Profilbild von hasirasi2

hasirasi2

Lesejury Star
offline

hasirasi2 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit hasirasi2 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.09.2021

Gebrauchsanweisung für unseren Enkel

Was nicht glücklich macht, kann weg
0

„Ich brauche eure Hilfe, und es ist leider keine Kleinigkeit.“ (S. 7) Seit Jahren hat Billie auf so einen Anruf ihres Sohnes Jonas gewartet, seit dieser nach dem Abi nach Köln gegangen ist und den Kontakt ...

„Ich brauche eure Hilfe, und es ist leider keine Kleinigkeit.“ (S. 7) Seit Jahren hat Billie auf so einen Anruf ihres Sohnes Jonas gewartet, seit dieser nach dem Abi nach Köln gegangen ist und den Kontakt auf ein absolutes Minimum beschränkt hat. Von seiner Hochzeit haben sie und ihr Mann Thilo erst hinterher erfahren und auch ihren Enkel August in 6 Jahren nur zweimal gesehen. Doch jetzt muss Jonas, der seit einem Jahr verwitwet ist, beruflich für ein halbes Jahr nach London und August soll in seiner gewohnten Umgebung bleiben. Natürlichen ziehen sie nach Köln, schließlich haben sie seit dem Verkauf ihrer Schreinerei jede Menge Zeit. Jetzt lernen endlich ihren Enkel und die für sie etwas ungewöhnlichen Nachbarn und Freunde kennen.

Billie ist schockiert, als August sie Oma nennt. Dazu sieht sie doch noch viel zu jung aus! „Noch nie in meinem fünfundfünfzig Lebensjahren hatte mich jemand als Oma bezeichnet. Oma! Das klang grauhaarig, klein, gebückt, korpulent und senil. … Oma. Das klang wie ein Schimpfwort.“ (S. 22) Auch sonst wirbelt er ihr Leben total durcheinander. So ein Kind ist ein Vollzeitjob mit komischen Essensvorlieben („Tapfer kaute ich etwas, das nach gegrillten Frotteesocken schmeckte …“ (S. 53)) und ungewöhnlichen Hobbys. Direkt hinter Jonas Grundstück ist nämlich ein Tierfriedhof und August spielt auf den Beerdigungen im Anzug mit „Lyzinder“ Blockflöte. Die Betreiberin Elfie („… jestorben wird immer, dat is in krisensicheres Jeschäft!“ (S. 61)) und ihre Angestellte Gitta nehmen Billie und Thilo sofort unter ihre Fittiche. Plötzlich haben sie Freunde, die einfach ohne Anmeldung auftauchen und auch in Krisensituationen helfen.
Und je länger Billie in Köln lebt, desto weniger kann sie die Frage verdrängen, warum sich Jonas eigentlich von ihr entfernt, was sie ihm getan hat. Wird sie sich trauen und die Aussprache mit ihm suchen?

Billie macht eine große Wandlung durch. Nach dem Verkauf der Firma hat sie sich im Garten ausgetobt und im Chor gesungen, aber ausgefüllt hat es sie nicht. Sie hat auch nie echte Freundschaften geknüpft, weil sie als Tochter einer ledigen Mutter keine leichte Kindheit hatte. In Köln macht sie viele neue Erfahrungen (nur dem Karneval kann sie immer noch nichts abgewinne), hat plötzlich jede Menge sozialer Kontakte und Freunde, die es wirklich gut mit ihr meinen. Sie lebt – wenn auch verhalten – auf und sieht endlich klar, weil sich ihr Blickwinkel verändert hat. Bald muss sie sich der Frage stellen, ob das Leben mit Mitte 50 wirklich schon festgefahren und vorbei ist oder sie sich noch mal völlig neu erfinden kann. Und was hält sie eigentlich zu Hause in ihrem Dorf? „Verbitterte Nachbarn, ein schöner Garten, viele leere Räume und viele leere Tage.“ (S. 222)

Carla Berling ist für mich ein Garant für humorvolle Bücher mit Tiefgang. Mit viel Herz und Kölscher Schnauze schreibt sie über Frauen und Männer im besten Alter und deren Probleme. Ihre Protagonisten und auch die beschriebenen Szenen sind dabei wunderbar skurril und haben bei mir für einige Lacher gesorgt. Besonders amüsant sind die Stellen, bei denen man sich oder Mitglieder seiner Familie wiedererkennt – so wie beim Putzen bevor die Putzfrau kommt, damit es nicht so dreckig ist …
Aber auch der frühe Tod der Schwiegertochter und das Zerwürfnis zwischen Eltern und Kind passen gut in die Handlung und werden weder verharmlost noch überdramatisiert. Ihre Figuren und die angesprochenen Themen sind eben mitten aus dem Leben gegriffen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.09.2021

Die Angst geht um

Racheakt im Walzertakt (Badebuch)
0

… denn in Wien werden wahllos E-Roller-Fahrer mit einem Kopfschuss getötet. Die Touristen bleiben aus und die Polizei sucht fieberhaft – wer will sich an den Fahrern rächen?

Statt über Sachertorte und ...

… denn in Wien werden wahllos E-Roller-Fahrer mit einem Kopfschuss getötet. Die Touristen bleiben aus und die Polizei sucht fieberhaft – wer will sich an den Fahrern rächen?

Statt über Sachertorte und Melange schreibt Autor Günther Zäuner über Wiens weniger schöne Seite. Wie in fast jeder Großstadt werden die Fußgänger von E-Rollern terrorisiert, die sich nicht an die Verkehrsregeln halten. Doch diesmal schlägt ein Unbekannter zurück und die Polizei steht unter Erfolgsdruck.

„Racheakt im Walzertakt“ ist spannend geschrieben und die unterschwellige Kritik an der Stadtführung, dass so viele Roller zugelassen wurden, nicht nur für Fußgänger nachvollziehbar …

Und natürlich ist auch dieses Wannenbuch in 15 (ent)spannden Minuten gelesen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.09.2021

Eine Leiche im Keller

Mörderische Auslese
0

… hat man normalerweise nur im sprichwörtlichen Sinne, aber Sommelier Benjamin Freling findet eine mumifizierte Leiche in einer Zwischenwand im Keller, die vor ca. 20 Jahren bei Umbauarbeiten des familiengeführten ...

… hat man normalerweise nur im sprichwörtlichen Sinne, aber Sommelier Benjamin Freling findet eine mumifizierte Leiche in einer Zwischenwand im Keller, die vor ca. 20 Jahren bei Umbauarbeiten des familiengeführten 5 Sterne Hotels eingezogen wurde. „Zumauern, einfach wieder zumauern.“ (S. 28), „Können wir nicht noch eine gute Woche die Füße stillhalten, bis der Michelin raus ist?“ (S. 28) und „Wir haben schließlich noch ein paar Kredite zu tilgen. So etwas wie das hier können wir nicht brauchen.“ (S. 29) meinen seine Verwandten, als er ihnen das Corpus Delicti zeigt. Doch Benjamin befürchtet, dass er endlich sein Kindermädchen Zuzanna gefunden hat, welches damals plötzlich verschwunden war, und meldet den Fund der Polizei. Aber die Bilder der Mumie lassen ihn nicht los, verfolgen ihn in Tag- und Nachtträumen und so beginnt er, auf eigene Faust zu ermitteln.

„Mörderische Auslese“ kommt daher wie ein Genuss-Krimi. Der „Tatort“ Kaiserstuhl an der badischen Weinstraße sorgt für das passende Flair und natürlich kommen der Genuss durch die beschriebene Sterneküche und Weine nicht zu kurz. Und obwohl die Handlung relativ unblutig ist, schafft es Mattis Ferber, die Spannung konsequent zu halten und den Leser mit immer neuen Entwicklungen und Wendungen zu überraschen.

Das liegt vor allem an dem Familienkonstrukt, die das Haus führt. Sie sind schon die dritte Generation Hoteliers, alle im Hotel auf- und damit schon früh in das Gewerbe hineingewachsen. Man kennt sich von klein auf und ist voneinander abhängig, das Hotel funktioniert nicht ohne Restaurant und andersrum. Gerade fiebern alle dem zweiten Michelin Stern entgegen und die Nerven liegen blank.

Benjamin galt lange als schwarzes Schaf, stammt aus der zweiten Ehe seines Vaters und hat seine Eltern früh durch einen Unfall verloren. Er wurde dann abwechselnd von einem zum anderen Verwandten „durchgereicht“, hauptsächlich kümmerte sich aber ein neues Kindermädchen um ihn. „… manchmal hatte er das Gefühl, seine Vergangenheit bestand aus Geschichten und Anekdoten, aus schnipselhaften Informationen und lückenhaften Erinnerungen, die sein Hirn aus einem Drang nach Vervollständigung zusammengekleistert hatte.“ (S. 200)
In seiner Pubertät hat er rebelliert, fand während der Ausbildung allerdings seine Berufung zum Sommelier und damit zurück zur Familie. Er liebt die Ruhe seines Weinkellers und seine edlen Tropfen, verschenkt lieber mal etwas an echte Connaisseurs als an protzige Angeber. „Weinliebhaber waren nicht selten Romantiker. Freaks. Besessene. Irrationale. Allesamt unzurechnungsfähig, denn wenn der Stoff einmal von ihnen Besitz ergriffen hatte, dann waren sie unweigerlich verloren.“ (S. 10)
Bei seinen Nachforschungen hat er schon bald das Gefühl, verfolgt zu werden. Der Weinkeller, bisher sein sicherer Hafen, erscheint ihm immer mehr als Falle. Wer hat was zu verbergen und will ihm darum ans Leder?

Man merkt dem Buch an, dass der Autor genau weiß, worüber er schreibt. Hinter dem Pseudonym Mattis Ferber steckt niemand anderes als der (GastrJournalist Hannes Finkbeiner, der selber in der Küche aufgewachsen ist und auch Restaurantfachmann gelernt hat. (Dazu gibt es übrigens auch ein tolles Interview auf der Seite des Verlages.)

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.09.2021

Zart und unsichtbar

Ein Koffer voller Schönheit
0

… ist Anne eigentlich schon seit ihrer Kindheit. Für ihre Eltern zählte immer nur der große Bruder Fritz und Anne nahm sich gern zurück, blieb im Hintergrund. Als Fritz im 2. WK starb, änderte sich nichts ...

… ist Anne eigentlich schon seit ihrer Kindheit. Für ihre Eltern zählte immer nur der große Bruder Fritz und Anne nahm sich gern zurück, blieb im Hintergrund. Als Fritz im 2. WK starb, änderte sich nichts an der Situation. Darum ist es wahrscheinlich auch nicht verwunderlich, dass sie sich ausgerechnet in den großen kräftigen Benno verliebte und seine Frau wurde – auch hinter ihm kann sie sich prima verstecken. Kennengelernt hatten sie sich im Krieg, als Annes Familie bei dem Hamburger Feuersturm alles verlor und nach Lüneburg zog. Und obwohl das schon über 14 Jahre her ist, gilt sie immer noch als die Fremde“. Das liegt auch an ihrem Aussehen. Sie ist nicht nur klein und zart, sondern hat auch einen dunklen Teint und mandelförmige Augen, kann ihren italienischen Großvater nicht verleugnen. Manchmal wird sie sogar verächtlich als Jüdin oder Zigeunerin bezeichnet. Auch ihre einst so liebevolle Ehe läuft nicht mehr gut, seid ihr Mann mit einem alten Schulfreund ein Möbelhaus eröffnen will und ihre Zwillinge in die Pubertät gekommen sind. Ein Lichtblick ist ihre Schwiegermutter Margarethe, die einen Friseursalon betreibt und Anne ermuntert, endlich wieder zu arbeiten, sich als Avon-Beraterin zu versuchen: „Du hast ein Händchen für Farben. Und Stil. … Du solltest dein Talent endlich nutzen. … Du könntest andere Frauen schminken und beraten.“ (S. 31)

„Ein Koffer voller Schönheit“ spielt zu Beginn der 60er Jahre, als sich das Rollenbild der Frauen wieder einmal wandelte. Im Krieg mussten sie die Männer ersetzen und die Wirtschaft am Laufen halten, danach hatten sie sich wieder als Hausmütterchen zurückzuhalten. Jetzt beginnt endlich der Wirtschaftsaufschwung, die Kinder werden langsam flügge und die Hausfrauen sind erst Mitte 30 – eindeutig zu jung, um sich nur im Haus zu verstecken. Sie haben Wünsche und Träume, sei es eine Reise, ein Fernseher oder eine moderne Einbauküche – die Werbung weckt Begehrlichkeiten. Allerdings brauchen sie die Zustimmung ihres Mannes für den Führerschein oder eine Arbeitsstelle...

Anne hatte sich mit diesem Leben gut arrangiert, war glücklich und zufrieden als Hausfrau und Mutter, bis ihr Mann plötzlich die Metamorphose vom glücklichen Schreiner zum unglücklichen Möbelhaus-Mogul macht und sein Kompagnon auch noch eine junge, schöne, elegante und aufregende Verkäuferin mit sexy Kurven einstellt. „Ich bin einsam an der Seite meines Mannes.“ (S. 40) erkennt sie irgendwann und will, bestärkt von Margarethe, endlich mehr, ein selbstbestimmtes Leben und beruflichen Erfolg.
Ich konnte mich gut in sie einfühlen, das stille Heimchen am Herd, das es allen recht machen will und sich selber darüber vergisst. „… du bist ein viel zu braves Frauchen geworden. Du tust nur noch, was deinem Gatten gefällt. Wo ist dein eigener Kopf geblieben? Hast du den irgendwo zwischen Kinder, Küchen und Kirche verloren?“ (S. 67) Ihr Kampf um Unabhängigkeit wirkt echt und wird nicht romantisiert, man kann die Schwierigkeiten und Selbstzweifel gut nachvollziehen. Ich fand es toll, wie sie endlich ein Selbstbewusstsein entwickelt und sich nicht mehr hinter ihrem Mann versteckt und damit sogar ein Vorbild für ihre Kundinnen wird.

Mein heimlicher Liebling aber ist ihre Schwiegermutter Margarethe, die so herrlich exzentrisch und unkonventionell ist. Sie war schon immer eine starke Frau und hat sich auch von ihrem Mann nie unterbuttern lassen, als er noch lebte. Sie liebt alles Italienische und Amerikanische, kann nicht kochen, sondern macht einfach eine Dose Ravioli auf oder rührt Kartoffelbrei aus Pulver an. Außerdem hat sie der Männerwelt noch nicht abgeschworen, ganz im Gegenteil: „Ich bin zwar einundsechzig, aber ich habe durchaus noch meine Bedürfnisse.“ (S. 37)

Kristina Engel schreibt sehr unterhaltsam und anschaulich über die damalige Zeit, ich habe das Buch an nur einem Tag verschlungen. Und obwohl (oder gerade weil) ich in der DDR aufgewachsen bin, kann ich mich noch gut an den Geschmack der ersten frischen Ananas, Dosenravioli oder Coca Cola erinnern und musste an diesen Stellen beim Lesen schmunzeln. Auch das Konzept und die Arbeit der Avon Beraterinnen wird gut dargestellt.

Mein Fazit: Eine spannende und unterhaltsame Geschichte über Frauen in den frühen 60ern, ihr Leben zwischen Abhängigkeit und Emanzipation, Küche und Karriere.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.06.2021

Wie hinter Glas

Dora Maar und die zwei Gesichter der Liebe
0

… fühlt sich Henriette Theodora Markovitch schon in ihrer Kindheit – gesehen und beobachtet, aber nicht wahrgenommen, mitten drin und doch von den anderen getrennt. Auch später, als sie längst die surrealistische ...

… fühlt sich Henriette Theodora Markovitch schon in ihrer Kindheit – gesehen und beobachtet, aber nicht wahrgenommen, mitten drin und doch von den anderen getrennt. Auch später, als sie längst die surrealistische Künstlerin Dora Maar und Picassos Muse und Geliebte ist, hat sie in großen Gruppen oft das Gefühl, von den anderen durch eine Glasscheibe getrennt zu sein.

Geboren in Paris und aufgewachsen in Buenos Aires als Tochter einer französischen Hutmacherin und eines kroatischen Architekten, kommt sie schon früh mit den verschiedensten Kulturen und Künstlern in Berührung. Mit 12 beginnt sie zu fotografieren, setzt später durch, dass sie Malerei und Fotografie studieren darf, obwohl ihr abfällig beschieden wurde: „Eine Frau mag die Muse eines Künstlers sein, aber sie kann ihm doch nicht den Pinsel aus der Hand nehmen.“ (S. 17)
Doch Dora ist eine Frau, die weiß was sie will und wie sie es bekommt. So ist es auch mit Picasso. Jahrelang bewundert sie ihn aus der Ferne, aber erst auf dem Höhepunkt ihrer Karriere ist sie bereit, ihn kennenzulernen – mit einer ganz großen, nicht ungefährlichen Geste. Und es funktioniert, er verfällt ihr. Sie wird seine Muse und Partnerin, lebt ihren Traum an der Seite des berühmten Mannes. Er ermuntert sie, die Fotografie aufzugeben (dort hat sie den Olymp schon erreicht) und sich der Malerei zu widmen. Sie darf sein Schaffen protokollieren und für die Nachwelt festhalten, darf an seinem berühmtesten Werk „Guernica“ mitwirken, rettet seine Kunst über den zweiten Weltkrieg, spornt ihn immer wieder an, tröstet ihn oder hält ihm den Rücken frei. Sie ist „… Picassos Komplizin – im Dienst der Kunst.“ (S. 159). Einer kann nicht mehr ohne den anderen, sie haben anscheinend die perfekte Symbiose. Doch die Hochstimmung währt nicht lange. Er ist ein Narzisst, verheiratet und hat Affären, die sie langsam in den Wahnsinn treiben. Dora ist sehr temperamentvoll, feinfühlig und empfänglich für kleinste Schwingungen. Sie leidet unter seinem Verhalten, ist verletzt, kämpft, und bleibt doch, denn längst ist sie ihm und seinem Genie verfallen, verliert sich als Künstlerin, schafft gar nichts Eigenes mehr. „Ich habe längst alles getan, so viel, dass ich nackt vor dir stehe. Blind, mit ausgestochenen Augen, stumm, ohne Sprache für das, was mit mir geschieht.“ (S. 321) Bald führt sie mit ihm eine ähnlich ungesunde Beziehung wie ihre Eltern. Die Selbstaufgaben und Selbstverletzung, die man schon bei ihrem Kennenlernen feststellen konnte, zieht sich durch ihre ganze Beziehung. Erst am Ende findet sie den Mut, mit ihm abzurechnen, ihm einen Spiegel vorzuhalten. „Du erträgst keine anderen Künstler neben dir, Picasso, schon gar keine Frau!“ (S. 347)

Bettina Storks erzählt in „Dora Maar und die zwei Gesichter der Liebe“ von Doras Werdegang und ihrer leidenschaftlichen, hingebungsvollen und selbstzerstörerischen Beziehung zu Picasso. Es ist ihr gelungen, die ganze Bandbreite dieser Verbindung, alle Hochs und Tiefs sehr fesselnd zu schildern. Dabei bezieht sie auch die Kunstszene der damaligen Zeit mit ein und die Orte, an denen sie gelebt und gearbeitet haben. Durch ihren wunderbar bildlichen und mitreißenden Schreibstil hat man das Gefühl, immer dabei zu sein, mitten unter ihnen.
Dora war eine sehr interessante und faszinierende Persönlichkeit. Ich habe mich gern mit ihr auseinandergesetzt, auch wenn ich ihre Beweggründe nicht immer nachvollziehen konnte. Ich habe mit ihr gelitten und hätte ihr mehr als einmal gern gesagt, dass sie diesen Mann endlich loslassen und sich wieder auf sich und ihre Kunst, auf ihr Können konzentrieren soll, sich von ihm und seinen Zwängen freimachen. Eine wirklich dramatische Geschichte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere