ende” etwas abrupt fand.

Aber insgesamt verbindet “Climate Action” eine ernstes Thema mit einem abwechslungsreichem, interaktivem Leseerlebnis und ist deshalb für Jugendliche empfehlenswert.

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Veröffentlicht am 22.01.2024

Reise in die Vergangenheit

Von Königreichen hast du geträumt
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Tenochtitlán 1519. Hernán Cortés und seine Männer, die Konquistadores, kommen in der Stadt der Azteken an. Moctezuma empfängt sie.

Das ist die Ausgangssituation, von der aus Álvaro Enrigue ein historisches ...

Tenochtitlán 1519. Hernán Cortés und seine Männer, die Konquistadores, kommen in der Stadt der Azteken an. Moctezuma empfängt sie.

Das ist die Ausgangssituation, von der aus Álvaro Enrigue ein historisches Aufeinandertreffen zweier Kulturen, zweier Nationen beschreibt, das zu keiner Zeit glorifiziert oder romantisiert: Die Konquistadores können sich nicht benehmen, sind grob und ungehobelt. Moctezuma hingegen schwächelt und verliert sich zunehmend in seiner durch Pilze hervorgerufenen Traumwelt.

"Von Königreichen hast du geträumt" ist eine andere Art von historischem Roman. Er besteht aus nur wenigen Dialogen, nimmt unterschiedliche Perspektiven an, denkt sich in die Köpfe seiner Figuren rein und erschafft bewusst kein schwarz-weiß Bild. Er besticht durch seinen Humor, der an keiner der Figuren ein gutes Haar lässt. Aber auf einer ganz anderen Ebene auch durch seine Details, zum Beispiel durch die genauen Beschreibungen der Kleidung und der Orte. Der Palast Moctezumas wirkt dadurch so greifbar, dass überhaupt kein Gefühl von zeitlicher und räumlicher Distanz aufkommt.

Schließlich wagt der Autor am Ende ein historisches Gedankenexperiment, das an dieser Stelle nicht verraten werden soll, das aber für mich einige etwas lange und fast schon langatmige Stellen im Mittelteil wieder wett gemacht hat. Enrigue regt die Fantasie an, aber driftet nicht ins Unglaubwürdig-Fantastische ab und das ist sicherlich eines der bemerkenswerten Charakteristika dieses Romans.

Ein Roman also, der es schafft, auf ganz neue Art in eine Vergangenheit vorzudringen, über die schon so viel geschrieben und erzählt worden ist. Eine bereichernde Lektüre.

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