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Veröffentlicht am 16.06.2017

Ein Lesegenuss

Der englische Botaniker
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1843 reist „Der englische Botaniker“ Robert Fortune im Auftrag der Horticultural Society of London für ein Jahr nach China, welches sich gerade erst westlichen Einflüssen zu öffnen beginnt, um dort „Samen ...

1843 reist „Der englische Botaniker“ Robert Fortune im Auftrag der Horticultural Society of London für ein Jahr nach China, welches sich gerade erst westlichen Einflüssen zu öffnen beginnt, um dort „Samen und Pflanzen dekorativer oder nützlicher Art“ zu sammeln und wenn möglich nach England zu schicken. Zurück lässt er seine Frau Jane und die beiden kleinen Kinder, und noch weiß der pragmatische und etwas menschenscheue Mann nicht, auf welches Abenteuer er sich hier eingelassen hat.

China, seine Menschen und seine Pflanzenwelt, sind von einer überwältigenden Vielfalt und Fremdartigkeit, die aus jeder Pore dieses Buches auf den Leser und auf den anfangs etwas unbeholfenen Engländer einstürmen. Umso mehr er über Land und Leute erfährt, umso näher ihm emotional sein Begleiter Wang kommt und er die überraschende Bekanntschaft mit der Schwertkämpferin Lian vertieft, umso mehr verändert sich Roberts Bild von China. Sein Herz und sein Verstand öffnen sich auf dieser Reise, die viel länger dauern soll, als ursprünglich geplant. Am Ende wird aus dem kühlen, etwas sperrigen Briten ein mutiger weltoffener Abenteurer, der aus den asiatischen Weltanschauungen, dem fernöstlichen Lebensstil und der Herzlichkeit und Wärme der Chinesen viel mehr mitnimmt als nur Samen und Pflanzensetzlinge.

Die Intensität der Geschichte wird dadurch erhöht, dass nicht nur Robert Fortune eine eigene Stimme im Buch erhält, sondern abwechselnd auch die Chinesin Lian und die Engländerin Jane zu Wort kommen. So erfährt man zum einen sehr viel über das exotisch und fremdartig anmutende China, über die politische Situation, Kultur und Lebensweise. Aber auch das Leben der Frauen und ihre Stellung in der männlich dominierten europäischen Welt des 19.ten Jahrhunderts werden beschrieben und durch die Entwicklung der daheim gebliebenen Ehefrau reflektiert. Gerade die Perspektiven der Frauen sind es, die diesem Buch einen eigenen emotionalen Ton verleihen.

Das Buch hat dem Leser so einiges zu bieten. Die Entdeckung eines fremden Landes, mit einem gewaltigen Potpourri an Pflanzen, die einst aus dem fernen China zu uns nach Europa kamen. Und der reale Fortune hat tausende davon beschrieben, bestimmt, benannt und mitgebracht. Schön fand ich hier, dass Nicole Vosseler Auszüge aus Originalbriefen mit in die Geschichte einfließen lässt und im Nachwort kurz beschreibt, was Robert alles geleistet hat. Man bekommt Wissen und Anekdoten davon, was damals auf dieser ersten Reise wirklich passiert ist. Man bekommt mehr als eine Liebesgeschichte – und auch die Liebe, die Robert für seine Arbeit empfindet ist spürbar und nachvollziehbar. Die Hauptdarsteller und auch die Nebendarsteller – allen voran der kongeniale Wang – wachsen einem schnell ans Herz und man verfolgt mit Interesse und ein bisschen Rührung ihrer Entwicklung und Veränderung.

Erwähnt werden muss auch noch der Schreibstil. Das Buch kann man nicht überstürzt und hastig lesen – auch wenn die Spannung manchmal dazu drängt. Die Sprache verlangt nach Zeit und Muße und weckt den Wunsch danach, immer wieder inne zu halten, den Worten nachzuspüren und das Gelesene zu überdenken und wirken zu lassen.

Ein nachhaltiger Lesegenuss den ich nur wärmstens jedem ans Herz legen kann.

Veröffentlicht am 17.05.2017

gelungener Erstling

Die Anatomie des Teufels
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Die Leiche des Mediziners Amat wird verstümmelt von zwei Fischern aus dem Wasser gezogen. Sein Sohn Daniel, der in Oxford gerade eine Professoren-Stelle angenommen hat, kommt zur Beerdigung zurück nach ...


Die Leiche des Mediziners Amat wird verstümmelt von zwei Fischern aus dem Wasser gezogen. Sein Sohn Daniel, der in Oxford gerade eine Professoren-Stelle angenommen hat, kommt zur Beerdigung zurück nach Barcelona. Ein Familienzwist hatte ihn einst vertrieben. Umso mehr möchte er jetzt den Tod seines Vaters aufklären. Er lernt den Journalisten Bernat Fleixa kennen, der mit dem Arzt eine unheimliche Mordserie in der Stadt aufklären wollte. Da es sich vor allem um Prostituierte handelt, konnte die Polizei die Taten bis jetzt vor der Öffentlichkeit weitgehend herunterspielen und geheim halten. Die Verstümmelungen der Opfer deuten anfangs eher auf ein wildes Tier hin und würden die Stadtbevölkerung sicher in Angst und Schrecken versetzen.

„Die Anatomie des Teufels“ ist der Erstling des spanischen Autors Jordi Llobregat. Die damalige Zeit ist aus heutiger Sicht eine, in der der Unterschied zwischen arm und reich, zwischen aufkommender Moderne und rückständiger Vergangenheit groß war. Während die Stadtregierung die letzten Vorkehrungen für die anstehende Weltausstellung trifft, ist nur ein paar Straßen weiter das Elend und der Tod präsent, leiden die Menschen Hunger und sterben an Typhus und Tuberkulose. Diese Gegensätze beschreibt Llobregat ausführlich und in einer lebhaften und sehr angenehm zu lesenden Sprache. Vor allem Daniel wird einem dabei sehr schnell sympathisch. Der kluge, empfindsame junge Mann und der etwas heruntergekommene Reporter sind ein ungleiches aber darum umso interessanteres Ermittlergespann. Auch der Glaube an ein tierisches Monster als Täter und die aufkommende forensische Pathologie sind ein spannender Kontrast in diesem historischen Krimi. Der Plot ist dabei vielleicht nicht besonders trickreich aber logisch aufgebaut und lässt sich auch für die psychologischen Details des Täters angemessene Zeit der Erklärung und Beleuchtung.

Seltsam waren für mich zwei, drei kleine Sequenzen, in denen ich den Eindruck hatte, der Autor wäre etwas ins Phantastische abgeglitten. Aber vielleicht sollte das auch nur metaphorisch sein und ich habe es nur nicht ganz verstanden.
Dass der Autor mit Vergleichen zu Dan Brown und Carlos Ruiz Zafon beworben wird, fand ich nicht ganz passend. Weder der Erzählstil noch der Plot sind für mich vergleichbar.

Ein gelungener Krimi mit einem tollen Setting in einer Zeit des Umbruchs, die ich gerade deswegen sehr in Romanen schätze. Für mich eine gelungene Neuentdeckung. 4,5 Sterne – wohlwollend auf 5 aufgerundet.

Veröffentlicht am 11.05.2017

hartes Inselleben

Die Strandräuberin
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1711 ist das Leben hart auf Sylt. Die Natur ist karstig und widersetzt sich allen Versuchen, dort etwas zum Essen zu kultivieren. Also leben die Menschen vor allem vom Fisch- und Walfang. Und ist der mal ...

1711 ist das Leben hart auf Sylt. Die Natur ist karstig und widersetzt sich allen Versuchen, dort etwas zum Essen zu kultivieren. Also leben die Menschen vor allem vom Fisch- und Walfang. Und ist der mal schlecht gelaufen, dann hungern die Sylter in ihren windschiefen, ärmlichen Hütten und hoffen auf besseres Wetter und bessere Fangausbeute. Besonders schlimm trifft es immer die Frauen, die ohne männliche Versorger überleben müssen. Auch Jördis und ihre Großmutter gehören zu diesen Überlebenskünstlerinnen, die sich vor allem mit dem Sammeln von Strandgut über Wasser halten und hi und da mal ein bisschen Geld für harmlose Runen-Orakel bekommen. Jördis freundet sich mit der Tochter des Pfarrers an, dem das Mädchen und seine Oma schon lange ein Dorn im Auge sind.

Dann verliebt Jördis sich in den Schmied Arjen – für den sich auch ihre Freundin interessiert - und möchte ihn heiraten. Da bricht ein Unwetter über der Insel herein und der Pfarrer sieht seine Chance gekommen das Unglück Menschen in die Schuhe zu schieben, die seiner Meinung nach den Missfallen Gottes heraufbeschworen haben.

Schon der Vorgängerroman von Ines Thorn, „Die Walfängerin“, hatte mich gefesselt. Und obwohl ich aus diesem bereits ein bisschen etwas vom damaligen Leben auf Sylt wusste, war ich doch wieder erschüttert unter welch unwirtlichen, ja meiner Meinung nach fast unmenschlich harten Bedingungen die Leute auf der Insel lebten. Die Vielzahl der Unbillen, die Einsamkeit, die Kälte, der Hunger und in diesem Buch auch der bigotte Pfarrer sind ein düsterer Rahmen für die Jugend zweier Mädchen und die erste Liebe, die sie leider für den selben Mann empfinden. Dieser Kontrast ist sehr ansprechend. Ebenso wie die eingestreuten Details über den alten Glauben an die Götterwelt der Asen und die Rituale und Bedeutungen der Runen. Das Buch ist eher schmal, aber die Geschichte so dicht und klar erzählt, dass sie mir ein ganz eigenes Bild vom Leben auf einer Insel gegeben hat und ich bei Bildern von Sylt jetzt immer an dieses kleine feine Buch denken werde.

Veröffentlicht am 05.05.2017

volle Punktzahl

Die fremde Königin
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Wer Rebecca Gablé kennt, und wie ich als eine der besten deutschen Autorinnen auf dem Histo-Sektor schätzt (wenn nicht gar die Beste), der weiß, dass man nicht viel falsch macht, wenn man sich das neueste ...

Wer Rebecca Gablé kennt, und wie ich als eine der besten deutschen Autorinnen auf dem Histo-Sektor schätzt (wenn nicht gar die Beste), der weiß, dass man nicht viel falsch macht, wenn man sich das neueste Buch von ihr kauft. Nach der erfolgreichen Waringham-Serie hat sie mit „Die fremde Königin“ nun den zweiten Band ihrer Reihe um Otto I. geschrieben. Und sie bringt einen neuen Hauptdarsteller ins Spiel, nämlich den Bastard Gaidemar, der zwar ahnt, dass er väterlicherseits familiäre Bande zur Königsfamilie hat, aber nicht weiß, wer seine kurz nach der Geburt verstorbene Mutter war. Ohne eigenes Land oder finanzielle Mittel, und ohne einen klangvollen Namen, kann er nur seine herausragende Leistung als Panzerreiter für sich sprechen lassen. Genau deshalb wird er ausersehen, Adelheid, die verwitwete Königin von Italien, aus einer misslichen Lage zu befreien und zu König Otto I. zu bringen. Dies gelingt ihm vortrefflich und während er sich Hals über Kopf in die edle, für ihn unerreichbare, Dame verliebt, heiratet diese recht bald den König. Was anfangs eine kalkulierte Verbindung gewesen sein mag, wird bald zu einer harmonischen Ehe, in der sich Adelheid und Otto gegenseitig durch kluge politische Schachzüge unterstützen. Schnell stellen sich auch die ersten Kinder ein. Liudolf, der Erstgeborene aus Otto’s erster Ehe, kann sich für seine Stiefmutter nur bedingt erwärmen und glaubt, dass sein Vater ihm das Erbrecht für die Königswürde vielleicht vorenthalten könnte. Daraus entsteht ein Familienstreit, wie er wohl für die damalige Zeit nicht unüblich unter den europäischen Herrscher war. Als schließlich die gefürchteten Ungarn und Slawen ins Reich einfallen, spitzt sich die Situation immer mehr zu.

Der Vorgänger, das Haupt der Welt, war und ist unübertroffen mein Lieblingsbuch von Rebecca Gablé. Tugomir und Tankmar waren einfach ein tolles Team. Zumindest Tugomir erscheint aber nach einer Weile auch in diesem Buch auf der Bildfläche. Das hat mich sehr gefreut, auch wenn seine Rolle nur klein aber fein war. Gaidemar ist weit weniger sperrig. Er bekleidet von Anfang die Rolle des Helden par exellance. Er ist seinem König und seiner Königin treu ergeben; auch wenn er dafür den besten Freund fallen lassen muss. Er ist mutig und ritterlich, selbstlos und zurückhaltend. Dabei gutaussehend, stark und nie überheblich. Ein toller Mann; vielleicht manchmal ein bisschen glatt. Gegen Ende hat er noch ein, zwei Szenen, die zeigen, dass er nicht immer der Saubermann sein kann; aber im Großen und Ganzen ist er fast zu gut für die Welt. Da sind die edlen Herrschaften wie Otto, Adelheid und vor allem Kirchenfürsten wie Wilhelm, etwas spannender, weil facettenreicher in ihren Charakteren. Ziemlich lange hängt Gaidemar auch der unerfüllten Liebe seiner Königin nach, bis sich auch für ihn andere Perspektiven ergeben.

Noch mehr als im Vorgängerroman, versucht die Autorin die politischen Verwirrspiele der Adligen zu erzählen und dem Leser geschichtliches Wissen zu vermitteln. Dass man dabei nicht gänzlich den Überblick verliert, ist ihrer klugen Erzählweise zu verdanken. Denn wer hier mit weg koaliert, wer wen über den Tisch ziehen will, wer wo gerade mal regiert, wessen Bruder und Cousin mit wem unter einer Decke steckt, das ist schon ein großes Hin und Her gewesen und neben Ehre und Treue gibt es auch jede Menge Verrat, gebrochene Schwüre, Bruderzwist und Hass und Neid.

Ich habe das Buch, wie alle Bücher von Frau Gablé, verschlungen. Es war im besten Sinne spannend, unterhaltsam und lehrreich zugleich. Auch wenn es für mich nicht ganz an den Vorgänger herangekommen ist – auch weil ich einfach ein Tudomir-Fan bin - so vergebe ich dennoch die volle Punktzahl. Denn es war rundherum ein Vergnügen und jedem Leser nur wärmstens ans Herz zu legen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Charaktere
  • Gefühle
  • Recherche
  • Schreibstil
Veröffentlicht am 19.04.2017

toller Histokrimi

Der zweite Reiter
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Als Fan der Nachkriegsromane von Cay Rademacher hat mich diese neue Krimireihe brennend interessiert. Handlungsort ist zwar Wien – und es handelt sich um den ersten und nicht den zweiten Weltkrieg - aber ...

Als Fan der Nachkriegsromane von Cay Rademacher hat mich diese neue Krimireihe brennend interessiert. Handlungsort ist zwar Wien – und es handelt sich um den ersten und nicht den zweiten Weltkrieg - aber die Lebensumstände, in denen die Menschen sich befinden, erinnern stark an das zerstörte Berlin. Hunger und Beschaffungskriminalität sind an der Tagesordnung. Viele Männer kehren als Invaliden aus dem Krieg zurück. Eigentlich gehört August Emmerich auch zu ihnen. Aber er verbirgt seine Verletzung und wird so wieder in den Außeneinsatz bei der Kriminalpolizei geschickt. Zusammen mit seinem Kollegen Ferdinand Winter ermittelt er alsbald in einem Mordfall. Anfangs ist von Selbstmord die Rede. Aber Emmerich hat ein Gespür dafür und weiß bald, dass etwas ganz Anderes dahinterstecken muss.

Mir hat die Geschichte ausnehmend gut gefallen. Zum einen liegt das am Erzählstil der Autorin. Ich dachte ja erst, es wäre ein Mann, der hier die manchmal sarkastisch-scharfe Schreibfeder geführt hat. Nachdem ich eines Besseren belehrt wurde finde ich, sie hat die männlichen Figuren sehr treffend und realistisch gezeichnet und dabei noch die ein oder andere Frauenfigur eingefügt, die mir ans Herz gewachsen ist. Außerdem schafft sie es, einen spannenden Plot mit einem stetig ansteigenden Spannungsbogen zu erzählen.

Man merkt dem Buch die intensive Recherche an. Im positiven Sinne, denn die geschichtlichen Fakten werden sehr unterhaltsam und unaufdringlich mit der fiktiven Handlung verwoben. Ich würde mich freuen, bald wieder von dem Wiener Ermittlerduo lesen zu dürfen. Für Liebhaber von Gereon Rath kann ich es auch gepfehlen.