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Veröffentlicht am 18.01.2022

Magisch, verspielt und unerwartet düster

Die kleinen Wunder von Mayfair
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„Die kleinen Wunder von Mayfair“ ist eine Geschichte von Liebe und Missgunst, Magie und Krieg. Letzteres hat mich unvorbereitet erwischt, denn zunächst bewegt sich der Roman in ganz anderen Sphären: Er ...

„Die kleinen Wunder von Mayfair“ ist eine Geschichte von Liebe und Missgunst, Magie und Krieg. Letzteres hat mich unvorbereitet erwischt, denn zunächst bewegt sich der Roman in ganz anderen Sphären: Er beginnt im Jahr 1906, in dem die 15-jährige Cathy Wray ungewollt schwanger wird und nach London ausreißt, um dort eine Arbeit zu suchen und sich und ihr noch ungeborenes Baby versorgen zu können. Einen Job findet sie im Spielzeugladen „Papa Jacks Emporium“, einem zauberhaften Ort, der seine Tore stets vom ersten Frost bis zur ersten Schneeglöckchenblüte öffnet. Das Emporium fasziniert klein und groß mit aufziehbaren Stofftieren, filigran gearbeiteten Spielzeugsoldaten, schnell wachsenden Papierbäumen und anderem Spielzeug, dem ein Hauch Magie anhaftet. Cathy fühlt sich bald heimisch und lernt die Söhne ihres Arbeitgebers Papa Jack kennen, die nur wenige Jahre älter sind als sie. Und bald geht es für den kreativen Kaspar und seinen stillen Bruder Emil nicht mehr nur darum, wer die schönsten Spielzeuge entwirft, sondern beide entwickeln auch ein Interesse an Cathy …

Robert Dinsdales Roman scheint erstmal voller kleiner Wunder und „Papa Jacks Emporium“ wie der Spielzeugladen, von dem man als Kind immer geträumt hat. Doch es gibt einige Zeitsprünge im Buch, die Leserinnen und Leser schließlich in die dunklen Jahre des Ersten Weltkriegs katapultieren, die weder am Spielzeugladen noch an seinen Besitzern spurlos vorübergehen. Und so hat „Die kleinen Wunder von Mayfair“ auch traurige Kapitel, die ich beim Anblick des verspielten Covers nicht vermutet hätte. Der Roman liest sich märchenhaft, hat aber wie viele Märchen auch grausame Seiten. Das Ende kam für mich sehr überraschend und ich bin mir immer noch nicht sicher, wie es mir gefallen hat. Nach meinem Geschmack wurde Robert Dinsdale einer Figur viel weniger gerecht, als ich es anfangs erwartet hatte – aber natürlich ist es auch mal spannend, als Vielleserin eines Besseren belehrt zu werden. Insgesamt kann ich diese magische Geschichte durchaus empfehlen.

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Veröffentlicht am 29.12.2021

An Weihnachten muss man die Wahrheit sagen – oder besser doch nicht?

Das Geschenk
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Kathrin und Peter haben sich eigentlich auf ein Weihnachtsfest zu zweit gefreut – ohne erwachsene Kinder, Baum und Stress wollten sie die Feiertage einfach mal im Urlaub verbringen. Doch ein Anruf von ...

Kathrin und Peter haben sich eigentlich auf ein Weihnachtsfest zu zweit gefreut – ohne erwachsene Kinder, Baum und Stress wollten sie die Feiertage einfach mal im Urlaub verbringen. Doch ein Anruf von Klaus hat Kathrin zu einer spontanen Planänderung veranlasst: Der verwitwete Freund hat das Paar eingeladen. Man hat sich lange nicht gesehen, die größte Gemeinsamkeit waren eigentlich die Kinder im ähnlichen Alter – aber zumindest Kathrin will den trauernden Witwer zum Fest der Liebe nicht alleine lassen. Bloß, dass der gar nicht alleine ist, sondern seine neue, junge Lebensgefährtin Sharon einfach nicht erwähnt hat. Und so wäre Kathrin und Peters mildtätiges Weihnachtsopfer gar nicht nötig gewesen, doch sie können sich schwerlich gleich wieder aus dem Staub machen. Und vielleicht gäbe es ja auch trotzdem noch Hoffnung auf angenehme Feiertage … wenn nicht Sharons flapsig-offene Art bei ihren Besuchern etwas auslösen würde. Und so bringt dieses Weihnachtsfest einiges ans Licht, das lange unter den Teppich gekehrt wurde und vielleicht auch besser da geblieben wäre.

Alina Bronsky seziert genüsslich, wie ein Paar durch eine unvorhergesehene Situation komplett aus dem Tritt kommt und erzählt eine Weihnachtsgeschichte, die sich gegen jede Form moralischer Überlegenheit auflehnt. Vermutlich hätte mir die Erzählung noch besser gefallen, wenn mir zumindest einer der Charaktere sympathisch gewesen wäre, aber richtig warm bin ich mit niemandem der vier geworden. Trotzdem liest sich dieses Büchlein schnell und knackig weg und bestätigt wieder einmal, dass das Gegenteil von gut durchaus gut gemeint sein kann. Wer vom Fest der Liebe desillusioniert ist, hat an „Das Geschenk“ vermutlich mehr Freude als echte Weihnachts-Liebhaber*innen.

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Veröffentlicht am 16.09.2021

Zwischen den Welten

Löwen wecken
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Neurochirurg Etan führt ein geregeltes Leben: Er ist mit der Kriminalbeamtin Liat verheiratet, hat zwei kleine Söhne und ein schickes Haus in der israelischen Wüstenstadt Beer Scheva. Doch eine kleine ...

Neurochirurg Etan führt ein geregeltes Leben: Er ist mit der Kriminalbeamtin Liat verheiratet, hat zwei kleine Söhne und ein schickes Haus in der israelischen Wüstenstadt Beer Scheva. Doch eine kleine Entscheidung stellt sein Leben auf den Kopf: Nach einer Nachtschicht beschließt, er mit seinem Jeep noch durch die Wüste zu rasen – just for fun. Und fährt dabei einen Mann um, einen eritreischen Einwanderer, der zwar nicht sofort tot ist, aber doch keine Chance hat, zu überleben. Als Arzt ist sich Etan sicher – wie er sich ebenso sicher ist, dass sein Leben ruiniert sein wird, wenn er nun Krankenwagen und Polizei ruft. Also stiehlt er sich vom Unfallort nach Hause.
Doch in jener Nacht war nicht nur das Unfallopfer unterwegs, sondern auch dessen Ehefrau Sirkit. Und die sucht Etan auf und macht ihm ein Angebot, dass er nicht ablehnen kann: Er soll illegale eritreische Einwanderer nachts in einer leerstehenden Werkstatt behandeln – sonst verrät sie ihn. Mit großem Widerwillen lässt sich Etan auf diesen Deal ein, während seine Frau Liat und ihre Kollegen versuchen, den Unfallfahrer zu finden.

Israelis, Eritreer und Beduinen – das ist mal wieder ein Roman, der mir eine neue Welt eröffnet hat, aber gleichzeitig auch in ganz anderen Ecken der Erde spielen könnte. Er handelt von Menschen verschiedener Kulturen, die zwar in direkter Nachbarschaft zueinander leben, sich jedoch sehr fremd sind. Etan und Sirkit wären sich ohne den Unfall nie begegnet und bilden jetzt eine Zweckgemeinschaft. Ist Annäherung so möglich?

Ayelet Gundar-Goshen hat einen schonungslosen und desillusionierenden Roman geschrieben. Etan ist nicht besonders sympathisch, aber auch kein schlechter Mensch – genau wie Sirkit, mit der es das Leben nicht gut gemeint hat. Auf der einen Seite wollte ich wissen, wie es mit beiden weitergeht, auf der anderen Seite hatte ich kaum Hoffnung auf ein annähernd gutes Ende. Und so hatte der Roman zwar Sogwirkung, hat mich aber auch mitgenommen. Was bleibt, ist die alte Erkenntnis, dass eine Lüge meist die nächste nach sich zieht sowie der Vorsatz, seinen Mitmenschen etwas aufmerksamer zu begegnen.

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Veröffentlicht am 04.08.2021

Porträt eines Traumas

Sag mir, wer ich bin
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Ein Tag im Jahr 1962 verändert das Leben der Kanadierin Sally Hamilton für immer: Die 16-jährige wird während ihrer Ferien in Paris von einem Unbekannten verschleppt, misshandelt und fast ermordet. Nach ...

Ein Tag im Jahr 1962 verändert das Leben der Kanadierin Sally Hamilton für immer: Die 16-jährige wird während ihrer Ferien in Paris von einem Unbekannten verschleppt, misshandelt und fast ermordet. Nach mehreren Tagen zwischen Leben und Tod erwacht sie in einem Krankenhaus; hier beginnt der Roman. Anfangs weiß die junge Frau nicht einmal mehr, wer sie ist und so dauert es, bis ihre Eltern ausfindig gemacht werden können und anreisen. Nach und nach kehren Sallys Erinnerungen zurück; nur jene an Tat und Täter bleiben verschwommen und bruchstückhaft. Sally stört das kaum, sie will sowieso nur vergessen. Doch ihre Ängste lassen sie nicht los und bestimmen ihr weiteres Leben, was beklemmend geschildert wird.

Die erste Hälfte des Romans fand ich sehr gelungen – die Beschreibung einer traumatisierten Frau, die versucht, ihren Albträumen mit einer Mischung aus Vermeidungs- und Konfrontationsstrategien zu trotzen. Sally möchte nicht über Paris reden und nach und nach gerät in ihrem Umfeld in Vergessenheit, dass sie fern ihrer Heimat Montreal einmal einen ominösen Zusammenbruch erlitten hat. Doch für Sally bleibt die Vergangenheit höchst lebendig – und scheint sie schließlich einzuholen.

Und ab da wurde „Sag mir, wer ich bin“ für meinen Geschmack leider schwächer. Die Schilderungen von Sallys Seelenleben sind einfühlsam und wirken meist authentisch. Wie sich eine nichtverarbeitete Gewalterfahrung noch Jahrzehnte später auswirken kann, führt der Roman erschütternd vor Augen. Doch das Verhalten eines weiteren Protagonisten gab mir Rätsel auf und so irritierte mich der finale Showdown mehr, als dass er mich mitriss.
Insgesamt liest sich der Roman wie ein langes Plädoyer für eine Therapie – es vergeht eigentlich kein Kapitel, in dem man sich nicht professionelle Hilfe für die Hauptfigur wünschen würde. Nebenbei ist einiges über das Montreal von vor 50 Jahren zu erfahren. „Sag mir, wer ich bin“, startet ziemlich packend, lässt im letzten Drittel jedoch nach und büßt an Nachvollziehbarkeit ein.

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Veröffentlicht am 18.06.2021

Mit Puffel und Putin

Miss Merkel: Mord in der Uckermark
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Angela Merkel geht in den Ruhestand – und was kommt dann? Die Frage nach der nächsten Kanzlerin oder dem nächsten Kanzler beschäftigt viele. David Safier fragt sich stattdessen, was die zukünftige Altkanzlerin ...

Angela Merkel geht in den Ruhestand – und was kommt dann? Die Frage nach der nächsten Kanzlerin oder dem nächsten Kanzler beschäftigt viele. David Safier fragt sich stattdessen, was die zukünftige Altkanzlerin mit der neugewonnenen Freiheit und Freizeit wohl anstellen wird. Seine Antwort: Sie geht unter die Hobby-Detektive! Und das, obwohl in ihrer fiktiven neuen Heimat, dem beschaulichen Klein-Freudenstadt, eigentlich absolut nichts los ist.

Safiers „Miss Merkel“ findet es gar nicht so einfach, plötzlich ein Rentnerleben zu führen. Ihre Anfangsschwierigkeiten kompensiert sie mit Kuchenbacken, was ungute Effekte auf den Waschbrettbauch ihres Personenschützers Mike hat. Ehemann Achim, liebevoll „Puffel“ genannt, freut sich auf die ruhige Zweisamkeit – oder Dreisamkeit: Das Ehepaar Merkel/Sauer hat sich nämlich einen Mops namens Putin zugelegt. Nun fehlen nur noch ein paar neue Freunde, um in Klein-Freudenstadt Fuß zu fassen. Ein Fest auf der nahegelegenen Burg scheint eine gute Gelegenheit, um Leute kennenzulernen – doch dann verstirbt der Gastgeber in seinem von innen verschlossenen Weinkeller. Für den örtlichen Kommissar ein klarer Fall von Selbstmord, aber Angela Merkel hat Zweifel. Obwohl weder Ehemann noch Bodyguard begeistert sind, beginnt sie, Nachforschungen anzustellen und stößt dabei auf mehrere Ungereimtheiten …

Der Krimi steht und fällt mit seiner Hauptfigur – das dürfte kaum überraschen. Die in die Gedanken dieser fiktiven Angela Merkel eingestreuten Anekdötchen zum Berliner Betrieb sind durchaus amüsant zu lesen; auch das Zusammenleben mit Puffel und Putin sowie die Begegnungen mit dem gemeinen Volk sind unterhaltsam. Das Cosy Crime dient eher als Kulisse; Spannung kommt nicht wirklich auf und mit Miss Marple hat Miss Merkel in etwa so viel gemein wie Klein-Freudenstadt mit dem Prenzlauer Berg. Wegen des Genres sollte man also nicht zu diesem Buch greifen, die originelle Grundidee macht allerdings Spaß. David Safier beweist wieder einmal, dass er ein Meister der witzig-abstrusen Gedankenexperimente ist. Das Ergebnis ist ein netter Schmöker und trotz aller Absurditäten irgendwie auch eine Hommage auf Angela Merkel.

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