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Veröffentlicht am 14.02.2022

Von Schein und Sein

Die Gezeiten gehören uns
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Über dieses Buch bin ich durch Zufall gestolpert und habe eine Autorin entdeckt, die ich mir merken werde.

Wir sind in Sea Cliff, der noblen Ecke von San Franzisco, irgendwann in den 80ern. Dort wird ...

Über dieses Buch bin ich durch Zufall gestolpert und habe eine Autorin entdeckt, die ich mir merken werde.

Wir sind in Sea Cliff, der noblen Ecke von San Franzisco, irgendwann in den 80ern. Dort wird der Grundstückswert nach der Aussicht bemessen, Meer, Golden Gate Bride oder beides. Und da gehen die Mädchen in Uniform zur Privatschule, auch die 13järige Eulabee und ihre neue Freundin.

Erst meint man, man liest eine simple Schulgeschichte über Teenager und ihre Befindlichkeiten, die angesagten Mädchen und Familien, ein Thema, das wohl schon in reichlich Fernsehserien verarbeitet worden ist. Der Erzählstil hebt es aber auf eine deutlich andere Ebene.

„Maria Fabiola ist eine Bemerkerin, aber auch eine Lacherin. Sie hat ein Lachen, das in ihrem Brustkorb anfängt und wie Flötentöne aus ihrem Mund kommt. Sie ist bekannt für ihr Lachen, weil es das ist, was die Leute ein ansteckendes Lachen nennen, aber ihres funktioniert anders. Ihr Lachen ist ein Lachen, das einen deswegen zum Mitlachen zwingt, weil man nicht will, dass sie alleine lacht.“

Ganz großes Kino!

Wer zählt wie viel und warum, wird hier messerscharf analysiert. Das Lesen ist ein großer Spaß, bis man dann unversehens in einem veritablen Psychodrama landet. Es geht um Schein und Sein, was passiert, wenn jemand an der schönen Fassade kratzt und die Fakten nicht zum Image passen? Eulabee gerät ins Abseits, als sie es wagt, Marie Fabiolas Behauptungen zu widersprechen.

Sie muss erleben, welch üble Auswirkungen Snobismus, Mobbing und Vorurteile haben können und auch wenn hier Schulkinder im Fokus stehen, ist es auch ein Blick auf die amerikanische Gesellschaft generell.

Natürlich ist das Thema dieses Buches nicht neu, aber es ist noch immer aktuell, weshalb es wohl auch noch immer nötig ist, darauf hinzuweisen. Hier wird es höchst unterhaltsam und anrührend präsentiert, ein tolles Buch, das ich gerne empfehle.

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Veröffentlicht am 27.10.2021

Traurig schön

Das Flüstern der Feigenbäume
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Dies ist ein schönes Buch, originell, zart, anrührend und wirklich schön erzählt.
Es geht um Liebe, die nicht sein darf und einen Feigenbaum, der an einem anderen Ort Wurzeln schlagen muss, weil sein Zuhause ...

Dies ist ein schönes Buch, originell, zart, anrührend und wirklich schön erzählt.
Es geht um Liebe, die nicht sein darf und einen Feigenbaum, der an einem anderen Ort Wurzeln schlagen muss, weil sein Zuhause zerstört ist.
Defne und Kostas leben auf Zypern, als sie sich 1974 verlieben und immer heimlich beim Feigenbaum einer Taverne treffen. Sie ist Türkin und er Grieche, eine unmögliche Kombination kurz vor dem Bürgerkrieg, eine Muslimin und ein Christ? Niemals.
Und in der Gegenwart hat Ada damit zu kämpfen, den Tod ihrer Mutter zu verarbeiten. Dass plötzlich ihre Tante Meryem aus Zypern zu Besuch kommt, hilft ihr auch nicht. Noch nie ist sie nach London gekommen, dann kann sie jetzt auch wegbleiben.
Hier werden sehr geschickt Handlungsstränge aus Vergangenheit und Gegenwart verwoben. Sie gehen elegant ineinander über, man merkt es kaum. Und nach und nach bekommt man eine besondere Liebesgeschichte erzählt, aber auch eine Familiengeschichte voller Schicksalsschläge und die Geschichte des schrecklichen Bürgerkriegs in Zypern.
Zwischendurch berichtet sogar der Feigenbaum persönlich. Es ist ein weiblicher Feigenbaum, der viel gesehen und gehört hat. Was sie nicht selbst miterlebt hat, erfährt sie gelegentlich von einer Maus oder anderen Tieren. Manchmal erzählt sogar der Wind. Sie hat eine ganz eigene Art, die Welt wahrzunehmen, ist erfahren, weise und poetisch und gehört auch irgendwie zur Familie.
Das Hörbuch dauert 11 Stunden, 56 Minuten und wird einfühlsam gelesen von Eva Mattes und Joachim Schönfeld. Es ist ein Buch zum Abtauchen und Fallenlassen, anrührend, nachdenklich, melancholisch mit einem Hauch Orient und vielen frischen Feigen.

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Veröffentlicht am 16.10.2021

Zwischen Wissenschaft, Historie und Geisterwelt

Das Leuchten am Rand der Welt
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Dieses Buch ist besonders in vielerlei Hinsicht.
Es ist ein historischer Roman, der origineller nicht sein könnte, der Bericht einer nahezu unmöglichen Reise, ein spannender Abenteuerroman, eine ungewöhnliche ...

Dieses Buch ist besonders in vielerlei Hinsicht.
Es ist ein historischer Roman, der origineller nicht sein könnte, der Bericht einer nahezu unmöglichen Reise, ein spannender Abenteuerroman, eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, eine Sammlung historischer Dokumente, die einem das Alaska um 1885 herum nahebringen.

Es geht um eine Expedition durch Alaska. Allen Forrester soll unbekanntes Terrain erkunden und herausfinden, wer die Einheimischen sind und wie sie auf Fremde reagieren. Ein Selbstmordkommando durch Eis und Schnee? Sie haben viel zu erleiden und lernen Phänomene kennen, die eigentlich nur noch durch Geisterglaube erklärbar sind. Die Ureinwohner Alaskas haben ein anderes Weltbild, nah an der Natur und einer geheimnisvollen Geisterwelt.

Forresters Frau Sophie, eine Vogelkundlerin, muss derweil in Vancouver ausharren und auf Briefe warten. Anrührend erzählt sie, wie sie diese schwierige Zeit erlebt.

Obwohl dieses Buch fiktional ist, wirkt es wie ein authentischer historischer Bericht, der sogar noch mit Fotos, Briefen und Artefakten ausgeschmückt wird. Es erzählt von Alaska, von ungewöhnlichen Menschen, von Geistern und Vögeln, ist spannend, abwechslungsreich, toll erzählt und ein einziges Lesevergnügen.

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Veröffentlicht am 08.10.2021

Magisch, tragisch, zaiberhaft

Wolkenkuckucksland
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Dieses Buch sei ein Lobgesang auf Bücher, sagt Anthony Doerr in seinem Nachwort und ja, natürlich ist es das, aber es ist auch noch eine ganze Menge mehr.

Es geht um ein Buch, ein Buch im Wandel der Zeiten, ...

Dieses Buch sei ein Lobgesang auf Bücher, sagt Anthony Doerr in seinem Nachwort und ja, natürlich ist es das, aber es ist auch noch eine ganze Menge mehr.

Es geht um ein Buch, ein Buch im Wandel der Zeiten, es geht aber auch um Menschen, deren Schicksale lose verbunden sind über Jahrhunderte hinweg.

Antonius Diogenes verfasste einst die Legende vom Wolkenkuckucksland, hat sie auf mehreren Tafeln festgehalten und zu einem wunderbaren Buch gebunden. Es erzählt die Geschichte von Aethon, dem einfältigen Schäfer, der mit seinem Leben nicht zufrieden war und mehr wollte, in einen Esel, einen Fisch und einen Vogel verwandelt wurde, um das Wolkenkuckucksland zu finden, wo alle glücklich sind, in den Flüssen Wein fließt und Schildkröten mit Honigkuchen beladen wandeln.

Darüber stolpert 1440 in Konstantionopel die kleine Anna, 2020 führen es Kinder aus Idaho als Theaterstück auf und in einer unbestimmten Zukunft findet Konstanze Fragmente davon in der virtuellen Bibliothek eines Raumschiffs.

Das sind die groben Eckpfeiler des Buches, aber es gibt auch noch ganz viel davor, danach und exquisites Drumherum. Auch wenn man anfangs vielleicht denkt, es ginge recht beschaulich-betulich los, merkt man schnell, man irrt sich. Dieses Buch ist vielschichtig, im wahrsten Sinne des Wortes. Tragisch-grausige Geschichten wechseln sich ab in mehreren Zeitebenen, es ist kompliziert, aber auch mitreißend. Man ist in kürzester Zeit gefesselt von diesen Schicksalen.

Und trotz einigem Blut, Schmutz, Krieg, Belagerungen, Grausamkeiten oder auch Bombenanschlägen wirkt dieses Buch anrührend, warmherzig. Alle diese Menschen finden in irgendeiner Form Trost und Hilfe durch Diogenes‘ märchenhafte Geschichte.

Dies ist ein wunderbares Buch, in das man sich fallen lassen kann, in dem man viel erlebt, Schreckliches und Schönes und durch das man lernt, dass das Glück nicht immer in der Ferne liegt. Das klingt amerikanisch pathetisch, ist aber zart, elegant angelegt, erlesen komponiert, und trotz höchster Dramatik auch zauberhaft. Unbedingt lesen!

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Veröffentlicht am 01.10.2021

Anrührend und aufschlussreich

Wenn ich wiederkomme
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Dieses Buch geht unter die Haut.

Von der „Italienkrankheit“ habe ich bislang noch nie gehört, noch nicht einmal von der „Deutschlandkrankheit“, die wahrscheinlich in Polen auftritt.
„Italienkrankheit“ ...

Dieses Buch geht unter die Haut.

Von der „Italienkrankheit“ habe ich bislang noch nie gehört, noch nicht einmal von der „Deutschlandkrankheit“, die wahrscheinlich in Polen auftritt.
„Italienkrankheit“ ist ein Begriff, der die Situation von Gastpflegekräften in Italien beschreibt, von Frauen, die ihre Familie und ihr Land verlassen haben, um in Italien Alte oder Kranke zu betreuen.

Hier zeigt uns Daniela aus Rumänien, wie so etwas aussieht. Sie hat einen arbeitslosen Mann und zwei Kinder, die sie verlässt, um in Italien fremde Menschen zu pflegen. Diesem Beruf hat sie nie gelernt, aber meistens braucht man dafür hauptsächlich Zeit, Nerven und Durchhaltevermögen und es wird gut bezahlt. Sie will unbedingt Geld verdienen, um ihren Kindern eine gute Ausbildung bieten zu können, damit sie es einmal besser haben. Dafür lässt sie sie bei den Großeltern und dem trinkenden Vater zurück. Ist das der richtige Weg?

Sehr eindringlich lässt einen Marco Balzano diese Situation miterleben, die sich sogar zu einer Tragödie auswächst. Man nimmt unterschiedliche Positionen ein, mal berichtet Manuel, der zwölfjährige Sohn, mal Angelica, die große Schwester, der die Rolle der Ersatzmutter aufgedrängt wird und dann berichtet Daniela selbst, voller Verzweiflung, weil sie nicht glücklich ist mit ihrer Entscheidung und doch keinen Ausweg sieht.

Dieses Buch zielt ohne großes Pathos direkt ins Herz und zeigt dabei alle Seiten der Medaille. Es zeigt ein Problem auf, ohne anzuklagen, hat auch keine Lösung parat, macht aber aufmerksam.

Es ist sprachlich nicht ganz so ausgefeilt wie sein Vorgänger „Ich bleibe hier“, liest sich trotzdem höchst fesselnd, berührt sehr und rückt ein wichtiges Thema in den Focus, das allgemein kaum Beachtung findet.

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