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Veröffentlicht am 17.09.2021

Ein Krimi der ruhigen Art

Totenrausch
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Eher der ruhigen, der introvertierten - doch wer glaubt, es ginge hier gemächlich zu, der befindet sich auf dem Holzweg! Nein, dies ist ein auf reduzierte Art überaus rasanter Krimi, auf den sich einzulassen ...

Eher der ruhigen, der introvertierten - doch wer glaubt, es ginge hier gemächlich zu, der befindet sich auf dem Holzweg! Nein, dies ist ein auf reduzierte Art überaus rasanter Krimi, auf den sich einzulassen lohnt.

Worum es geht: Bestatterin Blum - eingeführt bereits in den Vorgängerbänden "Totenfrau" und "Totenhaus"- ist auf der Flucht: jede Menge Leichen haften ihr an. Diesmal führt ihr Weg über den Umweg in den hohen Norden geradewegs nach Hamburg - und Blum wäre nicht Blum, wenn sie nicht schnurrstracks auf der Reeperbahn und im Rotlichtmilieu landen würde - und das mit ihren beiden Töchtern im Schlepptau!

Dass sie bald nicht mehr Blum, sondern Marie Müller heißt und dem brutalen Zuhälter Schiele auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist - das müssen Sie nicht verstehen. Jetzt noch nicht - erst, wenn Sie der Geschichte von Brünhilde Blum/ Marie Müller literarisch gefolgt sind.

Weitere Figuren tauchen auf - sie alle als schräg zu bezeichnen, ist - gelinde gesagt - eine Untertreibung sondergleichen! Und die Handlung wird blutig und hart - auch wenn es viel um innere Entwicklungen geht, sind es große Themen, die hier angesprochen werden: es stellt sich die Frage, wem man vertrauen kann und wer man selber ist - vom gesamten Umfeld gar nicht zu Reden. Blum jedenfalls bereitet sowohl sich als auch anderen jede Menge Schwierigkeiten - wobei nur der kleinere - durchaus nicht geringe Teil - hausgemacht ist.

Ein ruhiger, aber heftiger Thriller und damit eine ausgesprochen ungewöhnliche, umso wirkungsvollere Kombination. Teilweise sind die Entwicklungen dennoch ein wenig langsam. Das bezieht sich aber ausschließlich auf den Schreibstil, wenn man sich vergegenwärtigt, was da so los ist, geht es eindeutig Knall auf Fall.

Ein Buch für anspruchsvolle Thrillerfreunde, die wollen, dass es kracht und dass blut fließt und die nicht zu empfindlich sind. Im Gegensatz zum Vorgänger "Totenhaus", der meinen Geschmack nur teilweise getroffen, bin ich diesmal so ziemlich auf meine Kosten gekommen. Und empfehle die Geschichte mit Brünhilde/Marie, die mit diesem Band vollendet bzw. abgerundet wird, von ganzem Herzen!

Veröffentlicht am 17.09.2021

Tatsächlich Berger und Blom?

Sieben minus eins
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Dem Ermittler Sam Berger begegnen wir gleich zu Beginn des Buches und er ist ein wahrhaft eigensinniger Typ, einer mit Ecken und Kanten, einer, der gewiss nicht jedermanns Freund ist - und mit Sicherheit ...

Dem Ermittler Sam Berger begegnen wir gleich zu Beginn des Buches und er ist ein wahrhaft eigensinniger Typ, einer mit Ecken und Kanten, einer, der gewiss nicht jedermanns Freund ist - und mit Sicherheit auch kein allseits beliebter Kollege. Nein, er ist ein Typ, der polarisiert und das liegt ganz bestimmt nicht an seinem nahezu manischen Faible für Uhren, sondern eher daran, dass er ein ziemlich sturer Typ mit manchmal fast ins machohafte gehenden Attitüden ist. Einzig seine Kollegin Desiré Rosenquist steht vorbehaltlos hinter ihm, wohingegen sein Chef Allan Gudmundsson durchaus Zweifel an seinen unkonventionellen Methoden hat. Und es ist wichtig, zu einem raschen Erfolg zu kommen, wird doch nach einem 15jährigen vermissten Mädchen gesucht und nach zwei weiteren, bei deren Verschwinden zunächst aufgrund von Migrationshintergrund ein Zusammenhang mit dem IS vermutet wurde, bei denen man jetzt aber einen innerschwedischen Mordfall vermutet - in allen Fällen - es können auch noch einige mehr sein - wird derselbe Täter vermutet.

Doch wer um Himmels ist Molly Blom, die im Klappentext als Bergers Partnerin angekündigt wird? Zunächst entsteht der Eindruck, dass der Autor sie beim Schreiben vergessen hat, bis sie auf geradezu wahnwitzige Art ins Geschehen eingreift und damit diesen Krimi endgültig von der Masse der vorliegenden Skandinavien-Krimis absetzt.

Wer Ermittler mit einem vielfältigen, nicht gerade einfachen, privaten Vorleben in Kombination mit ungewöhnlichen Fällen und den Überraschungen, zu denen nur ein Arne Dahl fähig ist, mag, der ist hier trotz anfänglicher Verwirrungen an der richtigen Adresse!

Veröffentlicht am 17.09.2021

Einen sicheren Hafen

Das Nest
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bzw. einen familiären Rückhalt haben die vier Plumb-Kinder - zumindest auf dem Papier seit Ewigkeiten erwachsen - schon lange nicht mehr, wenn sie überhaupt je so etwas hatten. Früh zu Halbwaisen geworden, ...

bzw. einen familiären Rückhalt haben die vier Plumb-Kinder - zumindest auf dem Papier seit Ewigkeiten erwachsen - schon lange nicht mehr, wenn sie überhaupt je so etwas hatten. Früh zu Halbwaisen geworden, hat sich ihre exzentrische, stets dem Alkohol zugeneigte Mutter doch eigentlich nur um sich selbst gekümmert. Und auch sonst, untereinander gab es stets wenig Halt: dafür waren und sind Leo, Bea, Jack und Melody einfach zu unterschiedlich. Doch über all die Jahre, durch alle Widrigkeiten hindurch, gab es immer etwas, woran sie sich festhalten konnten, nämlich das "Nest" - einen erklecklichen Fond für alle vier, der ihnen offenstehen sollte, wenn Melody, die Jüngste von ihnen, ihren vierzigsten Geburtstag hinter sich hat, was zu Beginn dieses Buches nicht mehr lange dauern wird. Allerdings wird dieser Fond ausgerechnet von ihrer Mutter, der unzuverlässigsten Person unter der Sonne verwaltet und so erfüllt sie auch in diesem Falle nicht die Erwartungen aller. Denn Leo, der Älteste, gerät in eine Notsituation, in der sie ihm kurzerhand die gesamte Summe - mehrere Millionen - zur Verfügung stellt.

Ein schwerer Schlag für die restlichen Geschwister, hatten sie doch schon alle mit dem Geld gerechnet. Und es teilweise bereits einkalkuliert in ihre Lebensplanung. Und nun?

Wir lernen in diesem Roman alle vier Plumb-Geschwister und ihr jeweiliges Umfeld, ihre Familien kennen, es wird uns vorgeführt, was Familie NICHT sein sollte. Oder kann Leo das Geld rechtzeitig retournieren? Springen die anderen über ihren Schatten und helfen sich gegenseitig aus der Patsche? Lesen Sie selbst, es passiert so einiges Unvorhergesehene und sie werden Bekanntschaft mit einigen Charakteren der besonderen Art machen.

Die Autorin Cynthia D'Aprix Sweeney hat einen klassischen Familienroman geschaffen und gleichzeitig etwas überraschend Neues. Wie in diesem Genre üblich, werden die Charaktere demaskiert und zeigen in der Krise ihr wahres Gesicht. Ebenso wie ihr Umfeld - in einigen Fällen entspricht dies den Erwartungen, die der Leser früh entwickelt, in anderen wird man total überrascht. Trotzdem - ich zumindest war durchgehend froh, am Rande zu stehen und nicht zu dieser Familie zu gehören, die etwas Gestörtes, etwas Zerstörendes an sich hat. Aber - haben das nicht alle Familien? Nun, ich würde sagen, definitiv nicht in diesem Ausmaß, wenn überhaupt.

Das Buch liest sich ausgesprochen süffig, der Stil ist sowohl ausdrucksstark als auch unterhaltsam, die Charaktere gut gezeichnet. Einige wenige Male war ich ein bisschen enttäuscht von den inhaltlichen Entwicklungen - hier hätte es ein wenig mehr, da wieder etwas weniger sein dürfen. Doch das sind persönliche Wünsche, die ebenso auf meinen Lese- wie auch auf meinen Lebenserfahrungen fußen. Insgesamt ist dies ein spritziger, unterhaltsamer, teilweise auch erschütternder, ja schockierender, doch immer wieder auch humorvoller Roman über eine New Yorker Familie der Gegenwart. Eine brilliante Unterhaltung an dunklen Herbsttagen!

Veröffentlicht am 17.09.2021

Im Wald, da sind nicht nur die Räuber

Im Wald (Ein Bodenstein-Kirchhoff-Krimi 8)
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Nein im Wald rund um Ruppertshain in Hessen gibt es noch was wesentlich Furchterregenderes: einen Mörder, der offenbar seit über 40 Jahren sein Unwesen treibt. Und da er sich offensichtlich in seinem Inkognito ...

Nein im Wald rund um Ruppertshain in Hessen gibt es noch was wesentlich Furchterregenderes: einen Mörder, der offenbar seit über 40 Jahren sein Unwesen treibt. Und da er sich offensichtlich in seinem Inkognito bedroht fühlt, ist - so scheint es - in seiner Umgebung niemand mehr sicher. Alles beginnt mit einem Brand auf einem Campingplatz, bei dem ein Mann ums Leben kommt. Doch es bleibt nicht bei dem einen Toten - wer wusste zuviel? Und was gibt es für eine Verbindung zu überaus tragischen Ereignissen, die mehr als vierzig Jahre zurückliegen. Was ich als besonderen Garant für Spannung empfand, war der Umstand, dass Oliver von Bodenstein in diesem Fall zu seinen Wurzeln zurückkehren muss, denn er ist dort aufgewachsen, zusammen mit allen, die in den aktuellen Fall verwickelt sind. Und für ihn waren die Ereignisse von 1972 besonders einschneidend, verschwand doch damals sein bester Freund.

Wer Wind sät": eine weitere Perle in der Taunus-Reihe der unnachahmlichen Nele Neuhaus. Die Serie um die Kommissarin Pia Sander und ihren Chef Oliver von Bodenstein hat mit herkömmlichen deutschen Regionalkrimis à la Manfred Bomm und Regine Kölpin nichts zu tun und kann mit den skandinavischen Krimiserien von Autorinnen wie Helene Tursten und Anne Holt sowie mit angelsächischen Vorbildern wie Marcia Muller locker konkurrieren - der neue Band reiht sich vielversprechend in diese Serie ein, und kann aus meiner Sicht von der Spannung her absolut mit den Glanzlichtern der Serie "Tiefe Wunden" und "Schneewittchen muss sterben" mithalten. Was aus meiner Sicht nicht unbedingt nötig war: Pia Sander wird ein wenig zu oft von einer extrem unsympathischen Seite gezeigt. Und zudem brechen einfach zu viele Erzählstränge jäh ab.

Dennoch: Nele Neuhaus schreibt packend und fesselnd und zeigt vor allem Oliver von Bodenstein von seiner sensiblen Seite: dadurch, dass sie tief in seine Vergangenheit taucht, kehrt sie sein Innerstes zu außen. Weniges ist, wie es scheint - es tun sich wahre Abgründe und die seltsamsten Verbindungen auf. Was mich ein kleines bisschen störte, ist, dass die Entwicklungen in seinem Privatleben, die der Leser nun ja bereits seit acht Bänden verfolgen darf, sich teilweise als widersprüchlich erweisen - das ist mir ein wenig zu extrem. Aber gerade das macht auch den Reiz dieses auch innerhalb der Reihe ungewöhnlich emotionalen und aufwühlenden Falles aus. Am Ende steht von Bodenstein vor einer Auszeit - ich hoffe sehr, dass er wieder in seinen Job zurückkehrt, denn aus meiner Sicht steht und fällt die Reihe mit ihm ebenso wie mit Pia Sander.

Diese Serie ist ein absolutes Muss für alle Freunde und Freundinnen hochkarätigerdeutscher Krimis mit Spannungsgarantie wie der Reihe um den auch in räumlicher Nähe - nämlich in Frankfurt - angesiedelten Hauptkommissar Marthaler von Jan Seghers. Man kann "Im Wald" sicher isoliert von den anderen Krimis dieser Reihe lesen, doch wird es nur wenige geben, die sich nach dem Genuss dieser Lektüre nicht auch die vorherigen Bände gönnen möchten.

Veröffentlicht am 17.09.2021

Eine spezielle Familie mit und ohne Schatten

Die unsterbliche Familie Salz
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Von tochteralice
Die Familie Salz, eine Familie, die wir über ein ganzes Jahrhundert - vom Anfang des 20. bis hinein ins 21. Jahrhundert - begleiten dürfen, beinhaltet eine sehr spezifische Mischung von ...

Von tochteralice
Die Familie Salz, eine Familie, die wir über ein ganzes Jahrhundert - vom Anfang des 20. bis hinein ins 21. Jahrhundert - begleiten dürfen, beinhaltet eine sehr spezifische Mischung von Charakteren, man könnte fast sagen, sie können in schwarz und weiß bzw. positiv und negativ aufteilt werden.

Nun, ganz so klar ist es natürlich nicht, denn Autor Christopher Kloeble versteht sich durchaus darauf, Charaktere zu schaffen, wie sie skurriler und vielschichtiger nicht sein können, das hat er bereits in "Meistens alles sehr schnell" hinlänglich bewiesen.

Wie mit dem erwähnten Roman hat Christopher Kloeble auch mit seinem neuen Roman ein für die deutsche Literaturgeschichte höchst ungewöhnliches Werk erschaffen, das eher an angelsächsische literarische Traditionen gemahnt. Und wieder birgt die Familiengeschichte Dunkles: Lieblosigkeit, Inzest, Verlassensein, Verstoßen - aber auch Gefühle. Doch anders als im Vorgängerroman werden wir mit einer Reihe von Figuren im Wandel der Zeiten konfrontiert, die uns durch die Familiengeschichte führen, doch eine - die ist (fast) immer dabei: Lola Salz, der wir als Kind in Wien zur Zeit des 1. Weltkriegs begegnen und von der wir uns erst im 21. Jahrhundert in Leipzig wieder trennen. Sie ist so etwas wie der Dreh- und Angelpunkt der Familie, wenn auch auf eine sehr spezielle - ich neige fast dazu, für diese schriftstellerische Extravaganz den Terminus "kloeblesk" zu kreieren - Art und Weise. Mir erschien sie zeitweise faszinierend, dann wieder beinahe abstoßend, stets jedoch von einer Kühle, von der die Hauptfiguren der Romane Kloebles durchdrungen zu sein scheinen.

Nicht, dass es nicht auch warmherzige Typen gibt, doch sie sind rar und tauchen eher sporadisch auf - in diesem Roman würde ich ganz klar Lolas Mutter Rosa und ihren Gatten Alfons Ervig als solche Sympathieträger titulieren. Wesentlich mehr dagegen gibt es Figuren mit vielen negativen Eigenschaften, die ich dennoch nur selten als Unsympathen reinster Couleur titulieren würde. Doch die gibt es auch, aber ich überlasse es Ihnen, sie individuell für sich zu spezifizieren und zu identifizieren. Auf jeden Fall gibt es Figuren mit und ohne Schatten - doch lesen Sie selbst.

Eine dichte, reichhaltige Geschichte, die man an einem Stück weglesen kann und die frei von Längen ist. Sprachlich hat sich Kloeble aus meiner Sicht im Vergleich zu "Meistens alles sehr schnell" klar gesteigert. Daneben verblüfft er diesmal durch gekonntes Jonglieren mit historischen Fakten und Gebäuden - neben Lola Salz gibt es nämlich eine weitere Hauptfigur in diesem Roman und zwar ein Gebäude: das Hotel Fürstenhof in Leipzig, zeitweilig im Familienbesitz der Salzens - doch lesen Sie selbst.

Wie im Vorgängerroman sind die Figuren und ihr Verhältnis zueinander auf der anderen Seite gelegentlich kühl, ja fast kaltherzig dargestellt, dann wiederum kommt überraschend Wärme durch, aber nur für eine Weile. Definitiv sollte man nicht zu zartbesaitet sein, um diesen Roman lesen und vor allen Dingen genießen zu können.

Doch es lohnt sich: In mir wurden viele Fragen und zwiespältige Gefühle hervorgerufen. Ein Buch, das spannend zu lesen war und eine mögliche Anregung für Rezipienten von Irving, den beiden Jonathans (Lethem und Safran Foer), aber auch den deutschsprachigen Autoren Herrndorf und Braslavsky (eine weitere vergleichbare weibliche Autorin ist mir nicht eingefallen - Ihnen vielleicht?) ist und ab und an gar in die fantastischen Welten lateinamerikanischer Autoren abglitt, was meine Sache nicht ist. Dennoch stellte der Roman für mich einen literarischen Höhepunkt dar- allerdings einen mit kleinen Abstrichen. Christopher Kloeble ist auf jeden Fall ein Autor, dem ich treu bleiben werde!