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Veröffentlicht am 27.10.2021

Dunkelblum ist überall

Dunkelblum
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Dorfromane fluten bereits seit einiger Zeit den Büchermarkt, und spätestens seit Juli Zeehs „Unterleuten“ zeigen sie auch jenseits der Heimeligkeit die Untiefen, die in diesem geschlossenen Mikrokosmos ...

Dorfromane fluten bereits seit einiger Zeit den Büchermarkt, und spätestens seit Juli Zeehs „Unterleuten“ zeigen sie auch jenseits der Heimeligkeit die Untiefen, die in diesem geschlossenen Mikrokosmos lauern. Seit Generationen schwelende Streitigkeiten, aber auch gravierende Ereignisse, deren Einfluss auf das Miteinander im Endeffekt für das Zusammengehörigkeitsgefühl gegenüber allem Fremden verantwortlich ist.

Eva Menasses neuer Roman hat einen realen Hintergrund, auch wenn Dunkelblum ein fiktiver Ort ist (steht stellvertretend für Rechnitz). Aber die Ereignisse in dieser Gemeinde im Burgenland, unweit der ungarischen Grenze, fungieren als Beispiel für eine geografischen Region, die sich als das letzte westliche Bollwerk versteht und in der in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs unzählige Massaker an Zwangsarbeitern verübt wurden. Verscharrt in eilig ausgehobenen Massengräbern. Totgeschwiegen. Aus der kollektiven Erinnerung gestrichen. Verleugnet, verschwiegen und vergessen. Und dennoch eingegraben in die Biografie jedes Einzelnen.

Aber die Zeiten ändern sich, 1989 fällt der eiserne Vorhang fällt, die Grenzen nach Osten sind offen, die Vergangenheit hält Einzug in das Leben der Dörfler. Flüchtlinge aus der ehemaligen DDR drängen in die Freiheit, werden mit Tritten und nicht mit offenen Armen empfangen. Eine Studentengruppe aus Wien kümmert sich um den verwahrlosten jüdischen Friedhof, stellt unangenehme Fragen, wie der Besucher aus Übersee. Und plötzlich ist die Vergangenheit wieder präsent.

Eine Unzahl von Personen, Stimmen und Meinungen sowie wechselnde Erzählperspektiven stellen hohe Anforderungen an die Leser*in, machen die Lektüre zu Beginn sperrig und verwirrend. Aber je tiefer man in diesen dörflichen Kosmos eintaucht, desto klarer wird die Dynamik innerhalb der Gruppe, der Umgang jedes Einzelnen mit der Schuld, die dieses Dorf in dunklen Zeiten auf sich geladen hat und die bis in die heutige Zeit hineinreicht. Vergangenheitsbewältigung? Fehlanzeige.

Dunkelblum ist überall, nicht nur im österreichischen Burgenland.

Veröffentlicht am 19.10.2021

Neues aus Auenland

Doom Creek
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Amerikanische Doomsday Prepper, Raubbau an der Natur, ein Cold Case, offene Rechnungen, skrupellose Typen, die in der Wahl ihrer Mittel nicht wählerisch sind und über Leichen gehen.

Der ungeschönte Blick ...

Amerikanische Doomsday Prepper, Raubbau an der Natur, ein Cold Case, offene Rechnungen, skrupellose Typen, die in der Wahl ihrer Mittel nicht wählerisch sind und über Leichen gehen.

Der ungeschönte Blick auf eine Gesellschaft, die der Tradition verpflichtet ist, aber deshalb auch auf einem schmalen Grat balanciert. Durchdrungen von Vorurteilen und Mikroaggressionen.

Ein Kiwi-"yeahnoir"-Hardboiler aus Neuseeland, zweiter Band der Reihe mit Nick Chester - nachdrücklich empfohlen!

Wieder eine Illusion weniger.
Auenland ist abgebrannt.

Veröffentlicht am 13.10.2021

Üble Machenschaften

Spook Street
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Romane, die im Spionage-Milieu angesiedelt sind, haben manchmal die Tendenz knochentrocken daherzukommen. Aber nicht so Mick Herrons Reihe um die „Slow Horses“. Auch in „Spook Street“, Band 4 der Reihe, ...

Romane, die im Spionage-Milieu angesiedelt sind, haben manchmal die Tendenz knochentrocken daherzukommen. Aber nicht so Mick Herrons Reihe um die „Slow Horses“. Auch in „Spook Street“, Band 4 der Reihe, brilliert der Autor mit einer fesselnden Story, schrägen Charakteren, ironisch-bissigem Humor und deutlichen Seitenhieben auf das Verhalten der politischen Strippenzieher, denen es weniger um die Sicherheit des Landes als vielmehr um die Sicherung der Pfründe und die Zementierung ihrer Posten geht.

Falls jemand die Reihe (noch) nicht kennt, hier ein kurzer Überblick. Die Slow Horses sind „gefallene“ Mitarbeiter des englischen Geheimdienstes, die entweder wegen eines gravierenden Fehlers bei einer Operation und/oder persönlichem Fehlverhalten ausgemustert wurden und nun ihre Zeit bis zum gewollten oder ungewollten Ausscheiden unter der Leitung von Jackson Lamb - keine Manieren, aber messerscharfer Verstand – in dem heruntergekommenen Slough House absitzen. Wer nun aber glaubt, dieser Umstand würde die Truppe zusammenschweißen, ist auf dem falschen Dampfer. Jeder für sich und der MI5 gegen alle. Es sei denn, jemand aus ihrer Mitte ist in unmittelbarer Gefahr, dann sind sie gemäß ihren Fähigkeiten zur Stelle.

Alles beginnt mit einer Bombenexplosion in einem Einkaufszentrum, die auf den ersten Blick keinen Bezug zu der eigentlichen Storyline zu haben scheint.

River Cartwright (einer der Kaltgestellten) fährt aufs Land, möchte seinen Großvater Dave, besuchen, ehemals die Nummer 2 im MI5 und derjenige, von dem er alles gelernt hat, was ein Spion können und wissen muss. Mittlerweile ist er alt, tüttelig und vergesslich, aber ist er so durcheinander, dass er den Besucher, der an seiner Tür klingelt und sich als seinen Enkel ausgibt, tötet? Auf den ersten Blick weisen alle Indizien darauf hin, dass der Tote River ist, denn die Leiche vor dem Cottage ähnelt ihm verblüffend. Von Dave fehlt seither jede Spur.

Doch der Schein trügt, River lebt und setzt alles daran, die Identität des Toten zu klären, herauszufinden, was dieser von seinem Großvater wollte. Er taucht ab, benutzt die Fahrkarte nach Frankreich, die der Tote bei sich hatte und findet in einem abgelegenen Dorf Informationen zu einem schmutzigen Geheimdienst-Projekt aus der Vergangenheit, die nicht nur ihm Übelkeit verursachen…

Wie immer ein mehr als kritischer und entlarvender Blick des Autors auf die Arbeit der Geheimdienste. Nachdrücklich empfohlen!

Veröffentlicht am 11.10.2021

Wer sucht der findet

Der Sucher
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In „Der Sucher“ betritt Tana French gleich zweifach Neuland. Während alle ihre bisherigen Romane im städtischen Umfeld angesiedelt sind, verortet sie hier die Handlung im ländlichen Westen Irlands. Nix ...

In „Der Sucher“ betritt Tana French gleich zweifach Neuland. Während alle ihre bisherigen Romane im städtischen Umfeld angesiedelt sind, verortet sie hier die Handlung im ländlichen Westen Irlands. Nix los, für die jungen Menschen gibt es hier nichts zu holen. Keine Arbeit, keine Perspektive. Also träumen sie von einem aufregenden Leben in der Stadt, von dem einen großen Coup, der sie dort rausholt.

Und auch die Hauptfigur Cal Hooper schert aus dem bekannten Muster aus. Kein Ire, sondern Amerikaner. Ein Ex-Cop, der sein Leben neu sortieren muss. Die Ehe gescheitert, die Tochter erwachsen, den Job beim Chicago PD, der sich nicht mehr mit seiner persönlichen Moral vereinbaren lässt, hingeschmissen. Ein Neuanfang, das heruntergekommen Häuschen, dessen Renovierung ihn tagtäglich auf Trab hält. Ein Leben in und mit der Natur in Ardnakelty. Eine abgeschottete, überschaubare und eingeschworene Dorfgemeinschaft, die den Fremden aufnimmt, sein Tun interessiert beäugt. Ihm das Gefühl vermittelt, er könne irgendwann dazugehören, wenn er die Herausforderungen besteht.

Doch dann wird seine Alltagsroutine von Trey unterbrochen, einem verwahrlosten Kind, das mit Mutter und Geschwistern außerhalb des Dorfes lebt. Zuerst beobachtet es lediglich misstrauisch Cals Tun, nähert sich ihm dann aber vorsichtig. Nach und nach rückt das scheue Kind damit heraus, weshalb es den Kontakt sucht. Brendan, der große Bruder, ist ohne Abschied spurlos verschwunden. Und offenbar hat es im Dorf schon die Runde gemacht, dass Cal früher Polizist war. In Treys Augen dafür prädestiniert, Antworten zu finden. Widerstrebend lässt Cal sich darauf ein und muss im Verlauf seiner Nachforschungen feststellen, dass unter der idyllischen Oberfläche des Dorfes Gefahren lauern, die identisch mit denen seines alten Wirkungsortes sind. Die ihn aber viel stärker anfassen, weil er zu den Beteiligten persönliche Beziehungen aufgebaut hat und sich für Trey verantwortlich fühlt.

Wer nun glaubt, er/sie hielte einen Thriller in Händen, liegt falsch. Man kennt es bereits aus den anderen Romanen der irischen Autorin, sie lässt sich Zeit, entwickelt ihre komplexen Charaktere sorgfältig, gibt Hinweise, die mit dem Fortschreiten der Handlung die ungute Erwartung wecken, dass sich eine Katastrophe anbahnen könnte. Und das stellt zu keinem Zeitpunkt die Geduld der Leser/in auf die Probe, großartig und kurzweilig ihre Beschreibungen des dörflichen Lebens. French beherrscht ihr Handwerk meisterhaft, geizt auch nicht mit unerwarteten Wendungen, lässt aber die großen Themen wie Menschlichkeit, Moral und persönliche Integrität nicht außen vor. Dabei verweigert sie aber die einfachen Antworten auf die Frage nach dem Bösen, das sich so einfach nicht abgrenzen lässt. Und auch die „Helden“ kommen am Ende nicht unbeschadet davon. Keine strahlenden Sieger, sondern alle angezählt, in ihren Grundfesten erschüttert und beschädigt in ihrem persönlichen Leben.

Ganz große Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 11.10.2021

Nachdrücklich empfohlen!

Die Stadt, das Geld und der Tod
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Handlungsort Hamburg, die Hansestadt, in der sich die krummen Geschäfte vom Kiez hinein in die Villenviertel verlagert haben und im Nadelstreifenanzug abgeschlossen werden.

Handlungsort Hamburg, die Hansestadt, in der sich die krummen Geschäfte vom Kiez hinein in die Villenviertel verlagert haben und im Nadelstreifenanzug abgeschlossen werden.